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Die Casa Bonaparte.
Aus der Gasse S. Charles tritt man auf einen kleinen viereckigen Platz. Ein Ulmbaum steht dort vor einem gelbgrau übertünchten Hause von drei Stockwerken, mit plattem Dach, mit sechs Fenstern und mit verbraucht aussehenden Thüren. An der Ecke dieses Hauses liest man die Aufschrift »Place Letitia.«
Keine Marmortafel sagt dem Fremden, der aus Italien kam, wo die Häuser großer Menschen ihre Inschriften tragen, daß er vor der Casa Bonaparte steht. Er klopft an der Thüre; keine Stimme antwortet; alle Fenster sind mit grauen Laden versperrt, als befinde sich das Haus im Verteidigungsstande der Vendetta. Kein Mensch zeigt sich auf dem Platz. Alles ringsum scheint hinweggestorben oder hinweggescheucht von dem Namen Napoleon.
Endlich erschien ein alter Mann an einem Fenster der Nachbarschaft und beschied mich nach zwei Stunden wiederzukommen, wo er mir den Schlüssel besorgen wollte.
Bonaparte's Haus, seither wenig verändert, wie man mir versicherte, ist immer die Wohnung einer angesehenen Familie gewesen. Dies zeigt sein Aussehn, und geradezu ist es ein Palast zu nennen im Vergleich mit der Hütte, in welcher Paoli geboren wurde. Alle Geräte sind aus den Zimmern verschwunden, nur die Tapeten hat man auf den Wänden gelassen, und auch sie sind veraltet. Der Fußboden, welcher nach corsischem Gebrauch mit sechskantigen roten Fliesen ausgelegt ist, zeigt sich schon hie und da schadhaft.
Einst glänzte dieses Wohnhaus von einem großen Familienleben und von froher Gastlichkeit, heute gleicht es einem Todtengewölbe, und vergebens sucht man nach einem Gegenstand umher, an dem die Phantasie einen Anhalt für die Geschichte der rätselhaften Bewohner fände.
Ich weiß nicht, wann das Hans gebaut wurde, doch schwerlich ist es alt. Damals beherrschte Genua die Insel, und vielleicht erfüllte Ludwig XIV. die Welt mit seinem und mit Frankreichs Ruhm. Ich dachte an die Zeit, da der Meister dieses Haus richtete und seinen üblichen Segen sprach, und nach geheiligter Sitte die Sippschaft die Familie hineingeleitete, welche es hatte bauen lassen; ahnungslos, daß einst das launenhafte Schicksal Kaiser- und Königskronen über dieses Dach ausschütten würde, und daß es die Wiege eines länderverschlingenden Fürstengeschlechts werden sollte.
Die erregte Phantasie sucht sie in diesen Zimmern und sieht sie um ihre Mutter versammelt, Kinder, gewöhnlich wie andere Menschenkinder, Schulbuben, welche bei ihrem Plutarch oder Julius Cäsar schwitzen, vom ernsten Vater und vom Großonkel Lucian gemeistert, und die drei jungen Schwestern, welche sorglos und ziemlich wild aufwachsen wie ihre Nachbarinnen in der halbbarbarischen Inselstadt. Da ist Joseph, der älteste, da Napoleon der zweitgeborne, Lucian, Louis, Jerome, da Caroline, Elise und Pauline, die Kinder eines Notars von mittelmäßigem Einkommen, der mit den Jesuiten in Ajaccio unausgesetzt und vergebens Processe führt, ein ihm bestrittenes Gut zu gewinnen, dessen seine sehr zahlreiche Familie benötigt ist. Denn die Zukunft seiner Kinder macht ihm Sorgen. Was werden sie einmal in der Welt werden, und auf welche Weise ein wolhabendes Dasein sich sichern? –
Und siehe da! dieselben Kinder langen sich eines Tags eins nach dem andern die mächtigsten Kronen der Erde, reißen sie von den Häuptern der unnahbarsten Könige Europa's, tragen sie vor aller Welt, lassen sich von Kaisern und Königen als Brüder und Schwäger umarmen, und große Völker fallen zu ihren Füßen und geben den Söhnen des Notars in Ajaccio Blut und Vermögen preis. Napoleon ist europäischer Kaiser, Joseph König von Spanien, Ludwig König von Holland, Jerome König von Westfalen, Pauline eine Fürstin Italiens, Elise eine Fürstin Italiens, Caroline eine Königin von Neapel. So viele gekrönte Herrscher gebar und erzog in diesem kleinen Hause eine der Welt unbekannte Bürgerstochter einer kleinen kaum genannten Inselstadt, Letitia Ramolino, welche vierzehn Jahre alt einen eben so unbekannten Mann heiratete. Ihre Wehen waren Wehen der Weltgeschichte.
