Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Drittes Buch.

Erstes Kapitel.

Ajaccio.

Ajaccio liegt am nördlichen Ende eines Golfes, welcher zu den herrlichsten der Welt gezählt wird. Seine beiden Uferlinien sind von ungleicher Länge. Die nördliche ist die kürzere; sie läuft in westlicher Richtung fort bis zur Punta della Parata, einer Landspitze, vor welcher die Isole Sanguinarie oder Blutinseln liegen. Die südliche Seite zieht sich mit vielen Einsprüngen weit bis zum Cap Muro, um welches herumfahrend man in die Bai Valinco gelangt.

Man sieht auf dem nördlichen Ufer keine, auf dem südlichen wenige Ortschaften und mehre Türme und Fanale. Das Nordende des Golfs überragen hohe Berge, unter ihnen der Pozzo di Borgo; es sind die Grenzgebirge des Gravonetals, welches im fruchtreichen Campo di Loro endigt.

Man behauptet, daß Ajaccio eine der ältesten Städte Corsica's sei. Die fabelnden Chronisten leiten sie von Ajar ab, andere von Ajazzo dem Sohn des trojanischen Fürsten Corso, welcher mit Aeneas in das Westmeer wanderte, Sica, eine Nichte der Dido, entführte und der Insel so den Namen gab. Nach den Angaben des Ptolemäus lag an diesem Golf Urcinium, welches das Adjacium des frühesten Mittelalters gewesen sein soll, und diese Stadt wird stets mit den ältesten der Insel, mit Aleria, Mariana, Nebium und Sagona genannt, Städten die untergegangen sind.

Das alte Ajaccio lag aber nicht auf der Stelle des heutigen, sondern auf einem nördlicher gelegenen Hügel, San Giovanni. Auf seiner Spitze stehn noch die Trümmer eines Castells, castello vecchio genannt, und ehedem sah man dort die Ruinen der alten Kathedrale, auf denen die Bischöfe Ajaccio's lange Zeit fortfuhren sich einweihen zu lassen. Sie sind verschwunden; nichts verrät mehr; daß hier eine Stadt gestanden hat. Aber man fand in den Weinbergen viele Römermünzen und große Gefässe von terra cotta in ovaler Form, auch Graburnen, welche jedesmal ein Skelett und einen Schlüssel enthielten. Man will dort auch die gewölbten Gräber der Maurenkönige gezeigt haben, welche verschwunden sind.

Die neue Stadt legte mit der Citadelle die Bank des heiligen Georg im Jahre 1492 an. Sie war der Sitz eines Leutnants, und erst im Jahr 1811 wurde sie zur Hauptstadt der Insel erhoben, auf Betreiben der Madame Letitia und des Cardinals Fesch, welche ihren und des Kaisers Geburtsort auszeichnen wollten.

Von jenem Hügel San Giovanni übersieht man die Stadt und ihre Umgebung am besten. Sie gewährt das freundlichste Bild, und kein anderer Ort Corsica's kommt ihr gleich. Ihr Horizont ist herrlich. Wolkenhohe Berge weit ins Land hinein, der majestätische Golf in azurblauem Licht, der Himmel des Südens und eine italienische Vegetation; man kann sich keinen besseren Verein denken, und da liegt nun ein harmloses Städtchen von 11500 Einwohnern, im Laub der Ulmenbäume versteckt, und gebietet über eine Gegend, welche bestimmt zu sein scheint, eine Weltstadt zu tragen.

Auf einer Landzunge, deren Spitze das Castell einnimmt, reiht sich die Stadt auf und zieht sich weiter zu beiden Seiten am Golf entlang. Die Ulmen und Platanen setzen sich in der Hauptstraße, dem Cours Napoleon, fort. Denn diese ist eigentlich die Fortsetzung der Straße von Corte. Man hat sie zum Teil in die Felsen sprengen müssen, von denen zwei noch an ihrem Eingang stehn. In diesem Corso verwandeln sich die Ulmen in Orangenbäume von ziemlicher Höhe, welche der Straße ein reiches Ansehn geben. Die Häuser sind hoch aber ohne schöne Architektur. Charakteristisch sind die grauen Fensterladen, welche man in Corsica liebt, während sie in Italien von einer muntern grünen Farbe zu sein pflegen. Dieses Grau stumpft die Gebäude ab und macht sie monoton. Alle ansehnlicheren Häuser des Corso stehn auf der rechten Seite, das kleine Gabrieltheater, die zierliche Präfectur und eine Militärcaserne.

