Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Zweites Kapitel.

Aleria, die Colonie Sulla's.

Wenn man sich dem Fiumorbofluß nähert, so sieht man einzelne palastähnliche Häuser; einige davon sind Ansiedlungen französischer Capitalisten, welche bankerott wurden, weil sie unverständig anfingen. Andere sind reiche Güter, wahre Grafschaften an Ausdehnung, wie Migliacciaro im Canton Prunelli, welches einer französischen Companie gehört und vormals ein Gut der Familie Fiesco von Genua war.

Der Fiumorbo, der vom höchsten Gebirgsstock Corsica's entspringt, mündet oberhalb des Stagno di Graduggine. Seinen Namen »blinder Fluß« hat er von seinem Lauf, denn einem Blinden gleich schwankt er lange in der Ebne umher, bis er sich zum Meer den Weg herausgefühlt hat. Das Land zwischen ihm und dem Tavignano soll das fruchtbarste Corsica's sein.

Als es Abend wurde wechselte die Temperatur auffallend schnell von der trockensten Hitze zu nebelfeuchter Kälte. An manchen Stellen war die Luft von Fäulniß durchzogen. Ein Grabmal am Wege fiel mir auf. In dieser Einsamkeit schien es eine bemerkenswerte Stelle zu verkünden. Es war das Denkmal eines Wegeunternehmers, welchen ein Landmann erschoß, weil er eine Liebschaft mit einem Mädchen hatte, um das sich jener bewarb. Es zieht doch den Menschen nichts so sehr an als die Geschichte des Herzens. Eine einfache Liebestragödie übt dieselbe Macht auf die Phantasie der Menge aus, wie eine heroische That, und sie erhält sich oft Jahrhunderte lang im Gedächtniß. So hat auch das Herz seine Chronik. Die Corsen sind Teufel der Eifersucht, sie rächen die Liebe wie das Blut. Mein Begleiter erzählte mir folgenden Fall. Ein junger Mensch hat sein Mädchen verlassen und sich einem andern zugewandt. Eines Tages sitzt er in seinem Dorf auf offnem Platz beim Dambrettspiel. Da kommt seine verstoßene Geliebte, überschüttet ihn mit Flüchen, zieht ein Pistol aus dem Busen und schmettert ihm die Kugel an den Kopf. – Ein anderes verstoßnes Mädchen hatte einst zu ihrem Geliebten gesagt: »Wenn du eine andere nimmst, sollst du dich ihrer nicht erfreuen.« Zwei Jahre vergingen. Der Jüngling führt ein Mädchen zum Altar. Wie er mit ihr aus der Kirchthüre tritt, streckt ihn die Verlassene mit einem Schuß zu Boden; das Volk aber schreit: »Es lebe dein Gesicht!« Die Justiz verurteilte das Mädchen zu drei Monaten Gefängnißstrafe. Jünglinge bewarben sich um ihre Hand, aber die junge Wittwe des Erschoßnen begehrte nicht Einer.

Die corsischen Weiber, welche so blutrote Rachelieder singen, sind auch im Stande, Pistole und Fucile zu tragen und zu kämpfen. Wie oft kämpften sie nicht in den Schlachten trotz der Männer! Man sagt, daß der Sieg der Corsen über die Franzosen bei Borgo mindestens zur Hälfte der Heldentapferkeit der Weiber zu verdanken war. Sie kämpften auch mit in der Schlacht bei Ponte nuovo, und in aller Munde lebt noch das kühne Weib des Giulio Francesco di Pastoreccia, welche immer an der Seite ihres Mannes in jener Schlacht stritt. Sie ward mit einem französischen Officier handgemein, überwand ihn und nahm ihn gefangen; als sie sah, daß die Corsen sich in Flucht auflösten, gab sie ihm die Freiheit, indem sie zu ihm sagte: »Erinnere dich, daß ein corsisches Weib dich überwand und dir den Degen und die Freiheit zurückgab.«

Hinter dem Fiumorbo beginnt das Flußgebiet des Tavignano, welcher bei Aleria unter dem Teich der Diana ins Meer fließt. Ich wollte dort die Vettura verlassen, weil ich von einem Bürger Sartene's einen Gastbrief für Casa janda hatte, eine reiche Besitzung bei Aleria, welche der Capitän Franceschetti, der Sohn des aus Murats letzten Tagen bekannten Generals besitzt. Leider war er auf dem Festland und ich kam um das Vergnügen, diesen thätigen Mann kennen zu lernen und mich von ihm über Manches belehren zu lassen. Mittlerweile war es dunkel geworden, und wir waren Aleria, der Colonie Sulla's, nahe gekommen. Wir erkannten die Häuserreihe und die Burg auf dem Hügel am Wege, und in der Hoffnung eine Locanda in dem Städtchen zu finden, aber dessen nicht ganz sicher, ließen wir den Wagen halten und gingen nach dem Ort.

