Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Zweites Kapitel.

Die Stadt Bastia.

Die Lage Bastia's ist wenn auch nicht ausgezeichnet doch immer überraschend. Die Stadt liegt im Amphitheater um den kleinen Hafen; das Meer bildet hier keinen Golf, sondern nur einen Landungsplatz, eine Cala. Die rechte Seite des Hafens sperrt ein gigantischer schwarzer Fels, vom Volk Leone genannt, weil er einem Löwen ähnlich sieht. Ueber ihm steht das finstre genuesische Fort, der Donjon. Links läuft der Kai in einen Molo aus, der auf seiner Spitze einen Leuchtturm trägt. Ueber dem Hafen steigt die Stadt in Terrassen auf, hohe Häuser, eng zusammen, turmartig, mit vielen Balkonen: über der Stadt grüne Berge mit verlassenen Klöstern und Olivenhainen; auch Fruchtgärten von Orangen, Citronen und Mandeln gibt es da in Fülle.

Bastia hat seinen Namen von der Bastei, welche die Genuesen dort bauten. Die Stadt ist nicht alt, weder Plinius noch Strabo oder Ptolemäus nennen einen Ort auf ihrer Stelle. Ehemals stand dort die kleine Marina des Ortes Cardo, welcher in der Nähe liegt. Darauf ließ im Jahr 1383 der genuesische Vicekönig Lionello Lomellino das Castell erbauen, um welches bald ein Stadtteil, die Terra nuova, entstand; der ursprüngliche, untere hieß nun die Terra Vecchia. Beide bilden noch heute zwei getrennte Cantons. Die Genuesen verlegten den Sitz ihrer corsischen Regierung von Biguglia nach Bastia, und hier wohnten die Fregosi, die Spinola, die Doria – elf Doria regierten Corsica in mehr als 400 Jahren – die Fieschi, Cibò, Giustiniani, Negri, Vivaldi, Fornari und so viele andere Edle berühmter Familien Genua's. Als Corsica unter französischer Herrschaft im Jahr 1797 in zwei Departements geschieden wurde, welche nach den Flüssen Golo und Liamone genannt wurden, blieb Bastia der Hauptort des ersten. Im Jahr 1811 vereinigte man beide wieder, und nun wurde das kleinere Ajaccio die Landeshauptstadt. Noch heute kann Bastia es nicht verschmerzen, daß es einst das Haupt der Insel war, und jetzt zu einer Souspräfectur herabgesunken ist, aber ohne Zweifel ist es durch Industrie, Handel und Bildung noch immer das Haupt Corsica's. Die gegenseitige Eifersucht der Bastianer und der Bürger Ajaccio's würde als lächerliche Kleinstädterei erscheinen, wenn man nicht wüßte. daß die Scheidung Corsica's in das Land diesseits und jenseits der Berge uralt historisch ist, und so ist auch der Charakter der Bewohner beider Landeshälften verschieden. Jenseits der Berge, welche Corsica von Nord nach Süd teilen, herrscht bei weitem mehr Wildheit; alles geht dort bewaffnet; diesseits ist mehr Cultur, mehr Ackerbau, mehr milde Sitte.

Die Terra Vecchia ist jetzt eigentlich zur Terra Nuova geworden, denn sie enthält die besten Straßen. Die ansehnlichste ist die erst wenige Jahre alte Via Traversa, eine nach dem Meer hingebogene Straße von sechs- und siebenstöckigen Häusern, welche noch fortgebaut wird. Ihre Lage erinnerte mich an die schönste Straße, die ich noch irgend sah, die Strada Balbi und Nuova in Genua. Aber die Häuser, obwol palastartig, haben nichts von Kunst noch von edlem Material an sich. Corsica hat die edelsten Steinarten in kaum glaublicher Fülle, Marmor, Porphyr, Serpentin, Alabaster, Granite köstlicher Art, doch werden sie kaum verwendet. Die Natur liegt hier überall verwahrlost, sie ist eine schöne verzauberte Prinzessin.

