Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Sechstes Kapitel.

Die Stadt Bonifazio.

Um 8 Uhr Morgens fuhr ich von Sartene ab nach Bonifazio, der südlichsten Stadt Corsica's. Es ist ein wüstes Uferland das ich durchreiste, da die Berge allmälig zur Küste herabsinken. Auf der ganzen Fahrt findet man keine Ortschaft, und ich wäre vor Hunger und Durst verschmachtet, wenn nicht mein Reisegefährte Brod und Wein mitgenommen hätte.

Wer nie sein Brod mit Freuden aß, am grauen Oelbaum nie beim Weine saß, der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.

Wir kamen durch das Ortoli-Tal – überall ödes Hügelland und keine Frucht. Der Oelbaum hört auf, nur Korkeichengestrüpp und Arbutus bedeckt die Gegend. Wir näherten uns der Südküste. Nicht weit von der Mündung des Ortoli liegt ein einzelnes Stationshaus, und ihm gegenüber ein Felsenriff, auf welchem der Turm Roccapina steht. Ein bizarr geformter Steinblock erhebt sich neben ihm auf der scharfen Felsenkante. Auffallend gleicht er einem gekrönten Löwen, und so nennt ihn auch das Volk il leone coronato. An diesem Ufer, welches Genua zuerst besetzte, als es den Pisanern Corsica entriß, erscheint der Fels wie das Wappen der Republik selber.

Von dieser Höhe aus erblickte ich zuerst in der Meeresweite, nicht gar fern, die Küsten und Berge Sardiniens. Der Anblick eines fremden Landes, das sich plötzlich dem Blick entfaltet, hier nur seine Linien, dort schon charaktervoll gestaltete Gegenden zeigt, erweckt die angenehmsten Empfindungen ahnungsvoller Sehnsucht. Sie gleichen wol am meisten jenen märchenhaften Phantasien der Kindheit. Vollends eine Insel. – Ich stand also lange auf einem der wüsten Felsblöcke, im heftigen Winde und in der Sonnenglut des Mittags, und sah voll Verlangen über die Meerenge nach der Zwillingsschwester Corsica's. Sie war ganz in lustige blaue Schleier gehüllt, und die vom Maestrale aufgeregten Wellen schäumten um sie her in weißen Brandungen.

Nach zwei Stunden Rast gings weiter längs der Küste. Sie ist von Meeresarmen zerrissen und melancholisch. Kleine Flüsse schleichen durch Sümpfe ins Meer, auf dessen Uferklippen graue Türme Wache halten. Die Luft ist faul und ungesund. Ich sah am Berghange ein paar kleine Orte. Man sagte mir daß sie menschenleer seien: denn erst im September ziehn ihre Bewohner aus den Bergen wieder ein.

Das Meer bildet hier die kleinen Golfe Figari und Ventilegne. Sie gleichen Fiorden; ihre Uferformen sind oft von der bizarrsten Bildung, gleich Reihen von aschgrauen Obelisken sich erhebend.

Die letzte Landspitze Corsica's nach Südwesten, die im Capo di Feno endigende Zunge S. Trinita durchschneidend, erblickt man die weißen Kalkufer Bonifazio's, und diese seltsamste Stadt der Insel, schneeweiß wie das Ufer, hoch darüber – ein überraschender Anblick mitten in der weiten und schwermutvollen Oede.

Das Uferland rings umher ist steinig und buschig. Aber eine halbe Stunde lang fährt man zwischen Olivenhainen und Fruchtgärten bis zur Stadt hin, und ist erstaunt solchen Segen zu finden, welchen der zum Fleiß genötigte Mensch dem kalkigen Boden abgewonnen hat. Bonifazio erzeugt eine Fülle von Oliven, welche denen der Balagna an Güte nicht nachstehen. Zwischen Kalkfelsen fährt man zur Marina hinab. In die Stadt selbst kann man nur zu Pferd oder zu Fuß gelangen, denn man muß den steilen Kalkfelsen auf einem breiten, ausgestuften Wege anklimmen. Ueber zwei Zugbrücken und durch zwei alte Tore gelangt man endlich nach Bonifazio. Die ganze Stadt liegt in der Festung, auf der Hochfläche des Felsens.