Die Scenerie rings umher dünkte mir wahrhaft sullanisch zu sein; eine grabesstille Nacht, eine von Fieberluft erfüllte öde Flur zu unsern Füßen, schwarznächtige Berge hinter dem Castell, und der Horizont gerötet wie vom Glutschein brennender Städte, denn rings standen die Buschwälder in Flammen; der Ort todt und ohne Licht. Endlich schlug ein Hund an, und bald kam die ganze Bevölkerung uns entgegen, zwei Doganieri nämlich, welche die einzigen Bewohner Aleria's waren. Das Volk war aus Furcht vor der Malaria in die Berge gezogen, jede Thüre geschlossen, außer der einen des Turms, in dem die Strandsoldaten lagen. Wir baten sie um Gastfreundschaft für diese Nacht, weil die Pferde den Dienst versagten und nirgend ein Ort in der Nähe lag, der uns aufnehmen konnte. Aber diese wackern Cornelier Sulla's schlugen uns unsre Bitte ab, weil sie den Doganencapitän fürchteten, und überdieß in einer Stunde auf die Wache mußten. Wir beschworen sie nun bei der himmlischen Jungfrau uns nicht in die Fieberluft auszustoßen, sondern ein Obdach im Turm zu geben. Sie blieben bei ihrer Weigerung, und so kehrten wir ratlos um, mein Begleiter ärgerlich und ich wenig erfreut, daß ich auf der ersten Römercolonie, die mein Fuß betrat, ausgewiesen wurde trotz zweier großer Cäsarn, welche meine besondere Freunde sind. Indeß begannen die Sullaner ein menschlich Rühren zu empfinden, sie kamen uns nachgelaufen und riefen: entrate pure! Froh traten wir in das kleine viereckte Gebäude ohne Schanzen oder Wall noch Graben, und tappten uns die steinernen Stufen in das Soldatenquartier hinauf.

Die armen Strandsoldaten hingen bald ihre Gewehre über und wanderten mit ihrem Hunde an den Teich der Diana, den Contrebandirern aufzulauern. Ihr Dienst ist gefährlich; sie wechseln alle 15 Tage, weil sie sonst dem Fieber erliegen würden. Ich legte mich auf den Boden des Zimmers und versuchte zu schlafen, aber die Schwüle war entsetzlich. Ich zog es vor, in den Wagen zurückzukehren und die böse Luft einzuatmen, welche wenigstens kühlte. Ich verbrachte eine wahrhaft sullanische Nacht in diesem Aleria, vor der Kirche, an welcher einst Peter Cyrnäns Diaconus gewesen war, und mit Betrachtungen über die Ursachen der Größe der Römer und ihres Verfalles und jene vortrefflichen sullanischen Luxusmäler, wo es Fischleberpasteten und Fontänen köstlicher Saucen gab. Mich hungerte gar sehr, da ich fast nichts zu essen bekommen hatte. Es war eine diabolische Nacht und mehr als einmal seufzte ich: Aleria, Aleria, chi non ammazza vituperia, »Aleria, Aleria wer nicht mordet muß dich schmähn;« denn dies ist der Schandvers, welchen die Corsen auf das Oertchen gemacht haben, und mir scheint, er paßt vortrefflich auf eine Colonie des Sulla.

Der Morgen brach an. Ich sprang aus dem Wagen und betrachtete die Lage Aleria's. Sie ist vortrefflich gewählt. Ein Hügel beherrscht die Ebne; von ihm hat man den herrlichsten Blick auf den Teich der Diana, den Teich del Sale, das Meer, die Inseln. Schöne Bergpyramiden schließen landwärts das Panorama. Der Morgen war köstlich, Luft und Licht in zartem Uebergangsschimmer, der Blick frei und umfassend, der Boden römisch und mehr noch alt phönizisch.

Das heutige Aleria besteht nur aus ein paar Häusern, welche sich an das genuesische Castell anlehnen. Das alte nahm mehrere Hügel ein und zog sich weit hinab zu beiden Seiten des Tavignano bis in die Ebne, wo am Teich der Diana noch Eisenringe verraten, daß hier der Hafen der Stadt lag. Ich wanderte zu den Ruinen welche nahe liegen. Rings sind die Hügel überstreut mit Steinen und Mauertrümmern, aber ich fand kein einziges Ornament, weder Kapitäler noch Friese, nichts als rohes, kurzes Material. Man sieht hie und da den Ueberrest von Gewölben, einige Stufen von einem Circus und eine Ruine, welche das Volk casa reale nennt und die man für das Prätorianerhaus ausgeben will. Doch weiß ich nicht aus welchem Grunde, denn die Reste lassen nichts mehr erkennen, nicht einmal die Epoche. Nach dem Umfange zu schließen war Aleria eine Stadt von etwa 20,000 Einwohnern. Man fand auf dem Felde Vasen und römische Münzen; Ziegenhirten sagten mir, daß vor drei Tagen Jemand eine goldne Münze gefunden habe. Ein rückkehrender Strandsoldat aber spannte meine Neugier aufs Höchste, da er mir sagte, daß er zwei Marmortafeln gefunden habe, welche eine Inschrift enthielten, die Niemand entziffern könne. Die Marmortafeln seien in einem Hause verschlossen, aber er habe eine Abschrift genommen. Er holte hierauf seine Brieftasche; es waren zwei lateinische Inschriften, welche dieser vortreffliche Altertumsforscher in einer wahrhaft phönizischen Weise abgeschrieben hatte, so daß ich nur mit Mühe erkennen konnte, wie die eine eine Votivschrift aus der Zeit des Augustus, die andere eine Grabinschrift war.

Das war alles, was ich von dem alten Aleria fand.


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