Man baut jetzt in der Via Traversa einen Justizpalast, für dessen Arcaden ich in den Marmorbrüchen bei Corte die Säulen heraushauen sah. Sonst sah ich mich vergebens nach Marmorschmuck um; doch, und wer wird es glauben, die ganze Stadt Bastia ist mit Marmor gepflastert, einem rötlichen Stein, welcher in Brando gebrochen wird. Ich weiß nicht, ob es wahr ist, daß Bastia das vortrefflichste Pflaster in der ganzen Welt habe. Sagen habe ich es hören.

Trotz ihrer Länge und Breite ist die Via Traversa die ödeste von allen Straßen Bastia's. Aller Verkehr sammelt sich auf dem Platz Favalelli, auf dem Kai und in der Terra Nuova um das Fort. Abends lustwandelt die schöne Welt auf dem großen Platz San Nicolao am Meer, wo die Unterpräfectur und der oberste Gerichtshof stehen.

Kein schöner Bau fesselt hier den Fremden, seine Unterhaltung sind allein die Spaziergänge am Meer und in die vom Oelbaum umschatteten Berge. Die Kirchen sind zum Teil groß und reich, aber plump im Aeußern und ohne besondere Kunst. Der Dom mit manchem Grab genuesischer Herren, liegt in der Terra Nuova, in der Terra Vecchia steht die ansehnliche Kirche Sanct Johannis des Täufers. Ich nenne sie nur um des Grabes Marbeuf's willen. Marbeuf hatte Corsica sechzehn Jahre lang regiert; er war der Freund des Carlo Bonaparte, des einst so warmen Anhängers Paoli's gewesen, und er hatte die Laufbahn Napoleons eröffnet, indem er ihm eine Stelle in der Militärschule zu Brienne verschaffte. Sein Grab in jener Kirche hat keine Inschrift, weil die ursprüngliche zur Zeit der paolistischen Revolution gegen Frankreich vernichtet ward. Die corsischen Patrioten hatten damals auf den Grabstein Marbeufs geschrieben: »Das Monument welches die schimpfliche Lüge und die feile Schmeichelei dem Tyrannen des seufzenden Corsica gewidmet, hatte nun die wahre Freiheit und die freie Wahrheit des ganzen jubelnden Corsica zerstört.« Nachdem Bonaparte Kaiser geworden, wollte Madame Letitia der Wittwe Marbeufs den ersten Rang einer Hofdame verleihen, aber Napoleon vermied diese Tactlosigkeit, indem er erkannte, daß es unschicklich sei Madame Marbeuf einen Dienst in derjenigen Familie anzutragen, welche der Gönnerschaft ihres Gemals so viel zu verdanken hatte. Er bewilligte dem Sohne Marbeufs ein Jahrgehalt von 10000 Franken, aber der junge General fiel an der Spitze seines Regiments in Rußland. – Das kleine Theater Bastia's ist ein Denkmal Marbeufs, er hat es auf seine Kosten erbauen lassen.

Noch eines andern namhaften Franzosen Grab liegt in Sanct Johann, das des Grafen Boissieux, welcher im Jahre 1738 starb. Er war Neffe des berühmten Villars, in der Kriegführung hatte er kein Glück gehabt.

Die größte Anziehung hatte für mich in Bastia das Leben im Hafen und das Treiben auf den Märkten.

