Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Achtes Kapitel.

Andere Erinnerungen, und ein Fest.

Meiner Locanda gegenüber steht ein altes Haus, dessen marmornes Thürgesims meine Aufmerksamkeit anzog. Es sind alte Sculpturen darauf, das Wappen Genua's und gothische Initialen. Meine Freude war groß als man mir sagte, daß der Kaiser Karl V. in diesem Hause zwei Tage und eine Nacht gewohnt habe. Wenn ich das Fenster betrachte, an welchem er stand, so überschüttet es mich mit deutscher Historie und nennt manchen Namen, Luther, Worms, Augsburg, Wittenberg, Moriz von Sachsen, Philipp von Hessen, nennt Schiller und Don Carlos, Goethe und Egmont. Karl V. war der letzte Kaiser im vollen Sinne des Worts; denn gegen ihn, in dessen Reich die Sonne nicht unterging, erhob sich ein kleiner Mann in der grauen Kutte und ließ ein Wort fallen, welches all die Herrlichkeit des Kaisertums wie eine Bombe zersprengte. Doch sind diejenigen töricht, welche Karl V. schmähen, daß er die Reformation nicht begriff und sich nicht an die Spitze ihrer Bewegung stellte. War er doch eben Kaiser. Ehe sein Ende kam, wurde er müde; und der Mann dessen vielbewegtes Leben ein unausgesetzter Kampf mit den Mächten gewesen war, welche das Reich stürzten, mit Frankreich und der Reformation, gab seine Länder hin und die alles umwandelnde Zeit erkennend, ward er Eremit und legte sich in einen Sarg. Ich bin froh, daß ich Tizians herrliches Porträt Karls V. sah. Nun ist mir mein Nachbar hier am Fenster kein Begriff, sondern Person von Fleisch und Bein.

Es war ein Zufall, daß Karl nach Bonifazio kam. Mein Freund Lorenzo erzählte ihn mir so. Karl war im Jahre 1541 von seinem verfehlten Zuge gegen Algier zurückgekehrt; ein Sturm zwang ihn im Golf Santa Manza zu ankern. Er stieg ans Ufer, und neugierig des corsischen Landes Art, das damals wie heute für barbarisch und kriegerisch galt, kennen zu lernen, trat er in einen Weinberg. Filippo Cataccioli, der Besitzer desselben, war gerade anwesend. Dieser bot dem Kaiser von seinen Trauben, und im Gespräch erweckte er ihm das Verlangen die Stadt Bonifazio zu sehen, welche Alfonso von Aragon nicht hatte zwingen können. Also erbot sich der Corse ihn zu geleiten, bot ihm Gastfreundschaft in seinem Hause und versprach ihm sein Incognito zu achten. Er gab ihm sein Pferd; der Kaiser stieg auf, und der kleine Zug setzte sich in Bewegung. Voraus aber schickte Cataccioli einen Boten und ließ den Anzianen sagen: Karl, König von Spanien und Kaiser des heiligen römischen Reichs, würde heute Bonifazio's Gast sein. Wie nun Karl gegen Bonifazio zu reiten kam, erdonnerten auf einmal die Kanonen, und das entgegenströmende Volk rief: Evviva Carlo di Spagna! Der wandte sich überrascht zu Cataccioli und sagte: »Freund, du hast mich doch verraten.« Nein! entgegnete dieser, sondern dies ist die Natur der Kanonen Bonifazio's, daß die Sonnenstralen sie losbrennen, nahet sich ein Fürst gleich euch.

Karl zog in Cataccioli's Haus und wurde dort wol aufgehoben und gut verpflegt. Beim Abschiede rief er seinen Wirt und sagte zu ihm: »Mein Freund, weil Ihr euren Gast wol gehalten habt, so bittet euch drei Gnaden aus.« Cataccioli bat um drei Freiheiten für die Stadt Bonifazio, und diese zugesagt, gebot ihm der Kaiser noch eine Gunst, aber für seine eigene Person zu fordern. Der Corse sann lange nach, dann sagte er: »Ew. Hoheit wolle befehlen, daß, wenn ich todt bin, mein Leichnam im Allerheiligsten der Kathedrale beigesetzt werde, denn weil das keinem Laien zukommt, so wird das die allergrößeste Ehre und Auszeichnung sein, die noch je einem Bürger Bonifazio's widerfahren ist.«

Der Kaiser gebot dieses, und Cataccioli geleitete ihn wieder an den Hafen, und nachdem sein Gast an Bord gestiegen war, nahm er das Roß worauf dieser geritten, und erschoß es auf der Stelle.

