Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Fünftes Kapitel.

Mariana und Rückkehr nach Bastia.

Era già l'ora che volge il disio
Al naviganti e intenerisce 'l cuore,
Lo di ch' han detto a' dolci amici addio.
Dante.

Der Ort Cervione liegt nördlich von Aleria auf dem Hang der Berge; und hier straft mich der Wunsch, auch dort gewesen zu sein; denn enthält jenes Castell gleich nichts Sehenswürdiges, so war es doch die Residenz Theodors. Es überfällt den Wanderer wol bisweilen die Wandermüde, daß er schlafenden Augs an manchem Gegenstand der Betrachtung vorübergeht. Ich sah Cervione auf der Höhe, und gab den Ort auf um der Trümmer von Mariana willen.

Weiter nördlich von Cervione mündet der Golofluß, die größeste Wasserader der Insel, welche so viele Täler tränkt. Die Sommerglut hatte ihn fast trocken gelegt. Rings umher hat der Strom die weite Ebne von Mariana angeschwemmt, oder von Marana wie die Corsen jetzt sagen. Und hier stand auf dem linken Ufer des Flusses die zweite Römercolonie. Marius hatte sie gegründet. Es ist ein merkwürdiger Zufall, daß in dieses blutige Land der Corsen gerade die beiden Bluträcher und Todfeinde Sulla und Marius Colonieen ausführen mußten. Ihre Namen, welche die schrecklichsten Gräuel des Bürgerkrieges aussprechen, mehren hier die Schwüle corsischer Atmosphäre.

Ich suchte die Trümmer Mariana's auf. Sie liegen eine Stunde weit von der Straße ab nach dem Meeresstrand zu. Wie bei Aleria fand ich auch hier weite Flächen mit Mauersteinen bedeckt, welche den Boden ganz bedecken. Es wandert sich trostlos auf solchem Felde, gedenkt man, daß diese Steine einst eine Volksstadt waren und daß in ihnen das Leben von Jahrhunderten wohnte. Man möchte Amphions Citer nehmen, die Trümmer noch einmal zusammenharmoniren und einen Blick in Volk und Stadt hineinthun. Denn welcher Art waren sie? und welcher Epoche gehörten sie an? Die Trümmer Mariana's sind noch unbedeutender als die von Aleria. Sie lassen die Zeit gar nicht mehr erkennen. Der Corse hat es gern, wenn man in jenen Steinen die Reste römischer Bauten finden will, und sich selbst betrügend mag der Wandrer sich auf einem jener Trümmerhaufen niederlassen und an jenen Marius denken, wie er auf den Ruinen Carthago's saß und den Fall der großen Stadt beklagte.

Zwei zerstörte Kirchen ziehen allein die Betrachtung an. Es sind die hervorragendsten Ruinen Corsica's aus dem Mittelalter. Die eine war eine schöne Capelle, deren längliches Schiff sich wol erhalten hat. Sie hat eine Tribüne, welche von außen sechs halbrunde Säulen korinthischer Ordnung zieren. Sculpturen von sehr einfacher Arbeit sind über dem Gesimse des Seiteneingangs angebracht. Eine Millie weiter liegen die Reste einer größeren Kirche, von welcher ebenfalls das Schiff aufrecht stehen blieb. Sie heißt die Canonica. Sie ist eine Basilika von drei Schiffen mit Pilasterreihen dorischer Ordnung und einer Tribüne mit gothischem Capellenbau zu beiden Seiten. Nach außen hat die Nische ebenfalls Pfeiler dorischer Ordnung. Die Länge des Schiffes beträgt 110 Fuß, seine Breite fünfzig. Die Vorderseite ist halb zerstört und zeigt den pisanischen Stil. Am Portalbogen sieht man Greise, Hunde die einen Hirsch jagen, ein Lamm von so roher Arbeit, daß sie dem achten Jahrhundert angehören könnte. Man hat diese Canonica für einen römischen Tempel ausgegeben, den die Saracenen zu einer Moschee, die Christen wieder zu einer Kirche umgewandelt, nachdem Hugo Colonna Mariana den Mauren abgewonnen hatte. Man erkennt wol, daß der Bau einmal bereits erneuert worden ist, aber nichts spricht dafür, daß er römisch war. Im Gegenteil erscheint er durchaus als eine Basilika der Pisaner. Seine Formen sind edel und einfach, von der besten Symmetrie, und dies wie die Gediegenheit des corsischen Marmors, mit welcher die Kirche bekleidet ist, gibt ihr das Ansehn antiker Architectur.

