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Unter den Ziegenhirten des Monte Rotondo.
– tomo un puño de bellotas en la mano, y mirandolas atentamento solto la voz e semejantes razones: Dichosa edad y siglos dichosos aquellos a quien los antiguos pusieron nombre de dorados – |
Cervantes, Don Quijote. |
Ich hatte mir vorgenommen, den höchsten Berg Corsica's, den Monte Rotondo zu besteigen, welcher eine halbe Tagereise südwestlich von Corte liegt und fast als Mittelpunkt der Insel betrachtet werden kann. Obwol man mir die Mühe als sehr groß schilderte, hoffte ich doch einen klaren Tag und hinreichende Entschädigung zu finden. Am meisten war mir daran gelegen, einen Blick in das noch ganz ursprüngliche Naturleben der Hirten zu thun.
Ich mietete einen Führer und ein Maulthier, und ausgerüstet mit Brod und einigen Kürbisflaschen voll Wein, ritt ich am 28. Julius in der Morgenfrühe in die Berge hinein. Der Weg, ein Hirtenpfad, führt immer durch ein und dasselbe Tal der wilden Restonica, von ihrer Mündung in den Tavignano hart an der Stadt bis hinauf zum Gipfel des Rotondo, über den ihre Quellwasser hinabströmen. Das Bette dieses schönen Bergstroms ist jene tiefe und schauerliche Talschlucht. In der Nähe Corte's öffnet sie sich zu ziemlicher Breite, und da gedeihen Castanien und Wallnußbäume am Wasser. Weiter hinauf wird sie enger, die schwarzen Ufer türmen sich steil zu beiden Seiten auf und tiefgrüne Urwälder von Pinien und Lärchen umschatten sie.
Das Maulthier kletterte sicher auf den schmalsten Pfaden an Abgründen hin, und oft war der Blick in die Tiefe, durch welche die Restonica schäumt, furchterregend. Wie die Sonne empor stieg, nahm mich ein prächtiger Wald auf. Herrlich sind diese Riesenbäume, die Pinie mit ihrem grünen breiten Dach, der Lärchenbaum gleich einer Ceder knorrig, mächtig aufgestrebt und vielästig. Die Stämme umbuscht der wilde Waldgarten von blühenden Mirten, von hochaufgeschossener Erika und von Buxus. Erquickend und labsam war der Duft von all' dem medicinalen Kraut, woran die Berge Corsica's so reich sind.
Mein Führer schritt rasch voran. Manchesmal überfiel mich doch ein Grauen, wenn ich mich in dieser dunkeln Felsen- und Waldwildniß mit ihm allein sah und er einen Blick nach mir zurück warf. Er war ein häßlicher Mensch und in seinen Augen lag nichts Gutes. Ich sollte erst nachher erfahren, daß an seiner Hand Blut klebte.
In dieser romantischen Bergwildniß stundenweit reitend, hört man nichts als das Rauschen der Wasser, das Schreien der Falken und bisweilen den hellen Pfiff eines Hirten, der seinen Ziegen ruft.
Die Hirten wohnen zerstreut in Hölen oder in Capannen an den Abhängen des Monte Rotondo, bis zu dessen Kamm hinauf ihre Herden klettern. Die letzten Hirtengemeinden hausen in einer Höhe von mehr als 5000 Fuß über dem Meeresspiegel. Ihre wunderlichen Lagerplätze haben ihre Namen.
Nach dreistündigem Ritt kam ich an die Rota del Dragone, das Drachenrad. Vom Ufer der Schlucht ans Wasser hinreitend, sah ich eine schwarze rußige Höle vor mir, tief in den Fels gebogen, aus ungeheuren Granitblöcken aufgewölbt. Wenige Schritte vor ihrem Eingang tobte die Restonica vorüber, zwischen Getrümmer hinwegrasend – ringsum Felsen und dichter Wald. Um den Eingang der Grotte waren als Umfriedung Steine aufgeschichtet. Ein Feuer brannte in der Höle, um dasselbe kauerte die Hirtenfamilie. Ein elend aussehendes Weib saß daran und besserte an einem Kleide, neben ihr ein fieberkranker Knabe in eine braune Decke von Ziegenwolle gehüllt, aus der sein bleiches Gesicht und seine flackernden Augen fragend herausschauten.
Der Hirt war aus der Höle getreten; er lud mich freundlich ein, abzusteigen und frische Milch und frischen Käse zu essen. Ich nahm das mit Dank an und besah das Innere dieser wunderlichen Felsenklause. Die Grotte zog sich tief in den Berg hinein und hatte Raum für eine Herde von 200 Ziegen und Schafen, welche der Hirte jeden Abend dort hinein treibt, sie zu melken. Es war das so wahrhaft die Höle des Polyphem, daß Homers Beschreibung nach ihr gemacht zu sein scheinen konnte. Denn alles fand ich hier wieder, selbst die Reihen von Gefäßen voll Milch und mehr als hundert Stück plattrunder Käse auf frisches Blätterwerk gelegt. Nur den Polyphemos selber fand ich nicht, denn mein Wirt, so räuberisch und wild er in seinen zottigen Kleidern aussah, war die Gastlichkeit selbst.