Da ist der Fischmarkt. Ich unterließ es nicht jeden Morgen den Meerthieren meinen Besuch zu machen, und wenn die Fischer etwas absonderliches gefangen hatten, so zeigten sie's mir freundlich und sagten: dies heißt murena, und dies ist die razza und das der pesce spada und der pesce prete, und die triglia, die so schön rot ist, und der capone und der grongo. Da im Winkel, wie nicht zünftig, sitzen die Teichfischer; die Ostküste Corsica's hat große Teiche, welche durch schmale Nehrungen vom Meer getrennt sind und mit ihm in Verbindung stehen. Die Fischer fangen dort in Binsenreusen große und schmackhafte Fische. Der schönste aller ist die Murene; sie gleicht einer Schlange, aus dem edelsten Porphyr gebildet. Sie verfolgt den Seekrebs (legusta), in den sie sich hineinsaugt; die Legusta frißt wieder die Scorpena und die Scorpena wiederum die Murena. Da haben wir das scharfsinnige Witzspiel von Wolf, Lamm und Kohlkopf, und wie diese über einen Fluß zu bringen seien. Ich bin zu wenig Diplomat um diesen verkreuzten Krieg der drei Fische zu schlichten; die Fischer fangen oft alle drei in einem und demselben Netz. Man fängt in den Golfen viel Thunfische und Sardinen, besonders bei Ajaccio und Bonifazio. Die Römer mochten keine Sclaven aus Corsica, weil sie zu trotzig waren, aber die Fische der Insel prangten auf den Tischen der Großen und selbst Juvenal weiß sie zu rühmen.

Der Markt am Platz Favalelli gewährt des Morgens einen lebhaften Anblick. Dort sitzen nämlich die Gemüse- und Fruchthändlerinnen mit ihren Körben, aus denen die schönen Früchte des Südens lachen. Man braucht nur auf diesen Markt zu gehen um zu lernen, was die Natur Corsica's hervorbringt; da sind Birnen und Aepfel, Pfirsiche und Aprikosen, Pflaumen jeder Art, hier grüne Mandeln, Orangen und Limonen, Granatäpfel, daneben Kartoffeln, wieder Blumensträuschen, dort grüne oder blaue Feigen, und die unvermeidlichen Pomi d'oro (pommes d'amour); da die köstlichsten Melonen, das Stück für einen Soldo: mit dem August finden sich auch die Muscatellertrauben vom Cap Corso ein. Aus den Dörfern in der Nähe kommen in voller Morgenfrühe Frauen und Mädchen herab, Früchte nach der Stadt zu tragen. Manche schöne Gestalt sieht man unter ihnen. Eines Abends wanderte ich am Meer entlang nach Pietra Nera zu, und traf ein junges Mädchen, welches den leeren Fruchtkorb auf dem Kopf nach ihrem Dorf zurückging. Buona sera – Evviva siore. Nun gab's eine lebhafte Unterhaltung. Die junge Corsin erzählte mir mit der größesten Unbefangenheit die Geschichte ihres Herzens; ihre Mutter zwingt sie einem jungen Menschen die Hand zu geben, welchen sie nicht mag. Warum mögt ihr ihn nicht? Weil mir sein Wesen nicht gefällt, ah madonna! – Ist er eifersüchtig? – Come un diavolo, ah madonna! Ich wollte schon nach Ajaccio entfliehen.« – Indem wir so fortredeten, kam ein Corse uns entgegen, welcher mit dem Kruge in der Hand zur Wasserquelle ging. »Wenn Ihr Wasser trinken wollt, sagte er, so wartet ein wenig, bis ich herabkomme, und du, Paolina, komme nachher zu mir, ich habe dir wegen deiner Heirat etwas zu sagen.«

Sehet, sagte mir das Mädchen, das ist einer aus meiner Sippschaft, sie sind mir alle gut, und wenn ich des Weges gehe, so bieten sie mir einen guten Abend, und keiner will es zugeben, daß ich den Antonio heirate. – Wir waren ihrem Hause nahegekommen. Paolina wandte sich plötzlich sehr ernst zu mir und sagte: Siore, jetzt müßt ihr umkehren, denn komme ich mit euch zusammen in mein Dorf, so werden die Leute eine böse Rede machen (faranno mal grido). Kommt aber morgen, wenn ihr wollt, und seid Gast bei meiner Mutter, und dann wollen wir euch zu unsern Verwandten schicken, denn wir haben Freundschaft genug im ganzen Cap Corso. – Ich kehrte um, und im Anblick des schönen Meeres und der stillen Berge, auf denen Ziegenhirten ihre Feuer anzuzünden begannen, wurde mir recht homerisch zu Sinne, so daß ich der gastlichen Phäaken und der Nausikaa gedenken mußte.