Als ich in das Innere trat, überraschte mich die andächtige Gemeinde, welche darin auf den Knieen lag. Es waren hochaufgeschossene Wildlinge, die dort quer durch die Schiffe in Reihen hinter einander grünten. Ein bärtiger Ziegenbock stand gerade vor der Tribüne und schien eher moralische als gefräßige Gedanken zu hegen. Die Hirten weideten ihre Ziegenherde neben der Canonica. Ich fragte sie vergebens nach Münzen, doch hat man hier wie an andern Orten Corsica's eine große Zahl von Kaisermünzen gefunden, mit denen die halbe Welt gesegnet ist. Von dieser ehemaligen Colonie des Marius, welche früher als Aleria ausgeführt wurde, führte die einzige Römerstraße in Corsica über Aleria nach Präsidium, nach Portus Favoni und nach Palae an die Meerenge des heutigen Bonifazio. Es war also die Insel in jenen Zeiten noch unwegsamer als sie gegenwärtig ist; in das bergige Innere drangen die Römer nimmer ein.

Hier zeigt sich nun Bastia wieder in der Ferne und der Ring der Wanderung will sich schließen. Zur Linken erheben sich die blutgetränkten Höhen von Borgo, wo die Corsen ihren französischen Unterdrückern den letzten Sieg abgewannen. Weiterhin schimmert der stille Teich Biguglia und oberhalb steht Biguglia selbst, einst der Sitz der genuesischen Governatoren. Das alte Schloß liegt am Boden.

Der letzte Ort vor Bastia ist Furiani. Sein graues Schloß steht in Ruinen und das schwarze Gemäuer bedeckt mit dem üppigsten Grün die Epheuranke und die weiße Waldrebe. Noch einmal schweift das Auge von hier in die liebliche Goloebne hinab, zu den duftigen blauen Bergen hin, welche aus dem Innern der Insel zum Abschied mit ihren Wolkenschleiern winken.

Eine schöne Wanderreise ist nun vollbracht. Und hier steht der Wandrer im freudigen Besinnen still und dankt den guten Mächten, die ihn schirmend geleiteten. Doch wird es dem Gemüte schwer, von dem wunderbaren Eilande zu scheiden. Wie ein Freund ist es mir geworden. Die stillen Täler mit ihren Olivenhainen, die zauberischen Golfe, die äterfrischen Berge mit ihren Quellen und Pinienkronen, Städte und Dörfer und ihre gastlichen Menschen, vieles haben sie dem Verstand wie dem Herzen zum dauernden Gastgeschenk gegeben.

Noch einmal das Bild eines Corsen, der hier unter dem alten Oelbaum gelagert mir Land und Volk noch darstellen will.

Abschied von Corsica.
Der Fremdling.
              Du wilder Cors' vom Berg, was träumest du
Am alten Oelbaum hier in dumpfer Ruh,
Und streckst dich hin den Doppellauf im Arme
Und starrst so in die Luft, die flimmerwarme?
Im grauen Turme weint dein hungrig Kind,
Es singt Lament dein Weib und spinnt und spinnt,
Und klagt, daß ohne Ende die Beschwerde,
Die Kammer leer, daß Feuer todt im Herde.
Doch du, dem Falken gleich, hockst auf dem Stein,
Verschmähst im Tal das goldne Korn zu streun,
Und auszusä'n den grünen Pflanzensegen
Und Rebenwuchs, ein wohnlich Haus zu pflegen.
Schau' hier hinab, wie sich die Ebne dehnt
An blauen Bergen sonnig hingelehnt,
Und sich zum Meere lachend niedersenket,
Ein Paradies von Bächen übertränket.
Doch wuchert drauf nur strupp'ger Albatro,
Der Mirtenstrauch der weiten Herrschaft froh,
Das Farrenkraut und Cytisus und Haide,
Schwarzhaar'ger Ziegen sommerliche Waide.
Träg schleicht der Golofluß hinab zum Sumpf
Dem schilfbewachs'nen, der die Luft macht stumpf
Und fieberfeucht und langsam zehrt am Leben
Des Fischers, dem er seinen Fisch gegeben.
Und wenn der Wandersmann das Feld durchirrt,
Wird er vom Haidevogel nur umschwirrt,
Und stößt auf Trümmer nur und Mauerhallen
Von Römerstädten, die zu Staub zerfallen.
Auf denn, du Cors', aus deiner trägen Rast,
Und steig' herab, und flink die Axt gefaßt,
Den Spaten und den Karst, und bau' die Erde,
Daß sie ein fruchtbedeckter Garten werde.

