Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Fünftes Kapitel.

Seneca morale.

            – e vidi Orfeo
Tullio e Livio e Seneca morale.
Dante.

Manche schöne Frucht zog Seneca in seinem Exil, und vielleicht verdankte er einen Teil seiner erhabnen Weltbetrachtung eher der corsischen Einsamkeit als den Lehren eines Attalus und Socio. In der Trostschrift an seine Mutter Helvia schreibt er ihr am Ende: Siehe nun, so sollst du mich denken: froh und heiter wie im Glücke. Das ist aber das beste Glück, wenn der Geist ohne Nebengedanken seiner Thätigkeit hingegeben ist, und sich bald an leichteren Studien ergötzt, bald nach Wahrheit dürstend zur Betrachtung seiner eignen Natur und der des Alls sich erhebt. Zuerst erforscht er die Länder und ihre Lage, dann die Beschaffenheit des umströmenden Meers, seine wechselnde Ebbe und Flut; dann betrachtet er, was zwischen Himmel und Erde Furchtbares liegt, und diesen durch Donner, Blitze, Windesbrausen, Regenguß, Schnee und Hagel aufgeregten Raum; endlich wenn er die niederen Regionen durchwandert hat, nimmt er zum Höchsten seinen Flug und genießt das schönste Schauspiel der himmlischen Dinge, und seiner Ewigkeit eingedenk geht er in Alles ein, was da war und sein wird in alle Ewigkeit.

Als ich Seneca's Trostschrift an seine Mutter in die Hand nahm, war ich nicht wenig neugierig, in welcher Weise er sie trösten würde. Wie mag wol heute irgend einer der tausend Verbannten von Bildung, welche in der Welt zerstreut sind, eine Mutter trösten? – Seneca's Brief ist eine ganz schulgerechte Abhandlung von 17 Kapiteln. Sie ist ein lehrreicher Beitrag zur Psychologie jener stoischen Menschen. Der Sohn will weniger die Mutter trösten als eine treffliche Schrift verfassen, deren Logik und Stil man bewundern soll. Er ist ganz stolz darauf, daß sie eine neue literarische Gattung sein werde. Der eitle Mann schreibt an seine Mutter, wie ein Schriftsteller an einen Kritiker, mit dem er seinen Gegenstand kühl erwägt. Ich habe, so sagte er, alle Werke der größten Genies nachgeschlagen, welche zur Mäßigung der Trauer geschrieben sind, aber kein Beispiel gefunden, daß Jemand die Seinigen getröstet, wenn sie um ihn selbst weinten. So kam ich bei dem neuen Fall in Verlegenheit und fürchtete die Wunden aufzureißen, statt sie zu heilen. Müßte nicht ein Mensch, der vom Scheiterhaufen selbst sein Haupt erhebt, um die Seinen zu trösten, neue und nicht aus der täglichen Umgangssprache hergenommene Worte nötig haben? Jeder große und ungewöhnliche Schmerz muß eine Auswahl von Worten treffen, da er doch oft das Wort selber versagt. Nun denn, ich will es wagen, nicht im Vertrauen auf mein Genie, sondern weil ich selbst statt der wirksamsten Tröstung Tröster sein kann; dem du nichts abschlagen könntest, wirst du wie ich hoffe (obwol jeder Schmerz störrisch ist) nicht versagen, daß du deinem Gram durch mich eine Grenze setzen lässest.

Nun fängt er auf die neue Art zu trösten an, indem er der Mutter vorrechnet, was sie schon alles erlitten hat und daraus den Schluß zieht, daß sie schon abgehärtet sein müsse. Durch die ganze Abhandlung klappert das Skelett der Disposition: erstens, die Mutter soll nicht um seinetwillen trauern; zweitens, die Mutter soll nicht um ihretwillen trauern. Der Brief ist voll der schönsten stoischen Weltverachtung.

»Aber es ist doch schrecklich, das Vaterland zu missen.« Was ist dagegen zu sagen? Mutter, sieh doch die ungeheure Volksmenge in Rom; der größte Teil derselben ist aus dem ganzen Erdkreise zusammengeströmt. Die einen hat Ehrgeiz aus der Heimat getrieben, andere das öffentliche Leben, eine Gesandtschaft, Genußsucht, Laster, Studium, Schauspiel, Freundschaft, Speculation, Beredsamkeit, schöne Gestalt. Sodann abgesehen von Rom, das man freilich als die Vaterstadt aller betrachten kann, gehe doch in andere Städte, gehe auf Inseln, hieher nach Corsica, überall sind mehr Fremde als Einheimische. »Denn dem Menschen ist ein beweglicher Wandersinn gegeben, weil er vom himmlischen Geiste bewegt wird. Betrachte die welterleuchtenden Gestirne; ihrer keines bleibt stehn, unaufhörlich wandern sie ihre Bahn und wechseln ewig ihren Ort.« Diesen schönen Gedanken hat dem Seneca sein Dichtertalent eingegeben. Unser bekanntes Wanderlied sagt: die Sonne sie bleibet am Himmel nicht stehn, es treibt sie durch Meere und Länder zu gehn.

