Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.

Gastliches Familienstillleben in Oreto.

Denn dem Zeus gehöret ein jeder
Fremdling und Darbender an; und die Gab' ist klein auch erfreulich.
Odyssee.

Zwischen Fruchtgärten, deren Gemäuer die schöne Clematiswinde umkränzt hielt, ging ich noch zwei Stunden bergauf und durch Castanienhaine bis Oreto dem höchstgelegenen Ort der Casinca.

Oreto hat seinen Namen von dem griechischen Oros; denn es liegt hoch auf der Spitze eines grünen Berges. Ein mächtiger Granitblock ragt grauhäuptig mitten aus dem Dorf hervor wie ein Fundament, geschaffen das Colossalbild eines Hercules darauf zu stellen. Um nach Oreto zu gelangen, mußte ich mühsam auf engem Pfad emporklimmen, wo an vielen Stellen zugleich ein Quell herabrauschte.

Oben angelangt trat ich auf den Platz, den größesten, den ich noch in einem Dorfe fand. Er ist die Plattform des Berges, von anderen Bergen überragt, von Häusern umstellt, welche wie der Frieden selber aussehen. Der Pfarrer spazierte mit seinem Küster umher, und die Bewohner lehnten in der Sabbatruhe an den Gärten. Ich trat auf eine Gruppe zu und fragte, ob im Ort eine Locanda wäre. Nein, sagte der Eine, wir haben keine solche, aber ich biete euch mein Haus an, ihr sollt finden was wir haben. Das nahm ich mit Freuden an und folgte meinem Gastwirt. Ehe ich eintrat, wollte Marcantonio, daß ich den Stolz Oreto's, die Fontäne des Dorfs, in Augenschein nähme und das Wasser koste, das herrlichste im ganzen Land Casinca. Trotz meiner Ermüdung folgte ich dem Corsen. Das eiskalte Wasser strömte in einem steinernen Tempel aus fünf Röhren in unerschöpfter Fülle.

In Marcantonio's Haus gekommen, wurde ich von seinem Weib ohne Phrase bewillkommnet. Sie bot mir guten Abend und ging gleich in die Küche das Mal zu rüsten. Mein Wirt hatte mich in sein bestes Zimmer geführt, und ich war erstaunt dort einen kleinen Büchervorrat zu finden; es waren geistliche Dinge, die er geerbt hatte. Ich bin unglücklich, sagte Marcantonio, denn ich habe nichts gelernt und bin sehr arm. Deshalb muß ich hier auf dem Berge sitzen, statt auf das Festland zu gehen und ein Amt zu bekleiden. Ich betrachtete mir diesen Mann im braunen Kittel und der phrygischen Mütze genauer. Er hatte ein verschlossenes, von Leidenschaft durchfurchtes Gesicht von wahrhaft eiserner Härte, und was er sprach war kurz, entschieden und in einem bittern Ton. Ich sah diesen Mann nicht ein einziges Mal lächeln und fand in den einsamen Bergen eine von Ehrgeiz gequälte hinausstrebende Seele. Solche Erscheinungen sind in Corsica nicht selten; mächtig lockt das Beispiel vieler Familien aus den Dörfern, wo man oft in der finstersten Capanna die Familienbildnisse von Senatoren, Generalen und Präfecten finden kann. Die Insel Corsica ist das Land der Emporkömmlinge und der natürlichen Gleichheit.

Marcantonio's Tochter, ein junges Mädchen von blühend kräftiger Gestalt trat in das Zimmer. Sonst keine Kunde von der Anwesenheit des Gastes nehmend fragte sie nur ganz laut und ganz naiv: Vater, wer ist der Fremde, ist es ein Franzos, was will er in Oreto? Ich sagte ihr, daß ich ein Deutscher sei, was sie nicht verstand. Giulia ging ihrer Mutter beim Male helfen.

Es ward aufgetragen das reichste Mal eines Armen, eine Krautsuppe und dem Gast zu Ehren ein Stück Fleisch, Brod, Pfirsichen. Die Tochter brachte die Speisen, aber nach corsischer Sitte nahm weder sie noch die Mutter am Essen Teil, sondern der Mann allein legte mir vor und aß neben mir.

