Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Achtes Kapitel.

Pozzo di Borgo.

Das Haus in der Straße Napoleon, in welchem der Flüchtling Murat gewohnt hatte, ist zu einem Palast umgeschaffen. Das Wappen über der Thüre sagt, daß es den Pozzo di Borgo angehört. Nächst den Bonaparte sind die Pozzo die berühmteste Familie Ajaccio's, von altem Adel und lange vor jenen in Corsica namhaft. Im sechzehnten Jahrhundert zeichneten sie sich im Dienst der Venetianer aus. Der corsische Dichter Biagino di Leca, welcher in seinem Epos il d'Ornano Marte die Thaten des Alfonso Ornano verherrlicht, preist zugleich auch mehrere Pozzo di Borgo und weissagt ihrem Geschlecht unsterblichen Ruhm.

Wenigstens hat die Familie eine europäische Bedeutung durch den Grafen Carlo Andrea erlangt, jenen Jugendgenossen Napoleons, Freund Paoli's und unerbittlichen Hasser des Kaisers. Er war am 8. März 1768 in Alata bei Ajaccio geboren; er hatte in Pisa die Rechte studirt, wie Carlo Bonaparte, und machte sich dann in Corsica erst als Demokrat und Revolutionär, dann als Paolist namhaft. Im Jahre 1791 war er Abgeordneter Ajaccio's, dann Generalprocurator und Paoli's rechte Hand. Als Corsica sich an England angeschlossen, wurde der gewandte Mann Präsident des Staatsrates unter dem Vicekönigtum Elliots. Man sagt, daß der Diplomat seinen Gönner Paoli bei den Engländern in Verruf brachte, um seinen eigenen Einfluß geltend zu machen. Später verließ er Corsica, ging mehrmals nach London, nach Wien, nach Rußland, nach Constantinopel, nach Syrien; die Welt und die Höfe durchwandernd, wie einst Sampiero, schürte der unermüdliche Feind in rastloser Thätigkeit den Haß gegen Napoleon. Napoleon verfolgte ihn mit gleichem Hasse; diesen alle seine Bahnen durchschleichenden Feind sehnte er sich in seine Gewalt zu bekommen. Nach dem Preßburger Frieden forderte er seine Auslieferung. Hätte er sie erlangt, so würde er mit Pozzo di Borgo gethan haben, wie Carl der Zwölfte mit Patkul that. Diese Feindschaft ist corsische Vendetta, corsischer Haß auf die Weltgeschichte übertragen. Pozzo di Borgo war es, welcher Bernadotte gegen Napoleon zur Thätigkeit stimmte; er war es, welcher die Verbündeten zum schleunigen Zuge gegen Paris trieb; er war es, welcher den König von Rom beseitigte, welcher auf dem wiener Congreß darauf drang, Napoleon aus Elba in eine weit abgelegene Insel zu verbannen. Bei Waterlo stand er seinem großen Gegner mit den Waffen in der Hand gegenüber und wurde verwundet. Als nun endlich sein Feind für immer gebändigt auf St. Helena da lag, sprach der Diplomat im Gefühle seiner gesättigten Rache das stolze und fürchterliche Wort: Ich habe Napoleon nicht getödtet, aber ich habe auf ihn die letzte Schaufel Erde geworfen!

Pozzo die Borgo erndtete die russische Grafenkrone und die Ehre, der bleibende Vertreter aller russischen Staaten am Hofe Frankreichs zu sein. In Paris lebend trat er freimütig der Reaction entgegen und geriet darüber in eine gespannte Stellung mit den Höfen. Er war und blieb trotz seiner Laufbahn Corse. Man erzählte mir, daß er die Landesart nimmer abgelegt hatte. Er liebte seine Heimat. Man könnte fast sagen, er bekriegte auch darin Napoleon, daß er ihm die Dankbarkeit seiner Landsleute nahm. Napoleon that nichts für Corsica, Pozzo di Borgo sehr viel. Er ließ die Herausgabe der beiden corsischen Geschichtschreiber Filippini und Peter besorgen, und Gregori widmete ihm seine Sammlung der Statuten. Pozzo di Borgo's Name prangt nun auf den drei größesten Monumenten corsischer Geschichte und ist unauslöschlich. Seine Wolthätigkeit in milden Stiftungen und Spenden an seine Landsleute war groß, wie sein Vermögen. Er starb als Privatmann in Paris am 15. Februar 1842, 74 Jahre alt, mit der Welt zerfallen, zerrissen und geisteskrank. Er war einer der gewandtesten Diplomaten und der scharfsinnigsten Köpfe dieses Jahrhunderts.

