Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Drittes Kapitel.

Die Moresca. Corsischer Waffentanz.

Die Corsen haben wie andere tapfere Völker von feuriger Natur und poetischem Sinn den Waffentanz, welchen man Moresca nennt. Ueber seinen Ursprung herrscht Streit, da ihn Einige von den Mauren, Andere von den Griechen herleiten. Die Griechen nannten diese Tänze der kriegerischen Jugend mit Schwert und Schild menfitische und pyrrhische und schrieben ihre Erfindung der Minerva und dem Sohn des Achill Pyrrhus zu. Es ist ungewiß, auf welche Weise sie sich über das Abendland verbreiteten; genug, seit den Kämpfen der Christen und der Mauren nannte man sie Moresca, und es scheint, daß sie überall da noch in Gebrauch sind, wo die Völker an Traditionen von dem alten weltgeschichtlichen Riesenkampf zwischen Christ und Heide, Europa und Asien reich sind, wie in Griechenland, bei den Albanesen, Serben, Montenegrinern, Spaniern und andern Nationen.

Ich weiß nicht welcher Sinn sonst in die Moresca gelegt wird, da ich den herrlichen Tanz nur einmal in Genua tanzen sah; in Corsica hat er immer die Eigenheit eines kreuzritterlichen Charakters bewahrt, weil die Moresca stets einen Kampf gegen die Saracenen darstellte, sei es die Befreiung Jerusalems, die Eroberung Granadas, oder die Einnahme der corsischen Städte Aleria und Mariana durch Hugo Colonna. Dadurch hat die Moresca einen profanreligiösen Charakter, wie manche feierliche Tänze der Alten, und durch ihre geschichtliche Vorstellung ein nationales Gepräge erhalten. Die Corsen haben zu allen Zeiten das Schauspiel dieses Tanzes aufgeführt, besonders in vielbewegter Zeit des Volkskampfes, wo ein solches Nationalspiel in Waffen die Zuschauer entflammte, indem es sie zugleich an die großen Thaten der Väter gemahnte. Ich weiß kein edleres Vergnügen für ein freies und mannhaftes Volk, als das Schauspiel der Moresca, die Blüte und die Poesie des Schlachtenmutes. Sie ist das einzige Nationaldrama der Corsen, welche, da sie keine anderen Genüsse hatten, die Thaten ihrer Heldenväter sich auf demselben Boden vortanzen ließen, den sie einst mit ihrem Blute tränkten. Oftmals mochte es geschehn, daß sie von der Moresca hinweg in die Schlacht zogen.

Vescovato war häufig das Theater dafür, und auch Filippini gedenkt dessen. Man erinnert sich noch, daß sie Sampiero zu Ehren dort getanzt wurde, und auch zur Zeit Paoli's wurde sie aufgeführt. Die letzte Vorstellung fand im Jahr 1817 statt.

Ganz besonders beliebt war die Darstellung der Eroberung Mariana's durch Hugo Colonna. Ein Dorf stellte die Stadt vor. Die Schaubühne selbst war ein freier Platz, die grünen Berge dienten als Amphitheater, worauf sich Tausende, aus der Insel zusammengeströmt, niederließen. Man denke sich dieses Publicum, diese rauhen Männer alle in Waffen, unter den Castanienbäumen gelagert und mit Blick, Wort und Geberde den Heldentanz begleitend. Die Schauspieler, bisweilen 200 an der Zahl, sind in zwei Scharen geteilt, alle tragen sie die römische Toga. Jeder Tänzer hält in der Rechten ein Schwert, in der linken einen Dolch; die Farbe des Helmbusches und des Panzers macht den Christen oder den Mauren kenntlich. Ein einziger Geigenspieler regiert mit dem Fiedelbogen den Tanz.

Er beginnt. Ein maurischer Astrolog kommt aus Mariana herausgeschritten, im Kaftan mit langem weißem Bart, er beschaut den Himmel und befragt die Sterne, und bestürzt weissagt er Unglück. Mit Zeichen des Schreckens eilt er in das Tor zurück. Siehe, da kommt ein maurischer Bote, in Blick und Bewegung jähe Furcht, nach Mariana gelaufen und bringt die Kunde, daß die Christen bereits Aleria und Corte eingenommen und im Anmarsch auf Mariana seien. Wie der Bote im Tor verschwunden ist, blasen Hörner, und es tritt auf Hugo Graf Colonna mit dem Christenheer. Unendlicher Jubel schallt ihm von den Bergen entgegen. Ich habe das Ganze in dieser Ballade auszudrücken versucht.

Hugo, Hugo, Graf Colonna,
O wie herrlich er vor allen
Tanzet wie der Königstiger,
Wenn er tanzt den Fels empor.

Graf Colonna hebt den Degen,
Küßt das Kreuz an seinem Griffe,
Und zu seinen Kriegerscharen
Also spricht der edle Graf:

Auf zum Sturm im Namen Gottes,
Tanzt hinauf Mariana's Mauern,
Lasset springen heut die Mohren,
Alle springen über's Schwert.