Cataccioli's Haus ist nicht ganz vollendet. Man sieht einige Mauerlücken in der Wand. Denn die Anzianen hatten ihm, als er es baute, den Bau untersagt, aus Rücksichten auf die Festung. Er versprach nun auf seine Kosten einen Fanal zu bauen, wenn man ihm das Haus gestattete. Der Magistrat ging darauf ein, man schloß den Vertrag, daß Cataccioli sein Haus nicht eher vollenden dürfe, als bis er den Faro vollendet habe. Also baute er beide zugleich, brachte den Faro richtig bis zum Fundament und sein Haus unter Dach, bis auf einige Lücken die er in der Mauer ließ.

Hoch und schön von Gestalt war Cataccioli, und deshalb nannte ihn das Volk Alto Bello. Seine Familie war eine der reichsten und ältesten der Stadt und wird in deren Geschichte viel genannt.

Der Blick, der an dieser Wohnung Karls V. vorbeistreift, fällt auf die Insel Santa Maddalena, welche am Rande Sardiniens steht. Deutlich sehe ich den Turm auf ihr, und sehe den jungen Artillerie-Offizier Napoleon dort aus der Barke springen, ihn zu nehmen. Napoleon wohnte fast acht Monate lang in Bonifazio, dem Hause Karls V. gegenüber. Diese Begegnung zweier großer Kaisernamen hier ist merkwürdig; denn Napoleon war es, der die alte ruhmvolle Kaiserkrone Karls V. zerbrach.

Bonifazio hatte ehedem in der Zeit seiner Blüte einige zwanzig Kirchen und Klöster. Die Klöster sind aufgehoben und nur drei Kirchen übergeblieben, die Kathedrale S. Maria vom Feigenbaum, San Domenico und San Francesco. Santa Maria ist von pisanischer Bauart, eine große schwere Kirche, welche in engen Gassen sich verliert. Ihre geräumige Halle ist der Versammlungsplatz und Spaziergang der Städter, die darin umherwandeln wie die Venezianer in den Hallen des Marcusplatzes. In alten Zeiten versammelte sich in dieser Kathedrale auch der Senat Bonifazio's, um über die Angelegenheiten der Stadt zu beraten.

Weiter hin gegen den Rand des Felsens liegt San Domenico, eine schöne Kirche der Templer, deren Triangel noch an der Mauer sichtbar ist. Der Bau ist von den reinsten gothischen Verhältnissen, und es fehlt ihm nur die bekleidete Façade, um auch von Außen angenehm zu wirken. Unstreitig ist sie die schönste Kirche Corsica's neben der in Ruinen stehenden Canonica in Mariana. Ihr schneeweißer achteckiger Turm, welchen die Pisaner bauten, gleicht einem krenelirten Festungsturm; er ist nicht vollendet. Ich fand in der Kirche viele Grabsteine von Tempelherren und genuesischen Edeln, auch den eines Doria. Der Kardinal Fesch hat einige Bilder in sie geschenkt, die indeß von keinem Werte sind. Merkwürdiger sind die Votivbilder auf Holz, welche gerettete Bürger Bonifazio's der Madonna und dem heiligen Domenicus geweiht haben. Es gibt manches Weihbild unter ihnen, welches Piratenscenen recht wacker darstellt.

Die dritte Kirche San Francesco besitzt eine große Merkwürdigkeit, denn es befindet sich in ihr die einzige lebende Wasserquelle Bonifazio's. Sonst trinken die Bonifaziner nur Regenwasser, und besonders versorgt sie die große, tiefe Cisterne, in welche man auf steinernen Stufen hinabsteigen kann, ein verdienstliches Werk der Genuesen.

