Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Zehntes Kapitel.

Banditenleben.

Nur weiter! Dies ist seine Fährte offenbar;
Nach spürt dem stummen Rate der Verräter Spur!
Denn wie der Spürhund einem angeschoss'nen Reh,
So wittern, seinem Schweiß und Blut nach, wir ihn aus.
Die Eumeniden des Aeschylus.

Wie nun der Corse gezwungen werden kann, als Bandit zu leben, aus seiner ruhigen Häuslichkeit urplötzlich in die Bergwildniß geschleudert zu werden und in einen ganz staatlosen Menschen, in ein vogelfreies Wesen sich zu verwandeln, wird aus der Blutrache klar sein.

Der corsische Bandit ist nicht wie der italienische Dieb und Räuber, sondern das, was sein Name sagt, ein vom Gesetz Verbannter. Im alten Statut heißen ursprünglich alle diejenigen Banditi, welche von der Insel verbannt sind, weil sie die Gerechtigkeit in ihre Gewalt nicht hat bekommen können; sie wurden für vogelfrei erklärt, und es war einem Jeden erlaubt einen Banditen, wenn er sich blicken ließ, zu erschlagen. Der Begriff des Verbannten ist also ganz einfach auf alle Menschen übergegangen, welche im Bann des Gesetzes leben.

Die Abgeschiedenheit Corsica's, die Mittellosigkeit, endlich die Vaterlandsliebe hindern oft den flüchtigen Corsen, seine Insel zu verlassen. In früheren Zeiten retteten sich corsische Banditen bisweilen nach Griechenland, wo sie tapfer kämpften; heute flüchten manche nach Italien, die meisten aber nach Sardinien, wenn sie es vorziehn ihre Heimat zu verlassen. Die Flucht vor dem Gesetz ist nirgend in der Welt leichter, als in Corsica. Denn kaum ist das Blut geflossen, so springt der Thäter in die Berge, welche überall nahe sind, und birgt sich in der schwer durchdringlichen Macchia. Von diesem Augenblick an heißt er Bandit. Die Verwandten und Freunde wissen um seine Spur; so lange es möglich ist, versorgen sie ihn mit dem Nötigsten, und nehmen ihn wol auch in mancher heimlichen Nacht in ihr Haus auf. In der höchsten Not findet der Bandit immer Ziegenhirten, welche ihn ernähren.

Der Hauptschlupfwinkel der Banditen ist zwischen Tox und dem Berge Santo Appiano, in den Wildnissen des Monte Cinto und des Monte Rotondo, in den unwegsamen Gegenden des Niolo. Dort bedecken Urwälder, welche nimmer eine Axt gesehn, und dichteste Büsche von Eichengestrüpp, von Albatro, Mirten und Haide die Abhänge der Berge; dunkle vom Wildwasser durchbrauste Schluchten in denen sich jeder Pfad verliert, Hölen und Grotten und zertrümmertes Gestein geben Verborgenheit. Dort lebt der Bandit mit dem Falken, mit dem Fuchs, mit dem Wildschaf ein Leben, welches romantischer und trostloser ist als das des amerikanischen Wilden. Die Gerechtigkeit geht ihren Lauf; sie hat den Banditen in contumaciam verurteilt; er lacht dessen, er sagt in seiner wunderlichen Ausdrucksweise: ich habe das sonetto empfangen, das heißt die Sentenz in Contumaciam. Die Sbirren spüren auf seiner Fährte, nicht minder die Bluträcher; er ist auf beständiger Flucht, er ist der ewige Jude in den wüsten Bergen. Nun gibt es Kämpfe mit den Gendarmen, heroische, fürchterliche Kämpfe; das Blut häuft sich; aber es ist nicht Sbirrenblut allein; denn der Bandit ist auch ein Bluträcher, nicht die Liebe zu dem elenden Leben, vielmehr die Rache ist es, von der er lebt. Er hat der feindlichen Sippschaft den Tod geschworen; man kann sich vorstellen, wie das Rachegefühl in der Wildniß der Berge unter beständigen Gedanken an den Tod und den Träumen von dem roten Pfal sich ins Ungeheure steigern muß. Bisweilen kommt der Bandit herab, seinen Feind zu erschlagen; wenn er seine Rache vollzogen hat, verschwindet er wieder. Manchesmal wirft er sich zum Carl Moor der Gesellschaft auf. Man kennt noch in Corsica die Geschichte des Banditen Capracinta aus Prunelli; die Justiz hatte seinen Vater ungerecht zu den Galeren verurteilt; der Sohn ging mit einigen Blutsverwandten in die Macchia, und von den Bergen stiegen diese Rächer von Zeit zu Zeit herab und erdolchten und erschossen persönliche Feinde, Soldaten, Spione; sie fingen eines Tages auch den öffentlichen Henker und vollzogen an ihm selber die Hinrichtung.

