Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Elftes Kapitel.

Der alte Einsiedel.

Multa linquitis mortales, non quia contemnitis, sed quia desperatis posse consequi; excitant se alternis stimulis spes et desiderium –
Petrarca de Contemptu Mundi.

Man hatte mir in Stretta gesagt, daß ein Landsmann von mir dort wohnhaft sei, ein Preuße, ein Mann auf Krücken, ein alter, wunderlicher. Und dem hatte man auch gesagt, daß ein Landsmann von ihm angekommen sei. Wie ich nun aus dem Sterbezimmer des Clemens Paoli zurückkehrte, in Gedanken an diesen alten Gotteshelden, kam der alte Landsmann auf Krücken angehinkt und gab mir einen deutschen Handschlag. Ich ließ ein Frühstück auftragen; wir setzten uns nieder und ich horchte stundenlang auf des alten Augustin aus Nordhausen sonderbare Geschichten.

Mein Vater, so erzählte er, war ein protestantischer Prediger und wollte mich zum Luthertum erziehn, aber schon als Kind mochte mir die protestantische Kirche nicht behagen, und ich erkannte daß die Lutherei eine Verschimpfung der einzigen und wahren Kirche sei, wie sie nämlich im Geist und in der Wahrheit ist. Es ging mir durch den Kopf Missionär zu werden. In Nordhausen besuchte ich die lateinische Schule, und kam bis zur Logik und Rhetorik. Und nachdem ich die Rhetorik gelernt hatte, ging ich in das schöne Land Italien nach Casamari unter die Trappisten und schwieg elf Jahre lang.

Aber, Freund Augustin, wie haben Sie das aushalten können?

Ja, wer nicht lustig ist, der hält es nicht aus. Wer die Melancholie hat, der wird in der Trappe verrückt. Ich konnte tischlern, und tischlerte den ganzen Tag und sang dazu im stillen.

Was habt Ihr zu essen gehabt?

Krautsuppen, zwei Teller voll, Brod nach Belieben und eine halbe Flasche Wein. Ich habe wenig gegessen aber nie habe ich einen Tropfen in der Flasche gelassen. Gott sei gepriesen um den schönen Wein. Mein Bruder zur Rechten war immer hungrig, er aß immer zwei Teller voll Krautsuppe und fünf Brode dazu.

Haben Sie den Papst Pio Nono gesehen?

Ja, auch gesprochen habe ich mit ihm, wie mit meinem Freunde. Er war als Bischof in Rieti, und ich ging dahin in meiner Kutte, da ich in einem andern Kloster war, am heiligen Charfreitag das heilige Oel zu holen. Ich war damals schon sehr krank. Der Papst küßte meine Kutte wie ich Abends zu ihm kam, mich zu verabschieden. Fra Agostino, sagte er, Ihr seid krank, Ihr müßt was essen. Herr Bischof, sagte ich, ich habe noch nie einen Bruder am heiligen Freitag essen sehen. Thut nichts, Ihr seid dispensirt, denn Ihr seid krank; und da ließ er mir aus dem vornehmsten Gasthause ein halbes Huhn holen, Fleischbrühe, Eingemachtes und Wein, und ich saß an seinem Tisch.

Wie? hat der heilige Vater damals auch gegessen?