Sein Vermögen ging auf seine Neffen über, welche sich reiche Besitzungen bei Ajaccio gekauft haben. Einer derselben wurde vor wenigen Jahren in der Nähe der Stadt ermordet. Er war Verwalter der Wolthaten, welche der Graf Carlo Andrea spendete, und hatte sich als solcher durch Ungerechtigkeiten verhaßt gemacht. Man erzählte mir, daß er nebenher ein Mädchen verführt hatte, und sich weigerte, ein hohes Bußgeld an die Sippschaft desselben zu zahlen. Die durch ihn Beleidigten beschlossen seinen Tod. Als er eines Tags von seiner Villa nach der Stadt fuhr, umringten Jene den Wagen und riefen ihm zu: Neffe des Carlo Andrea Pozzo di Borgo steige aus! Der Unglückliche that es ohne Zögern. Mit kaltem Blut vollzogen die Mörder die That, am hellen Tag und unter freiem Himmel, gleichsam als Act der Volksjustiz gegen einen Verbrecher. Nicht gleich hatten die Schüsse den Mann getödtet. Die Mörder trugen den Sterbenden selbst in den Wagen und befahlen dem Kutscher, umzukehren, damit der Neffe Pozzo di Borgo's auf seinem Bette sterbe. Dann gingen sie in den Buschwald, wo sie nach einiger Zeit im Kampf mit den Gendarmen erschlagen wurden.

Dies ist ein Zug schrecklicher Gerechtigkeit, wie sie in dem Lande der Corsen so oft geübt wird. Ich erzähle hier ein zweites Beispiel. Es ist ein bewundernswürdiger und erschütternder Vorfall, welcher sich in dem Geburtsdorf der Pozzo zu Alata wenige Millien von Ajaccio begeben hat.

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Der corsische Brutus.

Zwei Grenadiere des französischen Regiments Flandern, welches als genuesisches Hülfscorps in Ajaccio lag, entwichen. Sie flohen in die Berge Alata's und hielten sich dort in den Wildnissen verborgen, wo sie das Mitleid und die Gastlichkeit der armen Hirten ansprachen.

Heilig ist das Gastrecht. Wer es verletzt ist nach der alten Sitte der Väter vor Gott und Menschen gleich dem Kain.

Als es nun Frühling geworden war, jagten Officiere vom Regiment Flandern in jenen Bergen. Sie kamen dem Ort nahe, wo die Flüchtlinge sich versteckt hielten. Dort weidete gerade ein junger Hirt seine Ziegenherde. Der Herr von Nozières, Oberst des Regiments, trat auf ihn zu und fragte ihn, ob etwa entflohene Grenadiere in den Bergen versteckt wären. Ich weiß es nicht, sagte der junge Hirt und war verlegen. Der Herr von Nozières schöpfte Argwohn. Er drohte dem Hirten mit Gefängniß im Turm Ajaccio's, wenn er nicht die Wahrheit sage.

Da erschrak Joseph, er sagte nichts, aber zitternd wies er mit der Hand nach dem Ort hin, wo die armen Flüchtlinge sich versteckt hielten. Der Officier verstand ihn nicht. Rede! schrie er ihn an. Joseph sagte nichts, er zeigte wieder mit der Hand. Die anderen Officiere ließen die Hunde los und eilten nach der angedeuteten Stelle, vielleicht im Glauben, dort ein Thier zu finden, welches der einfältige Stumme ihnen gewiesen hatte.

Es sprangen die beiden Grenadiere auf, flohen, wurden eingeholt und festgemacht.

Dem Joseph gab der Herr von Nozières vier blanke goldne Louisd'ors als Anzeigelohn. Wie der junge Hirt die Goldstücke in der Hand hielt, vergaß er vor kindischer Freude Officiere und Grenadiere und die ganze Welt, denn er hatte niemals blankes Gold gesehn. Er lief in seine Hütte, und Vater, Mutter und Bruder rief er zusammen, geberdete sich unsinnig vor Freude und zeigte seinen Schatz.

