Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Achtes Kapitel.

Träumereien einer Braut.

Und bald steht die Vermählung bevor, wo Schönes du selber
Anzieh'n mußt, und reichen den Jünglingen, wenn man dich heimführt;
Denn aus solchem ja gebt ein Gerücht aus unter die Menschen,
Das uns ehrt; auch den Vater erfreut's und die liebende Mutter.
Odyssee.

Jedes Tal oder jede Pieve des Cap Corso hat seine Marina, seinen Hafenort, und kaum gibt es etwas Einsameres als diese Oertchen auf dem stillen Ufer. Es war schwüler Mittag, als ich an den Strand von Luri kam, die Zeit wo Pan zu schlafen pflegt. Die Leute im Hause, wo ich die Barke erwarten wollte, waren alle wie im Schlaf. Ein liebliches Mädchen aber saß am offenen Fenster und nähte im Traum an einem Fazzoletto mit geheimnißvollem Lächeln und allerlei stillen, verblümten Gedanken. Sie stickte etwas in das Tuch; ich merkte, es war das ein Gedicht, welches ihr seliges Herz auf ihre nahe Hochzeit machte. Durchs Fenster lachte hinter ihrem Rücken das blaue Meer, welches um die Geschichte wußte, weil das Schiffermädchen ihm alles gestanden hatte. Sie trug ein meergrünes Kleid, eine geblümte Weste, und das Mandile zierlich ums Haar geschlungen; dies Mandile war schneeweiß mit seinen roten Streifen, je dreien übereinander. Auch mir gestand Maria Benvenuta ihr öffentliches Geheimniß und wußte allerlei Geplauder von Wind und Wellen und von der schönen Musica beim Hochzeitsreigen drüben im Tal von Luri. Nach einigen Monaten wird das Hochzeitsfest sein, und kein schöneres wird man feiern auf ganz Corsica.

An dem Morgen, da Benvenuta ihr mütterliches Haus verlassen soll, wird am Eingang des Strandorts eine reizende Trovata stehn, ein grüner Triumfbogen mit bunten Bändern. Die Freunde, die Nachbarn, die Sippen werden auf der Piazzetta geschart sein zum Corteo, zum Brautgeleit. Da tritt ein Jüngling vor die geschmückte Braut und klagt, daß sie den Ort verlassen wolle, wo sie als Kind in guter Hut aufgewachsen sei, und wo es ihr nie an Corallen, an Blumen und Freunden gefehlt habe. Weil sie aber nun fortziehen wolle, so wünsche er ihr im Namen ihrer Freunde ein herzlich Glück und gebe ihr das Lebewol. Maria Benvenuta bricht in Tränen aus, und sie reicht dem Jünglinge ein Geschenk zum Andenken für die Commune. Ein geschmücktes Pferdchen wird vor das Haus geführt, darauf setzt sich die Braut und wol bewaffnete Jünglinge reiten neben ihr, mit Blumen und Bändern bekränzt, und der Corteo zieht hinweg durch die Ehrenpforte. Ein Jüngling aber trägt den Freno, das Symbol der Fruchtbarkeit, einen Spinnrocken welcher oben mit vielen Spindeln umgeben und mit bunten Bändern geschmückt ist. Als Banner weht darauf ein Tuch. Diesen Freno in der Hand geht der Freniere stolz und freudig dem Zug voran.