Mich überraschte die ländliche Stille auf allen diesen Straßen; nur ihre Namen rufen den Wanderer an und erzählen die Geschichte Napoleons. Da liest man cours Napoléon, rue Napoléon, rue Fesch, rue Cardinal, place Letitia und rue du roi de Rome. Die Erinnerung an Napoleon ist die Seele der Stadt, und so geht man einher in Gedanken an den wunderbaren Menschen und an seine Kindheit, aus einer Gasse in die andere, und bald sind sie alle durchwandert. Parallel mit dem Cours Napoleon läuft die Straße Fesch. Jene führt auf den Platz des Diamanten am Meer, diese endigt in dem Marktplatz und führt nach dem Hafen. Das sind die beiden Hauptstraßen und Hauptplätze Ajaccio's. Kleine Seitengassen verbinden sie und durchschneiden alle die Landzunge. Die Stille ist so recht einladend zum Erinnern, und so still liegt auch der blaue Golf vor den Blicken ausgebreitet. Man sieht ihn fast aus jeder Straße. Nirgend bleibt das Auge in Mauern gefangen, denn die Hauptstraßen sind breit, die Plätze groß, mit grünen Bäumen bepflanzt, und Meer und Oelberge, welche hart über dem Städtchen aufsteigen, blicken überall herein wo man gehen und stehen mag. Ajaccio ist Landstadt und Seestadt zugleich, man lebt dort mitten in der Natur.

Abends belebt sich der Corso und der Diamantplatz. Die Musikbande spielt; in Gruppen geht, steht das Volk umher. Die Frauen tragen meist schwarze Schleier, die vom Mittelstand die malerische Faldetta. Man kann sich einbilden irgendwo auf einer spanischen Küste zu stehn.

Ich kenne wenige Platze, die eine so schöne Ansicht gewährten, als dieser Diamantplatz. Unmittelbar an ihm rauschen die Meereswellen, nach der Landseite zu schließen ihn freundliche Häuserreihen, darunter ein stattliches Militärhospital und ein zierliches Seminar der Priester, und hart über ihm steht ein grüner Berg. Eine steinerne Wehr faßt ihn gegen den Golf ein; mit wenigen Schritten ist man am Strand, welchen ein Baumgang umkränzt.

Ich fand nichts Angenehmeres in Ajaccio als am Abend, wenn der Westwind über den Golf wehte, dort zu lustwandeln oder auf der Wehr zu sitzen und das Panorama von Meer und Bergen zu betrachten. Der Himmel strahlt dann im feenhaften Licht; die Luft ist so klar, daß die Milchstraße und der Venusstern lange Schimmer über den Golf werfen und die Wellen von einem sanften Glanz wiederscheinen. Wo sie schwanken oder ein vorübergleitender Kahn Furchen hinter sich zieht, erzittern sie von phosphorescirenden Funken. Gerade über hüllt sich das Ufer in Nacht; Fanale brennen auf den Landspitzen, und an den Bergen sieht man mächtige Feuer lodern. Dort brennt man nämlich um die Zeit des August die Buschwälder nieder, um urbares Land zu gewinnen, welches durch die Asche zugleich gedüngt wird. Ich sah diese Feuer Tage lang fortlodern. Tags wälzen sie weiße Dampfwolken über die Berge, Nachts leuchten sie über dem Golf wie Vulkane, und dann wird die Aehnlichkeit mit Neapel überraschend.

Auch der mit Bäumen bepflanzte Marktplatz ist nicht minder schön. Man übersieht hier den Hafen, der durch einen granitnen Molo, eine Anlage Napoleons, begrenzt wird. Ein Kai von Granit schließt die Meerseite des Platzes. An seinem Eingang steht Ajaccio's Hauptbrunnen, ein großer Würfel aus Marmor, aus dessen Seiten das Wasser in halbrunde Becken strömt. Er ist stets umlagert, und niemals konnte ich diese Gruppen von Wasser schöpfenden Frauen und Kindern betrachten, ohne an die Brunnenscenen des alten Testaments zu denken. In einem heißen Lande ist die Wasserquelle wahrhaft die Quelle der Poesie und der Geselligkeit; Feuerherd und Brunnen sind die altgeheiligten Sammelpunkte der menschlichen Gemeinschaft. – Die Weiber schöpfen hier nicht mehr mit Erzgefäßen wie in Bastia, sondern mit kleinen Tonnen oder Krügen von Terra Cotta, über deren Oeffnung ein Henkel geschlagen ist. Auch diese Krüge sind althergebracht; sie haben aber auch Steingefäße mit langem schmalem Halse, welche ganz und gar etruskisch aussehen. Die armen Leute auf der unfruchtbaren Insel Capraja erwerben sich zum Teil ihren Unterhalt mit der Anfertigung solcher Gefäße, welche weit und breit versendet werden.

