Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Neuntes Kapitel.

Die Meerenge.

Abends, ehe die Dunkelheit eintritt, ist es mein Vergnügen durch das alte Festungstor zu gehen und auf dem hohen Ufer zu sitzen. Hier habe ich das seltenste Gemälde um mich her: Bonifazio auf dem Felsen hart neben mir, schwindelnd in die See hinuntergeneigt, die Meerenge und das nahe Sardinien. Es gibt ein altes Buch, welches unter den Weltwundern diesen Fels von Bonifazio als das 72ste zählt. Mein guter Freund Lorenzo hat das Buch gelesen. Blicke ich nun von diesem steinernen Bänkchen hinab, so überschaue ich den ganzen Stufenweg, der zur Marina herunter führt. Da kommen und gehen beständig Leute aus dem Tor und in das Tor, und von unten heraus reiten sie im Zickzack auf ihren Eseln oder treiben diese mit Melonen belasteten Geschöpfe im Zickzack hinaus; denn so wird ihnen das Klettern leichter. Ich erinnere mich nicht, je so kleine Esel gesehen zu haben als in Bonifazio, und konnte es nicht begreifen, wie ein Mann auf einem solchen Thier reiten könne. Keinen sah ich mit dem Fucile kommen; von Flinten wird man hier nichts gewahr.

Wenn ich nun dort an der kleinen Capelle S. Rocco saß, war ich bald von Neugierigen umringt, die sich oft zutraulich zu mir setzten und mich fragten, woher ich käme, und was ich wollte, und ob mein Vaterland ein gebildetes Land sei oder nicht. Die letzte Frage ist sehr oft an mich gerichtet worden, sobald ich sagte, daß ich aus Preußen sei. Ein vornehm aussehender Herr setzte sich eines Abends zu mir, und da wir in ein politisches Gespräch über den jetzigen König von Preußen gerieten, so drückte er plötzlich seine Verwunderung aus daß die Preußen italienisch sprächen. Auch darnach bin ich schon oft und in allem Ernst gefragt worden, ob in Preußen italienisch gesprochen würde. Mein freundlicher Herr fragte mich hierauf, ob ich lateinisch spräche. Aus meine Antwort daß ich lateinisch verstünde, sagte er daß er ebenfalls lateinisch verstünde, und hob also zu reden an: Multos annos jam ierunt, che io non habeo parlato il latinum. Im Begriff ihm ebenfalls lateinisch zu antworten, machte ich die Erfahrung daß das Lateinische mir augenblicks in Italienisch sich verwandeln wollte, und daß ich wo möglich noch trefflicher mich auszudrücken im Begriffe war als mein Bonifaziner. Zwei verwandte Sprachen mischen sich sofort auf der Zunge, wenn man sich täglich nur in der einen ausgedrückt hat.

Auch dieser Herr sagte mir die Prophezeiung Rousseau's über Corsica her, welcher man nicht entrinnen kann, wenn man mit gebildeten Corsen spricht.

Immer schöner wird im Abendschein die Ansicht der Meerenge. Da schweben Segelboote vorüber gegen die Wellen kämpfend; goldig überlichtet fahren sie hin; einzelne Klippen ragen schwarz aus dem Wasser und in Violet färben sich die Küsten Sardiniens. Geradeüber stehen die schönen Berge von Tempio und von Limbara, dort die Höhen welche Sassari verdecken; links eine prachtvolle Bergpyramide, die man mir nicht zu nennen weiß. Die Abendsonne beleuchtet die nahen Küsten und stralt auf der nächsten sardinischen Stadt Longo Sardo. Ein Turm steht an ihrem Eingang. Ich erkenne deutlich die Häuser und möchte mir einbilden, jene Schattenstriche dort seien herumwandelnde Sarden. Bei stiller Nacht, so sagte man mir, hört man von Longo Sardo her die Trommel, die man dort schlägt. Ich zählte sechs Türme auf den Küsten; Castello Sardo und Porto Torres, die nächsten Städte am Ufer in der Richtung nach Sassari, konnte ich nicht erkennen. Mein gastlicher Lorenzo hatte drei Jahre in Sassari studirt, wußte mir viel von den Sarden zu erzählen und kannte ihre Sprachen.

Schweigend blicken wir hinunter
Auf die schaumbedeckten Küsten,
Auf die blaue Meeresenge,
Die zwei Schwesterinseln trennt.

Ach! wie schön bist du Sardegna,
Du von Muscheln hell umblitzte,
Mirtenüberkränzte, braune,
Wilde Schwester Corsica's.

Als ein Halsband von Corallen
Hängen um sie her die roten
Inselklippen und die Riffe,
Und manch' ausgezacktes Cap.