Es liegt sehr nahe, daß die Banditen sich oft auch als Werkzeuge Anderer gebrauchen lassen, welche eine Vendetta zu vollziehen haben und nun an jene sich wenden, damit sie ihnen ihren Dolch und ihre Kugel leihen. Bei der großen Verzweigung der Familien auf einem so kleinen Lande muß die Furchtbarkeit der Banditen natürlich wachsen. Sie werden die Blutgeißel des Landes; der Acker bleibt wüste, der Weinberg wird nicht gepflegt; denn wer wagt sich ins Feld, wenn Massoni oder Serafino ihm droht? Es gibt ferner unter den Banditen Männer, die ehedem gewohnt waren, Einfluß auf Andere auszuüben oder am öffentlichen Leben sich zu beteiligen; in die Wildniß verbannt wird es ihnen unerträglich, außerhalb solcher Wirksamkeit zu bleiben. Man versicherte mich, daß Einige noch in ihren Hölen und Schlupfwinkeln fortfahren selbst Zeitungen zu lesen, welche sie sich zu verschaffen wissen. Oft üben sie einen schreckenden Einfluß auf die Communalwahlen und selbst auf die Wahlen zum Landesrat aus, und nicht selten haben sie Zeugen und Richter bedroht oder sich blutig an ihnen gerächt. Dies und ohnehin die sehr milde Beurteilung der Geschwornen hat zu dem schon vielfach ausgesprochnen Verlangen Grund gegeben, man möchte die Jury in Corsica ganz abschaffen. Es ist nicht zu läugnen, daß das corsische Geschworenengericht unter dem Einfluß der Furcht vor der Banditenrache stehen kann; wenn man ihm aber eine zu milde Aburteilung zum Vorwurf macht, so wird man ihm in vielen Fällen Unrecht thun, denn das Banditenleben und seine Ursachen wollen aus den Bedingungen der corsischen Gesellschaft betrachtet werden. Ich wohnte einer Sitzung der Jury in Bastia bei, eine Stunde nach der Hinrichtung des Bracciamozzo und in demselben Gebäude, vor welchem er gerichtet worden war; mir schien der Eindruck des Hinrichtungsactes fühlbar in den Mienen der Geschwornen und der Zuschauer, aber nicht in dem Gesicht des Angeklagten. Es war ein junger Mensch, welcher einen Mann erschossen hatte; er hatte ein stumpfes, versteintes Gesicht und sein Schädel sah aus wie eines Negers Schädel, als könnte man ihn zum Amboß gebrauchen. Weder die eben vollzogene Hinrichtung, noch die Feierlichkeit der Assisenhandlung machte auf den jungen Menschen Eindruck; er zeigte nicht die geringste Spur von Befangenheit oder Furcht, sondern antwortete auf alle Fragen des Verhörsrichters mit der größten Kaltblütigkeit, sich kurz und bündig über die Umstände seiner Blutthat auslassend. Ich weiß nicht mehr, zu wie viel Jahren Gefängniß man ihn verurteilte.

Obwol der corsische Bandit sich niemals durch gemeinen Raub schändet, hält er es doch nicht unter seiner ritterlichen Ehre, Geld zu erpressen. Die Banditen schreiben Contributionen aus, sie taxiren Einzelne, oft ganze Dörfer und Gemeinden nach dem Vermögen, sie fordern mit Strenge ihren Tribut ein. Als Könige des Buschwaldes legen sie ihre Steuern auf, und man sagt, solche Steuerpflichtige bezahlten ihre Schuld eiliger und gewissenhafter als sie dieselbe je dem Könige von Frankreich leisteten. Es geschieht sehr häufig, daß der Bandit irgend einem wolhabenden Mann einen Contributionsschein in das Haus schickt mit der Aufforderung ihm so und so viel tausend Franken an einem bestimmten Ort niederzulegen, wenn nicht, so werde er ihn, sein Haus und seinen Acker vernichten. Die übliche Drohformel ist: si preparasse: Er soll sich bereit halten. Andere fallen in die Gewalt der Banditen und müssen ein Lösegeld zahlen. Mit dem erpreßten Gelde bereichern diese ihre Verwandten und Freunde und erwerben sich manche Gunst: ihrem eigenen Leben kommt Geld sonst kaum zu Gut, denn hätten sie es bergehoch aufgehäuft, sie leben dennoch nach wie vor in den Hölen der Wildniß und auf der Flucht.