Er aß nur drei Nüsse und drei Feigen. Nun wurde ich immer kranker, und ich ging nach Toscana. Da gefielen mir eines Tages die Menschenwerke nicht mehr und wurden mir grundhäßlich. Ich beschloß Einsiedler zu werden. Ich nahm also meine Werkzeuge, kaufte mir das Nötige und fuhr auf das Inselchen Monte Cristo. Es ist von neun Millien Umfang; niemand wohnt darauf als wilde Ziegen, Schlangen und Ratten. In der alten Zeit hat der Kaiser Diocletianus den heiligen Mamilian, welcher Erzbischof von Palermo war, dahin verbannt gehabt. Der hat sich oben auf den Steinen eine Kirche gemacht, und darauf wurde ein Kloster gebaut. Es waren da einst 50 Mönche, zuerst Benedictiner, dann Cistercienser, dann die Carthäuser vom heiligen Bruno. Die Mönche von Monte Cristo haben viele Hospitäler in Toscana errichtet und viel Gutes gethan, auch das Hospital der Maria Novella in Florenz haben sie gestiftet. Nun sehen Sie, die Saracenen haben die Mönche hinweggeführt mit sammt ihren Ochsen und Knechten; die Ziegen konnten sie nicht fangen, die sprangen auf die Steine und dann sind sie wild geworden.

Haben Sie im alten Kloster gewohnt?

Nein, das ist zerfallen. Ich lebte in einer Grotte. Die hatte ich mir mit meinem Handwerkszeug eingerichtet und auch eine Mauer davor gemacht.

Wie haben Sie die langen Tage hingebracht? Sie haben wol immer gebetet?

Ach! nein, ich bin kein Pharisäer. Man kann nicht viel beten. Was Gottes Wille ist, das geschieht. Ich hatte meine Flöte. Ich ging auch die wilden Ziegen schießen, oder suchte Steine und Pflanzen, oder sah zu wie das Meer gegen die Felsen geschwommen kam. Ich hatte auch Bücher zu lesen.

Was für welche?

Die sämmtlichen »Opern« des Jesuiten Paul Segneri.

Was wächst auf der Insel?

Lauter Haidekraut und Marienkirschen. Es gibt auch kleine Täler, die hübsch grün sind. sonst ist alles Stein. Ein Sardinier kam an die Insel und gab mir Pflanzensamen, da habe ich Gemüse gepflanzt, auch Bäume habe ich gesetzt.

Sind gute Steine auf der Insel?

Ja, schöner Granit und schwarzer Turmalin, der wächst in dem weißen Stein, und von schwarzen Granaten habe ich drei Arten gefunden. Am Ende wurde ich todtkrank auf Monte Cristo, da kamen zum Glück die Toscaner und haben mich ans Land geholt. Nun bin ich elf Jahre hier auf dieser verfluchten Insel unter den Spitzbuben, denn es sind lauter Spitzbuben. Die Aerzte haben mich hergeschickt; aber wenn ein Jahr um ist, so hoffe ich das Land Italien wiederzusehen. So ein Leben wie in Italien gibt es auf der ganzen Welt nicht mehr, und die Menschen sind artig. Ich werde alt und gehe auf Krücken, und weil ich alt bin und mir gedacht habe: du wirst bald dein Tischlern aufgeben müssen und willst doch nicht betteln gehn, so bin ich in die Berge gegangen und habe das Negroponte entdeckt.

Was ist das Negroponte?

Das ist die Erde, wovon sie in Negroponte die Pfeifen machen; zu Hause sagen sie Meerschaum. Es ist die reine Blüte von einem Stein. Dies Negroponte hier ist so gut wie das in der Türkei, und wenn ich es erst heraus habe, so bin ich der einzige Christ der es gemacht hat.

Der alte Augustin wollte durchaus daß ich in sein Laboratorium ging. Er hat sich dasselbe im Convent unter den Zimmern des armen Clemens eingerichtet; dort zeigte er mir fröhlich sein Negroponte und die Pfeifenköpfe, die er bereits gemacht und in die Sonne zum Trocknen gelegt hatte. –

Ich glaube, jeder Mensch hat einmal im Leben eine Stunde, wo er in den grünen Wald gehen und ein Siedel werden möchte; und jeder hat einmal eine Stunde, wo er schweigen möchte wie ein Trappist.

Des alten Augustin kleines Lebensbild habe ich hier aufgezeichnet, weil es mich so sehr anregte, und ich glaube, es ist ein ächtes Stück deutscher Natur.


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