Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Siebentes Kapitel.

Ein Ritt durch das Land Orezza nach Morosaglia.

Ich wollte von Oreto durch das Land Orezza nach Morosaglia hinüber. Marcantonio hatte mir versprochen mich zu begleiten und gute Pferde zu besorgen. Er weckte mich also des Morgens und machte sich bereit. Er hatte sich in seinen besten Staat geworfen, eine sammtne Jacke angezogen und sich sehr glatt rasirt. Die Frauen gaben uns noch ein gutes Frühbrod auf die Reise, und so schwangen wir uns auf die Corsenpferde und ritten stolz von dannen.

Mir wird noch die Seele froh, wenn ich an jenen Sonntagsmorgen denke und an den Ritt durch dies romantisch schöne Land Orezza über die grünen Berge, durch die kühlen Talschluchten, über rauschende Bäche, durch die dunkeln Eichenwälder. So weit das Auge reicht überall diese tiefschattigen duftigen Castanienhaine, diese gewaltigen Riesenbäume, wie ich sie nimmer noch gesehn. Die Natur hat hier alles gethan, der Mensch so wenig. Die Castanien sind oft sein einzig Gut, und der Corse besitzt manchesmal nicht mehr als sechs Ziegen und sechs Bäume, welche ihm seine Polenta geben. Die Regierung hatte bereits den Einfall gehabt, diese Wälder auszuhauen, um den Corsen zum Ackerbau zu zwingen, aber das hieße ihn verhungern lassen. Manche Bäume haben zwölf Fuß dicke Stämme; das volle Laub, die langen breiten und dunkeln Blätter mit den gefaserten hellgrünen Fruchtkapseln gewähren einen schönen Anblick.

Hinter Casalta kamen wir in eine überaus romantische Schlucht, welche der Fiumalto durchrauscht – überall ist hier Serpentin und der köstliche Marmor, Verde antico. Das Elysium der Geologie nennen die Ingenieure das Ländchen Orezza; die Wasser des Flusses rollen das edle Gestein mit sich. Immer fort durch balsamische Haine, bergauf, bergab, ritten wir weiter nach Piedicroce, dem Hauptort in Orezza, berühmt durch seine Heilquellen. Denn wie an Mineralien, so ist dies Land auch an mineralischen Wassern reich.

Marmocchi sagt in seiner Geographie der Insel: Die Mineralwasser sind überhaupt das charakteristische Zeichen der Länder, welche durch die innern Kräfte gehoben sind. Corsica, welches in einem kleinen Raum das überraschende und so mannigfaltige Schauspiel der tausend Wirkungen dieses alten Kampfes zwischen dem erhitzten Innern und der erkälteten Rinde der Erde darbietet, konnte von dieser allgemeinen Regel keine Ausnahme machen.

Corsica hat also seine kalten und warmen Mineralquellen, und obwol dieselben, so weit man sie bisher gezählt hat, zahlreich genug sind, ist es doch unbezweifelt, daß man sie noch nicht alle kennt.

Was die Naturgeschichte und im Besondern die Mineralogie betrifft, so ist diese schöne Insel noch lange nicht vollständig erforscht.

Bis heute kennt man nur genau und vollständig 14 Mineralquellen, warme wie kalte. Die Verteilung dieser wolthätigen Wasser über die Oberfläche, besonders was ihre Wärmebeschaffenheit betrifft, ist sehr ungleich. Die Region des primären Granits zählt ihrer acht, alle warm und mehr oder minder schwefelhaltig bis auf eine; während die Region der primären ophyolitischen und calcären Massen nur sechs besitzt, von denen eine einzige warm ist.

Die Quellen Orezza's, an vielen Stellen vorbrechend, liegen auf dem rechten Ufer des Fiumalto. Man benutzt nur die Hauptquelle; sie ist kalt, ein eisenhaltiger Sauerbrunnen. Sie sprudelt mit großer Macht in einem Berge unterhalb Piedicroce, aus einem Steinbecken. Man hat gar keine Anstalten getroffen, den Brunnengästen dort Erleichterung zu schaffen, sondern diese gehen oder reiten unter ihren Sonnenschirmen die Berge hinunter in den grünen Wald. Nach einem mehrstündigen Ritt in der brennenden Hitze und ohne Sonnenschirm schmeckte mir dies heftig mussirende Wasser gar köstlich.

Piedicroce liegt hoch. Sein schlanker Kirchturm sieht frei und lustig von dem grünen Berg herunter. Die Lage der corsischen Kirchen ist oft bezaubernd schön und kühn. Sie liegen eigentlich schon im Himmel, und wenn man ihre Thüren aufthut, so können die Wolken und die Engel unter die Gemeinde hereinspazieren.

Ein majestätisches Gewitter flammte um Piedicroce und der Donner hallte starktönig rings in den Bergen. Wir ritten in den Ort, der Regenflut zu entgehn. Ein junger Mann in sauberer städtischer Kleidung sprang aus einem Hause und lud uns ein abzusteigen und in seine Locanda zu treten. Es waren da noch zwei Herren mit Cavalierbärten und von sehr gewandtem Benehmen, die sogleich nach meinen Befehlen fragten. Und flink waren sie dabei; der Eine rührte Eier zusammen, der Andere trug Holz ans Feuer, der Dritte hackte Fleisch. Der Aelteste unter ihnen hatte ein edel geschnittenes, doch fieberblasses Gesicht und einen langen slavischen Schnauzbart. So viel Köche zu einem schlichten Mal und so gar vornehme hatte ich noch nirgend gefunden. Ich war schier verwundert, bis sie sich mir entdeckten. Es waren zwei flüchtige Modenesen und ein Ungar. Während der Magyare das Fleisch briet, erzählte er mir, daß er sieben Jahre lang Oberleutnant gewesen sei. Nun stehe ich hier und koche, setzte er hinzu; aber so geht's in der Welt, wenn man zum armen Teufel in der Fremde geworden ist, darf man sich nicht schämen. Wir haben hier ein Gasthaus aufgeschlagen für die Zeit der Brunnencur und haben fast nichts erübrigt.

