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Vorwort

Müllenhoffs Werk, das 1845 in mehreren Auflagen erschien und sich die Herzen der Schleswig-Holsteiner im Sturm eroberte, ist seit Jahrzehnten vom Büchermarkt verschwunden. Auch der anastatische Nachdruck ist nicht mehr zu haben. Eine Quelle reichster Belehrung und reinsten Genusses ist damit für das jüngere Geschlecht versiegt. Julius Bergas, in dessen Knabenjahre das erste Erscheinen des Buches fiel, hegte seit langer Zeit den Herzenswunsch, seine reiche Lebensarbeit durch einen Neudruck seines Lieblingsbuches zu krönen und hat, idealen Sinnes, allen Hemmnissen der Zeit zum Trotz seinen Plan mit der zähen Tatkraft des alten Schleswig-Holsteiners durchgeführt; das Ende zu sehen ist ihm nun doch nicht vergönnt gewesen. Als er mir im Frühjahr 1920 die Bearbeitung der neuen Ausgabe übertrug, stand es fest, daß das klassische Werk in allem wesentlichen unverändert hinausgehen sollte; es sollte der »alte Müllenhoff« bleiben. So sind denn im Text nur offenbare Irrtümer stillschweigends berichtigt. Vielleicht bin ich manchem in der Pietät zu weit gegangen, wenn ich auch die Verweise auf veraltete, heute kaum mehr zugängliche Abhandlungen und Ausgaben getreulich wieder abgedruckt habe. Aber es schien mir doch das Beste, auch in dieser Beziehung an dem Werke des Meisters nicht zu rütteln; denn das Ganze ist ja als wissenschaftliche Leistung zugleich ein ragendes Denkmal für den größten Germanisten, den unser Land hervorgebracht hat; es gibt uns ein anschauliches Bild von seiner und seiner Zeit Arbeitsweise und Hülfsmitteln; es ist wie eine geschichtliche Urkunde, die man nicht verfälschen soll. So habe ich meine eigenen Zusätze ganz von denen Müllenhoffs getrennt (»Anmerkungen« S. 521 ff.).

Auch die Anordnung Müllenhoffs, obwohl nicht widerspruchslos geblieben und im einzelnen anfechtbar, ist beibehalten; doch sind die in der »Nachlese« mitgeteilten, dem Übersehen ausgesetzten Stücke nunmehr in den Zusammenhang eingereiht. Das Ganze hat dadurch sicher an Übersichtlichkeit und Geschlossenheit gewonnen. Freilich wurde dadurch eine neue Zählung der Stücke nötig, die bei Zitaten ihr Unbequemes hat; ich hoffe aber durch die beigegebene vergleichende Tafel dem Übelstand einigermaßen abgeholfen zu haben. Auch Müllenhoffs »Zusätze und Berichtigungen« sind jetzt unter die einzelnen Stücke gesetzt.

Bei meinen eigenen Anmerkungen mußte ich mir äußerste Beschränkung auferlegen und biete nur eine Auswahl aus meinen Sammlungen. Ich mußte mich begnügen, das mitzuteilen, was sich ungezwungen an die von Müllenhoff aufgenommenen Stücke anschließen ließ. Auch verbot es der Raum, die von mir herangezogenen ungedruckten Stücke im Wortlaut der Erzähler mitzuteilen; bei den gedruckten mußte meist ein Verweis oder ein kurzes Stichwort genügen. Besonders bedaure ich, in einem Punkte den von Müllenhoff betretenen Weg nicht haben verfolgen zu können: ich mußte meinen Plan, durch Verweise auf Sammlungen aus anderen Landschaften der vergleichenden Sagenforschung zu dienen, fallen lassen und mich streng auf Schleswig-Holstein beschränken. Dagegen habe ich mich bemüht, die Sammlung selbst durch zahlreiche Verweise von einer Stelle auf die andere der vergleichenden Betrachtung in höherem Grade nutzbar zu machen als es bereits von Müllenhoff geschehen war. Die Hinweise auf dichterische Behandlung einzelner Stücke werden namentlich für den Unterricht willkommen sein; auf Vollständigkeit machen sie keinen Anspruch.

Die plattdeutschen Stücke erscheinen jetzt im wesentlichen in der neuen Rechtschreibung, wie sie durch die Lübecker, Rendsburger und Schweriner Verhandlungen vereinbart ist. Für völlig gleichmäßige Durchführung kann ich mich freilich nicht verbürgen, da der Druck bereits im Gange war, als die Regelung endgültig beschlossen wurde, und auch jetzt noch manches zweifelhaft bleibt. So möge der Leser über kleine Unebenheiten freundlich hinwegsehen.

Die neue Ausgabe erscheint in einer Zeit, in der das Stammesgefühl mächtig erstarkt ist, in der tausend Hände am Werk sind, die Liebe zur Heimat in die Herzen der heranwachsenden Jugend zu pflanzen. Kaum kann es dazu ein besseres Mittel geben, als wenn wir uns in die Geschichten dieser Sammlung versenken, zu der jeder Winkel unseres Landes beigesteuert hat. Sie sind ein Spiegel unseres Volkstums. Sie führen uns abseits von der Unrast des Tages in eine stille, versonnene Welt; sie sind aber auch Nachhall und Niederschlag großer Zeiten, die unser Land erlebt hat, und atmen in jeder Zeile den kräftigen Erdgeruch der Heimat. Reicher Segen kann von ihnen ausgehen, heute mehr als je zuvor.

Kiel, im April 1921.

Otto Mensing.

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