Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Viertes Kapitel.

Von Isola Rossa nach Calvi.

Mein Vetturin erzählte mir gleich zum Willkomm, daß ich die Ehre hätte, auf einem außerordentlichen Wägelchen zu sitzen. Denn, sagte er, auf ihm habe ich im vorigen Jahre die drei großen Banditen, Arrighi, Massoni und Xaver gefahren. Wie ich des Wegs fuhr, kamen sie gerade die Straße, alle bis an die Zähne bewaffnet und befahlen mir, sie nach Calvi zu bringen. Das that ich denn auch ohne weiteres und darnach ließen sie mich ungekränkt umkehren. Jetzt sind sie alle todt.

Der Weg nach Calvi führt immer der Küste entlang. Auf den Bergen sieht man manche Ruine von Orten, die der Saracen zerstört hat. Oberhalb Monticello liegen auch die Trümmer eines Schlosses des berühmten Giudice della Rocca, des Leutnants der Pisaner. Dieser Richter seines Volks lebt noch im Andenken der Corsen. Er war gerecht, sagt man, auch gegen die Thiere. Eines Tags hörte er in der Balagna Lämmer einer Herde kläglich schreien; er fragte die Hirten, was den Lämmern fehle; sie gestanden, daß sie aus Hunger schrieen, weil man den Mutterschafen die Milch genommen habe. Da befahl Giudice, daß fortan die Schafe nicht eher sollten gemelkt werden, bis nicht die Lämmer getränkt seien.

Ich kam zuerst nach Algajola, einem alten Ort am Meer, der jetzt ganz verfallen ist und kaum 200 Einwohner zählt. Viele Häuser stehen unbewohnt und in Trümmern, von den Bomben der Engländer zerschossen. Denn wie sie vor 60 Jahren der Krieg verwüstet hat, so hat man sie bis auf den heutigen Tag als Ruinen stehen lassen, ein trauriges Zeugniß von dem Zustande Corsica's. Auch die bewohnten Häuser gleichen schwarzen Ruinen. Ein freundlicher Alter, welchen der napoleonische Krieg einst nach Berlin geführt hatte, zeigte mir die Merkwürdigkeiten Algajola's und nannte einen großen Steinhaufen den palazzo della communità. Zur Zeit der Genuesen war Algajola der Mittelpunkt der Balagna, und weil es so gelegen war, daß aus jedem Dorf die Bewohner an einem und demselben Tage nach dem Ort und von ihm in ihre Heimat zurück gehen konnten, erhoben ihn die Genuesen zum Sitz eines der Leutnants der Insel und befestigten ihn.

Die ausgezeichnetste Merkwürdigkeit dieses Städtchens ist die Volkssage von Chiarina und Tamante, zwei treuen Liebenden. Tamante war von den Franzosen zum Tod verurteilt, seine Geliebte aber bewaffnete sich und mit Hülfe ihrer Freunde entriß sie ihn der Hinrichtung. Das Volk ehrt die schönen Thaten der Liebe überall und macht sie als Sagen unsterblich; die Geschichte der Chiarina und des Tamante ist in ganz Italien bekannt, und ihre fliegenden Blätter habe ich auch in Rom gefunden.

Bei Algajola wird ein überaus schöner blaugrauer Granit gebrochen. Ich sah im Bruch eine Säule liegen, welche einem ägyptischen Tempel Ehre machen würde. Sie ist 60 Fuß lang und hat 12 Fuß im Durchmesser. Sie liegt schon seit Jahren verlassen und vom Wetter geschlagen, und höchstens nimmt von ihr Kunde ein Wandrer, welcher sich auf ihr niederläßt, oder der Adler, der auf ihr ausruht. Ursprünglich für Ajaccio, zu einem Denkmal Napoleons bestimmt, blieb sie liegen, weil die Kosten der Wegschaffung zu groß waren. Wahrscheinlich wird sie nach Paris gebracht werden. Von demselben köstlichen Granit Algajola's ist der ungeheure Block, welcher die Vendomesäule trägt. Mit berechtigtem Stolz kann also der Corse vor jener Säule von Austerlitz stehn, auf die Franzosen herabblicken und ihnen zurufen: mein Vaterland hat beides hervorgebracht, den großen Mann dort oben und auch den Granit, auf welchem er steht.