Einen schönen Gruß ruft Bonifazio dem Wanderer entgegen, wenn er durch das alte finstre Tor hineinschreiten will; denn auf einem der Türme prangt das große Wort Libertas. Ich las es oft auf Türmen und Stadthäusern Italiens als die kläglichste Ironie der Gegenwart, und auf mancher Fahne hat dies Wort geflunkert. Aber hier nimmt es sich stolz aus auf dem uralten Turm, der von so glänzenden Waffenthaten zu erzählen weiß, und so trat ich in die Stadt mit der frohen Empfindung, zu tapfern und freien Männern zu kommen. Denn noch heute stehn die Bonifaziner in dem Ruf, die am meisten republikanischen, wie die arbeitsamsten und religiösesten Bewohner Corsica's zu sein.

Die Lage Bonifazio's ist sonderbar. Man denke sich eine kolossale weißliche Felspyramide, horizontal geschichtet, umgekehrt und die Basis nach oben, ans Meer gestellt, und auf der Basis hoch in der Luft Festung, Türme und Stadt; so wird man ein Bild von diesem corsischen Gibraltar haben. Der Felsen ist in seiner Façade herausgehölt. Er hängt mit dem Lande zusammen. Von zwei Seiten umbrandet ihn die Meerenge, von der dritten bespült ihn ein schmaler Meeresarm, welcher Golf, Hafen und Festungsgraben zugleich bildet, und von den schroffsten, ja unersteiglichen Bergen umschlossen ist. Die Gewalt des Wassers hat das Ufer ringsumher zerschlagen und die groteskesten Formen gebildet. Von unten, das heißt von der Meeresseite gesehen, welche an vielen Stellen keinen Strandsaum hat, weil das Ufer ganz steil in die See abstürzt, erregt dieser Felsen Grauen. Ich war hinabgestiegen und blickte zu ihm empor, die Wogen brandeten und Wolken zogen am Himmel, da schien es, als wollte der Fels schwanken und über mich zusammenstürzen, eine Täuschung, die um so natürlicher wird als von der Basis desselben ein Teil hinweggerissen ist, und hie und da die vom Wetter geschwärzten Kalkschichten frei in die Luft hinausgreifen. Als ich Bonifazio sah, begriff ich wol, daß Alfonso von Aragon die Stadt nicht nehmen konnte.

Sie zählt 3380 Einwohner und begreift keine Communen in sich. Ihre Häuser sind pisanischen und genuesischen Ursprungs. Alt und verwohnt gleichen sie oft eher Ruinen als Wohnungen. Das Material des Felsens ist in der Regel auch das ihre. Sie sind alle weiß, auch die Mauern und die stumpfen Türme sind weiß. Es würde mir schwer werden ein deutliches Bild von der Stadt selbst zu geben; denn kaum läßt sich dies Gewirre enger Gassen schildern, in denen der Seewind beständig Kaltstaub umherwirbelt, und die man bergauf, bergab durchirrt, überrascht von der Neuheit der Lage, da der Blick, wenn er ins Freie fällt, tief unter sich das Meer entdeckt, das nicht minder blau ist, als hoch oben der Himmel. Oft sind Balken von einem Hause zum andern geschlagen, oft führen finstere Durchgänge aus einer schmalen Gasse in die andere.

Der Wind pfeift und die Meereswellen branden. Es ist unheimlich; man hat keinen Raum. Die einsame Schildwache dort am runden Turm geht auf und ab, umwirbelt von Kalkstaub. Ich will eine Piazza aufsuchen, unter Menschen zu kommen. Aber es gibt keinen Platz. Der Mangel an Raum läßt keine Ausdehnung zu; doch nennt man hier die Hauptgasse die Piazza Doria. Denn die Bonifaziner fühlten wol das Bedürfniß ein Forum zu haben, ohne welches eine Stadt ist wie ein Haus ohne Familienzimmer. Sie nannten also die Hauptgasse ihren Platz. Der Mangel an Breite zwang sie die Häuser hoch aufzubauen. Weil sie nun keine Tiefe haben, sind ihre Treppen sehr steil. An manchem Hause sah ich noch das Wappen Genua's, den springenden gekrönten Löwen, welcher einen Ring in der Kralle hält. Das alte Zeichen weckt stolze Erinnerungen, wie der Name Doria, der sich hier lebend erhalten hat; denn es gibt in Bonifazio noch heute eine Familie Doria, oder richtiger geschrieben d'Oria. Denn dies ist der eigentliche Name jener berühmten genuesischen Herren. Die Corsen haßten Genua bis aufs Blut; wo ich mit ihnen von der alten Republik sprach, fand ich denselben eingefleischten Haß. Alles Elend welches Corsica betraf, seine moralische wie seine physische Wildniß schreiben sie, oft mit Unrecht, den Genuesen zu; aber bei den Bonifazinern steht Genua im besten Andenken, und das begreift sich aus ihrer Geschichte.