Es gibt viele Banditen, welche fünfzehn bis zwanzig Jahre lang ihr Wesen fortgeführt haben und auf so kleinem Raum als ihre Berge ihnen gewährten, sich gegen die bewaffnete Macht behaupten konnten, bis sie erlagen. Sie leben nicht in Banden vereinigt, weil sie so das Land nicht nähren würde; auch sträubt sich die corsische Natur dagegen, den Befehlen eines Hauptmanns zu gehorchen. Meistens sind sie zu zweien, in einer Art Waffenbrüderschaft. Auch sie haben unter sich ihre Blutrache und ihre Todfeindschaften; dies ist staunenswert, denn so gewaltig ist das persönliche Rachegefühl des Corsen, daß ein gleiches Elend und ein gleiches Los den Banditen mit dem Banditen niemals versöhnt, wenn zwischen ihnen die Vendetta bestand. Man erzählt sich von manchem Beispiel, daß ein Bandit den andern um der Blutrache willen in den Bergen gejagt und erschlagen habe. Auch Massoni und Serafino, die Banditenhelden Corsica's aus der jüngsten Vergangenheit, lagen in der Vendetta und schossen auf einander, wenn sie sich trafen. Massoni hatte dem Serafino einen Finger abgeschossen.

Die Geschichte der corsischen Banditen ist reich an heroischen, dämonischen und ritterlichen Charakterzügen. Im ganzen Lande singt das Volk die Banditentodtenklagen, es ist ja das eigne Schicksal und der eigne Schmerz, den es in diesen Liedern klagt. Viele Banditen sind unsterblich geworden, vor allen glänzt Einer durch seine kühnen Thaten. Er heißt Teodoro, und selber nannte er sich König der Berge. Es hat also Corsica zwei Könige des Namens Theodor gehabt. Teodoro Poli war eines Tags, im Anfang dieses Jahrhunderts, conscribirt worden; er forderte eine Frist, um das Geld für den Stellvertreter zu beschaffen. Die bewaffnete Macht ergriff ihn um ihn einzustellen. Teodoro's Freiheitsliebe empörte sich. Er warf sich in die Berge und lebte als Bandit. Ganz Corsica riß er zur Bewunderung seiner Kühnheit hin, er war das Schrecken der Insel; aber keine Gemeinheit befleckte ihn, im Gegenteil rühmte man seine Großmut, und selbst Verwandten seiner Feinde verzieh er. Er war sehr schön und liebte, wie sein Namensvetter der König, prächtige Kleidung. Mit ihm teilte sein Los seine Geliebte, welche von den Steuern (taglia), die Theodor auf die Ortschaften legte, in Freuden lebte. Mit ihm war auch ein Bandit Brusco, welchem er unverbrüchliche Freundschaft gelobt hatte, und sein Oheim Augellone. Augellone heißt böser Vogel; es ist nämlich Sitte, daß die Banditen sich Zunamen geben. Der böse Vogel wurde neidisch auf Brusco, welchen Teodoro so sehr liebte, und eines Tags stieß er ihm das kalte Eisen etwas zu tief in die Brust. Darauf sprang er ins Gestein. Wie Teodoro den Fall seines Brusco erkannte, schrie er vor Schmerz nicht anders auf als Achill nach dem Falle des Patroclus, und nach alter Rächersitte ließ er sich den Bart wachsen und schwor, ihn nimmer zu schneiden, ehe er sich nicht in dem Blut des bösen Vogels würde gebadet haben. Es verging eine kleine Zeit, da sah man Teodoro wieder mit geschnittenem Bart. Das sind die kleinen Tragödien, welche in der Bergwildniß auch unter den Banditen spielen; denn das menschliche Herz setzt überall seine Leidenschaften fort. Teodoro wurde endlich krank. Ein Spion zeigte den Schlupfwinkel des kranken Löwen an. Da kamen die wilden Wolfshunde, die Sbirren auf die Berge gesprungen – in einer Capanne machten sie Teodoro todt. Das Volkslied rühmt von ihm, daß er gefallen sei die Pistole in der Hand und das Fucile an der Flanke, come un fiero paladino, wie ein stolzer Paladin. So groß war die Achtung, welche dieser König der Berge eingeflößt hatte, daß man selbst noch nach seinem Fall ihm Steuern bezahlte. Personen, welche sie schuldeten, kamen und legten das Geld in die Wiege des kleinen Kindes, welches Teodoro mit seiner Königin erzeugt hatte. Er fand seinen Tod im Jahr 1827.