Der Corse.
Du Fremdling, dessen Väter einst ich traf,
Bei Calenzana senkt' in ew'gen Schlaf,
Was störst du meine Ruh? – Zweitausend Jahre
Schon kämpft' ich, schlachtenvolle, freudenbare,
Und hielt zweitausend Jahre ringend Stand
Dem Feind', der überzog mein Inselland.
Am Col di Tenda hab' ich sie geschlagen
Die Römer deren Spur die Felder tragen;
Carthago's Hasdrubal traf ich am Meer,
Zerstreut' wie Samen das Etruskerheer.
Der Maure drang in meinen Golf nach Beute,
Er schleppte Weib und Kind mir in die Weite,
Und warf ins Haus den roten Feuerbrand;
Doch faßt' ich ihn und rang und überwand.
Und wieder hört' das Muschelhorn ich schallen,
Wenn neu der Feind mir in das Land gefallen,
Lombard' und Türke und der Aragon.
Und floß mein Blut in hellen Bächen schon,
Und sah in Asche ich mein Dach zerstieben,
Ich weinte nicht – mir war die Freiheit blieben.
Da kam der Genues' – o schwerer Fluch!
Italia ihr Kind in Ketten schlug.
Schaust du mein Land und klagst, daß es so wüste,
Die Fluren öd' und leer die Hafenküste,
Das Dorf von Epheu grün und halbzerstört,
So wiß, der Genuese hat's verheert.
Hörst du am Golf die Mandoline schlagen,
Des Vôcero gedehnte Laute klagen,
Und wunderst dich, daß trüb' stets der Gesang,
So wiß, der Genues' ihn so erzwang.
Hörst du den Flintenschuß im Berge hallen,
Siehst du ins dunkle Blut das Opfer fallen,
Und schauderst ob der Rachlust unerhört,
So wiß', der Genues' hat sie gelehrt.
Und wisse nun, was wir gelitten haben.
Doch hab' ich Genua das Grab gegraben,
Und siehst du sie dereinst so sag': Ich sah
Das Corseneiland, Grab von Genua.
Wild war der Kampf und grausig sonder Ende,
Der Kaufmann gab mein Land in Frankreichs Hände,
Als wie ein Gut, das man ersteht um Geld,
Und ruhig sah es an die feige Welt.
Du Fremdling hör', an Pontenuovo's Bergen
Erlag ich wund den fränk'schen Freiheitschergen,
Und weint', und schleppt' mich wie ein blutend Wild
Die Felsen aufwärts von dem Schlachtgefild.
Nun bin ich müd' – solch' Kämpfen macht ermüden,
Drum gönn' die Rast mir in des Oelbaums Frieden.

Der Fremdling.
Nicht wollt' mein Mund ein bitter Wort dir sagen,
Mitfühlend nur dein Fluchgeschick beklagen,
Du Vorkampf-Streiter, blutig, schlachtenmüde,
O Sohn des Todes und der Eumenide!
Nun ruh'! weil du Europa's lange Nacht
Allein auf deinem Felsen hast durchwacht,
Und hast allein um Mannes Gut gerungen,
Als in der Welt sein Name war verklungen.
Hab' einen Ruf gehört von deinen Ahnen,
Von Pasqual Paoli ein ernstes Mahnen,
Als ob dem rost'gen Heldenangedenken
Mein lebend Wort sollt' neues Leben schenken.
Und war es oft ein blutig dunkles Schauern,
Und war es oft ein tiefes Seelentrauern,
Das hier mein Herz im Innersten gerührt,
Hat's doch vom Heldengeist den Hauch gespürt;
Hat's doch von deinen liederreichen Klagen
Den hellsten Glockenklang hinweggetragen.
Und wie ich saß dem Riesenfels zu Füßen,
Und sah den Wildbach frei durch Wolken schießen,
Thät mir aufs Haupt die Aeterschale gießen
Natur und neu den Sinn zum Licht erschließen.
Im Land des Todes war ich nun zu Gast,
Und kehre heim mit dem Olivenast;
Froh schwingt der Pilgrim das geliebte Zeichen,
Weil's gute Geister ihm gewährend reichen.

Du Cors' leb wol! dieweil aus regen Wellen
Von meinem Wanderschiff die Segel schwellen.
Hab' Gottes Lohn für deiner Früchte Gabe,
Für gastlich Obdach und des Weines Labe.
Mag Jahr um Jahr dein fetter Oelbaum tragen,
Dein Garten nie die Lese dir versagen.
Auf goldner Aue reif' dir Mais genug;
Aufzehr' die Sonne deiner Rache Fluch,
Daß einst vor ihrem Antlitz trocken werde
Dein Heldenblut auf deiner Heldenerde.
Hoch wachs' dein Sohn den starken Ahnen nach,
Die Tochter keusch wie deines Berges Bach;
Halt' zwischen sie und feile Frankensitten
Granitner Felsen Schanze stets inmitten.
Leb, Eiland, wol! mag nie dein Ruhm verschwinden,
Der Väter Tugend laß in Enkeln finden;
Daß nicht ein Gast auf deinen Bergen klage:
»Sampiero's Heldensinn, du wardst zur Sage!«


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