Wie hast du dieses Gold erworben, mein Sohn Joseph? fragte der alte Hirte. Der Sohn erzählte was geschehen war. Mit jedem Wort, das er sprach, wurde das Gesicht seines Vaters finsterer, die Brüder entsetzten sich, und wie Joseph auserzählt hatte, war er selbst blaß geworden wie der Tod.

Heilig ist das Gastrecht. Wer es verletzt ist nach der alten Sitte der Väter vor Gott und Menschen gleich dem Kain.

Der alte Hirt warf einen schrecklichen Blick auf seinen zitternden Sohn, und ging aus der Capanne. Seine ganze Sippschaft rief er zusammen. Wie sie nun gekommen waren, legte er ihnen den Fall vor und gab ihnen auf über seinen Sohn zu urteilen. Denn es scheine ihm, er sei ein Verräter und habe seinen ganzen Stamm und das ganze Volk geschändet.

Das Gericht der Sippen fällte den Spruch, daß Joseph des Todes schuldig sei, und das thaten sie einstimmig. Wehe mir und meinem Sohn! rief verzweifelt der Alte. Wehe meinem Weibe, daß sie mir den Judas gebar!

Die Sippen gingen zu Joseph. Sie nahmen ihn und führten ihn an die Stadtmauer Ajaccio's. an einen einsamen Ort.

Wartet hier, sagte der alte Hirt, denn ich gehe zum Commandanten. Ich will ihn um das Leben der beiden Grenadiere bitten. Ihr Leben sei auch meines Sohnes Leben.

Der Alte ging zu dem Herrn von Nozières. Er warf sich vor ihm auf die Kniee und bat um die Begnadigung der beiden Soldaten. Verwundert sah ihn dieser an und staunte über eines Hirten Mitgefühl, der um zwei fremde Soldaten so bitterlich weinte. Aber er sagte ihm, daß Fahnenflüchtige des Todes schuldig seien, denn so wolle es das Gesetz. Der Alte stand auf und ging seufzend hinweg.

Er kam zurück an die Mauer, wo die Sippen mit dem armen Joseph standen. Es war umsonst, sagte er. Mein Sohn, du mußt sterben, stirb wie ein braver Mann, und lebe wol!

Joseph weinte, dann wurde er still und gefaßt. Einen Priester hatte man geholt, der empfing seine Beichte und gab ihm den himmlischen Trost.

Es war gerade die Stunde, als man die beiden Grenadiere mit Spießruten zu Tode schlug. Da stellte sich auch der arme Joseph ruhig an die Mauer. Die Sippen zielten gut, und er fiel.

Wie er todt war, nahm sein alter Vater die vier blanken Louisd'ors, gab sie dem Priester und sagte zu ihm: Gehet zu dem Commandanten und sagt ihm: Herr, hier habt ihr den Judaslohn zurück. Wir sind arme und redliche Menschen und haben den gerichtet, welcher ihn aus eurer Hand empfing.

Heilig ist das Gastrecht. Wer es verletzt ist nach der alten Sitte der Väter vor Gott und Menschen gleich dem Kain.

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Lebhaft gedenkt man noch in Alata und Ajaccio der großherzigen That eines Weibes aus der Familie Pozzo di Borgo, vom Jahr 1794. Auch diese sei hier erzählt.

Marianna Pozzo di Borgo.

In Appietto bei Ajaccio war alles Volk beim Carneval vergnügt. Nach alter Sitte, die noch heute auf der Insel besteht, saß der Carnevalkönig von seinen Ministern umgeben, eine goldne Krone auf dem Haupt, mitten auf dem Marktplatz. Tische waren dort aufgestellt voll von Wein, Früchten und Speisen mancherlei Art. Denn der König hatte tüchtig Steuern ausgeschrieben; und dies ist corsisches Carnevalsgesetz, daß er das Recht hat den Familien des Dorfes je nach ihrem Vermögen die Steuer aufzulegen, welche sie in Wein und Speisen zum gemeinen Besten herbeizubringen haben.