Berühmt ist auch Gallocchio. Seine Geliebte hatte ihn treulos verlassen, er verboten, daß jemand ihre Hand begehre. Cesario Negroni warb um sie. Der junge Gallocchio gab einem seiner Freunde einen Wink, daß er den Schwiegervater verwunden solle. Die Hochzeitsgäste tanzen, lustig klingen Geigen und Mandolinen – ein Schuß! Die Kugel verfehlt das Ziel und durchbohrt dem Schwiegervater das Herz. Gallecchio wird Bandit. Cesario verschanzt sich. Aber jener jagt ihn aus dem Bau, hetzt ihn durch die Berge, trifft ihn, macht ihn kalt. – Nun floh Gallocchio nach Griechenland und kämpfte dort gegen die Türken. Eines Tages kam Kunde zu ihm, daß sein leiblicher Bruder im Vendettakrieg gefallen sei, denn dieser war unablässig fortgeführt worden um den todten Schwiegervater und den todten Cesario. Gallocchio kam zurück, tödtete zwei Brüder Cesario's und noch andere, und die ganze Sippschaft tilgte er aus. Der rote Gambini war sein Begleiter; mit ihm vereint schlug er die Gendarmen, und einen banden sie an den Schwanz eines Pferdes und schleiften ihn so über das Gestein. Gambini floh nach Griechenland, wo ihm die Türken den Kopf abschnitten; Gallocchio aber starb im Schlaf, denn ein Verräter erschoß ihn.

Berühmt ist auch Giammarchi, welcher den Buschwald hielt 16 Jahre lang, Camillo Ornano, der die Berge hielt 14 Jahre, Joseph Antommarchi, welcher 17 Jahre Bandit war.

Kurze Zeit vor meiner Ankunft in Corsica wurde der berühmte Serafino erschossen; man hatte ihn verraten und im Schlaf getödtet. Auch Arrighi und der furchtbare Massoni hatten kurz vorher ihr Ende gefunden; es war so wildromantisch wie ihr Leben gewesen war.

Massoni war ein Mensch von beispielloser Kraft. Blutrache hatte ihn, den Sohn einer wolhabenden Familie aus der Balagna, in die Berge getrieben. Dort lebte er, von seinen Verwandten unterstützt und von Hirten begünstigt, viele Jahre lang und tödtete in vielen Kämpfen eine große Zahl Sbirren. Mit ihm war sein Bruder und der tapfere Arrighi. Eines Tages suchte ein Mann der Provinz Balagna, welcher Verwandtenblut an einer mächtigen Familie zu rächen hatte, Massoni auf und bat um seinen Beistand. Der Bandit nahm ihn gastfrei auf, und da es ihm an einer Malzeit fehlte, ging er zu einem Hirten auf dem Monte Rotondo und forderte von dem ein Lamm. Der Hirt gab ihm eins aus seiner Herde. Massoni aber wies es von sich, indem er sagte: du gibst mir ein mageres Lamm, und doch will ich heute einen Gast ehren, siehe da jenes ist fett, das will ich haben; und auf der Stelle schoß er das fette Lamm nieder und trug es in seine Höle.

Der Hirt ergrimmte über diese Gewaltthat. Auf Rache sinnend ging er den Berg hinab und zeigte den Sbirren den Schlupfwinkel Massoni's an. Das Lammesblut wollte der Hirte rächen. Die Sbirren stiegen in großer Zahl in die Berge. Diese corsischen Gendarmen, mit der Natur des Landes wol vertraut und im Banditenkampf geübt, sind nicht weniger verwegen als das Wild, das sie jagen. Ihr Leben ist in steter Gefahr; denn die Banditen sind wachsam, sie spähen mit ihren Fernröhren, welche sie stets mit sich führen, aus ihren Schlupfwinkeln, und wenn sich Gefahr zeigt, sind sie auf und davon und behender als der Muffro, das wilde Schaf; oder sie lassen den Häscher auf Schußweite herankommen, und nie verfehlen sie ihr Ziel.

