Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Zweites Kapitel.

Ein halbes Jahrhundert hindurch lag die Insel in Erschöpfung, während der Haß gegen Genua sich von dem allgemeinen und besondern Elende nährte und endlich alles andere Empfinden verschlang. Dieses Volk lebte von seinem Haß; er allein ließ es nicht untergehn.

Vieles war unterdeß zusammengekommen, um die Empörung zum Ausbruch zu treiben. Den Einsichtigen, den Zwölfmännern, welche in der Form noch fortbestanden, dünkte der Mißbrauch mit dem Verkauf der Gewehrpatente vor allem die Quelle der innern Uebel zu sein. Innerhalb dreißig Jahren waren, wie gesagt ist, 28000 Meuchelmorde verübt worden. Die Zwölf wandten sich mit dringenden Vorstellungen an den Senat der Republik und verlangten die Aufhebung jener Patente. Der Senat gab nach. Er verbot Waffen zu verkaufen und übertrug Commissarien, die Insel zu entwaffnen. Weil aber mit dem Verkauf der Patente eine jährliche Einnahme für den Fiscus verloren ging, wurde eine Auflage von zwölf Soldi auf jede Feuerstelle des Landes gelegt. Das Volk zahlte murrend; und nichtsdestoweniger dauerte der Verkauf der Patente heimlich wie öffentlich fort.

Eine andere Einrichtung reizte den Groll der Corsen im Jahre 1724. Damals teilte man das Land in zwei Hälften, indem man den Leutnant von Ajaccio ebenfalls zum Governator machte. Beide Vice-Könige hatten die unverantwortliche Macht ohne Proceß zu den Galeren wie zum Tode zu verurteilen, aus informirtem Gewissen (ex informata conscientia).

Unterdeß ließ auch der besondere Anlaß zum Ausbruch der Empörung nicht auf sich warten. In einem Städtchen Liguriens war ein Soldat, ein Corse, schimpflich bestraft worden. Ein Haufe höhnenden Volks umstand den Mann, welcher auf einem hölzernen Pferde zur Schau saß. Dessen Waffengefährten fielen über die Spötter her und tödteten einige. Die Behörde ließ sie hinrichten. Die Nachricht von diesem Vorfall setzte den Nationalstolz der Corsen in Bewegung. Als nun auch der Tag erschien, an dem jene Abgabe eingenommen werden sollte, fiel der Funke ins Pulver.

Der Leutnant von Corte war mit seinem Einnehmer in die Pieve Bozio gegangen, das Volk befand sich auf dem Felde. Nur ein armer Greis erwartete den Beamten und gab ihm seine Taxe. Es war ein Geldstück darunter, welchem der Wert eines halben Soldo fehlte. Der Leutnant weigerte die Annahme. Der Greis bat vergebens auf seine bittere Armut Rücksicht zu nehmen. Zurückgewiesen und mit Execution bedroht, wenn er nicht folgenden Tags die fehlenden zwei Pfennige einbrächte, ging der alte Mann von dannen, solche Härte in sich erwägend und vor sich hin besprechend. Ihm begegneten Andere, blieben stehn, hörten, sammelten sich am Wege. Der Alte hob an zu klagen, dann von sich zum Lande fortgehend riß er seine Zuhörer zur Wut hin, mit Beredsamkeit ihnen die Not des Volks und die Tyrannei der Genuesen vorstellend und am Schlusse ausrufend: Jetzt ist es Zeit mit unsern Unterdrückern ein Ende zu machen. Alsobald zerstreute sich der Haufe, das Wort des Alten lief durch das Land und erweckte allenthalben das alte Rachegeschrei: libertà, popolo. Man hörte von Ort zu Ort das Muschelhorn blasen und die Lärmglocke läuten. Das geschah im October 1729.

Auf die Kunde von der Bewegung des Volks in Bozio sandte der Governator Felix Pinelli hundert Mann dort hin. Sie übernachteten in Poggio de Tavagna. Einer der Einwohner, Pompiliani faßte den Plan, sie zu entwaffnen. Man führte ihn aus und ließ die Wehrlosen nach Bastia zurückgehen. Sofort war Pompiliani erklärtes Haupt der Empörer. Diese bewaffneten sich mit Aexten und Winzermessern, stürzten sich auf das Fort in Aleria, erstürmten dasselbe, hieben die Besatzung nieder, nahmen Waffen und Munition und zogen gegen Bastia. Mehr als 5000 Menschen lagerten sich vor dieser Stadt, in deren Festung sich Pinelli einschloß. Um Zeit zu gewinnen schickte er den Bischof von Mariana in das Lager der Aufständischen, gütlich mit ihnen zu unterhandeln. Sie forderten Abstellung aller Beschwerden des corsischen Volks. Der Bischof aber bewog sie einen Waffenstillstand von vierundzwanzig Tagen anzunehmen, in die Berge zurückzukehren und abzuwarten, bis der Senat Genua's auf ihre Forderungen werde geantwortet haben. Diese Frist benutzte Pinelli, Verstärkungen an sich zu ziehn, umliegende Burgen zu befestigen und Zwietracht auszustreuen. Da sich nun das Volk hingehalten und getäuscht sah, stieg es zu zehn Tausenden angewachsen wieder die Berge herab und lagerte vor Bastia. Der Aufstand war nicht mehr zu hemmen, vergebens schickte Genua Unterhändler ab.

Eine Volksversammlung war in Furiani gehalten worden. Pompiliani, in erster Not zum Führer erwählt, hatte sich untüchtig gezeigt, er wurde beseitigt und an seine Stelle setzte man zwei gewiegte Männer Andrea Colonna Ceccaldi aus Vescovato und Don Luis Giafferi von Talasani, und erklärte beide zu Generalen des Volks. Von neuem wurde Bastia angegriffen, und wieder ging der Bischof ins Lager des Volks, es zu beschwichtigen. Man schloß Waffenstillstand auf vier Monate. Beide Teile benutzten ihn sich zu rüsten; auch Ränke nach alter Art wurden von dem genuesischen Abgesandten Camillo Doria geschmiedet, aber ein Mordanschlag auf Ceccaldi's Leben schlug fehl. Dieser hatte mit Giafferi das Innere des Landes durchzogen, die Familienkriege geschlichtet, das Recht wieder hergestellt, dann im Februar 1731 eine Versammlung in Corte eröffnet. Es wurden hier Gesetze erlassen, Anordnungen zur allgemeinen Erhebung getroffen, Milizen und Obrigkeiten eingerichtet. Mit feierlichem Schwur verband man sich, nimmermehr das Joch Genua's zu tragen. Es war das ganze Volk von diesseits wie von jenseits der Berge, welches in einem einzigen Gefühl sich erhob. Auch die Stimme der Religion wurde befragt. Die Geistlichkeit der Insel trat in Orezza zusammen, und faßte einmütig den Schluß, daß wenn die Republik das Recht weigere, der Krieg Notwehr sei und das Volk ledig seines Untertaneneides.


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