Er führte mich darauf in die kleine Kirche Oreto's und auf den Rand des Felsens, um die unvergleichlich schöne Fernsicht zu genießen. Der junge Curate und eine nicht kleine Gefolgschaft von Paesanen begleiteten uns dahin. Es war ein sonnengoldiger, wonnig frischer Abend. Ich stand erstaunt ob solcher Herrlichkeit der Natur, denn zu meinen Füßen sah ich die castanienwaldbedeckten Berge in die Ebene hinabsinken, diese einem unermeßlichen Garten gleich sich zum Strande dehnen, von dem Golofluß und dem Fiumalto durchschlängelt, begrenzt vom verklärten Meer, an dessen Horizont die Inseln Capraja, Elba und Monte Cristo sich aufreihten. Der Blick umfaßt die ganze Uferlinie bis nach Bastia und südlich bis San Nicolao – landhinein Berg an Berg, mit Dörfern gekrönt.

Aus dieser Stelle war eine kleine Gemeinde um uns versammelt, und ich machte mir das Vergnügen, die Insel zu preisen, welche so merkwürdig sei durch ihre Natur wie durch die Geschichte ihres heroischen Volks. Der junge Curate setzte dieses Lob mit vielem Feuer fort, die Bauern stimmten ein, und jeder wußte sein Vaterland zu ehren. Ich machte die Bemerkung, daß diese Leute in der Geschichte ihres Landes trefflich zu Hause waren. Der Curate erregte meine Verwunderung, er hatte Geist und einen witzigen Ausdruck. Von Paoli sprechend sagte er einmal: »seht, seine Zeit war eine Zeit der Thaten, die Männer von Orezza sprachen wenig, aber sie handelten viel. Hätte unsere Zeit einen einzigen Mann von der großen und aufopfernden Seele des Pasquale hervorgebracht, so stände es heute anders in der Welt. Aber jetzt ist es die Zeit der Chimären und der Federn, und doch ist der Mensch nicht gemacht zum Fliegen.« Ich folgte dem Curaten mit Freuden in sein Presbyterium, ein ärmliches Haus von schwarzen Steinen. Aber sein Stübchen war schmuck und hatte eine saubere Bibliothek von ein paar hundert Bänden. Ich verlebte eine angenehme Stunde bei einer Flasche des köstlichsten Weines mit dem gebildeten und aufgeklärten Mann mich unterhaltend, während Marcantonio stumm und verschlossen dabei saß. Da wir auf Aleria zu sprechen kamen, fragte ich nach römischen Altertümern in Corsica. Marcantonio nahm plötzlich das Wort und sagte sehr ernst und kurz: wir brauchen den Ruhm römischer Altertümer nicht, wir haben genug an dem unserer Väter.

In Marcantonio's Haus zurückgekehrt, fand ich im Zimmer auch Mutter und Tochter, und wir setzten uns zum vertraulichen Familienkreise um den Tisch zusammen. Die Frauen besserten ihre Kleider aus, sie waren gesprächig, unbefangen, naiv wie alle Corsen. Die rastlose Thätigkeit der corsischen Frauen ist bekannt; den Männern untergeordnet und in der Gesellschaft bescheiden ein dienendes Los hinnehmend, ruht die ganze Last der Arbeit auf ihnen; sie teilen dieses Schicksal mit den Weibern aller kriegerischen Völker, wie namentlich der Serben und Albanesen.

Ich beschrieb ihnen die großen Städte des Festlandes, ihre Gebräuche, wie einige Sitten meines Vaterlandes. Nie äußerten sie Erstaunen, obwol was sie hörten ihnen gänzlich fremd war und Giulia noch keine Stadt, nicht einmal Bastia gesehen hatte. Ich fragte das Mädchen nach ihrem Alter. Ich bin zwanzig Jahre alt, sagte sie.

Das ist unmöglich. Ihr habt kaum siebzehn Jahre.

Sie ist sechzehn Jahre alt, sagte die Mutter.

Nun, wißt Ihr nicht Euren eigenen Geburtstag, Giulia?

Nein, aber er steht im Register und der Maire wird ihn schon wissen.

Der Maire ist also der einzige Glückliche, der den Geburtstag des schönen Kindes feiern kann, wenn er nämlich seine große Hornbrille auf die Nase setzt und in dem großen Register nachschlägt.

Giulia, wie vergnügt Ihr Euch? Jugend will doch ihre Freude haben.

Ich habe zu thun genug, den Brüdern fehlt auch alle Augenblick etwas; Sonntags gehe ich in die Messe.

Wie werdet Ihr Euch morgen ausputzen?

Ich werde die Faldetta anziehn.