Die Sbirren also stiegen in die Berge; der Hirt voran; auf nur ihm bekannten Pfaden krochen sie die Felsen empor. In einer Höle befanden sich die Banditen. Sie war fast unzugänglich, durch einen Busch verdeckt. Arrighi und Massoni's Bruder lagen darin, Massoni aber saß hinter dem Busch auf der Wacht.

Auf einem Pfade waren die Sbirren über der Höle emporgekrochen, andere hatten den Schlund besetzt. Die dort oben lagen, blickten auf den Busch, ob sie etwas entdecken möchten. Ein Sbirre nahm einen Stein und warf ihn auf den Busch, in welchem er etwas Schwarzes zu bemerken glaubte. Augenblicks sprang ein Mann aus und feuerte eine Pistole ab, die zu wecken, welche in der Höle lagen. Aber in demselben Augenblick knallten auch die Häscherflinten, und Massoni stürzte todt nieder.

Wie die Schüsse fielen, sprang ein Mann aus der Höle, Massoni's Bruder. Gleich der Bergziege setzte er in wilden Sprüngen von Klippe zu Klippe, von Kugeln umsaust. Eine traf ihn tödtlich, so daß er ins Gestein stürzte. Arrighi, der alles sah, was vorging, hielt sich in der Höle. Die Gendarmen drangen behutsam vor. doch wagte Niemand in die Grotte zu dringen, bis endlich die Waghalsigsten hineinstiegen. Niemand war darin sichtbar; trotzdem ließen sich die Häscher nicht irren und bestanden darauf, daß die Höle noch ihren Mann verberge. Ihr Eingang wurde besetzt.

Es kam die Nacht. Man zündete Fackeln und Lagerfeuer an. Man beschloß Arrighi auszuhungern; Morgens gingen Einige an die der Höle nahe Quelle, um Wasser zu schöpfen. Da fiel ein Schuß und noch einer, und zwei Sbirren stürzten. Ihre Gefährten feuerten wutschreiend ihre Flinten gegen die Höle ab. Alles war still.

Nun galt es die beiden Todten oder Sterbenden zu holen. Man zauderte lange, dann entschlossen sich einige dazu, und wieder kostete es einem das Leben. Noch ein Tag verging. Jetzt fiel Einer auf den Gedanken, den Banditen wie einen Dachs auszuräuchern, ein Mittel, das man schon in Algier mit Erfolg angewandt hatte. So türmte man vor dem Eingang der Höle trocknes Holz auf und zündete dasselbe an. Aber der Rauch verzog sich durch die Spalten. Arrighi hörte jedes Wort, das man sprach, und hielt Dialoge mit den Sbirren, welche ihn weder sehen noch treffen konnten. Er weigerte sich, sich zu ergeben, wofür man ihm Gnade versprochen hatte. Endlich ließ der Procurator, den man von Ajaccio gerufen hatte, Militär und einen Ingenieur aus der Stadt Corte holen. Der Ingenieur erklärte, daß es möglich sei, in die Höle Petarden zu werfen. Arrighi hörte was man verhandelte, und der Gedanke, mit der Höle im Trümmergraus aufzuknallen, jagte ihm ein solches Entsetzen ein, daß er die Flucht beschloß.

Er wartete die Nacht ab, rollte dann Steine in falscher Richtung hinab und sprang von Fels zu Fels, einen andern Berg zu erreichen. Hinter ihm her knallten ins Ungewisse die Flintenschüsse der Sbirren. Eine Kugel traf ihn am Schenkel. Er blutete stark und seine Kräfte erschöpften sich; als es Tag wurde, verriet ihn die Blutspur, wie das wunde Wild durch seinen Blutschweiß sich verrät. Auf der Fährte die Verfolger. Arrighi hatte sich ermattet unter einen Felsblock geduckt; ein Sbirre sich auf diesen aufgeschwungen, die Flinte zum Schuß fertig. Der Bandit streckte den Kopf hervor, sich umzuschauen, ein Knall, und die Kugel zerschmetterte ihn.