Das Geleit nähert sich Campo, wo der Bräutigam wohnt, in dessen Haus nun die Braut geführt werden soll. Auch am Eingang dieses Orts steht eine herrliche Trovata. Da kommt nun ein Jüngling hervor, hoch in der Hand einen bebänderten Oelzweig haltend; mit schönen Sprüchen übergibt er ihn der Braut. Vom Corteo aber sprengen in rasender Hast zwei Jünglinge gegen das Bräutigamshaus, den Vanto zu erreiten und zu erjagen; das heißt die Ehre der Erste zu sein, welcher der Braut die Schlüssel von des Bräutigams Hause bringt. Das Sinnbild der Schlüssel ist eine Blume. Der schnellste Reiter hat sie gewonnen, und jubelnd hält er sie in der Hand und sprengt zur Braut zurück, ihr das Symbol zu übergeben. Der Zug zieht nun nach dem Hause. Auf allen Balconen stehn Frauen und Mädchen und streuen auf die Glückliche Blumen, Reis und Waizenkörner und werfen Früchte der Jahreszeit unter die Ziehenden mit Freudenrufen und Segenswünschen. Das nennt man Le Grazie. Nimmer aber hört das Schießen mit den Flinten auf, das Schallen der Mandolinen und das Spiel der Cornamusa oder Sackpfeife. Das ist ein Jubiliren in Campo, ein Knallen, Jauchzen, Klimpern und Geigen, und wie toll schwirrt's in den Lüften von Frühlingsschwalben, Lerchenliedern, fliegenden Blumen, Waizenkörnern, Sonnenstäubchen, und das alles um diese kleine Maria Benvenuta, die hier am Fenster diese ganze Geschichte in das Fazzoletto stickt.

Nun kommt auch der alte Schwiegervater aus dem Hause und spricht also ernst zu dem fremden Corteo: Wer seid ihr, Männer in Waffen? Freunde oder Feinde? seid ihr Begleiter einer donna gentile, oder habt ihr sie geraubt, obwol ihr mir dem Aussehn nach edle und tapfre Männer zu sein scheint.

Wir sind, so spricht der Brautführer, Gastfreunde und geleiten diese herrliche Jungfrau, das Pfand unserer neuen Freundschaft. Wir pflückten die schönste Blume am Strand von Luri, um sie Campo zum Geschenk zu bringen.

Seid denn willkommen, Gastfreunde, und tretet in mein Haus und labt euch am Fest. Also ruft wieder der Alte, hebt die Jungfrau vom Pferd, umarmt sie und führt sie in das Haus. Dort schließt sie der glückliche Bräutigam in seine Arme, und das geschieht mit eitel Jubiliren auf der sechszehnsaitigen Cetera und beim Schall der Cornamusa.

Dann geht's in die Kirche, wo die Kerzen funkeln, und Mirten reichlich gestreut sind. Und wenn das Paar zusammengegeben ist und wieder in das Hochzeitshaus tritt, so stehn da im Festzimmer zwei Stüle. Auf die zwei Wunderstüle setzen sich die jungen Glücklichen, und nun kommt eine schalkhaft lächelnde Frau, die ein bebändertes Wickelkind trägt. Das legt sie der Braut in den Arm. Die kleine Maria Benvenuta errötet keineswegs, sondern nimmt das Kind und herzt es nach Herzenslust. Dann setzt sie ihm eine kleine phrygische Mütze auf, die ist mit bunten Bändern schön ausgeflittert. Wie dies geschehen ist, umarmen die Sippen das Paar, und ein jeder spricht den guten alten Spruch:

Dio vi dia buona fortuna,
Tre di maschi e femmin' una,

das heißt: Gott gebe euch gutes Glück, drei Söhne und eine Tochter. Nun teilt die Braut kleine Geschenke an ihres Mannes Verwandte aus, der nächste Verwandte erhält eine kleine Münze. Darauf folgt der Schmaus und der Ballo, da wird man tanzen die Cerca, die Marsiliana und die Tarantella.

Ob sie weiter die ältern Gebräuche thun werden, wie sie die Chronik erzählt, das weiß ich nicht. Denn ehedem war es Sitte, daß ein junger Verwandter der Braut in die Kammer voranging. Der sprang einigemale über das Brautbette und wälzte sich mehre Male darüber, dann ließ er die Braut sich auf das Lager setzen und löste ihr die Bänder an den Schuhen, mit demselben Anstande wie Anchises der auf dem Lager sitzenden Venus die Sandalen löst, wie man's auf alten Bildern sehen kann. Die Braut bewegte nun zierlich das Füßchen und ließ die Schuhe zur Erde gleiten, dem bandauflösenden Jüngling aber gab sie ein Geldgeschenk. Kurz und gut, es wird am Hochzeitstag der Benvenuta lustig zugehen, und noch nach vielen Jahren wird man davon im Tal von Campo reden.