Sie holte die Faldetta aus dem Schrank und zog sie über, das Mädchen sah sehr hübsch darin aus. Die Faldetta ist ein langes Gewand, meist von schwarzer Farbe, dessen hinteres Ende über den Kopf geworfen wird, so daß es einem Nonnengewande mit Kapuze ähnelt. Aeltlichen Frauen gibt die Faldetta Würde, junge Mädchen umwallt sie geheimnißvoll und reizend.

Die Frauen fragten mich, wer ich sei. Das war schwer zu beantworten. Ich zog mein sehr kunstloses Skizzenbuch hervor und indem ich ihnen einige Blätter zeigte, sagte ich, daß ich ein Maler sei.

Seid Ihr ins Dorf gekommen, fragte Giulia, um die Stuben anzustreichen? Ich lachte laut auf, es war diese Frage eine geistvolle Kritik meiner corsischen Skizzen.

Marcantonio sagte sehr ernst: laßt nur, sie versteht es nicht.

Von schönen Künsten und Wissenschaften haben diese corsischen Frauen keine Kunde; sie lesen keine Romane; in der Dämmerstunde spielen sie die Ziter und singen einen schwermutsvollen Vôcero. Aber in dem kleinen Kreise ihrer Anschauungen und Gefühle bleibt ihre Seele stark und gesund wie die göttliche Natur, keusch und fromm und lebenssicher, und fähig aller Aufopferung und solcher heroischen Entschlüsse, welche die Poesie der Cultur als die erhabensten Bilder menschlicher Seelengröße für alle Zeiten aufstellt, wie Antigone und Iphigenia.

Dieses Naturvolk kann jeder einzigen heroischen That des Altertums eine gleiche an die Seite stellen.

Der jungen Corsin Giulia zu Ehren erzähle ich die folgende Geschichte, welche historisch ist, wie jede andere Novelle, die ich mitteilen werde.

Die corsische Antigone.

Daliegen soll er unbeweint, grablos, ein Mal
Den Vögeln, die zum süßen Raube niederschaun – –
                                            Ich will ihn selbst
Bestatten, ruhmvoll ist der Tod für solche That.
Bei ihm, dem Lieben, werd' ich ruhn die Liebende,
Die frommen Frevel übte.
Antigone des Sophokles.

Es war gegen das Ende des Jahres 1768. Die Franzosen hatten Oletta besetzt, ein ansehnliches Dorf im Lande Nebbio. Weil dieser Ort wegen seiner Lage höchst wichtig war, hatte Pasquale mit den Einwohnern Verbindungen angeknüpft, um die französische Besatzung zu überfallen und gefangen zu nehmen. Sie zählte 1500 Mann unter dem Befehl des Marquis Arcambal. Aber die Franzosen waren auf ihrer Hut, sie verkündeten das Kriegsgesetz in Oletta, so daß die Männer des Dorfs nichts wagen durften.

Grabesstille herrschte in Oletta.

Da verließ eines Tags Giulio Saliceti ohne Erlaubniß der französischen Wache sein Dorf, um auf die Campagna hinauszugehen. Als er zurückkehrte, wurde er festgenommen und in den Kerker geworfen; doch gab man ihm nach kurzer Zeit die Freiheit wieder.

Der Jüngling ging nach dem Hause seiner Verwandten, Groll im Herzen, daß ihm der Feind eine Schmach angethan. Er murmelte etwas vor sich hin, und das war wol ein Fluch gegen die verhaßten Franzosen. Ein Sergeant hörte was Giulio murmelte, er gab ihm einen Schlag ins Gesicht. Dies geschah vor dem Fenster des Hauses, und am Fenster stand der Abt Saliceti, Giulio's Verwandter, den das Volk Peverino nannte, das heißt spanischer Pfeffer, weil er ein hitziger Mann war. Wie Peverino den Schlag ins Antlitz seines Verwandten fallen sah, war es ihm als sollte ihm das Herz im Leib verbrennen.

Als nun Giulio seiner Sinne nicht mächtig in das Haus stürzte, nahm ihn Peverino in seine Kammer. Nach einer Weile sah man beide heraustreten, ruhig, doch unheimlich ernst.

Nachts stiegen andere Männer in das Haus Saliceti und saßen zusammen und berieten. Was sie berieten war dies: sie wollten die Kirche in Oletta, welche die Franzosen in ihre Caserne verwandelt hatten, in die Luft sprengen. Sie wollten sich rächen und sich befreien.

Sie gruben eine Mine von Saliceti's Hause bis unter die Kirche, und nachdem sie sich dahin durchgewühlt, füllten sie den Minengang mit all' dem Pulver, welches sie versteckt gehalten hatten.