»Gegen die Veränderung des Ortes selbst, fährt Seneca fort, hält Varro der gelehrteste Römer das für die beste Beruhigung, daß die Natur der Dinge überall dieselbe sei. Marcus Brutus findet genug Trost darin, daß wer ins Exil geht sein Gutes mit sich nehmen kann. Ist es nicht eine Kleinigkeit was wir verlieren? Wohin wir uns wenden mögen, gehen zwei herrliche Dinge mit uns: die Natur die überall, und die Tugend die unser eigen ist. Laß uns durch alle möglichen Länder gehen, wir werden keinen Teil der Erde finden, der dem Menschen nicht Heimat sein könnte. Von überall steigt der Blick gen Himmel, und in gleicher Weite stehn alle göttlichen Welten von allem Irdischen entfernt. So lange also meinen Augen jenes Schauspiel, das zu sehen sie nicht satt werden können, nicht verschlossen wird, so lange ich Mond und Sonne schauen darf, so lange mein Blick an den übrigen Sternen haften, ihren Aufgang und Untergang, ihre Räume und die Ursachen erforschen darf, warum sie schneller oder langsamer wandeln, so lange ich die unzähligen Sterne der Nacht schauen darf, wie die einen unbeweglich sind, die anderen nicht großen Raum durcheilend, sondern in ihrer eigenen Bahn kreisend, manche plötzlich hervorblitzend, manche mit Stromfeuer das Auge blendend als ob sie fielen, oder im langen Zuge mit Lichtflut vorüber wallend; so lange ich bei diesen bin und so viel dem Menschen erlaubt ist im Himmlischen wohne, so lange ich den Geist, welcher nach dem Anschaun verwandten Wesens trachtet, im Aeter halten kann: was kümmert es mich, welchen Boden mein Fuß tritt? Also es trägt dieses Eiland nicht fruchtbringende noch wonnige Bäume, es wird nicht von großen und schiffbaren Strömen bewässert, es erzeugt nichts was andre Völker begehren möchten, es ist kaum für die Notdurft der Bewohner fruchtbar, kein kostbarer Stein wird hier gehauen (non pretiosus hic lapis caeditur), nicht Gold- noch Silberadern zu Tage gebracht. Der Geist ist enge, der am Irdischen sich ergötzt. Auf das ist er zu leiten, was überall gleich erscheint und überall erglänzt.« –

Hätte ich Humboldts Kosmos zur Hand, so würde ich nachsehen, ob der große Naturforscher diese erhabenen Perioden Seneca's da berücksichtigt hat, wo er von dem Sinn der Alten für Naturschönheit handelt.

Auch dies ist schön und geistreich: Je länger sie ihre Hallen bauen, je höher sie ihre Türme erheben, je breiter sie ihre Straßen dehnen, je tiefer sie ihre Sommergrotten graben. Je massiger sie ihre Speisesäle aufgipfeln, um desto mehr verdecken sie sich den Himmel. – »Brutus erzählt in seinem Buch über die Tugend, daß er den Marcellus im Exil zu Mytilene gesehn, und daß er so viel es die menschliche Natur vergönnt, höchst glückselig gelebt habe und niemals den schönen Künsten mehr ergeben gewesen sei. Daher, fügt er hinzu, weil er selbst ohne ihn zurückkehren sollte, habe es ihm geschienen, er vielmehr gehe ins Exil und nicht jenen lasse er in der Verbannung zurück.«

Nun folgt das Lob der Armut und der Genügsamkeit im Gegensatz zur Schlemmerei der Reichen, welche alle Tiefen durchsuchen, um ihren Gaumen zu kitzeln, vom Phasis her das Wild, und die Vögel von den Partern holen, welche sich erbrechen um essen zu können, und essen um sich zu erbrechen. Der Kaiser Caligula, sagt Seneca, den mir die Natur erzeugt zu haben scheint, um darzuthun, was im höchsten Glück das höchste Laster vermöge, hat an einem Tage für zehn Millionen Sesterzien gespeist und obwol er dabei durch alle erfinderischen Menschen unterstützt wurde, hat er es doch kaum heraus gebracht, wie man den Tribut von drei Provinzen in eine einzige Malzeit verwandeln könne. – Wie Rousseau predigt Seneca die Rückkehr der Menschen zum einfachen Naturzustande. Die Zeiten beider Moralisten waren einander gleich; sie selbst sind in der Schwäche des Charakters sich ähnlich, obwol Seneca gegen einen Rousseau ein Römer und ein Heros war.