So starben jene drei Rächer, glücklich, daß sie nicht am roten Pfal endeten. So groß aber war die Achtung, in welcher sie beim Volke standen, daß keiner der Umwohner des Monte Rotondo sein Maulthier hergeben mochte, um die Leichen der Gefallnen fortzubringen. Denn, so sagten diese Leute, wir wollen keinen Teil an dem Blut haben, das ihr vergossen habt. Als nun die Maulthiere aufgetrieben waren, lud man die Todten, Banditen und Sbirren, auf ihren Rücken, und so stieg der Zug die Berge herab nach Corte, acht Männer mit sich führend, die im Banditenkampf erschlagen waren.

Wenn dieses Eiland all das Blut, welches auf ihm im Lauf der Zeiten vergossen wurde, Schlachtenblut und Vendettablut wieder ausspeien wollte, so würde es seine Städte und Dörfer überfluten und sein Volk ersäufen und das Meer rot färben vom Inselufer bis nach Genua.

Man möchte es nicht glauben, was Filippini erzählt, daß in dreißig Jahren seiner Zeit 28000 Corsen sich aus Rache gemordet haben. Nach der Berechnung eines andern corsischen Geschichtschreibers finde ich, daß in 32 Jahren bis auf das Jahr 1715 28715 Morde in Corsica verübt worden sind. Derselbe berechnet, daß die Summe der durch die Vendetta Ermordeten innerhalb des Zeitraums vom Jahr 1359 bis zum Jahre 1729 gewesen sei: 333000. Ebenso viel, meint er, müsse man an Verwundeten rechnen. Das gäbe also 666000 Corsen, welche von Mörderhand geschlagen wurden. Dies Volk gleicht der Hyder; ob man ihr alle Köpfe abhaut, doch wachsen sie von neuem.

Nach der Anrede, welche der Präfect Corsica's vor dem Departements-Generalrat im August 1852 gehalten hat. sind seit 1821 4300 Morde (assassinats) in Corsica verübt, in den letzten vier Jahren deren 833, in den letzten zwei Jahren 319, in den ersten sieben Monaten des Jahres 1852 aber 99 Mordthaten geschehen.

Die Insel zählt 250000 Einwohner.

Die Regierung will die Blutrache und das Banditenwesen durch allgemeine Entwaffnung ausrotten. Ob und wie das ausführbar sein wird, weiß ich nicht. Unheil wird es genug geben, denn man wird die Banditen nicht zugleich entwaffnen können, und ihre Feinde werden dann wehrlos ihren Kugeln ausgesetzt sein. Die Familienkriege und die Vendetta haben es bisher nötig gemacht, das Tragen der Waffen zu gestatten. Denn weil das Gesetz den Einzelnen nicht schützen kann, muß es ihm überlassen, sich selbst zu schützen, und so geschieht es, daß die corsische Gesellschaft sich gleichsam außer dem Staat befindet. Pistolen und Dolche zu tragen ist schon lange verboten; alles aber trägt hier Doppelflinten, und halbe Ortschaften fand ich unter Waffen, wie im Krieg gegen andringende Barbaren; ein Anblick von bizarrer Wildheit, diese trotzigen Männer im Pelone und der phrygischen Mütze in düstern Felsgegenden um sich her zu sehen, alle den Kartuschengurt um den Leib, und die Doppelflinte auf der Schulter.

Es möchte wol kein anderes Mittel geben, die Blutrache und das Banditenleben sicher zu vertilgen, als die Cultur. Aber nur langsam schreitet sie in Corsica vor. Colonisation, Anbahnung von Wegen durch das Innre, Steigerung des Verkehrs und der Production, welche auch die Häfen beleben würde – dieses wäre wol die allgemeine Entwaffnung des Landes. Die französische Regierung, ganz unmächtig gegen den corsischen Trotz, verdient die gerechtesten Vorwürfe, daß sie eine Insel, welche das schönste Klima, fruchtreiche Landstriche, eine das ganze Mittelmeer zwischen Spanien, Frankreich, Italien und Afrika beherrschende Lage und die herrlichsten Golfe und Ankerplätze besitzt, welche reich ist an Forsten, an Mineralien, an heilsamen Quellen und an Früchten, und von einem tapfern, zu großen Dingen befähigten Volk bewohnt wird – daß sie Corsica zu einem Montenegro oder zum italienischen Irland werden läßt.


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