Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Viertes Kapitel.

Zwei Geschichten aus dem Flintenlauf.

Orso Paolo.

Eines Tages feierte das Volk zu Monte d'Olmo ein Fest. Die Priester standen schon am Altare, ein Teil der Gemeinde war schon im Gotteshause versammelt, andere saßen noch auf dem Kirchenplatz und plauderten über allerlei Dinge. Es waren darunter die Vincenti und die Grimaldi, deren Familien seit uralter Zeit in ererbtem Hader lagen. Heute wagten sie sich Aug' in Auge zu sehen, weil das Gottesfest aller Feindschaft Einhalt gebot.

Da warf Einer die Frage auf, ob die Geistlichen gehalten sein sollten, während der Procession die Kapuzen der Brüderschaft zu tragen oder nicht.

Nein, sagte Orso Paolo aus der Familie der Vincenti, sie sollen dazu nicht gehalten sein, denn es ist das bei unsern Altvordern nicht der Brauch gewesen.

Ja, rief Ruggero aus der Familie Grimaldi, sie sollen dazu gehalten sein, denn so schreibt es die Sitte der Religion vor.

Und so stritten sie hin und her über Kapuzen oder Nichtkapuzen, und auf dem Kirchenplatz gab es ein Lärmen und Toben, als galt es zu entscheiden, ob Genua oder Nicht-Genua. Einer nahm dem andern das Wort, einer sprang nach dem andern auf den Stein, seine Meinung zu verfechten, und man zischte oder rief Beifall, jubelte oder höhnte, je nachdem ein Grimaldi oder ein Vincenti ein Wort über die Kapuzen gesagte hatte.

Plötzlich fiel eine Beleidigung. Augenblicks erhob sich ein Wutgeschrei, und die Pistolen wurden aus den Gürteln gerissen. Die Grimaldi warfen sich auf Orso Paolo, und dieser schoß unter die Angreifer. Es fiel Antonio, der älteste Sohn Ruggero's, zum Tode verwundet.

Da schwieg in der Kirche die Messe. Das Volk stürzte heraus, Männer, Weiber, Kinder, die Priester im Meßgewande, die Crucifixe in der Hand.

Das ganze Dorf von Olmo war ein Gewühl von Fliehenden und Verfolgenden, und schallte wieder von Wutgeschrei und von Flintenschüssen. Die Grimaldi schrieen nach Orso Paolo, daß sie ihn mordeten.

Gleich einem Hirsch war Orso hinweggesprungen, den Buschwald zu erreichen. Aber seine Verfolger verrannten ihm, von der Rache beflügelt, den Weg und suchten ihn zu umstellen.

Von allen Seiten sah er die Wütenden heranstürzen; ihre Kugeln umsausten ihn. Er konnte den Buschwald nicht erreichen, und nur noch wenige Minuten Zeit hatte er, einen Entschluß zu fassen. Kein Ausweg blieb ihm, nur ein Haus stand nahe am Berge, und dies war das Haus seines Todfeindes Ruggero.

Orso Paolo sprang in dieses Haus und verrammelte die Thüre. Er hatte seine Waffen bei sich, seine Carchera war voll von Kartuschen, Lebensvorrat fand sich im Hause genug, er konnte sich Tagelang dort halten. Auch stand es leer, denn alle seine Bewohner waren ins Dorf geeilt und Ruggero's Weib um den Verwundeten Antonio beschäftigt. Ihr zweiter Sohn, ein Kind von wenigen Jahren, war allein im Hause zurückgeblieben und hier eingeschlafen.

Kaum hatte sich Orso Paolo dort verschanzt, als Ruggero mit allen Grimaldi erschien: aber Jener streckte ihnen aus der Oeffnung des Fensters seinen Flintenlauf entgegen und drohte jedem mit der Kugel, welcher es wagen würde, der Thüre zu nahen. Keiner wagte es.

Wütend standen sie da, und wußten nicht, was sie beginnen sollten; Ruggero raste, daß der Todfeind in seinem eignen Hause den Zufluchtsort gefunden habe. Er schrie auf wie der Tiger schreit, welcher den Fang sieht, den er nicht erreichen kann.