Am 13. Februar sollte die Kirche auffliegen, gegen die Nacht.

Dem Giulio war das Herz vor Ingrimm so klein geworden wie eine Flintenkugel. Morgen, sagte er zitternd, morgen! Laßt mich die Lunte anlegen. Sie haben mich ins Gesicht geschlagen, ich will ihnen einen Schlag geben, der soll sie bis in die Wolken werfen; ich will sie aus Oletta herauswettern mit einem Schuß wie das Blei aus einer Tromba.

Aber die Weiber und Kinder, und die es nicht wissen? Es wird die nächsten Häuser mitreißen und die ganze Nachbarschaft.

Man muß sie warnen. Man muß ihnen unter irgend einem Vorwand befehlen, um die gewisse Stunde nach dem andern Ende des Dorfs zu gehen, und das in aller Stille.

So thaten die verschwornen Männer.

Als nun die fürchterliche Stunde des Abends kam, sah man Greise, Männer, Weiber, Kinder in ungewisser Furcht, heimlich und schnell nach dem andern Ende des Dorfes gehen und dort sich sammeln.

Da schöpften die Franzosen Argwohn, auch kam ein Bote vom General Grande-Maison herbeigesprengt; der gab jählings Kunde von dem was man diesem bereits gemeldet hatte. Denn Jemand hatte den Anschlag verraten. Augenblicks warfen sich die Franzosen auf Saliceti's Haus und die Pulvermine und verhinderten das höllische Unternehmen.

Saliceti mit einem kleinen Teil der Verschworenen hieb sich verzweifelt durch und entkam aus Oletta. Andere aber wurden ergriffen und in Ketten gelegt. Das Kriegsgericht verurteilte vierzehn Tapfere zum Tode durch das Rad, und an sieben Unglücklichen wurde die Strafe wirklich vollzogen.

Sieben Leichname sah man auf dem Platz vor dem Kloster in Oletta öffentlich ausgestellt. Kein Grab durfte ihnen werden. Der französische Oberst hatte das Gebot erlassen, daß der des Todes schuldig sein solle, welcher einen der Todten vom Gerüst nehmen und begraben würde.

Auf dem Dorf Oletta lag das Entsetzen. Der Todesschauer hatte jedes Herz ergriffen. Keine menschliche Seele zeigte sich auf den Straßen; das Feuer auf den Herden war erloschen, jede Stimme todt außer der des Weinens. Sie saßen in den Häusern, und ihre Gedanken starrten unablässig nach dem Klosterplatz. wo die sieben Leichen auf dem Gerüste lagen.

Es kam die erste Nacht, da saß auf ihrem Bett in der Kammer Maria Gentili Montalti. Sie weinte nicht, sie saß, das Antlitz auf die Brust gebeugt, die Hände im Schoß, die Augen geschlossen. Manchmal schluchzte ihre Seele auf.

Es war ihr, als riefe durch die Stille der Nacht eine Stimme: O Marì!

Die Todten rufen manchmal in der stillen Nacht den Namen dessen, den sie geliebt haben. Wer antwortet, muß sterben.

O Bernardo! rief Maria.

Bernardo aber lag vor dem Kloster auf dem Gerüst, und von den Todten war er der Jüngste und der Siebente. Er war Maria's Geliebter, im folgenden Monat sollte die Hochzeit sein. Nun lag er todt auf dem Blutgerüst.

Maria Gentili stand in der dunkeln Kammer still, sie horchte gegen die Seite hin, wo der Klosterplatz lag, und ihre Seele hielt Zwiesprach mit einem Geiste. Bernardo schien sie zu bitten um ein christliches Begräbniß.

Der aber sollte des Todes schuldig sein, welcher einen Todten vom Gerüst nehmen und begraben würde. Maria wollte ihren Geliebten begraben und dann sterben.

Sie öffnete leise die Thür ihrer Kammer, um das Haus zu verlassen. Sie schritt durch das Zimmer, in welchem ihre greisen Eltern schliefen. Sie trat an ihr Lager und lauschte den Atemzügen ihres Schlafes. Da fing ihr Herz an zu zittern, denn sie war das einzige Kind ihrer Eltern und ihr Stab, und wie sie bedachte, daß ihr Tod durch Henkershand Vater und Mutter in die Grube beugen würde, schwankte ihr die Seele in großem Leide; sie that einen Schritt zurück nach ihrer Kammer.