Freund Lorenzo, jene Berge,
Jene wonnesamen blauen,
Wecken mir so heiße Sehnsucht,
Daß mein Herz dahin verlangt –

Schöne Berge von Limbara!
Sprach Lorenzo vor sich nieder,
Blaue Berge wie das Leben
Lügenbilder sind sie nur.

Fern erscheinen sie Sapphire,
Und krystallne Himmelsdome,
Aber naht ihr euch, dann werfen
Sie den blauen Mantel ab.

Bieten euch die nackten Klippen,
Drohen euch mit Dorngewinden,
Mit dem Wetter, mit dem Abgrund,
Wie das Leben, junger Freund. –

Freund Lorenzo, jene Ebne
Lacht mich an mit ihrem Golde,
Wissen möcht' ich wie der Sarde
In dem schönen Lande lebt. –

Weit ins Innre steigt der Bergwald,
Gelbe Städtlein stehn im Grünen,
Und das Maulthier mit der Schelle
Vor sich treibt der Catalan.

Den Sombrero auf dem Scheitel,
Dolch, Pistolen in dem Gurte,
Summt er ein lateinisch Liedchen
Und marschirt zu seinem Tact.

Wandert südwärts nur zum Strande
Nach Cagliari's Felsenbuchten,
Dort im Dorfe schlägt der Moro
Castagnett' und Tamburin.

Mauren sind's von Algesiras,
In Barbarenzungen stammelnd,
Tanzend um die Fächerpalme,
Braune Mädchen an der Hand.

Wie merkt man in Bonifazio schon die Nähe der dritten großen romanischen Nation, der Spanier. Mein Zimmer ist bedeckt mit Columbusbildern, welche lange spanische Erklärungen haben, und hie und da trifft man Sarden, die den catalanischen Dialekt reden. Beide Inseln in grauen Zeiten zusammenhängend, nun auseinandergerissen, stehen in nachbarlichem Schmuggelverkehr. Die so günstige Lage Bonifazio's würde diese Stadt zu baldiger Blüte bringen müssen, wenn der Handel frei wäre. Die Aufsicht ist sehr strenge; denn auch die Banditen beider Inseln stehen im Verkehr; aber es geschieht seltener daß Sarden nach dem kleinen Corsica flüchten, weil sie sich dort nicht halten können. Dagegen flüchten viele corsische Bluträcher in die Berge Sardiniens. Die Polizei in Bonifazio ist sehr wachsam. Nirgend forderte man mir im ganzen Corsica den Paß ab, man that es nur hier und in Sartene. Ein Besitzer war vom Cap Corso her bis Bonifazio mein Begleiter gewesen, und da der freundliche Mann mir sein Schiffchen, das in Propriano ankerte, zur Rückfahrt nach Bastia und auf dem Cap Corso sein Haus zur Wohnung anbot, nahm ich ihn in mein geräumiges Zimmer, weil er schlecht versorgt war. Der hatte nun die Ehre für einen Banditen zu gelten, der mit gutem Schein nach Sardinien zu kommen suche.

Wenn der Abend hereinbricht, steckt der Leuchtturm Bonifazio's sein Licht auf. Die Küste Sardiniens ist in Dunkel gehüllt, aber von Longo Sardo her antwortet das rote Licht eines Fanals, und so unterhalten sich diese beiden Schwesterinseln auch in der Nacht durch die Zeichensprache ihrer Wandelfeuer. Die Türmer hüben und drüben führen ein einsames Leben. Ein jeder von ihnen ist der erste oder letzte Bewohner seiner Insel. Der von Bonifazio ist der allersüdlichste Corse den ich noch je gesehen habe, und der vom Cap drüben ist der allernördlichste Mensch Sardiniens. Sie haben sich nie gesehen und gesprochen. Aber jeden Tag sagen sie sich guten Abend und felicissima notte, wie man in Italien sagt, wenn die Hausfrau mit dem Licht in die Stube kommt. Der Türmer von Corsica kommt zuerst mit seinem Licht in die Nacht hinaus und sagt felicissima notte, und dann kommt ihm entgegen der von Sardinien und sagt auch felicissima notte; und so treiben sie es Nacht für Nacht und werden es forttreiben ihr Leben lang, bis einst drüben das Licht eine Weile ausbleibt. Dann weiß der Türmer hüben, daß der alte Freund jenseits gestorben ist, und weint und sagt: felicissima notte!

