Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Neuntes Kapitel.

Die Vendetta.

Eterna faremo vendetta.  
Corsisches Lied.

Der Ursprung des Banditenwesens ist fast durchaus in der uralten Sitte der Blutrache zu suchen. Fast alle Schriftsteller, die ich darüber las, leiten die corsische Vendetta aus den Zeiten her, da die genuesische Justiz feil war oder den Mord begünstigte. Ohne Zweifel hat der beständige Krieg und die Stockung der Gerechtigkeitspflege viel dazu beigetragen, jene barbarische Sitte einwurzeln zu lassen, aber die Wurzel selbst liegt wo anders. Denn die Blutrache findet sich nicht in Corsica allein, sondern auch in andern Ländern, in Sardinien, Calabrien und Sicilien, bei den Albanesen und Montenegrinern, bei den Circassiern, Drusen, Beduinen.

Die gleiche Erscheinung muß daher gleiche Bedingungen haben. Sie sind leicht aufzufinden, weil der gesellschaftliche Zustand aller dieser Völker sich ähnlich ist. Alle leben sie in einem kriegerischen Zustand, in einer wilden und großen Natur; alle mit Ausnahme der Beduinen sind sie arme Bergvölker, leben also in Gegenden, welche der Cultur nicht leicht zugänglich sind und die uralten barbarischen Sitten auf das hartnäckigste festhalten. Alle endlich sind sie von dem gleichen Familiengeist durchdrungen, welcher die heiligste Grundlage ihrer Gesellschaft bildet. Im Naturzustand und in einer durch allgemeinen Krieg und Unsicherheit ausgelösten Gesellschaft wird die Familie ein Staat für sich; die Glieder derselben halten fest zusammen; wo eines verletzt wird, wird der ganze kleine Staat verletzt. Die Familie übt nur durch sich selbst die Gerechtigkeit, ihre Form wird die Rache. Und so geschieht es daß die Blutrache, obwol eine Barbarei, doch aus dem verletzten Rechtsgefühl und aus der natürlichen Liebe zu den Blutsverwandten entspringt, und daß ihre Quelle eine edle, das menschliche Herz ist. Die Vendetta ist eine barbarische Gerechtigkeit. Der Gerechtigkeitssinn der Corsen aber wird schon von den alten Schriftstellern anerkannt und gepriesen.

Zwei edle und große Leidenschaften beherrschen den Corsen, die Liebe zur Familie und die Liebe zum Vaterland. Bei einem ganz armen Volk, welches auf einer abgeschiedenen Insel lebt, die obenein noch von einer heroischen Gebirgsnatur ist, müssen diese Leidenschaften sehr mächtig sein und ihm die Welt ersetzen. Die Liebe zum Vaterland hat jene Heldengeschichte Corsica's erzeugt, welche eigentlich nichts ist als eine uralte, fort und fort geerbte Blutrache der Corsen gegen Genua; die Liebe zur Familie hat die nicht minder blutige und nicht minder heroische Geschichte der Vendetta erzeugt, deren Trauerspiel noch heute fortgespielt wird. Man muß die Urkraft dieses Volks wahrlich unbegreiflich finden, da es sich selber auf das Blutigste zerfleischend dennoch zu gleicher Zeit die Stärke besaß, so unablässige und so glorreiche Kämpfe mit den Landesfeinden zu kämpfen.

Die Liebe zu den Seinen ist wie in den alten Heldentagen, so noch heute dem Corsen eine Religion; nur die Liebe zum Vaterland ist ihm eine höhere Pflicht. Viele Beispiele aus der Geschichte zeigen dies. Wie bei den Hellenen die Geschwisterliebe als die höchste und reinste Form der Liebe überhaupt galt, so ist es auch bei den Corsen. In Corsica gilt das geschwisterliche Verhältniß für das heiligste, und der Name Bruder und Schwester bezeichnet das reinste Glück des Herzens, seinen edelsten Schatz oder seinen schmerzlichsten Verlust. Der älteste Bruder, als die Stütze der Familie, ist eine Person der Verehrung schon an sich. Ich glaube nichts spricht so klar das gesammte Empfinden und das sittliche Wesen eines Volkes aus, als sein Lied. Das corsische Lied ist ganz eigentlich die Todtenklage oder das Rachelied; und die meisten dieser Rachelieder sind die Klagen der Schwester um den Bruder, welcher gefallen ist. Ich habe überhaupt gefunden, daß wo in diesen Gesängen alles Lob und alle Liebe auf den Todten gehäuft wird, es von ihm heißt: er war mein Bruder. Selbst das Weib nennt den Mann im höchsten Ausdruck der Liebe: Bruder. Es überraschte mich eben dieselbe Ausdrucks- und Gefühlsweise im serbischen Volksliede wieder zu finden, denn auch die Serbin bezeichnet ihren Mann mit dem höchsten Liebesnamen Bruder, und wo bei den Serben der heilige Schwur geschworen wird, schwört man ihn bei dem Bruder. – Bei unverdorbnen Völkern bewahrt sich die Naturreligion des Herzens in ihren einfachsten Empfindungsweisen; sie sind auf das gegründet was das allein dauernde in den Verhältnissen des Lebens ist, denn das Gefühl des Volkes haftet an dem was einfach ist und was besteht. Die Geschwisterliebe wie die Elternliebe ist das einfachste und dauerndste Verhältniß auf Erden, weil es leidenschaftslos ist. Die Geschichte des menschlichen Elends aber beginnt mit dem Kain, dem Brudermörder.