Wie ich den bleichen Mann betrachtete – er hatte sich in Aleria das Fieber geholt – überkam mich ein Mitgefühl.

Wir setzten uns zusammen, Magyar, Lombarde, Corse, Deutscher, sprachen mancherlei von alten Dingen und nannten manchen Namen jüngster Vergangenheit. Wie werden viele dieser Namen so still vor dem einen großen Paoli. Ich darf sie neben ihm nicht nennen, der edle Bürger und der starke Mann der That will allein sein.

Das Gewitter war hinweggezogen, aber die Berge standen noch tief vernebelt. Wir stiegen zu Pferd um über das Gebirg San Pietro weiter nach Ampugnani zu reiten. Es grollte und rollte noch in den Schluchten und rings um flatterten die Wolken. Eine wilde Stimmung lag tränenschwer über dem Gebirg, bisweilen noch ein Blitz – Berge wie im Wollenmeer versunken, andere sich herauswühlend gleich Giganten; wo die Schleier reißen eine saftige Landschaft, grüne Haine, schwarze Dörfer – und das fliegt gleichsam an dem Reiter vorüber, Gipfel und Tal, Kloster und Turm, Berg und Berg, wie Traumbilder in Wolken hangend. Die elementarischen Gewalten, welche gefesselt in der Menschenseele schlafen, möchten da ihre Bande sprengen und hinausrasen. Wer erlebte nicht solche Stimmungen auf wilder See oder beim Wandern durch den Sturm. Was man da fühlt ist dieselbe Naturgewalt, welche wir Menschen Leidenschaft nennen, wenn sie sich in einer Form bestimmt. Vorwärts Marcantonio, und lassen wir die roten Pferde diesen Nebelberg entlang springen, weil wir noch jung sind, und so gilt's: alles was Federn hat fliegt hoch; Wolken fliegen, Berge fliegen, Klöster fliegen, Türme fliegen, Roß und Reiter fliegen. Ach! es ist eine Lust, zu fliegen! – Da hängt ein schwarzer Kirchturm drüben hoch in den Nebeln und die Glocken läuten und läuten – Ave Maria, daß die Seele stille werde.

Die Ortschaften sind hier klein, überall auf den Bergen zerstreut, hoch gelegen und in grünen Tälern. Ich zählte deren von einem Punkt aus um mich her 17 mit ebensoviel schlanken, schwarzen Kirchtürmen. Viele Männer kamen uns entgegen, Männer aus dem alten historischen Lande Orezza und Rostino, starke, blühende Heldengestalten. Ihre Väter bildeten einst die Garde Paoli's.

Bei Polveroso gab's einen herrlichen Blick in einen Talkessel, in dessen Mitte Porta liegt, der Hauptort des Ländchens Ampugnani, ganz umringt von Castanienbäumen, die nun abtropften. Hier lag ehemals das alte Accia, ein Bistum, welches spurlos verschwunden ist. Porta sieht sauber aus und viele seiner Häuser gleichen Villen. Die kleine gelbe Kirche hat eine schmucke Vorderseite und ein graziöser Glockenturm steht als Campanile nach toscanischer Art neben ihr. Vom Berg San Pietro hinunter sieht man in diese Häuserreihen um die Kirche her wie in ein Theater. Porta ist das Vaterland der Sebastiani.

Nun werden die Berge kahler und lakonischer und verlieren den Schmuck der Castanien. Gewaltige Disteln fand ich am Wege, mit breiten, schöngerandeten Blättern und als baumartige Sträucher, deren Stämme schon hart verholzt waren.

Marcantonio war ganz in Schweigen versunken. Die Corsen sprechen wenig wie die Spartaner, mein Wirt von Oreto war meist stumm wie Harpokrates. Ich war doch einen ganzen Tag von Morgen bis Abend mit ihm durch die Berge geritten und konnte kein Gespräch in Fluß bringen. Nur bisweilen warf er eine naive Frage hin: habt ihr Kanonen? habt ihr Glocken zu Hause? wachsen bei euch auch Früchte? seid ihr reich?

Nach Ave Maria erreichten wir den Canton Rostino oder Morosaglia, das Vaterland der Paoli, die glorwürdigste Stelle corsischer Geschichte und den Mittelpunkt der alten demokratischen Terra del Commune. Auf der Campagna nahm Marcantonio von mir Abschied, er wollte in einem Hause auf dem Feld übernachten um morgenden Tags mit den Pferden heimzukehren. Er küßte mich brüderlich und wandte sich dann um, schweigsam und ernst, und ich, beglückt auf diesem Heldenlande freier Männer zu stehn, wanderte allein fort, um das Kloster Morosaglia zu erreichen. Eine Stunde habe ich hier noch Zeit auf ziemlich öder Flur, und ehe ich nun in Paoli's Haus komme, will ich sein und seines Volkes Geschichte fortsetzen, wo ich sie abgebrochen habe.


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