So stand der wütende Haufe, und es mehrte sich mit jeder Minute das Gewühl von denen die herzuströmten und die Luft mit ihrem Geschrei erfüllten. In dieses Toben mischte sich der Klageruf der Weiber. Sie trugen eben den schwer verwundeten Antonio in das Haus eines Verwandten. Beim Anblick seines Sohnes verdoppelte sich die Wut Ruggero's, und selber stürzte er in ein Haus und riß einen Feuerbrand aus dem Herde, ihn auf sein eignes Dach zu werfen, um Orso Paolo mit ihm zugleich zu verbrennen. Wie er den Brand in der Hand schwang und anderen zuschrie, Feuer auf sein Dach zu werfen, stürzte ihm sein Weib in den Weg. Rasender, rief sie, unser Kind ist im Hause. Willst du dein Kind verbrennen? Antonio liegt auf dem Tode – dort schläft Francesco in seiner Kammer – willst du dein letztes Kind ermorden?

Laß es mit ihm verbrennen, schrie Ruggero, laß die Welt verbrennen, wenn nur Orso Paolo umkommt.

Heulend warf sich das Weib dem Manne zu Füßen, umschlang seine Kniee und wollte ihn nicht von der Stelle lassen. Aber Ruggero schleuderte sie von sich und warf den Feuerbrand in sein Haus.

Die Flamme stieg auf, die Funken flogen mit dem Winde. Die Mutter war leblos niedergestürzt. Man trug sie dorthin, wo ihr Sohn Antonio lag.

Ruggero aber stand vor dem brennenden Hause, welches die Grimaldi umringt hatten, damit Orso Paolo wenn er entspränge, ihren Kugeln nicht entfliehe; Ruggero stand vor seinem Hause und starrte mit grausem Lachen in die Flammen, wie sie lohend und prasselnd zusammenschlugen, und wenn die Balken in einander krachten, schrie er auf vor Rachlust und vor wilder Pein, denn es war ihm, als stürzte ein jeder brennende Balken auf sein eignes Herz.

Manchmal schien es, als zeigte sich eine Gestalt in den Flammen, doch war es vielleicht eine schwarze Rauchwolke, oder eine herumzitternde Feuersäule – jetzt wieder war es, als weinte drinnen die Stimme eines Kindes. Plötzlich krachte das Dach zusammen und Rauch und Feuerlohe schlugen aus dem stürzenden Trümmergraus gen Himmel.

Ruggero, welcher stumm und starr da gestanden, vorgebeugten Leibes und mit stierem Auge, die Hand gegen das Haus ausgestreckt, fiel mit einem dumpfen Schrei zu Boden. Man trug ihn zu seinem wunden Sohne Antonio. Wie er hier zu sich kam, begriff er erst nicht was geschehen sei, aber es tagte bald in seiner Seele; der Flammenschein seines Hauses leuchtete ihm grell ins Gewissen, daß er den Frevel seiner That erkannte. Eine Minute lang stand er, in sich hinein, und wie vom Blitz geschlagen, dann riß er den Dolch aus seinem Gürtel, um ihn sich in die Brust zu stoßen. Aber sein Weib und die Freunde fielen ihm in den Arm und entwaffneten ihn.

Was ward aus Orso Paolo? was aus Francesco?

Als die Flammen das Gebälk ergriffen, suchte Orso einen Zufluchtsort, irgend eine Hölung, ein Gewölbe, sich darin vor dem Feuer zu schützen. Er irrte durch alle Kammern. Da hörte er in einer das Weinen und das Angstgeschrei eines Kindes. Er sprang in die Kammer. Ein junges Kind saß hier auf seinem Bett. Es streckte bitterlich weinend die Hände nach ihm aus und rief den Namen seiner Mutter. Da war's dem Orso, als riefe ihm aus den Flammen der böse Geist zu, er solle das holde Kind ermorden und so die Unmenschlichkeit seines Feindes strafen. »Sind nicht auch die Kinder deines Feindes der Blutrache verfallen? Stoße zu, Orso, tilge die letzte Hoffnung vom Hause des Grimaldi!«

Orso beugte sich über das Kind mit einem gräßlichen Racheblick. Die Glut der Flammen übergoß ihn, das Kind, die Kammer mit einem purpurfarbnen Schein, wie von Blut. Er beugte sich über den weinenden Francesco – und plötzlich riß er das Kind empor, drückte es an seine Brust und küßte es mit einer wilden Inbrunst. Dann stürzte er aus der Kammer, das Kind in seinem Arme, und tappte weiter in dem brennenden Hause, ob nicht irgend wo ein schützender Ort zu finden sei.

