Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Drittes Kapitel.

Pino.

Eine gute Fahrstraße führt von der Marina Luris aufwärts. Man ist immer im Garten, in balsamischer Luft. Häuser in eleganterem Villenstil verraten Reichtum. Wie glücklich muß hier der Mensch sein, den die Elemente und die Leidenschaften schonen. Ein Winzer, der mich des Weges kommen sah, winkte mir in seine Vigne, und ich ließ mich nicht bitten. Hier ist recht der Ort, den Thyrsusstab zu schwingen. Nichts von Traubenkrankheit, Labsal und Herzenslust allerwegen. Der Wein von Luri ist trefflich, und die Citronen dieses Tals sollen für die besten des Mittelmeeres gelten. Es ist namentlich die Gattung dickschaliger Cedri, welche hier und besonders auf der ganzen westlichen Küste des Caps, vor allen andern Orten aber in Centuri gezogen wird. Der Baum, äußerst frostig, fordert viele Pflege. Er gedeiht nur in heißer Sonne und in den Tälern, welche vor dem Libeccio geschützt sind. Das Cap Corso ist das wahre Elysium dieses kostbaren Baumes der Hesperiden.

Nun machte ich mich weiter auf über die Serra nach Pino zu steigen, an die andere Seite des Meers. Lange Zeit ging ich durch Wälder von Wallnußbäumen, deren Früchte schon reif waren, und ich mußte hier bestätigen, was ich gehört hatte, daß die Nußbäume Corsica's ihres Gleichen suchen. Es wechseln mit ihnen Feigen, Oelbäume und Castanien. Es ist schön, einen tiefschattigen deutschen Wald von Buchen, Eichen oder Tannen zu durchwandern, aber auch die Wälder des Südens sind herrlich, denn diese Bäume sind eine gar edle Gesellschaft. Ich stieg auf den Turm Fondali hinauf, welcher neben dem kleinen Ort gleiches Namens im Grün verschattet liegt, wunderbar pittoresk in diesem saftigen Laube wirkend. Man schaut von seinen Zinnen in das schöne Tal hinunter bis zum blauen Meer und sieht über sich grüne Berge, auf denen verlassen schwarze Klöster stehn. Auf dem höchsten Felsblock der Serra erblickt man den Turm des Seneca, welcher wie ein in Gedanken stehen gebliebener Stoiker weit ins Land und in die See niedergraut. Die vielen Türme – ich zählte deren mehrere – liefern den Beweis, daß dieses Tal von Luri schon in alten Zeiten eine reiche Cultur hatte. Sie wurden erbaut, um sie zu schützen. Und so kennt auch schon Ptolemäus in seiner corsischen Geographie das herrliche Tal; es heißt bei ihm Lurinon.

Durch einen schattigen Hain und blühende Gewinde klomm ich zu dem Rücken der Serra empor, hart unter dem Fuße des Bergkegels, auf dem der Turm Seneca's steht. Von diesem Punkt aus erblickt man beide Meere zur Rechten wie zur Linken. Nun ging's hinab nach Pino, wo carrarische Bildhauer mich erwarteten. Der Blick auf das westliche Gestade mit seinen roten Rissen und den ausgezackten Felsenbuchten, endlich auf die dicht umlaubte Pieve von Pino war überraschend. Pino hat einige schloßartige Häuser und köstliche Parks, welche ein römischer Duca zu bewohnen nicht verschmähen würde. Es gibt auch in Corsica Millionäre, und namentlich zählt man auf dem Cap etwa hundert reiche Familien, darunter einige von unverhältnißmäßigem Vermögen, welches entweder sie selbst oder ihre Verwandten in den Antillen, in Mexico und Brasilien erworben haben.

Einer dieser Crösus in Pino hat von seinem Onkel auf S. Thomas 10 Millionen Franken ererbt. Oheime sind doch die vortrefflichsten Menschen. Einen Oheim haben ist so viel als beständig in der Lotterie spielen. Es sind ganz prächtige Menschen, sie können aus ihren Neffen alles machen, Millionäre, unsterbliche, geschichtliche Personen. Der Neffe in Pino hat dem Oheim für seine Verdienste eine Todtenkapelle aus Marmor bauen lassen, eine maurische Familiengruft auf einem Hügel am Meer. Die Carraresen arbeiteten gerade daran und führten mich in die Capelle. Ueber der Gruft des Oheims steht geschrieben: unter der Protection Gottes. Es wäre wahrlich besser für uns alle, wenn der liebe Gott statt ein Vater der Menschen ihr Onkel geworden wäre. Dann wären wir seine Neffen und hätten Millionen, bezahlten unsre Schulden, äßen nichts als Muränen mit Champagner, faßten uns alle in einem großen Kreise bei den Händen und wären lauter Präsidenten, Vicekönige, Könige und Kaiser.