»Scipio's Töchter bekamen aus dem Staatsschatz ihre Aussteuer, weil der Vater ihnen nichts hinterließ. O glückliche Männer der Mädchen, ruft Seneca aus, denen das römische Volk Schwiegervaters Stelle vertrat! Wirst du die für glücklicher halten, deren Ballettänzerinnen eine Million Sesterzien als Heiratsgut mitbringen?«

Nachdem nun Seneca seine Mutter um sein eignes Leiden getröstet hat, tröstet er sie auch um ihrer selbst willen. »Nicht nach Frauen, schreibt er, hast du dich zu richten, deren Traurigkeit, wenn sie einmal sie durchdrang, nur der Tod endigte. Du kennst Manche, die nach dem Verlust ihrer Söhne das angelegte Trauerkleid nie mehr ablegten. Von dir verlangt ein von jeher stärkeres Wesen Größeres. Für diejenige kann die Entschuldigung des Geschlechts nicht gelten, welcher alle weibliche Gebrechen ferne waren. Dich hat nicht das größte Uebel der Gegenwart, die Zuchtlosigkeit, der Menge beigesellt; über dich hatten weder Edelsteine noch Perlen Macht; dich blendeten nicht Reichtümer als das höchste Gut der Menschen; nicht hat dich die in altem und strengem Hause wol Erzogene die Nachahmung den Schlechten vereint, welche auch den Guten gefährlich ist. Niemals hast du dich deiner Kinderzahl geschämt, als ob sie dir dein Alter vorrücken; niemals hast du wie Andere, denen schöne Leibesgestalt einzige Empfehlung ist, deinen gesegneten Zustand verborgen, als ob er eine ungeziemende Bürde sei, noch hast du die in deinem Schooß empfangene Hoffnung auf Kinder vernichtet. Nie hast du dein Antlitz durch Flitter und Schminke befleckt; nie gefiel dir ein Kleid, das nur gemacht war, die Blöße zu zeigen. Als die einzige Zier und die höchste nie alternde Schönheit, als der trefflichste Schmuck erschien dir die Sittsamkeit.« So schreibt der Sohn an seine Mutter, und mir scheint, es ist eine recht philosophische Kaltblütigkeit darin zu spüren.

Er erinnert an Cornelia, die Mutter der Gracchen. Doch verhehlt er sich nicht, daß der Schmerz ein ungehorsames Ding sei. Aus dem verstellten Blicke brechen doch die Tränen hervor. Bisweilen besangen wir die Seele mit Spielen und Fechterkämpfen, aber selbst mitten in solchem Anblick beschleicht sie einer Sehnsucht leises Mahnen. Darum ist es besser zu überwinden, als zu täuschen. Denn wenn das Gemüt entweder durch Vergnügen getäuscht oder durch Beschäftigung zerstreut ist, so erhebt es sich wieder und nimmt aus der Ruhe selber die Gewalt zu neuem Toben; doch dauernd ist es still, wenn es der Vernunft nachgegeben hat. Eines Weisen Stimme spricht hier einfache, allein richtige, doch bitter schwere Regeln der Lebenskunst. Deshalb ratet Seneca seiner Mutter nicht die gewöhnlichen Mittel zu gebrauchen (hier muß man doch wieder lächeln), nämlich eine schöne Reise zu machen oder in der Hauswirtschaft sich zu zerstreuen, sondern er ratet zu geistiger Beschäftigung. Er bedauert es hiebei sehr, daß sein Vater, ein vortrefflicher Mann, der aber zu sehr an den Gewohnheiten der Alten hing, sich nicht entschließen konnte, ihr eine philosophische Bildung geben zu lassen. – Das ist mit wenig Strichen ein Porträt vom alten Seneca, ich meine von dem Vater. Man weiß nun, wie er ausgesehn hat. Als die modernen Herren und Damen in Corduba, welche aus der Republik des Platon die Frauenemancipation und die höhere Stellung des Weibes aufgegriffen hatten, dem Alten vorstellten, daß seine junge Frau gut thäte, in die Vorlesungen einiger Philosophen zu gehen, da hat er so herausgepoltert: Dummes Zeug, mein Weib soll keine verdrehte Prinzeß und kein alberner Blaustrumpf werden; kochen soll sie können, Kinder bekommen, Kinder erziehen. Dies sagte der prächtige Herr und setzte im schönsten spanisch noch hinzu: Basta!

Vieles spricht nun Seneca von der Seelengröße, deren auch das Weib fähig sei und er ahnte damals nicht, daß er selbst sie einst sterbend an seinem eignen Weibe Paulina erfahren sollte. Ein edler Mann und ein Stoiker von der erhabensten Gesinnung hat in dieser Trostschrift an Helvia gesprochen. Ist es nun möglich, daß eben derselbe Mann auch denken und schreiben könne, wie ein gemeiner Kriecher und der niedrigsten Schmeichler Einer? –


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