Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Siebentes Kapitel.

Zwei Särge.

Wo kam der Tron des größten Königs hin?
Wo sind die Großen all' voll Heldensinn?
Du gehst von hinnen, doch es währt die Welt,
Und keiner hat ihr Rätsel aufgehellt.
Voll weiser Lehren ist für uns ihr Lauf,
Warum denn achten wir so wenig drauf?
Firdusi (von Schack).

Indem ich die Geschichte Napoleons, sein glanzvolles Kaiserreich, die Völker und die Fürsten, welche dieser jähe Wandelstern zu seinem Hof heranzog, die Flut von Ereignissen und von Geschicken, die er über die Welt warf, mir vergegenwärtigte, überkam mich in seinem nun todtenstillen Hause Traurigkeit und Befriedigung zugleich.

Alle jene ungeheuren Leidenschaften, welche nimmersatt die halbe Welt verschlangen, wo sind sie nun, was bewegen sie noch? Sie sind wie ein Traum, wie eine große Fabel, welche die Säugamme Zeit ihren Kindern erzählt. Dank sei der Zeit. Sie ist die stille und geheimnißvolle Macht, die alles wieder ebnet, selbst die himmelaufragenden Herrscher. Sie ist der heilsamste Ostracismus, das wahre Scherbengericht.

Wo ist Napoleon? Was blieb von ihm übrig? – –

Ein Name und eine Reliquie, welche ein leicht zu blendendes Volk nun öffentlich anbetet. Wie die verhaltene Leichenfeier Napoleons vom Jahr 1821 erscheint mir das, was nun jenseits des Rheins geschah. Aber die Todten stehen nicht mehr auf. Nach den Göttern kommen die Gespenster und nach der Welttragödie das Satirspiel. – Ein Leichengeruch geht durch die Welt, seitdem sie drüben, jenseits des Rheins, einen todten Mann angerührt haben.

Ich ging aus dem Hause Letitia's in ihre Sargcapelle.

Die Straße des Königs von Rom führt zur Kathedrale Ajaccio's. Diese Kirche ist ein plumper Bau mit schlichter Façade, über deren Portal ein ausgelöschtes Wappen zu sehen ist. Ohne Zweifel war es das Wappen der Republik Genua. Das Innere ist bunt und ziemlich ländlich. Schwere Pfeiler trennen es in drei Schiffe; die Kuppel ist klein, wie die Tribüne.

Rechts nun befindet sich am Chor eine kleine schwarz ausgeschlagene Capelle. Zwei mit schwarzem Sammet überdeckte Särge stehen darin vor einem ganz dörflich ausgezierten Altar. Zu Fuß und zu Haupt eines jeden Sarges sind hölzerne Candelaber aufgestellt, und ein ewiges, doch ausgelöschtes Lämpchen hängt über jedem. Auf dem Sarge zur Linken liegt ein Cardinalshut und ein Immortellenkranz; auf dem Sarge zur Rechten eine Kaiserkrone und ein Immortellenkranz.

Das sind die Särge des Cardinals Fesch und der Madame Letitia. Im Jahre 1851 hat man sie aus ihren italischen Grüften hieher gebracht. Letitia war am 2. Februar 1836 in ihrem römischen Palast am venetianischen Platz gestorben, und ihr Sarg stand seitdem in einer Kirche der Stadt Corneto bei Rom.

Kein Marmor, kein Kunstwerk, kein Gräberpomp – nichts ziert die Stätte, wo eine Frau begraben liegt, welche einen Kaiser, drei Könige und drei Fürstinnen geboren hat.

Mich überraschte die bewußtlose Ironie und der tief tragische Sinn, welcher in dieser fast ländlichen Einfalt von Letitia's Gruftcapelle liegt. Sie gleicht einer fürstlichen Todtengruft aus Theatercoulissen. Ihr Sarg ruht auf einem hohen hölzernen Gestell, von Holz sind die plumpen Candelaber und das Gold daran ist Schaum. Sammet dünkt der Ueberhang der Capelle, doch ist er von gemeinem Tafft und die langen silbernen Fransen daran sind von Silberpapier. Jene goldne Kaiserkrone auf dem Sarge ist von Holz und mit Goldschaum überklebt. Nur der Immortellenkranz Letitia's ist ächt.

Man sagte mir, daß diese Gruftcapelle provisorisch sei, und daß man eine neue Kathedrale bauen werde mit einer schönen Todtengruft für die Mutter Napoleons. Das hat gute Wege, denn die Corsen sind sehr arm, und es sollte mich auch dauern. Die wackern Bürger Ajaccio's wissen gar nicht, wie tiefsinnig sie gewesen sind. Es spricht eine so große Lebensweisheit aus dieser Capelle . . . Was waren auch die Kronen, welche Letitia von Ajaccio und ihre Kinder trugen? Einen kurzen Abend lang waren sie Fürsten, dann warfen sie schnell Purpur und Scepter ab und verschwanden, als wäre nichts geschehn. Darum hat die Geschichte selber die Krone von Goldschaum auf den Sarg der Bürgerstochter Ramolino gelegt. Laßt sie liegen, sie ist nicht minder schön, wenn sie gleich unächt ist wie das Glück der Bastardkönige, welche dieses Weib gebar.

Nie durfte wol, so lange die Welt steht, einer Mutter Herz höher schlagen, als das Herz des Weibes in diesem Sarge. Ihre Kinder sah sie eins nach dem andern auf der höchsten Sonnenhöhe menschlicher Herrlichkeit, aber eins nach dem andern sah sie dieselben niederstürzen. Sie hat dem Schicksal die Schuld bezahlt.

Welch ein unverschuldetes Los, und wie kam es, daß in dem Schoß einer jungen, heitern und eiteln Frau so dämonische Mächte, diese völker- und städteverschlingenden Gewalten reifen mußten? –


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