Abends besuchten wir den Curaten. Wir fanden ihn vor seinem herrlich gelegenen Presbyterium, nachtwandelnd in einer braunen Corsenjacke und die phrygische Freiheitsmütze auf dem Kopf. Der gastliche Herr führte uns in sein Zimmer. Er setzte sich auf einen hölzernen Stul, befahl der Donna Wein zu bringen und langte, wie die Gläser kamen, seine Citer von der Wand. Nun hub er an frisch, fromm, fröhlich und frei nach Herzenslust die Saiten zu schlagen und den Paoli-Marsch zu singen. Die corsischen Geistlichen waren stets freie Männer und kämpften in mancher Schlacht neben ihren Gemeindekindern. Der Pfarrherr von Pino schob seine Mithrasmütze zurecht und begann eine Serenata an die schöne Marie. Ich drückte ihm herzlich die Hand und dankte ihm für Wein und Lied, und ging fort in ein Paese schlafen, wo man mir ein Lager angewiesen hatte. Morgens in der Frühe wollten wir noch in Pino umherstreifen und dann den Seneca auf dem Turme besuchen.

Auf dieser westlichen Küste liegt unterhalb Pino die letzte und fünfte Pieve des Caps, Nonza genannt. Bei Nonza steht jener Turm, dessen ich in der Geschichte der Corsen erwähnte, von einem Zug heroischer Vaterlandsliebe berichtend. Noch eine andere heldenkühne That hat derselbe Turm aufzuweisen. Im Jahre 1768 lag in ihm mit einem Häuflein Milizen der alte Capitän Casella. Die Franzosen hatten bereits das Cap unterworfen, und die übrigen Capitäne sich ergeben. Casella wollte nicht das Gleiche thun. Der Turm besaß eine Kanone und noch Pulver genug, die Milizen hatten ihre Flinten. Damit könne man sich, so sagte der Alte, gegen eine ganze Armee verteidigen, und im letzten Notfall müsse man sich in die Luft sprengen. Die Milizen kannten den Mann und wußten, daß er that, was er sagte. Sie machten sich deshalb Nachts davon mit Zurücklassung ihrer Gewehre, und der alte Capitän fand sich allein. Er beschloß also den Turm ganz allein zu verteidigen. Die Kanone war geladen; er lud sämmtliche Gewehre, verteilte sie an den Schießscharten und erwartete die Angreifer. Sie kamen, geführt vom General Grand-Maison. Wie sie in der Schußweite waren, schoß Casella erst die Kanone gegen sie ab und machte dann ein höllisch Feuern mit den Flinten. Die Franzosen schickten an den Turm einen Parlamentär, welcher dem Hauptmann zurief, daß sich das Cap unterworfen habe und daß der General ihn auffordere, nutzloses Blutvergießen zu ersparen und mit seiner Mannschaft sich zu ergeben. Hierauf antwortete Casella, daß er Kriegsrat halten wolle, und zog sich zurück. Nach einer Weile erschien er wieder und erklärte, die Besatzung des Turms von Nonza wolle capituliren unter der Bedingung, mit kriegerischen Ehren, mit allem Gepäck und der Artillerie abziehen zu dürfen, wozu die Franzosen selber das Fuhrwerk zu liefern hätten. Die Bedingungen wurden zugestanden. Als nun jene sich vor dem Turm aufstellten, die Besatzung zu empfangen, kam heraus der alte Casella mit seiner Flinte, seinen Pistolen und seinem Degen. Die Franzosen warteten auf die Mannschaft und verwundert, daß sie noch nicht herauskomme, fragte der befehlende Officier: Nun warum zögern Ihre Leute? – Sie sind ja schon draußen, erwiederte der Corse, denn ich bin die Mannschaft des Turms von Nonza. Hierauf wurde der Officier wütend und wollte an Casella. Der Alte zog den Degen, sich zu wehren. Indeß eilte Grand-Maison selbst herbei, und wie er den Zusammenhang der Dinge erkannte, wurde er von Bewunderung hingerissen. Sofort schickte er seinen Officier in Haft, dem alten Casella aber vollzog er nicht allein jede Bedingung Punkt für Punkt, sondern er entsandte ihn mit einer Ehrenwache und mit einem bewundernden Schreiben in das Hauptquartier Paoli's.

Oberhalb Pino erstreckt sich der Canton Rogliano mit Ersa und Centuri, ein durch Wein, Oel und Limonen ausgezeichnetes Land, dessen Cultur mit der Luri's wetteifert. Die fünf Pievi des ganzen Caps, Brando, Martino, Luri, Rogliano und Nonza haben 21 Communen und gegen 19,000 Einwohner, also fast so viel als die Insel Elba. Geht man von Rogliano über Ersa nach dem Norden, so gelangt man an die äußerste Nordspitze Corsica's, welcher die kleine Insel Girolata gegenüberliegt. Auf ihr steht ein Leuchtturm.


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