Die Frauen in Corsica tragen das Mandile, ein Tuch von beliebiger Farbe, welches die Stirn bedeckt und glatt aufliegend um den Zopf gewunden wird, so daß die Haare nicht zu sehen sind. In ganz Corsica ist es gebräuchlich; es ist uralt, denn schon Frauengestalten auf etrurischen Vasen sind mit dem Mandile abgebildet. Junge Mädchen kleidet es vorzüglich, ältliche Frauen weniger; es gibt diesen das Aussehen von Judenweibern. Die Kopfbedeckung des Mannes ist das braune oder rote Berretto, die uralte phrygische Mütze, die schon Paris, der Sohn des Priamus getragen hat. So trägt sie auch der persische Mithras. Bei den Römern war die phrygische Mütze das Symbol der Barbaren; dies lehren die dacischen Kriegsgefangenen vom Triumfbogen des Trajan, welche jetzt auf dem Bogen des Constantin stehen, und andere Barbarenkönige, Sarmaten und Asiaten, die in Triumfzügen abgebildet sind. Dieselbe phrygische Mütze trugen die Dogen der Venetianer als Zeichen ihrer Würde.

Die Weiber in Corsica tragen alle Lasten auf dem Kopf, und es ist kaum glaublich wie viel sie zu bezwingen vermögen; so beschwert halten sie oft noch die Spindel in der Hand und spinnen im Gehen. Sehr schön sieht es aus, wenn sie die ehernen zweihenkeligen Wassergefässe auf dem Kopfe tragen. Ich sah sie nur in Bastia; jenseits der Berge schöpft man das Wasser in steinernen Krügen von rohen, aber doch noch an das Etrurische streifenden Formen.

»Sehen Sie jene Frau mit dem Wasserkessel auf dem Kopf?« – Ja; was ist an ihr merkwürdig? – »Sie wäre heute vielleicht Prinzessin von Schweden und Gemalin eines Königs.« – Madre di Dio! – »Sehen Sie dort jenen Ort auf dem Berge? das ist Cardo. Eines Tags verliebte sich der gemeine Soldat Bernadotte dort in eine Bauerstochter. Die Eltern wiesen den armen Schlucker zurück. Der povero diavolo wurde aber eines Tages König, und hätte er jenes Mädchen geheiratet, so wäre sie eine Königin geworden. Da geht nun ihre Tochter die das Wasser auf dem Kopfe trägt und sich grämt, daß sie nicht Prinzessin von Schweden ist.« Es war auf der Straße von Bastia nach San Fiorenzo, wo Bernadotte als Soldat am Wege arbeitete. Am Ponte d'Ucciani wurde er Corporal und war höchst glücklich über seine Erhöhung; er wachte nun als Straßenvogt über die Arbeiter, dann schrieb er für Imbrico, den Greffier am Gerichtshof die Registerrollen. Es gibt deren noch eine große Masse von seiner Hand im Archiv zu Paris.

An der Golobrücke, einige Meilen von Bastia, war es wo Massena zum Corporal ernannt wurde. Ja, Corsica ist eine wunderbare Insel. Es ging mancher hier in den einsamen Bergen ohne zu träumen, daß er einst eine Krone tragen sollte. Den Anfang machte der Papst Formosus im neunten Jahrhundert, welcher aus dem corsischen Dorf Vivario gebürtig war, dann folgte ihm im sechszehnten ein Corse aus Bastia Lazaro, Renegat und dann Dey von Algier; eine Corsin war zur Zeit Napoleons erste Kaiserin von Marocco, und Napoleon selber war erster Kaiser Europa's.


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