Da hörte sie wieder die Todtenstimme klagen: – O Marì! – O Marì, ich habe dich so sehr geliebt, und nun willst du mich verlassen. In meinem gebrochenen Leibe liegt das Herz, das in Liebe zu dir gestorben ist – begrabe mich, in der Kirche des Sanct Franciscus, im Grab meiner Väter . . .

Maria öffnete die Thüre des Hauses und trat in die Nacht hinaus. Sie wankte nach dem Klosterplatz. Die Nacht war finster. Manchmal kam der Sturm und fegte die Wolken hinweg, daß der Mond hinunterschien. Wenn sein Stral auf den Klosterplatz fiel, war's als wollte das Licht des Himmels nicht sehen was es sah, und der Mond zog die schwarzen Wolkenschleier wieder vor. Denn vor dem Kloster lagen auf dem roten Gerüst sieben Leichen, eine neben der andern, und die siebente war eines Jünglings Leiche.

Die Eule und der Rabe schrieen aus dem Turm, die sangen den Vôcero, die Todtenklage. Ein Grenadier aber ging mit geschultertem Gewehr in der Nähe des Platzes auf und ab. Ihm grauste wol bis in das tiefste Mark, er hatte seinen Mantel über das Gesicht geschlagen, und wandelte langsam auf und nieder.

Maria hatte sich in die schwarze Faldetta gehüllt, daß in der Nacht ihre Gestalt leichter verschwände. Ein Gebet schickte sie zur heiligen Schmerzensmutter, daß sie ihr helfen solle, und dann schritt sie rasch zu dem Gerüst. Der siebente Todte war's – sie löste Bernardo; ihr Herz und ein Schimmer von seinem Todtengesicht sagten ihr, daß er es war, auch in der dunkeln Nacht. Maria nahm den Todten auf ihre Arme, auf ihre Schulter. Sie war stark geworden wie von Manneskraft. Sie trug ihn in die Kirche des heiligen Franciscus.

Da setzte sie sich erschöpft auf die Stufen eines Altars, über dem das Muttergotteslämpchen brannte. Der todte Bernardo lag auf ihren Knieen, wie der todte Christus auf den Knieen Maria's lag. Pietà nennt man dieses Bild im Süden.

Kein Laut in der Kirche. Die Muttergotteslampe flimmert. Draußen ein Windstoß, der vorübersaust.

Da erhob sich Maria. Sie ließ den Todten auf die Stufen des Altars niedergleiten. Sie ging an die Stelle, wo das Grab von Bernardo's Vätern lag. Sie öffnete es. Dann nahm sie den Todten. Sie küßte ihn und senkte ihn in das Grab hinunter, das sie wieder schloß. Maria kniete lange vor dem Bilde der Muttergottes und betete, daß Bernardo's Seele Frieden habe im Himmel, und dann ging sie still hinweg, in ihr Haus und in ihre Kammer.

Als der Morgen anbrach, fehlte von den Todten auf dem Klosterplatz Bernardo's Leiche. Die Kunde flog durch das Dorf, daß sie verschwunden sei, und die Soldaten trommelten Allarm. Man zweifelte nicht, daß die Familie Leccia ihren Verwandten Nachts von dem Gerüst genommen habe, und aus der Stelle drang man in ihr Haus, nahm sie gefangen und warf sie mit Ketten geschlossen in den Turm. Nach dem Gesetz des Todes schuldig sollten sie den Tod erleiden, ob sie gleich die That leugneten.

Was geschehen war hörte Maria Gentili in ihrer Kammer. Ohne ein Wort zu sagen, eilte sie aus dem Hause zu dem Grafen de Vaux, welcher nach Oletta gekommen war. Sie warf sich ihm zu Füßen und bat um die Freilassung der Gefangenen. Sie bekannte sich zu der That. Ich habe meinen Geliebten begraben, sagte sie, ich bin des Todes schuldig, hier ist mein Haupt; aber laßt die in Freiheit, welche unschuldig leiden.

Der Graf wollte anfangs dem nicht trauen was er hörte, denn er hielt es für unmöglich, sowol daß ein schwaches Mädchen einen solchen Heldenmut besitzen, als daß es die Kraft haben könne, zu vollbringen was Maria vollbrachte. Als er sich nun von der Wahrheit ihrer Aussage überzeugt hatte, stand er tief erschüttert und zu Tränen gerührt. Gehe, sagte er, großherziges Mädchen, und löse selbst deines Bräutigams Verwandte, und möge Gott deinen Heldenmut belohnen.

Am selbigen Tage nahm man die sechs Gerichteten vom Gerüst und gab ihnen allen ein christliches Begräbniß.


 << zurück weiter >>