Ich kam nach Lumio, einem hoch gelegenen Ort, dessen schwarzbraune, turmartige Häuser aus der Ferne gar nicht von den Felsen zu unterscheiden waren. An grünen Fensterladen merkt man hie und da das Wohnhaus eines angesehenen Mannes. Die Abkommen der alten Signoren wohnen noch in allen diesen Dörfern, und Männer von den stolzesten Namen und ungezählten Ahnen leben unter dem Volk und in seiner Gesellschaft. Nirgend in der Welt möchte eine so große demokratische Gleichheit angetroffen werden als auf dieser Insel, wo Standesunterschiede kaum sichtbar werden und der Bauer mit dem Herrn als freier Mann verkehrt, wie ich oftmals davon Augenzeuge gewesen bin. Oberhalb Calvi wohnt Peter Napoleon, Lucians Sohn, der einzige Bonaparte, welcher sich jetzt auf der Heimatsinsel seiner Familie aufhält. Die Balagnesen rühmen, daß er ein guter Jäger sei, daß er sich oft unter die Hirten mische und nicht vergessen habe, wie seine Vorfahren den Corsen angehörten. Die Erwählung Louis Napoleons erfüllt das corsische Volk mit Stolz und Freude. Ich fand auf der Insel überall das Bildniß dieses Mannes und hörte seine Energie rühmen als corsische Kraft. Weiter Blickende waren nicht ganz so von Patriotismus befangen, ich vernahm auch das Urteil, daß die Napoleon Tyrannen seien und zwar die letzten Tyrannen der Freiheit.

Lumio hat viele Orangengärten und eine erstaunliche Menge von Cactushecken, die ich in solcher Fülle nur noch in Ajaccio antreffen sollte. Der Cactus wächst hier zu Baumstämmen aus. Von den Bergen ist der Blick auf das Tal und den Golf sehr schön. Da liegt Calvi auf einer Landzunge. Mit seinen dunkeln platten Häusern, zwei Kuppeln welche über sie hinwegragen, und mit den Mauern des Forts, das auf der äußersten Spitze der Landzunge steht, gleicht es einer maurischen Stadt.

Calvi ist der Hauptort des kleinsten der Arrondissements Corsica's, welches in 6 Cantons mit 34 Communen ungefähr 25000 Einwohner zählt. Es umfaßt beinahe den ganzen Nordwesten der Insel, Berge und Küsten, von denen noch nicht einmal die Hälfte bebaut ist. Denn der große Küstenstrich von Galeria liegt gänzlich wüste. Nur die Balagna ist in guter Cultur und am zahlreichsten bevölkert.

Die kleine Stadt, heute ungefähr 1680 Einwohner zählend, verdankt ihren Ursprung dem Giovanninello, Herrn von Nebbio, dem erbitterten Feinde des Giudice della Rocca und Anhänger Genua's. Darauf gab sie sich an Genua und blieb der Republik immer treu. Wie die Bonifaziner erhielten auch die Calvesen viele Freiheiten. Zur Zeit Filippini's zählte die Stadt 400 Feuerstellen, und er nennt sie eine Hauptstadt sowol wegen ihres Alters als wegen der Schönheit der Häuser, wobei er aber hinzusetzt »im Verhältniß zum Lande.« Die Bank Genua's ließ die Festung bauen.

Calvi liegt auf der Landzunge, in welche die eine Reihe der Berge ausgeht, die das große Tal um den Golf umkränzen. Die Berge sind kahl und bestehen aus Granit und Porphyr. Sie bilden ein mächtiges Amphitheater. Viel Oel und Wein gedeiht an den Abhängen und die Füße der Höhen bedeckt Taxus und anderes Gesträuch von Mirten, Albatro und Tinus, aus dessen Blüten die Biene den Honig saugt. Davon kommt die Bitterkeit des corsischen Honigs, von welchem schon Ovid und Virgil gewußt haben. Calenzana namentlich ist an Honig reich. Ein Wasser durchfließt das Tal dieser Berge und bildet in der Nähe Calvi's einen Sumpf, dessen Ausdünstungen gefährlich sind. Man nennt ihn vigna del vescovo, den Weingarten des Bischofs, und erzählt sich von seiner Entstehung eine jener sinnvollen Sagen, welche in Corsica den Wanderer ergötzen. Es war nämlich der Bischof von Sagona nach Calvi übergesiedelt und hatte dort einen schönen Weingarten. Er verliebte sich in ein Mädchen, und nahm dasselbe in seinen Weinberg. Er schloß das schöne Kind in seine Arme, bedeckte es mit Küssen und war ganz des Teufels. Das Mädchen sah den Siegelring am Finger des heiligen Mannes, und lachend sagte es zu ihm: »Ei! wie gar schön ist der Ring eines Bischofs. Ich will euch lieben um diesen Gottesring.« Da seufzte der Bischof tief, aber seine Liebe war so heiß, daß sie ihn verzehren wollte; er zog den Gottesring vom Finger und gab ihn der schönen Jungfrau. Wie sie nun den heiligen Mann in ihre Arme schloß, sprang der Ring von ihrem Finger und fiel zu Boden. Er war nicht mehr zu finden. Am folgenden Tag ging der Bischof wieder nach seinem Weinberg, den Ring zu suchen; aber siehe! da war kein Weinberg mehr, sondern an seiner Stelle lag ein Sumpf.


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