Das alles besprachen und beplauderten wir ernstlich in dem Schifferstübchen zu Luri, und ich weiß auch das Schlummerlied, mit dem Maria Benvenuta ihren kleinen Sprößling in ihren Armen einwiegen wird.

Nanna.
Corsisches Wiegenlied von jenseits der Berge.
              Ninniná, mein herziges Holdchen,
Ninniná, mein einziges Gut,
Bist mein kleines tanzendes Schiffchen,
Das da tanzt auf blauer Flut;
Das vor Wellen sich nicht fürchtet,
Nicht vor Winden auf der See.
    Schlaf' ein Weilchen, schlaf' mein Holdchen,
    Mach' dir ninni nani.

Schifflein schwer von Perlen, mein Holdchen,
Seide führst du, Tüchlein an Bord,
Und die Segel sind von Brocate,
Kommen aus indischem Port;
Und die Ruder sind von Golde,
Kostbar ist die Arbeit daran.
    Schlaf' ein Weilchen, schlaf' mein Holdchen,
    Mach' dir ninni nani.

Holdchen, als du warest geboren,
In die Taufe trug man dich dann;
Und die Sonne war die Frau Pathe,
Und der Mond Gevattersmann;
Und die Sternlein in dem Himmel
Wiegten sich in goldene Wieg'.
    Schlaf' ein Weilchen, schlaf' mein Holdchen,
    Mach' dir ninni nani.

Heiter war der Himmel, mein Holdchen,
Blau im Glanze hat er gelacht,
Ja auch selbst die sieben Planeten
Haben dir Spenden gebracht.
Alle Hirten auf den Bergen
Hielten durch acht Tage ein Fest.
    Schlaf' ein Weilchen, schlaf' mein Holdchen,
    Mach' dir ninni nani.

Nichts als Citern hörte man, Holdchen,
Nichts als Tänze sah man zumal
In dem Tale von Cuscioni,
Weit und breit allüberall.
Boccanera und Falconi
Bellten froh nach ihrer Art.
    Schlaf' ein Weilchen, schlaf' mein Holdchen,
    Mach' dir ninni nani.

Bist du größer worden, mein Holdchen,
Wirst du wandeln über die Au,
Alle Kräuter werden dann blühen,
Klares Oel wird sein der Tau.
Feiner Balsam wird dann werden
Alles Wasser in der See.
    Schlaf' ein Weilchen, schlaf' mein Holdchen,
    Mach' dir ninni nani.

Alle Berge werden, mein Holdchen,
Sich mit Schäfchen decken schneeweiß,
Und dann laufen dir nach die Hirschlein
Und das Gemslein und die Geiß.
Doch der Habicht und die Füchse
Laufen fort aus diesem Tal.
    Schlaf' ein Weilchen, schlaf' mein Holdchen,
    Mach' dir ninni nani.

Du mein Holdchen bist meine Primel,
Du mein Liebchen mein Tausendschön,
Das man sieht im Tale Bavella,
Im Tale Cuscioni stehn.
Bist vom Klee mein würzig Blättchen,
Das die Böckchen weiden gehn.
    Schlaf' ein Weilchen, schlaf' mein Holdchen,
    Mach' dir ninni nani.

Sollte nun das Kind von der Phantasie dieses Liedes zu sehr aufgeregt worden sein, so wird ihm seine Mutter noch dieses kleine Nanna singen, worauf es sofort einschlafen wird.

Ninni ninni, ninni nanna,
Ninni ninni, ninni nolu,
Allegrezza di la mamma,
Addormèntati, o figliuolu.

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