Das Haus war kaum zusammengestürzt, als vor dem Dorf die Muschelhörner der Vincenti erklangen. Die Männer von Casteld'acqua, alle Freunde und Verwandte Orso Paolo's, waren auf die Kunde von seiner Not herbeigezogen, ihn zu retten. Die Grimaldi flüchteten von der Brandstätte in das Haus, wo Ruggero, sein Weib und Antonio beisammen waren.

Eine fürchterliche Viertelstunde ging vorüber.

Da schallte auf dem Markt von Olmo lautes Jubelgeschrei und der hundertfache Ruf: Evviva Orso Paolo! – Die Mutter Antonio's stürzt ans Fenster; sie stößt einen Schrei der Freude aus; sie stürzt aus der Thüre; ihr nach Ruggero und die Frauen.

Durch die jauchzende Menge aber kam daher Orso Paolo, von Freude stralend, das Kind Francesco in seinen Armen herzend, mit Asche bedeckt, vom Rauch geschwärzt, die Kleider versengt. Er hatte sich und den Kleinen unter einem Bogen der Treppe gerettet.

Ruggero's Weib flog auf Orso zu, sie warf sich an seine Brust, und umschlang ihn und den kleinen Sohn mit namenloser Freude.

Ruggero fiel vor seinem Feind auf die Kniee, und indem er schluchzend seine Füße umschlang, bat er ihn und Gott um Verzeihung.

»Stehe auf, mein Freund Grimaldi, sagte Orso Paolo; möge uns Gott heute so vergeben, als wir uns beide vergeben, und schwören wir uns hier vor dem Volk von Olmo ewige Freundschaft.«

Die Feinde sanken sich in die Arme, und das Volk rief jubelnd: Es lebe Orso Paolo!

Nach kurzer Zeit genas Antonio von seiner Wunde; und eitel Freude herrschte eines Abends im Dorf zu Monte d'Olmo, als die Grimaldi und die Vincenti das Versöhnungsmal feierten. Mit dem Oelzweige des Friedens waren die Häuser geschmückt, und da hörte man nichts als Gläserklang, und Freudenschüsse aus den Flinten und Geigen und Mandolinenspiel.

Dezio Dezii.

Es war noch zur Zeit, als die Genuesen die corsische Insel in ihrer Gewalt hielten, da waren die Dörfer Serra und Serrale, in der Pieve von Moriani in heftigem Krieg entbrannt. Zwei Häuser befehdeten sich dort aufs Blut, die Dezii in Serra und in Serrale die Venturini.

Endlich waren sie des langen Rachekrieges müde geworden, und beide feindliche Familien hatten mit feierlichem Eide vor den Parolanti Frieden geschworen. Wenn ihr nun nicht wißt oder es vergessen habt, wer die Parolanti sind, so will ich es euch sagen. Die Parolanti sind die guten Männer, die Mittelsleute, welche die Feinde in Uebereinstimmung ernennen, daß sie den schriftlichen Friedensvertrag und Handschlag wie Eid in ihre Hände empfangen, und darüber wachen, daß Niemand den Frieden bricht. Wer ihn bricht, der ist gottlos, und aller Guten Verachtung fällt auf ihn, der Zorn und die Vehme der Parolanti fällt auf sein Haus, sein Feld und seinen Weinberg.

So hatten also die Dezii und die Venturini den Frieden geschworen, und es gab eine schöne Ruhe in Moriani. Weil aber der böse Hadergeist nicht ruhen kann, sondern immer in die Asche bläst, ob nicht ein Funke vom alten Rachegroll noch zu erwecken wäre, so geschah es auch eines Tages, daß er auf dem Markt von Serrale dem alten Venturini in das grimmige Herz blies. Nicolao war ein Greis, aber noch jung an Kräften wie seine Söhne. Er hatte einen bösen Blick, eine giftige Zunge und den Krampf in der Hand, welche den Dolch führt. Der traf auf dem Markt den jungen Dezio Dezii, den Stolz und die Blume aus dem Hause der Feinde. Er war schön und angenehm von Sitten, aber sein Mut feurig und rasch.

