Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Zweites Kapitel.

Rousseau und die Corsen.

Ich ging zum Hause des Grafen Matteo Buttafuoco, welches einst die Wohnung Rousseau's sein sollte. Es ist das stattlichste in Vescovato, ein schloßartiger Bau. Gegenwärtig besitzt der Marschall Sebastiani, dessen Familie aus dem nahen Dorfe Porta stammt, einen Teil desselben.

Buttafuoco war derselbe, gegen welchen Napoleon als junger Demokrat in Ajaccio ein feuriges Pamphlet schleuderte. Als jener noch Officier in französischen Diensten war, lud er Jean Jacques Rousseau nach Vescovato ein. Im Contrat Social hatte nämlich der Genfer Philosoph über Corsica sich in folgender Weise prophezeiend ausgesprochen: »In Europa ist noch ein Land der Gesetzgebung fähig, das ist die Insel Corsica. Die Kraft und Ausdauer, mit welcher dieses tapfere Volk seine Freiheit zu erlangen und zu verteidigen gewußt hat, verdiente wol, daß irgend ein weiser Mann es lehrte, sie zu bewahren. Ich habe eine gewisse Ahnung, daß diese kleine Insel eines Tages Europa in Erstaunen setzen wird.« Bei Gelegenheit der letzten französischen Unternehmung zur Unterdrückung Corsica's hatte Rousseau geschrieben: »Man muß gestehen, daß eure Franzosen ein sehr serviles Volk sind, ein Volk, das von der Tyrannei leicht zu erkaufen ist, sehr grausam und gleich Henkern gegen die Unglücklichen; wenn sie am Ende der andern Welt einen freien Menschen wüßten, ich glaube sie würden marschiren einzig um des Vergnügens willen ihn zu vertilgen.«

Ich will nicht behaupten, daß auch dies eine Prophezeiung Rousseau's war, jene aber war es und sie hat sich erfüllt, denn der Tag ist gekommen, an welchem die Corsen Europa in Erstaunen gesetzt haben. Der günstige Ausspruch Rousseau's war es, welcher auch Paoli bewog, ihn im Jahr 1764 nach Corsica einzuladen, damit er sich der Verfolgung seiner Feinde in der Schweiz entziehe. Voltaire, der erbitterte Neider und Spötter Rousseau's, hatte das Gerücht ausgesprengt, daß man diesem ein Asil in Corsica anbiete, um ihm einen lächerlichen Streich zu spielen; darauf hatte Paoli selber an Rousseau eine Einladung geschrieben. Buttafuoco war noch weiter gegangen, er hatte den Philosophen aufgefordert, für die Corsen eine Gesetzgebung zu verfassen, wie ihn auch die Polen um eine solche baten. Paoli scheint diesem Ansinnen nicht widerstrebt zu haben, vielleicht weil er eine solche Arbeit wenn auch für unnütz, so doch immer von gewisser Seite für dienlich dem Ruf der Corsen hielt. So sah sich der eitle Misanthrop in der schmeichelvollen Lage eines Pythagoras, und er antwortete mit Freuden, »daß schon die Idee sich mit dieser Aufgabe zu beschäftigen, seine Seele begeistre, und daß er den Rest seiner unglücklichen Tage edel und tugendhaft verwendet glaube, wenn er sie zum Vorteil der tapfern Corsen verwenden könne.« Alles Ernstes verlangte er Materialien. Sein Werk kam nicht zu Stande, weil ihn die Plackereien seines Lebens daran hinderten. Was wäre es auch geworden: und was sollten die Corsen mit einer Theorie, da sie sich ihre auf der eigenen Volksart begründete Verfassung selber geben konnten?

Die Verhältnisse brachten indeß Rousseau von dem Entschluß ab, nach Corsica zu gehen – schade! Er hätte hier eine Probe von seinen Theorien ablegen können – denn die Insel erscheint wie das verwirklichte Utopien seiner Ansichten von dem normalen Zustand der Gesellschaft, wie er ihn namentlich in der Abhandlung: ob die Künste und Wissenschaften den Menschen heilsam gewesen seien, angepriesen hat. In Corsica hätte er, was er wünschte, vollauf gefunden: Naturmenschen im wollnen Kittel, die von Ziegenmilch und wenig Castanien leben, weder Wissenschaft noch Kunst, Gleichheit, Tapferkeit, Gastfreiheit, und die Blutrache an allen Enden. Ich glaube, die Corsen würden herzlich gelacht haben, wenn sie Rousseau unter den Castanien hätten herumwandeln sehn, seine Katze auf dem Arm, oder sein Flechtwerk wirkend. Nein! das Gebrüll vendetta! vendetta! und ein paar Schüsse aus dem Fucile würden den armen Jacques schnell wieder verjagt haben. Aber immer denkwürdig und zum innern Wesen seiner Geschichte gehörend bleibt Rousseau's Beziehung zu Corsica.

In dem Brief, welcher dem Grafen Buttafuoco absagt, schreibt Rousseau: »Ich habe nicht das wahrhafte Verlangen in Ihrem Lande zu leben verloren; aber die gänzliche Erschöpfung meiner Kräfte, die Sorgen, welchen ich mich unterziehen, die Anstrengungen die ich leiden müßte, noch andere Hindernisse die aus meiner Lage entspringen, zwingen mich wenigstens für den Augenblick meinen Entschluß aufzugeben, auf den doch trotz dieser Schwierigkeiten mein Herz noch nicht ganz und gar verzichten kann. Aber, mein teurer Herr, ich werde alt, ich werde hinfällig, die Kräfte verlassen mich, der Wunsch reizt und das Hoffen schwindet. Wie es auch sei, empfangen Sie und erbieten Sie dem Herrn Paoli meinen lebhaftesten und zärtlichsten Dank für das Asil, welches mir anzutragen er mich gewürdigt hat. Tapferes und gastfreies Volk! nein, ich werde es so lange ich lebe nie vergessen, daß eure Herzen, eure Arme, eure Hände mir geöffnet gewesen sind in dem Augenblick, als mir in Europa beinahe kein anderer Zufluchtsort übrig blieb. Wenn ich nicht das Glück habe, meine Asche in eurer Insel zu lassen, so werde ich versuchen wenigstens ein Denkmal meiner Dankbarkeit dort zurückzulassen, und in den Augen der ganzen Welt werde ich mich ehren, wenn ich euch meine Gastfreunde und meine Beschützer nenne. – – Das was ich Ihnen verspreche und worauf Sie von jetzt ab rechnen können ist, daß ich für den Rest meines Lebens mich nur mit mir oder mit Corsica beschäftigen werde: jede andere Angelegenheit ist gänzlich aus meiner Seele verbannt.«

Das Letzte will viel sagen – doch es ist die rhetorische Sprache Rousseau's. Wie wundersam und fremd nimmt sich das Rousseau-Wesen den schweigsam düstern, männlich starken, wild und kühn handelnden Corsen gegenüber aus; und doch berühren sie sich wie Körperliches und Unkörperliches, durch Zeit und Idee verbunden. Es ist merkwürdig, wie neben den prophetischen Träumen einer Menschendemokratie, welche Rousseau weissagte, der Korybanten-Waffentanz der Corsen unter Paoli herklingt, die neue Zeit verkündend, welche ihr Heldenkampf begann. Mit dem Erzgetöse wollten sie das Ohr der alten Despotengötter betäuben, dieweil auf ihrer Insel der neue Jupiter geboren wurde – Napoleon Buonaparte, der revolutionäre Gott des eisernen Zeitalters.


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