Es gibt kein Märchen aus tausend und einer Nacht, das märchenhafter wäre als die Geschichte der Familie Bonaparte. Daß aber dieses Märchen in den ganz nüchternen Tagen der neueren Zeit Wahrheit geworden ist, muß man als ein großes Ereigniß und ein großes Glück betrachten. Hat es doch die Geschichte der Menschheit, welche durch die politische Regel in Verknöcherung versank und in einem legitimen Kastenwesen erstarrte, gewaltsam durchbrochen, neu bewegt, mit neuem Geist erfüllt und den Mann über das politische Schicksal gestellt. Es hat die Menschenkraft und Menschenleidenschaft vom Bann der Ständebeschränkungen losgerissen, und gezeigt, daß der Einzelne, auch wenn er im Staube geboren ist, alles werden darf, weil die Menschen sich gleich sind. Daß nun die Geschichte der Bonaparte märchenhaft erscheint, ist allein die Schuld der mittelalterigen Zustände, in denen sich das Leben noch bewegt und jener überkommenen Ansichten von den unerschütterlichen Unterschieden der Gesellschaft. Napoleon ist der politische Faust. Nicht in seinen Schlachten, sondern in seinem revolutionären Wesen liegt seine weltgeschichtliche Größe. Er hat die legitimen Götter der Politik gestürzt. Die Geschichte dieses Menschen ist darum sehr einfach, sehr menschlich und natürlich, aber heute kann sie noch nicht geschrieben werden.
Auch die Geschichte ist Natur. Es gibt eine Kette von Ursachen und Wirkungen, und was wir Genie oder einen großen Menschen nennen, ist immer das notwendige Erzeugniß bestimmter Bedingungen.
Ein mehr als tausendjähriger Kampf Corsica's mit seinen Bezwingern war vorangegangen, ehe der große Sieger Napoleon geboren wurde, in dessen Natur sich dies felsenfeste Eiland und dies im Schlachtenkampf gestählte, auf engstem Raum zusammengedrängte Inselvolk ein Organ geschaffen hat, dessen Gesetz war: die Schrankenlosigkeit. Dies ist die Reihe aufwärts, der corsische Bandit, der corsische Soldat, Renuccio della Rocca, Sampiero, Gaffori, Pasquale Paoli, Napoleon.
Ich trat in ein kleines Zimmer mit blauen Tapeten und zwei Fenstern, von denen das eine nach einem Hofbalkon, das andere nach der Straße geht. Man sieht darin einen Wandschrank hinter einer Tapetenthüre, und einen Kamin, der mit gelbem Marmor eingefaßt und mit mythologischen Reliefs geziert ist. In diesem Zimmer kam am 15. August 1769 Napoleon zur Welt. Es ist doch ein seltsames Gefühl, welches die Seele auf einer Stätte ergreift, wo ein ungewöhnlicher Mensch geboren ward. Es ist, als werfe man einen Blick hinter den Vorhang der Natur, wo sie die Organe ihrer Bewegung schafft. Aber nichts erkennen wir als das Erscheinende, und nach dem Wie fragen wir stets vergebens.
Noch andere Räume zeigt man, den Tanzsal der Familie, das Zimmer der Madame Letitia, das kleine Zimmer Napoleons, wo er schlief, und das, worin er arbeitete. Es sind dort noch zwei kleine Wandschränke zu sehen, in denen seine Schulbücher standen. Auch jetzt stehen Bücher darin. Neugierig griff ich darnach, als ob es die Napoleons gewesen wären; es waren vergilbte Rechtsbücher, theologische Dinge, ein Livius, ein Guicciardini und andere, wol Eigentum der Familie Pietra Santa, die mit den Bonaparte verwandt ist und gegenwärtig ihr Haus besitzt.
In diesem Hause ist es gut die Jugendgeschichte Napoleons sich zu vergegenwärtigen, welche noch immer nicht gehörig begründet ist. Was ich davon weiß, hörte, las, will ich erzählen. Vieles verdanke ich dem eben erschienenen Buch eines Corsen Nasica: Mémoires sur l'enfance et la jeunesse de Napoléon jusqu'à l'age de vingt-trois ans. Das Buch ist dem Neffen des Onkels gewidmet, geistlos geschrieben, aber es enthält unbezweifelt richtige Thatsachen und einige schätzenswerte Documente.