Der Alte nun mit dem bösen Blick höhnte dem Jüngling ein giftiges Wort zu, und Niemand weiß wie das gekommen war. Denn Dezio hatte keinen Anlaß gegeben. Wie der Jüngling das Wort empfangen hatte, schwoll ihm das Herz vor Scham und Zorn, aber er dachte an die Parolanti, an den Frieden und die grauen Haare des Nicolao. Deshalb stieß er sein Herz zurück und ging schweigend aus dem Dorf Serrale.

Nun fügte es sich aber, daß noch an demselben Abend der Alte und der Junge auf dem Feld einander begegneten. Wie Dezio den Nicolao herankommen sah, welcher keine Waffen hatte, warf er schnell seine Flinte an einen Baum, damit der böse Geist ihn gegen einen Wehrlosen nicht reize, und ging dem Alten entgegen und forderte stolz Rechenschaft von ihm, weshalb er ihn beleidigt habe.

Der Alte entgegnete mit Hohn, und wie die Worte hitziger hin und her gingen, faßte er den Jungen bei der Brust und gab ihm einen Schlag ins Gesicht. Dezio taumelte zurück; im Augenblick war er nach seiner Flinte gesprungen, im zweiten Moment fiel der Schuß und stürzte der Alte ins Herz getroffen nieder.

Der arme Dezio floh wie gejagt von dem Racheengel, und von Fels zu Felsen sprang er in die Berge des Monte Cinto, und warf sich dort weinend in eine Höle.

Auf die Blutthat waren die Parolanti herbeigeeilt. Sie riefen Wehe über Dezio und seinen ganzen Stamm, und sie zogen vor sein Haus. Dezio's junges Weib war darin. Sie sagten ihm, daß es das Haus verlassen müsse, weil es der Acht verfallen sei. Nachdem sie seufzend aus der Thüre gegangen war, warfen die Parolanti Feuer ins Haus und verbrannten es bis in den Grund. Dann gingen sie in den Castanienhain und den Oelgarten Dezio's; jeden Baum schälten sie mit dem Beile ab, zum Zeichen, daß Dezio den Eid gebrochen und Blut vergossen, und daß der Zorn des Himmels ihn und sein Gut verflucht habe.

Die Sippen Dezio's hielten sich still, denn sie erkannten, daß man an ihm die Gerechtigkeit geübt habe. Aber des ermordeten Nicolao Sohn Luigione ließ sich den Bart wachsen, zum Zeichen, daß er das Vaterblut rächen werde. Er nahm die Flinte und streifte in den Bergen, Dezio zu erjagen, und da er ihn nicht erreichte, obwol er Tag und Nacht in den Felsen lag, nahm er Dienste bei den Genuesen, welche im Turm Padulella die Wache hatten. Vielleicht, daß er so, auch mit Hülfe der Wächter den Feind erlauern konnte.

Dezio lebte mit dem Fuchs, mit dem Hirsch und dem Wildschaf, und irrte in den Wildnissen umher, alle Nacht wo anders sich bergend, und immer wandernd und immer das Herz voll Traurigkeit und Schrecken. Da schiffte er sich eines Tages mit Schiffern, die seine Freunde waren, nach Genua ein. Er nahm Dienste bei der Republik, und Jahre vergingen ihm dort in der Verbannung.

Nach langer Zeit erwachte in ihm die Sehnsucht nach seinem Vaterland und nach seinem Weibe. Er nahm Abschied vom Soldatenstande; in Genua gab man ihm einen Freibrief, daß er sicher und ungekränkt in Corsica leben könne.

Vielleicht hoffte Dezio auch, daß der Groll Luigione's in so langer Zeit eingeschlafen sei. Er kam in sein Dorf zurück, fand sein Weib wieder und hielt sich still. Niemand wußte um seine Rückkehr. Denn er zeigte sich nicht, nur in den Wald ging er und an einsame Orte, wo er sicher war, daß ihn Niemand traf. Immer ging mit ihm der Schatten des alten Nicolao.

