Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Siebentes Kapitel.

Seneca eroe.

Alto morire ogni misfatto amenda.      
Alfieri.

Der Pasquino Seneca verwandelt sich wieder in den edlen Moralisten. Er schreibt seine Abhandlung »von der Gnade an den Kaiser Nero« – ein lächerlicher Widerspruch Nero und die Gnade. Doch weiß man, daß der junge Kaiser, wie alle seine Vorgänger, die ersten Jahre ohne Grausamkeit regierte. Die Schrift Seneca's ist wieder herrlich, weise und voll Adel der Gesinnungen.

Nero überschüttete seinen Lehrer mit Reichtümern, und der Verfasser des Tractats über die Armut besaß ein fürstliches Vermögen, Gärten, Aecker, Paläste, Villen vor dem nomentanischen Tor, in Bajä, im Albaner Gebirge, über sechs Millionen an Wert. Er hatte Zins- und Wuchergeschäfte in Italien, wie in den Provinzen, scharrte Geld zu Geld und kroch hündisch vor Agrippina und ihrem Sohne bis das Blatt umschlug.

Nach vier Jahren hatte sich Nero von allen Banden entfesselt. Den Muttermord hatte der furchtsame Seneca nicht verhindert. Der edle Tacitus weist auf ihn mit Tadel. Endlich wurde der Philosoph dem Tyrannen unbequem. Schon hatte dieser seinen Präfecten Burrhus umgebracht, und Seneca sich beeilt dem Wütenden alle seine Reichtümer zur Verfügung zu stellen; er lebte nun ganz zurückgezogen. Aber seine Feinde beschuldigten ihn der Mitwissenschaft um die Verschwörung des Calpurnius Piso, und auch sein Neffe der bekannte Dichter Lucanus wurde darein und nicht grundlos verwickelt. Es ist unglaublich wie sich Lucan hierbei benahm. Er gestand kleinmütig, ließ sich zu den entehrendsten Bitten herab, und indem er sich hinter das erlauchte Beispiel des neronischen Muttermords flüchtete gab er seine eigene unschuldige Mutter als Teilnehmerin der Verschwörung an. Da diese Scheußlichkeit ihn nicht rettete und er zum freiwilligen Tode verdammt war, ging er nach Hause, schrieb an seinen Vater Annaeus Mela Seneca Einiges über gewisse Verbesserungen an seinem Gedicht, speiste köstlich und schnitt sich mit der größesten Seelenruhe die Adern auf.

Ganz edel, groß und würdevoll steht der schwache Seneca in seinem Tode da, fast in socratischer Heiterkeit und catonischer Ruhe. Er wählte die Verblutung als Todesart und willigte auch darein, daß sein heroisches Weib Paulina in gleicher Art starb. Vier Millien von Rom befanden sich beide, auf ihrem Landgut unter Freunden und Dienern. Nero schickte in Unruhe ab und zu seinen Tribun nach der Villa, zu sehen, wie es dort stünde. Eilend brachte man ihm die Nachricht, daß auch Paulina verblute. Auf der Stelle gab er Befehl, ihren Tod zu hindern. Die Sclaven verbinden der Frau die Adern, stillen den Blutstrom und Paulina wird gerettet, wider ihren Willen. Sie lebte noch einige Jahre. Dem greisen Seneca unterdeß entströmte das Blut nur spärlich und quälend langsam. Er bat Statius Annaeus um Gift, nahm es, doch ohne Erfolg; dann ließ er sich in ein warmes Bad bringen. Die umstehenden Sclaven besprengte er mit dem Wasser und sagte dabei: »Zeus dem Befreier spende ich dies.« Da er auch hier nicht sterben konnte, ließ er sich aus dem warmen Bade in ein heißes Dampfbad tragen und so erstickte er in der Badewanne. Seneca war acht und sechszig Jahre alt geworden.

Wer mag nun weiter mit diesem Weisen rechten, der doch ein Mensch seiner niedrigen Zeit war, und in dessen Natur sich Talent, Liebe zur Wahrheit und zur Weisheit mit den gemeinsten Schwächen vereinigte. Seine Schriften haben auf das ganze Mittelalter großen Einfluß ausgeübt und manchen Geist zum Edlen gestimmt und von Leidenschaften gereinigt. Scheiden wir also versöhnt, Seneca.

Epikolokyntosis an Seneca.
        Nun, cararischer Freund, du ganz unmarmornen Herzens,
  Lange die Zucca hervor, corsisches Kürbißgefäß,
Die wir gefüllt mit dem goldnen Funkelweine von Pino;
  Daß wir spenden dem Geist Seneca's sühnenden Trank.
Seneca, langausduldender Weiser, der du zuvor einst
  Aus des corsischen Meers waldig umwildertem Fels
Inselnder Mann mir Inselndem mühsaldauernd vorangingst,
  Seneca, der du mich oft fern in kikonischer Stadt
Conisberga benannt – es erglänzt dort immer Athenes
  Friedliches Ehrengeschenk stoischen Denkern um's Haupt,
Doch des Apollo duftiger Zweig, er vertrauert im Reife –
  Der in barbarischer Stadt oft mich römisch gelabt;
Hör' mich hier auf witterndem Turme, der Wolken Behausung,
  Sei mir gastlich gesinnt, nimmer versag' es dem Freund;
Weil's doch Lebendem frommt, wenn drunten in Aides Reiche
  Schützend ein freundlicher Geist dunkle Gewalten ihm hemmt.
Sie nun erwecke mir wol fürsprechend deine Genossen,
  Göttliche Helden zumal, daß sie dem Wanderer hold
Nahen in Latiums Flur, wenn unter der tronenden Roma
  Heiligen Schatten er weilt, sinnend versunkener Zeit.
Manches weiht' ich Geistern von Rom, und ich hab' es eropfert,
  Daß mir ambrosisch das Haupt tuscische Rebe umlenzt,
Und ins Herz Entzückung mir strömet die südliche Muse,
  Bildend dem strebenden Mut voller die schaffende Kraft.
Seid voreilende Schatten, mir Laren über dem Meere
  Dort in des marmornen Roms götterumhegender Welt!
Wie ist die Zucca spendenentleert! doch lieblich erfüllt sich
  Von dem bacchischen Hauch selig beschwingt mein Gemüt.
Hier vom frischesten Triebe die Epheuranke mir brech' ich,
  Wind' um die Stirn sie mir lind, wandre nun fröhlich hinab,
Weil ich in ahnender Seele vernahm, daß gönnend die Parzen
  Purpurne Jahre mir einst spinnen im ewigen Rom.

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