Wisset, wer im Sturm gefallen,
Heute wird er noch im Himmel
Mit den Engelchören tanzen
Seinen seligen Sphärentanz.

Die Christen stellen sich auf. Hörnerspiel. Aus Mariana kommt herausgezogen der Maurenkönig Nugalon und sein Heer.

Nugalone, o wie herrlich
Ihm die leichten Glieder tanzen,
Wie dem braungefleckten Panter,
Wenn er tanzt aus seinem Busch.

Nugalone dreht den Schnauzbart
Mit der goldbereiften Linken,
Und zu seinen Kriegerscharen
Also spricht der stolze Mohr:

Nun wolauf, im Namen Allahs
In die Christenschlacht getanzet!
Durch den Sieg laßt uns bezeugen:
Allah ist der einzige Gott.

Wisset, wer im Kampf gefallen,
Heute wird er noch in Eden
Mit der schönsten Houri tanzen
Seinen Wollust-Taumeltanz.

Nun ziehen beide Heere vorüber – der Mohrenkönig gibt das Zeichen zur Schlacht, und es beginnen die Figuren des Tanzes, deren es zwölfe sind.

Fiedelstrich, ein scharfer, heller –
Nugalone und Colonna
Schweben tanzend sich entgegen,
Sich entgegen tanzt ihr Heer.

Zierlich in dem Tact der Töne
Wiegen sich die jungen Glieder,
Wie die schlanken Blumenhalme,
Wenn das Abendlüftchen geigt.

Kaum berühren sich der Kämpfer
Leichtgeschwungne Flimmerdegen;
Sind es Degen, sind es Stralen,
Sonnenstralen in der Hand!

Geigentöne, voller, voller –
Kling und Klang gekreuzter Degen,
Rückwärts, vorwärts leichte Glieder
Drehen sich zum Geigenspiel.

Und nun tanzen sie im Ringe,
Christ und Maure fest verschlungen,
Von dem Silberhall der Degen
Ihre Waffenkette klingt.

Kling und Klang gekreuzter Degen,
Neue Weise, neue Schwünge,
Jetzt zerbrochen ist die Kette,
Halber Bogen sind's nun zwei.

Wilder, wilder die Moresca,
Rauscht der Tanz sich wild entgegen,
Wie die Meereswelle rauschet,
Wenn der Sturm auf Felsen geigt.

Halte wacker dich Colonna,
Tanz' sie nieder in den Boden!
Heute gilt es unsre Freiheit
Zu ertanzen mit dem Schwert.

Also wollen wir die Berge
Vescovato's niedertanzen,
Niedertanzen deine Heere,
Gottverfluchtes Genua!

Immer neue Figuren, endlich tanzen sie die letzte, welche die resa heißt, da ergibt sich der Saracen.

Als ich die Moresca in Genua tanzen sah, führte man sie zu Ehren der sardinischen Verfassung und an deren Jahrestag am 9. Mai 1852 auf, denn der schöne Tanz hat in Italien eine revolutionäre Bedeutung und war deshalb in den unfreien Ländern verboten. Es war ein gar herrliches Schauspiel, da das Volk in seinen malerischen Trachten, zumal die Frauen in den weißen langen Schleiern, den Platz am Hafen bedeckte. Etwa 30 junge Männer, alle weiß und knapp gekleidet, grüne und rote Schärpen um den Leib gewunden, tanzten die Moresca mit Begleitung von Hörnern und Trompeten. Alle hielten sie in jeder Hand eine Fahne; die verschiedenen Weisen tanzend schlugen sie die Degen gegen einander. Eine geschichtliche Beziehung zeigte diese Moresca nicht.

Die Corsen haben wie die Spanier, die Bayern und die Tyroler, auch noch die Passionsspiele erhalten, welche indeß selten geworden sind. Im Jahr 1808 wurde unter andern ein solches Spiel vor 10,000 Menschen in Orezza gegeben. Zelte stellten die Häuser des Pilatus, des Herodes und des Caiphas dar. Da gab es Engel und Teufel, welche aus einer Fallthüre herausstiegen. Das Weib des Pilatus war ein junger Mensch von 23 Jahren mit einem rabenschwarzen Bart. Der erste Oberst der Garden trug die Uniform der Franzosen mit Epauletten von Gold und Silber, der zweite einen Infanterierock, und beide hatten das Kreuz der Ehrenlegion auf der Brust. Den Judas stellte dar der Pfarrer von Carcheto. Als nun das Spiel begann, gerieten die Zuschauer durch unbekannte Veranlassung in ein Handgemenge und warfen einander mit Felsstücken, die sie von dem natürlichen Amphitheater aufrafften. Hierauf wollte Jesus, welcher gerade aufgetreten war, nicht weiter spielen, und zog sich ärgerlich aus diesem irdischen Jammertal zurück. Aber zwei Gendarmen faßten ihn unter die Arme und führten ihn mit Gewalt auf die Scene, so daß er weiter spielen mußte. Diese spaßhafte Geschichte erzählt der Ingenieur Robiquet in seinen historischen und statistischen Forschungen über Corsica.


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