Man ist nicht darüber einig, wie im Altertum die Gegend hieß, in welcher das heutige Bonifazio steht. Man hält sie für den Syracusanus portus, oder für die Stadt Pallae, welche immer die letzte ist, die das Itinerarium des Antonin in seiner Angabe der corsischen Stationen aufzählt. Bonifazio selbst wurde von dem toskanischen Markgrafen gegründet, dessen Namen sie trägt; und wir wissen, daß er sie im Jahr 833 nach einem Seesieg über die Sarazenen anlegte. Von den Befestigungen jenes Markgrafen steht noch der große Turm, Torrione; drei andere erheben sich über dem Felsen. Bonifazio führt sie alle in seinem Wappen. Die Stadt kam später an die Pisaner; aber die Genuesen entrissen sie ihnen schon im Jahre 1193. Sie behandelten sie mit großer Liberalität, gaben ihr sehr freie Statuten und ließen sie als Republik unter ihrem Schutz bestehen. Im roten Buch Bonifazio's befindet sich das Instrument, welches der Procurator Genua's Brancaleone d'Oria im Jahr 1321 am 11. Februar unterzeichnete und beschwor. Darnach wurde den Bonifazinern Handelsfreiheit zugestanden; ferner das Recht, sich selbst zu regieren. Sie wählten sich ihre Anziani, und dem Beschluß dieser Aeltesten sollte sich der genuesische Podestà fügen, welcher jährlich in die Stadt gesandt wurde. Er konnte keine Steuer auflegen, noch irgend eine Neuerung ohne den Willen der Anzianen treffen; er durfte Niemand gefangen halten, wenn er Bürgen stellen konnte, es sei denn einen Mörder, Dieb oder Verräter. Sobald ein Podestà nach Bonifazio kam, mußte er schwören, die Statuten der Bürgerschaft aufrecht zu halten. Dieses Instrument ist gezeichnet: per Brancaleonem de Oria et per Universitatem Bonifatii in publico Parlamento. Das klingt stolz genug für einen Ort, der damals kaum 1000 Einwohner zählte.

So errang sich dies tapfere Volk seine Freiheit und wußte sie viele Jahrhunderte zu bewahren.

Die Genuesen ehrten die Bonifaziner auf jede Weise. Wenn eins ihrer Schiffe nach Genua kam und seinen Hafen angab, pflegte man zu fragen, seid ihr aus dem Gebiet von Bonifazio oder aus Bonifazio proprio? Daher hat sich noch heute die populäre Benennung erhalten: er ist ein Bonifazino proprio. Viele genuesische Nobili und Bürger siedelten nach diesem Felsen über, und Bonifazio wurde in Sprache, Sitten und Neigung eine genuesische Colonie. Das erkennt man noch heute, nicht allein an den alten Wappenschildern, sondern am Volk selber.

Gleich Calvi hat Bonifazio Genua stets die Treue gehalten; und so ist es merkwürdig, in diesem Meer des corsischen Hasses, gleichsam zwei Eilande zu finden, auf denen man das tyrannische Genua liebte. Gönnen wir dies den mannhaften Genuesen, ihre herrliche und große Republik hat ja längst ihre Schuld an die Geschichte bezahlt und ist nicht mehr.

Ein Bonifaziner Murzolaccio hat im Jahr 1625 eine eigene Geschichte seiner Stadt geschrieben. Sie ist in Bologna erschienen und ein äußerst seltenes Buch. Ich habe es nicht auftreiben können, und das bedauert, weil mir Bonifazio so lieb geworden ist. Aber hier will ich nach dem Petrus Cyrnäus die denkwürdige Belagerung der Stadt durch Alfonso erzählen, denn wol verdient der Heldenmut der Bonifaziner, neben dem von Numantia, von Carthago und Saragossa in neuerer Zeit, im Gedächtniß der Menschen fort zu leben. Ich gebe Peters Darstellung nicht immer wörtlich und nicht ganz, weil sie zu lang ist.


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