Die meisten ehemaligen Klöster Corsica's waren vom Orden der Franciscaner. Diese Mönche hatten sich äußerst zahlreich auf der Insel angesiedelt und ihr Heiliger selber ist, wie die Sage erzählt, in Corsica gewesen. Er soll nach Bonifazio gekommen sein, und da die Bürger dieser Stadt als die religiösesten der Insel gelten, so will ich meinem Freunde Lorenzo eine Legende nacherzählen.

Man sieht über dem Golf das verlassene Kloster San Giuliano; zum Bau desselben gab der heilige Franciscus selber Veranlassung. Eines Nachts nämlich landete er, ich weiß nicht auf welcher Fahrt, im Hafen Bonifazio's und stieg ans Ufer. Er klopfte an ein Haus und begehrte Herberge. Aber es wurde ihm nicht so gut begegnet, wie dem Kaiser Karl. Denn man schloß ihm die Thüre, weil er ganz verwildert und struppig wie ein corsischer Bandit aussah. Der Heilige ging betrübten Herzens hinweg und legte sich in eine Grotte neben dem Hause schlafen, und nachdem er sich dem Herrn empfohlen hatte, entschlief er. Derweilen kommt eine Dienstmagd, um wie sie zu thun gewohnt war gewisse Unsauberkeiten in die Grotte auszuwerfen. Wie sie nun in diese eintritt, sieht sie drinnen etwas leuchten und hätte vor Schrecken die Unreinlichkeit beinahe über den Heiligen ausgegossen. Denn eben dieser war es, was da leuchtete. Franciscus erhob sich hierauf vom Boden und sagte mit seinem milden Lächeln zur Magd folgendes: »O meine Freundin, thue nur immerhin wie du zu thun gewohnt bist, weil ich doch ein ganzes Jahr in einem Schweinestall gewohnt habe, wie das alle Welt weiß.« Die dumme Magd aber lief mit Geschrei davon und erzählte, daß sie einen Mann in der Grotte gefunden habe, welcher die Eigenschaft besitze, an einigen Teilen des Körpers zu leuchten. Es verbreitete sich flugs die Kunde davon in Bonifazio; die Bonifaziner eilten an Ort und Stelle, und da sie den Heiligen gefunden hatten, hoben sie ihn auf ihre Hände, liebkosten ihn und baten ihn, er möge ein Denkmal seiner Anwesenheit hinterlassen. Der heilige Franciscus sagte: meine Freunde, errichten wir zum bleibenden Gedächtniß ein Kloster. Auf der Stelle trug man Steine herbei, Franciscus aber legte mit eigner Hand den Grundstein, und nachdem er solches gethan, empfahl er sich und stieg in sein Schiff. Das Kloster nannte man nicht nach seinem Namen, weil er damals noch nicht heilig gesprochen war, sondern nach dem S. Julian. Später bauten die Bonifaziner die Kirche San Francesco. Nahe dabei stand auf dem Felsen in alten Zeiten ein Hain von Pinien, von Mirten und Buxus, ein wahrhaftes Wunder, weil ihn das nackte Kalkgestein hergab. Bei Verlust der rechten Hand war es verboten, einen Baum aus jenem Wäldchen zu fällen. Eremiten saßen darin in einer Bergklause, lobten Gott und sangen fromme Lieder hoch oben über der Meerenge, nahe am Himmel. Nun ist der Wald und das Eremitenhaus verschwunden, und es geht jetzt dort die Schildwache in roten Hosen auf und ab und pfeift sich ein Soldatenlied.

Am 15. August weckte mich Kanonendonner unter meinem Fenster. Im Schlaf glaubte ich es seien die Spanier und Alfonso von Aragon mit den Bombarden, und diese machten ein gräuliches Schießen und Sturmlaufen gegen den Felsen; aber ich besann mich bald, daß diese Kanonenschüsse dem Geburtstage des alten Kaisers Napoleon und der Jungfrau Maria galten. Denn am Fest der Assunta war Napoleon geboren, und beide haben nun die Ehre in ganz Frankreich zusammen gefeiert zu werden. Die Schüsse rollten und hallten mächtig über der Meerenge und weckten Sardinien aus dem Schlaf. Wie schön und festlich war der Morgen, Himmel und Meer blau und mit rosenroten Fahnen ausgeflaggt, die Luft still und kühl.