Aus demselben Marktplatz steht vor dem Stadthause eine Marmorstatue Napoleons, aus einem übertrieben hohen und unschönen Piedestal von Granit. Die Inschrift lautet: dem Kaiser Napoleon seine Vaterstadt am 5. Mai 1850, im zweiten Jahre der Präsidentschaft Louis Napoleons. Lange hatte sich Ajaccio um ein Denkmal Napoleons bemüht und immer vergeblich. Die Ankunft eines Kunstwerks in Corsica war daher ein nicht kleines Ereigniß. Nun traf es sich, daß die Familie Bonaparte einst dem Herrn Ramolino die Statue eines Ganymed schickte. Als diese ausgeschifft wurde und das Volk sie erblickte, hielt es den Adler des Zeus für den Kaiseradler, den Ganymed für Napoleon. Es sammelte sich auf dem Marktplatz und verlangte, daß man die Bildsäule sofort auf dem Brunnenwürfel aufstelle, damit man endlich den großen Mann in Marmor vor sich habe. Indem die wackern Corsen den trojanischen Jüngling zu ihrem Landsmann Napoleon machten, schienen sie die Fabel der Chronisten zu bestätigen, daß die Ajacciner von einem Prinzen Troja's abstammen.

Eigentlich war die schöne Napoleonbildsäule des Florentiners Bartolini für Ajaccio bestimmt; man wurde indeß um den Preis nicht einig, und so schmückt Bartolini's Werk diese Stadt nicht. Die Statue Napoleons in Ajaccio ist eine mittelmäßige Arbeit Laboureurs. Sie ist eine Consularstatue. Der Consul blickt auf das Meer, von der winzigen Vaterstadt in das Element hinausgewendet. Er trägt die römische Toga und einen Lorbeerkranz; die rechte Hand hält ein Steuerruder, welches auf der Weltkugel aufsteht. Die Idee ist gut, denn im Angesicht des Golfs ist das Steuerruder ein natürliches Symbol, zumal in der Hand des Insulaners. Der Beschauer verweilt hier bei der Geschichte nicht des vollendeten, sondern des werdenden Herrschers, indem er die kleine Welt Ajaccio's um sich her sieht, ans welcher der gewaltigste Mensch Europa's als Kind und Jüngling umherging, nicht wissend wer er sei und wozu ihn das Geschick bestimmt hatte. Dann schweift die Erinnerung wieder auf das Meer und in diesem Golf hier sieht man das Schiff ankern, welches den General Bonaparte von Egypten nach Frankreich trug. Nachts saß er am Bord und durchflog mit hastiger Seele die Zeitungen, die man für ihn auftreiben konnte, und hier war es, wo er den Entschluß faßte, jenes Steuerruder zu ergreifen, mit dem er dann nicht Frankreich allein, sondern ein Kaisertum und die halbe Welt regieren sollte, bis es in seinen Händen zerbrach, und der Mann von Corsica an der Insel Sanct Helena scheiterte.

Dem Maestrale nicht ausgesetzt wie die Bai S. Fiorenzo, sondern von allen Stürmen geschützt, könnte dieser Golf die größesten Flotten beschirmen. Aber der Hafen ist todt. Einmal in der Woche bringt ein Dampfschiff aus Marseille Nachrichten und Gebrauchsartikel. Ich hörte oft die Corsen klagen, daß die Vaterstadt Napoleons, obwol durch eine unvergleichliche Lage und Zone so sehr begünstigt, nichts mehr sei als ein Städtchen irgend einer Provinz von Frankreich. Wie gering der Absatz der Waren und wie dürftig die heimische Industrie ist, zeigt gleich ein Umgang auf dem Marktplatz, wo die meisten Verkaufsläden im Untergeschoß der Häuser sich befinden. Man sieht nur das notdürftigste Handwerk, namentlich Schneider und Schuhmacher; was nach Luxuswaren aussieht, hat ein veraltetes Ansehn.

Ich fand eine einzige Buchhandlung in Ajaccio, aber auch diese ist mit einem Kleinwarenlager verbunden, und Seife, Band, Messer und Flechtwerk verkauft man dort neben Büchern. Doch hat das Stadthaus eine Bibliothek von 27,000 Bänden. Lucian Bonaparte legte zu ihr den Grund, und man sagt, er habe sich durch diese Büchersammlung größere Verdienste um Corsica erworben als durch sein Epos in zwölf Gesängen: La Cyrneide. Auch die Präfectur besitzt eine schätzenswerte Bibliothek, namentlich ist ihr Archiv reich an Documenten corsischer Geschichte.

Im Stadthause wird die Bildersammlung aufbewahrt, welche der Cardinal Fesch seiner Vaterstadt vermacht hat. Es sind 1000 Bilder an der Zahl. Die armen Bürger Ajaccio's können diese Gemälde nicht aufstellen, weil sie kein Museum dafür haben. Sie liegen also schon seit Jahren in der Rumpelkammer. Fesch bestimmte auch sein Haus zu einer Stiftung, erst für die Jesuiten, dann zu einem Collegium, welches jetzt seinen Namen trägt. Es besteht aus einem Principale und 12 Lehrern für verschiedene Wissenschaften.

Groß ist die Armut Ajaccio's an Anstalten, wie an öffentlichen Gebäuden. Sein größter Schatz ist das Haus Bonaparte.


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