Wehe also dem, welcher des Corsen Bruder oder Blutsverwandten erschlagen hat. Die That ist geschehn – der Mörder entspringt aus doppelter Furcht, vor der Justiz, welche den Mord bestraft, und vor der Verwandtschaft des Erschlagnen, welche den Mord rächt. Denn sobald die That ruchbar geworden ist, greifen die Verwandten des Gefallenen zu den Waffen und eilen, den Mörder zu treffen. Der Mörder entsprang zum Buschwald, er klimmt dort vielleicht zum ewigen Schnee empor; seine Spur ist verloren. Aber er hat Verwandte, Brüder, Vettern, einen Vater; die Verwandten wissen, daß sie mit ihrem Blut für die That einstehen müssen. Sie bewaffnen sich also und sind auf ihrer Hut. Das Leben derer, welche im Stande der Vendetta sich befinden, ist ungemein elend. Wer die Vendetta zu fürchten hat, schließt sich in sein Haus und verrammelt sofort die Thüren und Fenster, in welchen er nur Schießscharten übrig läßt. Mit Stroh und Matratzen werden die Fenster verkleidet, man nennt dies inceppar le fenestre. Das corsische Haus in den Bergen, schon an sich hoch, fast turmartig, enge, mit einer sehr hohen steinernen Treppe, wird leicht zur Festung. In dieser Schanze hält sich der Corse, immer auf seiner Hut, daß ihn nicht eine Kugel durch das Fenster erreiche. Bewaffnet ackern seine Verwandten, stellen Wachen aus, sind keines Schrittes mehr auf dem Felde sicher. Man erzählte mir von Beispielen, daß Corsen zehn, ja fünfzehn Jahre lang ihre verschanzte Wohnung nicht verließen und in steter Todesangst so lange Zeit ihres Lebens belagert hinbrachten. Denn die corsische Rache schläft nimmer und der Corse vergißt nicht. Es ereignete sich in Ajaccio vor kurzer Zeit, daß ein Mann welcher zehn Jahre in seinem Zimmer gelebt und endlich sich auf die Straße gewagt hatte, bei seiner Rückkehr vor der Schwelle seines Hauses todt niederstürzte. Die Kugel dessen, der zehn Jahre lang über ihm gewacht, hatte ihm das Herz durchbohrt.

Ich sehe hier in den Straßen Bastia's einen Mann umher gehen, den das Volk Nasone nennt, weil er eine große Nase hat. Er ist ein Gigant an Gestalt und überdieß noch durch ein zerrissenes Auge entstellt. Vor Jahren lebte er in dem benachbarten Ort Pietra Nera. Er beleidigte einen aus dem Dorf. Dieser schwor Rache. Nasone verschanzte sich in seinem Haus und versperrte die Fenster, um vor einem Flintenschusse sich zu schützen. Eine geraume Zeit verging, da wagte er sich eines Tages auf die Straße; augenblicklich sprang sein Feind auf ihn zu, ein Winzermesser in der Hand. Sie rangen fürchterlich, Nasone unterlag, und sein Gegner, der ihm bereits einen Hieb in den Nacken gegeben hatte, machte sich eben daran ihm den Kopf auf einem Baumstumpf abzuschlagen, als Leute herzukamen. Nasone ward geheilt, jener entwich in die Macchia. Wieder verging eine geraume Zeit. Eines Tags wagte sich Nasone auf die Straße – eine Kugel kam geflogen und fuhr durch sein Auge. Man hob den Verwundeten auf, und wieder siegte seine riesige Natur und heilte ihn. Der ergrimmte Bandit verwüstete nun Nachts den Weinberg seines Feindes und warf Feuer in sein Haus. Nasone zog in die Stadt, und geht da umher als lebendiges Beispiel corsischer Rache, grauenvoll für den friedlichen Fremdling, der sich seine Geschichte erzählen ließ. Ich sah den entsetzlichen Mann eines Tages am Meer, aber nicht ohne seine Doppelflinte; seine Gestalt flößte mir Schrecken ein, er war anzusehn wie der Rachedämon selbst.