Das Volk Bonifazio's schwamm in einem Meer von Wonne. Den ganzen Tag tummelte es sich auf den Straßen, die mit Nationalfahnen prunkten. Darauf las man noch die stolzen Worte: république française, liberté, égalité, fraternité. »Ihr dürft mir glauben, sagte mir ein Bonifaziner, wir sind von jeher echte Republikaner gewesen.« – Ich sah viele Gruppen auf den Straßen Dambrett spielen, und auch im großen Tor saßen sie bei diesem alten, ritterlichen Spiel. Andere gingen auf der Piazza umher, trugen ihre besten Kleider und waren fröhlich.

Ich habe immer eine Lust an einer festtägigen Menge. Man fühlt sich da auf einer guten Erde; und nun hier, wo dieses weltverlassene Volk einmal auf seiner Klippe ausruht und aus seiner Dürftigkeit sich ein kindliches Fest bereitet, war mir recht wol. Diese armen Menschen haben so gar nichts was das Leben wechselnd und angenehm macht, nicht Schauspiel, nicht Gesellschaft, nicht Pferd noch Karosse, nicht Musik, kaum dann und wann eine Zeitung. Viele werden hier geboren und steigen in ihr kalkiges Grab ohne einmal Ajaccio gesehen zu haben. Sie leben hier hoch am Himmel auf ihrem dürren Felsen und haben nichts als Luft und Licht und den einen großen Blick auf die Meerenge und die Berge Sardiniens. Man kann sich also leicht denken, was hier ein Festtag sein muß.

Auch von der Umgegend waren die Bewohner herein gekommen; da war's ein sonderbarer Gegensatz, so viele geputzte Menschen in den wüsten Straßen umhergehn zu sehen, und gar lieblich lachten die jungen Mädchen aus den Fenstern, Blumen im Haar und weiß gekleidet, denn ich glaube heute waren alle Mädchen von Bonifazio der Procession wegen Engel.

Kanonenschläge kündigten ihren Beginn an. Sie kam aus der Santa Maria und zog nach San Domenico. Christuskreuze, alte Kirchenfahnen, die noch genuesisch schienen, zogen voran, dann Männer, Frauen und Mädchen, Kerzen in der Hand, und zum Beschluß die himmlische Jungfrau. Vier rüstige Männer trugen sie auf einer Bahre. Auf jeder Ecke derselben stand ein bunter hölzerner Engel mit einem Blumenbusch in der Hand, und in der Mitte schwebte auf blauen hölzernen Wolken Maria selbst; auch sie war von Holz. Eine silberne Stralenkrone hing über ihrem Haupt und an ihrem Halse eine köstliche Kette von Corallen, die in der Meerenge gefischt und von den Fischern ihr dargebracht waren. Hunderte von Menschen gingen in der Procession, und viele hübsche Kinder waren darunter, mit weißen Kleidern und bleichen Gesichtern, daß es schien, sie seien aus dem Gypse Bonifacio's geformt. Alle trugen sie Kerzen; aber der Seewind ging ebenfalls in der Procession einher, das war ein großer, langer Geselle aus weißem Kalk und ganz in einen weißen Mantel von Kalkstaub eingehüllt. Er blies einer hübschen Gypsfigur nach der andern die Kerze aus, und ehe der Zug noch San Domenico erreichte, hatte er das Moccolispiel gewonnen und auch die letzte Kerze ausgelöscht. Auch ich ging bis San Domenico mit. Wenn mich Jemand fragte, wie mir die Procession gefalle, so sah ich es ihm an den Augen an, daß sie sehr schön sei, und ich sagte: signore mio, ella è maravigliosa. Abends errichteten sie einen gewaltigen Holzstoß in der engen Straße vor dem Stadthause und erleuchteten damit die Gassen. Als ich fragte, weshalb man das große Feuer angezündet habe, so sagte man mir: dieses Feuer ist angezündet zu Ehren Napoleons. So feierte Bonifazio das große Fest und war froh und glücklich, und noch da es Nacht war, hörte ich heiteren Gesang auf den Straßen schallen und das Klimpern der Mandoline.


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