Da wurde nun waidlich getrunken und geschmaust. Die Citern und die Violinen spielten auf, und das junge Volk drehte sich im Tanz.

Plötzlich fiel mitten in den Jubel hinein ein Flintenschuß und ein Schrei, und alles stob auseinander. Ein wildes Gewühl entstand auf dem Markt zu Appietto. Da lag in seinem Blut der junge Felix Pozzo di Borgo. Andrea Romanetti hatte ihn erschossen – eine Beleidigung war gefallen. Andrea war in die Macchia gesprungen.

Man trug den todten Jüngling in das Haus seiner Mutter. Die Frauen erhoben den Lamento. Des Felix Mutter Marianna war verwittwet; viel Unglück hatte sie erfahren. Als man den Jüngling auf den Friedhof gebracht hatte, weinte sie nicht mehr, sondern sie dachte nur daran ihn zu rächen, denn sie war eine mutige Frau und aus dem uralten Hause Colonna d'Istria.

Marianna legte die Frauenkleider ab und ein Manneskleid an. Sie hüllte sich in den Pelone, setzte eine phrygische Mütze auf, umgürtete sich mit der Carchera, steckte Dolch und Pistolen in den Gurt und ergriff die Doppelflinte. Ganz glich sie einem rauhen corsischen Manne, nur der Gürtel von Scharlach, eine Verbrämung von Sammt auf dem Pelone, und der zierliche Griff des Dolchs, der von Elfenbein und Perlmutter glänzte, verrieten, daß sie von einem edlen Hause sei.

Sie stellte sich an die Spitze ihrer Verwandten, und ruhelos verfolgte sie den Mörder ihres Sohnes. Andrea Romanetti floh von Busch zu Busch, von Grotte zu Grotte, von Berg zu Berg. Aber Marianna war ihm auf den Fersen. In einer finstern Nacht warf sich der Flüchtling in sein eigenes Haus im Dorf zu Marchesaccia. Hier entdeckte ihn ein Mädchen von der feindlichen Sippschaft und gab von seinem Aufenthalte Kunde. Marianna eilte herbei. Ihre Verwandten umringten das Haus. Tapfer hielt sich Romanetti, aber da ihm das Pulver ausging und die Feinde bereits aufs Dach stiegen um durch dasselbe einzudringen, erkannte er, daß er verloren sei. Er dachte an nichts mehr, als an sein Seelenheil, denn er war fromm und gottesfürchtig.

Haltet ein! rief Romanetti aus dem Hause; ich will mich ergeben, aber versprechet mir, daß ehe ich sterbe, ich beichten darf. Marianna versprach ihm dieses.

Also kam Romanetti hervor und gab sich willig in die Hände seiner Feinde. Sie führten ihn in das Dorf zu Teppa und zogen mit ihm vor das Haus des Pfarrers Saverius Casalonga. Marianna rief den Geistlichen und bat ihn um Gottes Willen Romanetti's Beichte zu empfangen, denn darnach müsse er sterben.

Mit Tränen bat der Priester um das Leben des Unglücklichen; aber seine Bitten waren fruchtlos. Jener empfing die Beichte, und während der Mörder ihres Sohnes sie vor dem Pfarrer ablegte, lag Marianna auf ihren Knieen und rief Gott an, daß er sich seiner Seele erbarmen möge.

Die Beichte war vollbracht. Nun führten die Pozzo den Unglücklichen hinaus vor das Dorf und banden ihn an einen Baum.

Sie erhoben ihre Flinten – plötzlich stürzte Marianna herbei – haltet ein! rief sie, um Gott haltet ein! und sie lief an den Baum, woran Jener gebunden stand, und umschloß mit ihren Armen den Mörder ihres Sohnes. Im Namen Gottes, rief sie, ich verzeihe ihm. Hat er mich auch zu der unseligsten aller Mütter gemacht, so sollt ihr ihm fürder kein Leides thun, und ehe mich erschießen als ihn. Und so hielt sie ihren Feind umschlossen und deckte ihn mit ihrem eigenen Leibe.

Der Priester trat hinzu. Es bedurfte seiner Worte nicht mehr. Die Männer lösten Romanetti, und zur Stunde ward er frei und sein Haupt heilig den Sippen der Pozzo di Borgo daß ihm Keiner ein Haar krümmte.


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