Sich nicht zu rächen gilt bei den echten Corsen für entehrend. Das Rachegefühl ist bei ihnen ein Naturgefühl, eine Leidenschaft welche geheiligt ist. In ihren Liedern hat die Rache einen Cultus und wird gefeiert wie eine Religion der Pietät. Ein Gefühl aber welches das Volk in sein Lied aufgenommen hat, ist unaustilgbar und im höchsten Maße dann, wenn es auch das Weib als sein Empfinden geadelt hat. Die meisten Rachelieder der Corsen haben Mädchen und Weiber gedichtet, und man singt sie von den Bergen bis zum Strande. Das gibt eine wahrhafte Rache-Atmosphäre, in welcher das Volk lebt und die Kinder aufwachsen, und so saugen sie den wilden Sinn der Vendetta schon mit der Muttermilch ein. In einem jener Lieder wird gesungen: Zwölf Seelen sind noch zu wenig, um des Gefallnen – – Stiefeln zu rächen. Das ist corsisch. – Einen Menschen wie Hamlet, welcher darnach ringt sich mit dem Geist der Blutrache zu erfüllen und das nicht vermag, würden die Corsen für das elendeste aller Subjecte erklären. Nirgend in der Welt vielleicht gilt Menschenblut und Menschenleben so wenig, als in Corsica. Der Corse ist bereit es zu vergießen, aber er ist auch bereit zu sterben. Wer zögert, sich zu rächen, wem vielleicht ein milderer Sinn oder einige Philosophie etwas vom Hamlet gegeben hat, dem raunen die Verwandten zu und Andere beschimpfen ihn, daß er sich nicht gerächt habe. Das nennt man rimbeccare, vorwerfen, eine nicht gerächte Beleidigung erduldet zu haben. Den rimbecco bestrafte das alte genuesische Statut als Aufreizung zum Mord. Es lautet das Gesetz im 19. Capitel dieser Statuten so:

»Von denen welche vorwerfen oder rimbecco sagen.

Wenn einer vorwirft oder in seiner Gegenwart zu andern rimbecco sagt, weil er den Tod des Vaters, des Bruders oder anderer Blutsverwandten nicht gerächt hat, oder weil er sich nicht wegen anderer Beleidigungen und Schimpf ihm selber angethan gerächt hat, so soll er für jedes Mal von 25 bis 50 Lire bestraft werden, nach Gutdünken der Behörde und in Rücksicht auf die Eigenschaft der Personen und andere Umstände; und wenn er nicht zahlt oder die Buße innerhalb acht Tagen nicht zahlen kann, soll er auf ein Jahr von der Insel gebannt sein, oder es soll an ihm einmal die Corda angezogen werden, nach Gutdünken des Richters.«

Im Jahr 1581 wurde das Gesetz selbst so weit verschärft, daß dem rimbecco sagenden die Zunge öffentlich durchstochen wurde. – Nun sind es besonders die Frauen, welche die Männer zur Rache antreiben, durch das Rachelied an der Leiche des Erschlagenen und durch das Vorzeigen des blutigen Hemdes. Die Mutter heftet wol auch ihrem Sohn einen blutigen Fetzen vom Hemd des Vaters an das Kleid, als beständige Mahnung, daß er sich zu rächen habe.

In ehemaligen Zeiten hatten die Corsen die ritterliche Fehdesitte, den Blutrachekrieg zuvor anzukündigen und auch bis zu welchem Gliede die Rache sich erstrecken sollte. Die Sitte ist abgekommen. Bei der engen Verbindung der Sippschaften (parentado) kreuzt sich natürlich die Vendetta; solche kreuzweise Rache nennt man in Corsica vendetta transversale.