Ich besuchte diesen südlichsten Corsen auf seinem Turm. Der liegt eine Stunde weit von Bonifazio auf dem niedrigen Cap Pertusato. Das Südende Corsica's geht hier in einem abgestumpften Dreieck aus, an dessen Enden westlich jenes Cap und östlich das Cap Sprono liegt, eine schmale Klippenspitze, Sardinien am nächsten stehend. Mit gutem Winde kann man in einer Stunde in Sardinien sein. Der kleine Leuchtturm ist von einer weißen Mauer umgeben und gleicht einem Castell. Freundlich nahm mich der Türmer auf und setzte mir ein Glas Ziegenmilch vor. Er lebt wie Aeolus im Winde. Es ist eigentlich seltsam zu denken, daß eines Menschen lange Jahre sich nur drehen um eine Oellampe, und daß ein Individuum dazu aufgebraucht wird, auf einer einsamen Klippe Nachts Lampendochte zu verbrennen. Es gibt nichts Ungenügsameres und nichts Bescheideneres als das menschliche Wesen.

Mein Türmer führte mich auf die Brustwehr des Fanals, wo der heftige Wind mich zwang, ans Geländer mich festzuhalten, und er zeigte mir von seines Daches Zinnen all sein Inselreich und Untertanenschaft, welche in dreißig Stück Ziegen und in einem Weinberge bestand, und indem ich erkannte, daß er zufrieden war und an Gütern der Erde genug besaß, pries ich ihn sofort schon vor seinem Ende glücklich. Er zeigte mir die Herrlichkeit Sardiniens, die Inseln und Isolotte, die es umschwärmen, Sta. Maria, Sta. Maddalena, Caprera, Reparata und die kleineren Eilande. Die westliche Mündung der Meerenge ist mit Inselklippen bestreut, die östliche ist breiter und da liegt dem sardinischen Cap Falcone gegenüber das Eiland Asinara, ein malerisches Gebirge.

Zu Corsica gehören noch einige Inselriffe von der bizarrsten Form, welche ganz nahe in der Meerenge zerstreut liegen und San Bainzo, Cavallo und Lavezzi heißen. Sie bestehen aus Granit. Die Römer hatten auf ihnen Steinbrüche angelegt, um für ihre Tempel und Basiliken Säulen von dort zu holen. Deutlich erkennt man noch ihre Werkstätten, selbst die Kohlen in der alten Römerschmiede haben noch ihre Spuren zurückgelassen. Noch liegen ungeheure, halbbehauene Säulen, deren zwei namentlich auf San Bainzo, und andere Blöcke, welche das Eisen schon bearbeitet hat, auf diesen Klippen. Niemand weiß, für welchen Bau in Rom sie bestimmt gewesen sind. Und welch' ein panischer Schreck mochte es sein, der die Künstler und Steinmetzen von dieser einsamen Werkstatt im Meer plötzlich verjagte, daß sie ihre Arbeit unbeendigt liegen ließen. Vielleicht verschlang sie die Flut, vielleicht erschlug sie der wilde Corse oder der grimmige Sarde. Mich wundert's, daß hier keine Sage von einer römischen Geisterwerkstatt entstanden ist. Denn ich selbst habe doch im Mondschein die todten Künstler aus dem Meer steigen sehn, in römischen Togen, ernste Männer, breitstirnig, adlernasig und mit holen Augen. Sie machten sich alle schweigend an die beiden Säulen und hoben an, geisterhaft daran zu schlagen und zu meißeln. Der Eine aber stand hoch aufrecht und deutete nur befehlend mit dem Finger; ich hörte ihn auf lateinisch sagen: »Diese Säule wird eine der schönsten im goldnen Hause des Nero sein. Flink, Gesellen, und fördert Euch! denn so Ihr in 40 Tagen nicht fertig seid, werden wir alle den Thieren vorgeworfen.« Ich wollte ihm eben zurufen: »O Artemion und ihr anderen todten Männer, das Haus des Nero ist ja längst von der Erde verschwunden, wie wollt ihr noch Säulen dafür hauen? Geht schlafen in euer Grab!« Aber wie ich das sagen wollte, verwandelten sich mir die lateinischen Worte augenblicks in italienische und ich konnte nicht. Und diesem Umstand allein ist es zu verdanken, daß die alten Römergeister noch immer fort in der Werkstatt an den Säulen geschäftig sind – und alle Nacht kommen sie heraufgestiegen und schlagen und meißeln in rastloser Eile, aber sobald die Hähne in Bonifazio krähen, springen die weißen Gestalten wieder ins Meer zurück.

Noch einen vollen, letzten Blick warf ich auf die weitausgedehnte Küste Sardiniens, auf das Land Gallura, und dachte an den schönen Enzius, des Kaisers Friedrich Sohn. Auch er ist einst gewesen und war drüben ein König. Vor wenigen Monaten stand ich eines Abends an seinem Gefängniß in Bologna. Ein Puppentheater war dort aufgeschlagen und über den stillen großen Platz schallte laut die Stimme des Pulcinella.

Die Welt ist rund und die Geschichte eine Kugel, wie das einzelne Menschenleben.


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