Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Zweites Kapitel.

Von Ornano nach Sartene.

Der Taravo macht die Grenze zwischen der Provinz Ajaccio und der von Sartene, des südlichsten der corsischen Arrondissements. Gleich am Eingang liegt der schöne Canton Petreto und Bicchisano, welcher sich am Taravo bis zum Golf Valinco hinunterzieht. Die Ansicht der Landschaft und des tief unten flutenden Meerbusens gilt selbst den Corsen für eine der herrlichsten ihrer Insel. Ueberhaupt sind alle diese Gegenden jenseits der Berge von überraschend mächtiger Art und tragen den edelsten Stempel der Urnatur. Es liegen in diesem Canton zerstreut die Ruinen der Herrenschlösser von Istria, aber kläglich zertrümmert und nur selten so weit aufrecht, daß man ihr schwarzes Mauerwerk auf den ersten Blick vom Granit der Felsen unterscheiden kann.

Aus einem Berg oberhalb Sollacaro stehen die Trümmer eines Schlosses jenes in der Geschichte genannten Vincentello d'Istria tief begraben unter Baumesschatten und Schlingpflanzen. An dieses Schloß knüpft sich eine der wilden Sagen, welche die Corsen und auch die furchtbare Zeit des Mittelalters bezeichnen. Es stand hier früher ein andres Schloß, in welchem eine schöne und unbändige Dame Savilia wohnte. Diese lockte einst einen mächtigen Herrn, Giudice von Istria, in ihre Burg, nachdem sie ihm ihre Hand zugesagt hatte. Istria kam und Savilia ließ ihn in das Turmverließ werfen. Aber jeden Morgen stieg sie zum Gefängniß hinab, und indem sie sich am Gitter desselben vor den Augen Istria's entblößte, höhnte sie ihn mit den Worten: schaue mich an, ist dieser Leib gemacht von einem häßlichen Manne wie du bist genossen zu werden? So trieb sie es lange Zeit, bis es Istria endlich gelang zu entkommen. Rachevoll zog er mit seinen Vasallen vor Savilia's Burg, erbrach sie und machte sie dem Boden gleich; die schöne Amazone setzte er in eine Hütte auf einen Scheideweg, wo er sie zwang, sich jedem Vorübergehenden hin zu geben. Savilia verschied am dritten Tage. – Später baute Vincentello d'Istria an der Stelle der zerstörten Burg jene, welche nun auch in Trümmern liegt.

Die nächste Pieve Olmeto war ein Lehn der Istria. Hochstrebende Berge umschließen den Hauptort Olmeto von der einen Seite, nach der andern liegt ihm zu Füßen ein stilles Olivental, welches der Golf von Valinco bespült. Auch hier zeigte man mir auf einem der schroffsten Berge, dem Buttareto, die Trümmer eines Castells, welches ehedem die Burg des Arrigo della Rocca gewesen war. Erhaben und zaubervoll ist der Blick von Olmeto in das Tal und auf den Golf. Seine Linien sind sanft, seine Ufer braun und schweigend. Seine äußersten Landspitzen sind nördlich das Cap Porto Pollo, südlich Campo Moro. Der Name Mohrenlager, welchen das Cap, ein kleiner daran gelegener Ort und ein Wachtturm führen, weckt lebhaft die Erinnerung an die Saracenen, die ehemals so oft hier landeten. Von der saracenischen Eroberung durch den sagenhaften Maurenkönig Lanza Ancisa her, hat die Insel Corsica noch ihr Wappen behalten, den Mohrenkopf mit der Stirnbinde. Maurisch braun ist hier alles Uferland und von einer unsaglichen Sommerstille. Als ich nach dem kleinen Hafenort Propriano kam, wehte mich aufs neu dieser Geist der Weltabgeschiedenheit an, den man aus dem öden Insellande so lieb gewinnt. Auf dem Strand aber standen viele Männer, frischblühende, dunkelgelockte Männer, alle das Doppelgewehr auf der Schulter, wie in Bereitschaft, die Saracenen abzuwehren. Der Anblick dieser ernsten Kriegergestalten und die melancholische Wildheit des Uferlandes entrücken ganz in die sagenhafte Saracenenzeit. Mir fällt eine spanische Romanze ein, welche den aus der Geschichte der Corsen bekannten Corsaren Dragut besingt. An diesem Golf läßt sie sich unter Kriegergestalten wol vernehmen.

Dragut vor Tarifa.
                            Angesichtes von Tarifa
Wenig mehr denn eine Meile,
Meister Dragut der Corsare,
Der Corsar zu See und Lande,
Von den Christen er entdeckte
Und von Malta Segel fünfe.
Deshalb ward er da genötigt
Laut und hörbar so zu rufen:
Al arma! al arma! al arma!
Cierra! cierra! cierra!
Que el enemigo viene à darnos guerra.

Meister Dragut der Corsare
Ein Kanon abfeuern ließ er,
Das Signal sie sollten hören
Die da Holz und Wasser holten.
Antwort gaben da die Christen
Von dem Strand und den Galeren,
Und vom Hafen auch die Glocken
In das Schreien lärmten also:
Al arma! al arma! al arma!
Cierra! cierra! cierra!
Que el enemigo viene à darnos guerra.

Und der Christ der darob weinte,
Daß die Hoffnung ihm gestorben,
Heitert auf nun seine Trauer,
Weil er seine Freiheit hoffet.
Dragut mit den Capitanen
Augenblicks den Kriegsrat hielt er,
Ob zu warten gut sie thäten,
Ob die Segel aufzuhissen:
Al arma! al arma! al arma!
Cierra! cierra! cierra!
Que el enemigo viene à darnos guerra.

Und die Andern sagten also:
Warte! Warte! Laß sie nahen,
Wenn in hohe See wir kommen,
Dann wird unser sein Victoria.
Dragut laut und hörbar rief er:
Ihr Canaljen auf zum Kampfe,
Kanoniere allmitsammen,
Laden, schießen, laden, rufen:
Al arma! al arma! al arma!
Cierra! cierra! cierra!
Que el enemigo viene à darnos guerra.

Am 12. Juni 1564 landete Sampiero im Golf von Valinco – ein erzner Klang mehr in diesen kriegerischen Erinnerungen.

Nach dem Lande zu erhebt sich die Gegend zum wüsten Gebirg, dessen Seiten mit grauem Felsgetrümmer überstreut sind. Steine, Gestrüpp, Ufersand und ein Sumpf machen diesen Strich besonders traurig. Doch wächst hier die immergrüne Eiche und die Korkeiche reichlich, und das rauhe Land trägt Korn und volltraubigen Wein. – Endlich sah ich Sartene vor mir, einen großen Ort, schwermutsvoll in schwermütigen Bergen vereinsamt.


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