Es hängt nun damit als ganz natürliche Folge der corsische Familienkrieg zusammen, noch bis auf den heutigen Tag die Geißel des unglücklichen Landes. Denn diejenigen Familien welche in der Vendetta liegen, ziehen sofort alle ihre Verwandte und selbst Freunde mit hinein, und in Corsica gibt es wie bei Nationen ähnlicher Gesellschaftslage auch noch das feste Band des Stammes. So entstehen Familienkriege innerhalb ein und desselben Dorfs oder von Dorfschaft zu Dorfschaft, von Tal zu Tal, und jahrelang wird Krieg geführt und Blut vergossen. Blutrache oder geringere Beleidigungen, zufällige Anlässe geben dazu die Gelegenheit, und bei dem Jähzorn der Corsen muß jeder Hader leicht blutig werden, da sie alle bewaffnet sind. Der Krieg erstreckt sich bis auf die Kinder; man kennt Beispiele, daß Knaben aus feindlichen Sippschaften einander erdolcht oder erschossen haben. Es gibt in Corsica gewisse Clientelverbindungen, Ueberreste der alten Feudalzustände aus der Zeit der Signoren, und besonders hat sich dieser Patronat im Lande jenseits der Berge erhalten, wo die Nachkommen der alten Signoren noch in ihren Orten wohnen. Sie haben keine Lehnvasallen mehr, aber von ihnen abhängige Leute, Freunde, Verpflichtete, Dienstbare. Leicht scharen sich diese als Familienanhang zusammen, und dies sind denn nach corsischem Ausdruck die patrocinatori oder geniali. Wie im Mittelalter in den italienischen Städten wird also in Corsica der Krieg der Familien noch fortgeführt als letzter Rest der Signorenfehden, wenn man will. Hartnäckig hat die granitne Insel das Altertum festgehalten, und ihre Geschichte, der fortdauernde Bürgerkrieg auf ihr, veranlaßt durch den Ehrgeiz und den Kampfesübermut der Signoren, hat dem Lande bis auf den heutigen Tag den Parteigeist aufgedrückt.

In Corsica hat der fürchterliche Begriff Feindschaft seine volle, alte Bedeutung. Der Feind ist dort der Todfeind; wer in Feindschaft lebt geht aus auf Feindesblut und sein eigenes Blut muß er daran geben. Auch wir haben den alten Begriff Todfeind noch aus dem Naturzustande herüber genommen, aber wir drücken mehr Abstractes damit aus. Unsere Todfeinde wollen uns nicht morden, sie thun uns Böses hinter dem Rücken an, sie verleumden uns, sie schaden uns heimlich auf jede Weise; oft wissen wir nicht einmal, wer sie sind. Die Feindschaften in der Civilisation haben in der Regel etwas Gemeines, daher kann der edle Mensch in unserer Gesellschaft nicht mehr Feind sein, er kann nur verachten. Auf den Leib aber gehen sich die Todfeinde in Corsica, die Waffen in der Hand; sie haben sich laut und öffentlich Rache bis aufs Blut geschworen, und wo sie sich treffen dolchen und erschießen sie einander. Das hat etwas fürchterlich Männliches, naturkräftig Wildes. So barbarisch ein solcher Gesellschaftszustand ist, so nötigt er uns doch, die natürliche Kraft zu achten, zumal da der corsische Bluträcher oft eine wahrhaft tragische Person ist, vom Schicksal, weil von der geheiligten Sitte zum Mord gezwungen. Denn auch ein von Natur edler Mensch kann dort zum Kain werden, und wer auf den Bergen dieser Insel als Bandit umherirrt trägt oftmals nur den Fluch der barbarischen Sitte, und kann ein Mensch von solchen Tugenden sein, welche ihn in der bürgerlichen Gesellschaft ehren und auszeichnen würden.

Eine einzige Leidenschaft aus edler Quelle entsprungen – Rache und nichts mehr als Rache! es ist wunderbar, mit welcher unwiderstehlichen Gewalt sie den Menschen ergreift. Die Rache ist die Schicksalsgöttin der armen Corsen, sie macht ihre Lebensgeschichte. Und so wird hier der Mensch durch eine einzige Leidenschaft zu dem fürchterlichsten Dämon und schonungsloser als der Würgengel, denn er begnügt sich nicht mit der Erstgeburt. Aber so nächtig dunkel die Menschengestalt hier erscheint, so erzeugt diese finstre Leidenschaft wieder ihre lichtvollen Gegensätze. Wo Feinde auf Tod und Leben sind, sind auch Freunde auf Tod und Leben; wo die Rache das Herz mit Tigermordgier zerfleischt, da kommt auch die Menschenliebe und reißt es zu den erhabensten Entschlüssen hin; da ist ein heroisches Selbstvergessen und die göttliche Milde des Verzeihens, und nirgend möchte man die christliche Moral: Liebe deinen Feind, christlicher verwirklicht finden, als in dem Lande der Blutrache.

Oft legen sich auch Mittler, Parolanti genannt, zwischen die Feindschaften, und in ihre Hand schwören die Parteien den Eid der Versöhnung. Der Eid ist heilig wie die Religion; wer ihn gebrochen hat ist vor Gott und Menschen ehrlos und geächtet. Selten wird er gebrochen, aber doch gebrochen, denn im menschlichen Herzen hat der Dämon sein Nest gemacht.


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