Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.

Die Insel zerfiel bald in Parteien. Ein Teil der Einwohner war pisanisch gesinnt, ein anderer genuesisch; viele Signoren standen für sich; und wiederum behauptete die Terra del Commune ihre gesonderte Stellung. Die Pisaner von ihren mächtigen Feinden in Italien angegriffen und in die größeste Not gebracht, waren doch nicht willens Corsica preis zu geben. Sie ernannten einen Corsen aus der alten Familie Cinarca zu ihrem Leutnant und Giudice, und übergaben ihm die Verteidigung der Insel gegen Genua.

Dieser Mann hieß Sinucello und ist unter dem Namen Giudice della Rocca berühmt worden. Seine Vaterlandsliebe und sein Heldenmut, seine Weisheit und Gerechtigkeit haben ihm eine Stelle unter den Männern gegeben, welche in barbarischen Zeiten durch persönliche Tugend hervorragten. Die Cinarchesen waren, wie es heißt, von einem der päpstlichen Markgrafen nach Sardinien vertrieben worden. Einer ihrer Nachkommen war Sinucello. Nach Pisa ausgewandert, hatte er sich in Diensten der Republik hervorgethan. Auf ihn nun hofften die Pisaner. Sie ernannten ihn zum Grafen der Insel, gaben ihm Schiffe und sandten ihn im Jahr 1280 nach Corsica. Es gelang ihm mit Hülfe seiner Anhänger die genuesische Partei unter den Signoren zu überwältigen und die pisanische Oberhoheit herzustellen. Die Genuesen sandten vergebens Thomas Spinola mit Truppen ab; er wurde aufs Haupt geschlagen. Viele Jahre währte der Krieg; unermüdlich setzte ihn der tapfre Mann im Namen der Republik Pisa fort, auch nachdem diese die große Seeschlacht bei Meloria gegen Genua verloren hatte, in deren Folge die Macht der Pisaner unterging und auch Corsica nicht mehr zu behaupten war.

Die Genuesen bemächtigten sich jetzt auch der Ostküste der Insel. Sie übertrugen ihrem General Luchetto Doria deren Unterwerfung und die Vertreibung Giudice's. Aber auch Doria wurde von ihm geschlagen, und lange Jahre wußte sich der Held zu behaupten, im unausgesetzten Kampf mit den genuesischen Truppen und den Signoren des Landes, welches in Anarchie aufgelöst lag. Die Chronisten haben die nationalcorsische Gestalt des Giudice, eine Lieblingsfigur, mit vielen Sagen ausgestattet und seinen Kämpfen einen romantischen Charakter gegeben. So wenig das die Geschichte angehen mag, so bezeichnet es doch die Zeit, die Landesart oder die Menschen. Giudice hatte sechs Töchter an die angesehensten Männer des Landes verheiratet, sein erbitterter Feind Giovanninello ebenfalls sechs gleich wol versorgte Töchter. Dessen sechs Eidame verschwören sich gegen Giudice und tödten in einer Nacht siebenzig Streiter seines Gefolges. Dieses wird der Grund zu einer Spaltung der ganzen Insel in zwei Parteien, welche nun wie Guelfen und Ghibellinen sich befehden und 200 Jahre im Streit mit einander liegen. Giovanninello wurde nach Genua vertrieben; bald wieder zurückgekehrt baute er die Festung Calvi, die sich darauf den Genuesen ergab und ihre zweite Colonie auf der Insel wurde. Von der Gerechtigkeit Giudice's und von seiner Milde wissen die Chronisten Manches zu erzählen, wie folgenden Zug. Er hatte einst viele Genuesen gefangen und versprach allen denen unter ihnen die Freiheit, welche beweibt wären, nur sollten ihre Weiber selbst herüberkommen, sie zu holen. Es kamen die Weiber; einer seiner Neffen zwang eine Genuesin ihm eine Nacht zu schenken. Giudice ließ ihn auf der Stelle enthaupten und schickte seinem Versprechen gemäß die Gefangenen heim. So führt dieser Mann vorzugsweise den Namen »Giudice,« weil bei einem barbarischen Volk und in barbarischen Zeiten die Richtergewalt alle andere Macht und Tugend in sich vereinigt.

Im hohen Alter wurde Giudice blind. Er geriet in Zwist mit seinem Bastardsohn Salnese, welcher ihm einen Hinterhalt stellte, ihn gefangen nahm und an die Genuesen auslieferte. Als der alte Mann auf das Schiff gebracht werden sollte, warf er sich am Meeresstrand auf die Kniee und verfluchte feierlich seinen Sohn und dessen Nachkommenschaft. Giudice della Rocca starb zu Genua im Turm Malapaga im Jahr 1312. Der corsische Geschichtschreiber Filippini sagt von ihm, daß er einer der merkwürdigsten Menschen gewesen sei, welche die Insel hervorgebracht habe. Er war tapfer und geschickt in den Waffen, bewundernswürdig rasch im Ausführen seiner Unternehmungen, Vollstrecker der Gerechtigkeit, freigebig gegen die Seinigen und fest im Unglück – Charakterzüge, welche fast alle ausgezeichnete Corsen besessen haben. Mit Giudice zerfiel die Herrschaft der Pisaner in Corsica.


 << zurück weiter >>