So vergingen Wochen und Monde, und von Dezio wußte und redete Niemand. Eines Tags nun sagte Luigione, welcher in den Bergen als Jäger berühmt war, zu seinem Weibe: mir hat geträumt, daß ich einen Fuchs gejagt habe, so will ich auf die Jagd gehn, vielleicht daß ich heute ein gutes Wild erjage. Er warf die Flinte über die Schulter und ging.

Ein roter Fuchs stieß ihm auf. Der rannte in ein Gebüsch, und Luigione eilte ihm nach. Der Ort war ganz einsam und traurig. Wie er in den Busch trat, fand er einen schmalen Hirtenpfad, der gleich dem Wege eines Labyrints gewunden war und immer tiefer in die Wildniß führte. Plötzlich blieb er stehn. Unter einem wilden Oelgebüsch sah er einen Mann im tiefsten Schlafe liegen. Neben ihm lagen sein Doppelgewehr und seine Zucca. Ein langer Bart verschattete sein Gesicht. Luigione blieb starr wie eine Bildsäule, nur seine Augen fieberten und verschlangen den schlafenden Mann. Das Blut schoß ihm siedendheiß in die Wangen; dann bedeckte sie wieder Todtenblässe; das Herz klopfte ihm so laut, daß es den Schlafenden hätte erwecken mögen.

Einen Schritt that er vorwärts, noch einen – er starrte dem fremden Mann ins Gesicht – ja! es war Dezio, der Mörder seines Vaters. Da flog ein wildes Lachen über das Antlitz Luigione's. Er zog den Dolch aus seinem Gürtel.

»Dich hat Gott in meine Hand gegeben, daß ich dich heute tödte. Das Blut meines Vaters komme heute über dich« – und er erhob die zweischneidige Klinge. Aber ein Gedanke trat wie ein Engel zwischen ihn und den Schlafenden und hielt seine Klinge auf. Der Engel sagte ihm: Luigione, du sollst den Schlaf nicht morden!

Luigione sprang plötzlich zurück. Dann schrie er mit fürchterlicher Stimme:

Dezio! Dezio! stehe auf und bewaffne dich!

Der Schlafende sprang auf und griff nach seinem Gewehr.

Ich hätte dich im Schlaf morden können, sagte Luigione zu ihm, aber das wäre eines Schurken That gewesen. Nun verteidige dich; denn meines Vaters Blut schreit um Rache.

Dezio sah einen Augenblick den fürchterlichen Mann zum Tod erschrocken an, dann schleuderte er seine Flinte weit in den Busch hinein, riß das Pistol und den Dolch aus seinem Gurt und schleuderte beide von sich, und dann riß er das Gewand von seiner Brust und rief: Luigione, schieß und räche deinen Vater. In meinem Grabe wird mir dann wol! Tödte mich! –

Luigione betrachtete den unglücklichen Feind mit Staunen, und eine Weile schwiegen beide. Dann legte Luigione seine Flinte ab, ging auf Dezio zu und reichte ihm die Hand. Gott, sagte er, hat dich in meine Hand gegeben, daß ich dir verzeihe. Das Blut meines Vaters habe seinen Frieden. Nun komm und sei mein Gast! –

Die Männer gingen in das Dorf, einer neben dem andern, und sie blieben Freunde. Und weil Luigione ein Kind geboren war, nahm er Dezio zu des Kindes Pathen zum heiligen Zeichen, daß sie vor Gott versöhnt seien.

Dezio wurde bald der Welt müde, er nahm die Kutte. So rein und gottselig war sein Wandel, daß er bis in das späteste Alter von allen Menschen geliebt ward und der Segen seiner Frömmigkeit weit und breit in den Bergen Frieden stiftete.

Als er eines Tages im Herrn entschlafen war, begleiteten ihn die Dörfer der ganzen Gegend zu Grabe, und noch heute sagt man in der Pieve von Moriani: Dezio der Weltliche, Dezio der Mörder, Dezio der Bandit, Dezio der Mönch, Dezio der Priester, Dezio der Heilige.


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