Kommen bisweilen die Banditen vom Berg zu euch? fragte ich den Troglodyten. – Die kommen wol, sagte der Mann, wenn sie hungrig sind. Seht hier diesen Stein, auf dem ich sitze – vor zwei Jahren versteckten sich hier zwei Banditenjäger, die wollten den Serafin erlauern. Aber der kam Nachts herbeigeschlichen, und mit zwei Stichen hat er die Beiden auf diesem Stein stumm gemacht, dann ging er wieder in die Berge.
Der Führer mahnte zum Aufbruch. Ich sagte dem Hirten Dank für seine Gabe, und ritt hinweg, nicht ohne Schaudern.
Der Pfad, der nun durch die Restonica aufs andere Ufer führte, wurde immer steiler und beschwerlicher. Endlich erreichte ich nach zwei Stunden, vom Nebel durchnäßt, während eines prächtigen Gewitters die letzte Hirtenrast auf den Unterbergen des Rotondo, wo ich übernachten sollte. Sie heißt Co di Mozzo.
Ich hatte von den Capannen hier oben viel gehört, und dachte sie mir in den wilden Bergen seltsam genug, als kleine Hütten im Pinienwalde oder auf duftigen Alpenhängen in schäferlichster Natur. Wie ich nun bei Donner und Blitz und im Sprühregen hinaufritt, sah ich nichts als wüstes Gestein, titanisch zertrümmert, durcheinandergeworfene Granitklippen auf dem Hange eines großen grauen, trostlos öden Felsenkegels. Aus dem Gestein stieg leichter Rauch empor. Das Grau der Regenwolken, die matten Blitze, das Rollen des Donners, das Rauschen der Restonica und die tiefe Melancholie der Berge umher stimmte die Seele traurig.
Einige vom Sturm zerzauste Lärchenbäume standen auf dem steilsten Rand einer nackten Schlucht, durch die in Wellenstürzen von Block zu Block die Restonica herabschäumte. Rings umher nichts als ödeste Klippen und ein großer Blick in das vernebelte Tal, aus dem ich herausgekommen war. Ich suchte mit den Augen lange die Capannen, auf die mein Führer hinwies. Endlich sah ich sie im Gestein und den seltsamsten Hirtenstaat vor mir, bestehend aus vier Wohnungen im ursprünglichsten Baustil der Welt, ja vielleicht mit weniger Kunst gebaut als Termiten oder Biber an ihre Häuser zu wenden wissen.
Jede dieser Hütten besteht aus vier Wänden von über einander gelegten Steinen. Sie sind etwa 3 Fuß hoch. Auf ihnen liegt ein Dachgiebel von schwarzberußten Baumstämmen und Brettern, welche mit großen Steinen beschwert sind. Eine Oeffnung in der Vorderwand dient als Thüre. Der Rauch sucht durch diese seinen Ausgang und quillt aus dem Dach oder aus den Wänden, wo immer er eine Ritze findet. Vor der Hütte umschließt eine Umfriedung von Steinen einen kleinen Raum, in welchem Gefäße stehn. In dessen Ecke erhebt sich der palo, ein Pfal mit wenigen Aesten, an welchen Kessel, Kleidungsstücke und Striemen von Ziegenfleisch hängen.
Ein paar zottige Hunde sprangen mir entgegen als ich auf die Capanne zuritt, und die Hirtengemeinde, Männer und zerlumpte Kinder, krochen aus den Hütten heraus und betrachteten neugierig den Fremdling. Sie sahen seltsam genug aus in diesen wüsten Steinen, den pelone, ihren zottigen braunen Mantel umgeschlagen und das rote beretto auf dem Kopf, die Gesichter bronzen und dunkelbärtig. Ich rief ihnen zu: Freunde, gebt einem Fremden Gastfreundschaft, der über Meer gekommen ist die Hirten von Co di Mozzo zu besuchen. – Sie riefen freundlich: Evviva! und Benvenuto!
Tretet in die Capanne, sagte der Eine, und trocknet euch am Feuer; drinnen ist es warm. Ich zwängte mich sogleich durch die Thüre, neugierig, das Innere zu sehen. Ich fand einen dunklen Raum von etwa 14 Fuß Länge und 10 Fuß Breite – da war kein Gerät, kein Stul, kein Tisch, nichts als der nackte schwarze Steinboden, die nackten schwarzen Steinwände und ein Rauch des Kienfeuers, welcher mir unerträglich schien. An der Wand brannte auf dem Boden ein mächtiger Holzstamm, ein Kessel hing darüber.
Angelo, mein Wirt, breitete die Decke, die ich mitgebracht hatte, auf dem Boden aus und gab mir den Ehrenplatz so nahe am Feuer als möglich. Bald kauerte darum die ganze Familie, das Weib, drei kleine Mädchen und ein Bube, der Hirt, ich und mein Führer. Die Capanne war voll. Unterdeß warf Angelo einige Striemen getrockneten Ziegenfleisches in den Kessel, und Santa sein Weib holte Käse und Milch. Das Gedeck war hirtenmäßig, die Tafel nämlich bestand aus einem drei Fuß langen abgerandeten Brett, welches auf die Erde gelegt wurde. Darauf stellte die Hirtin ein hölzernes Gefäß voll Milch, einen platten Käse und ein Brod. Eßt, sagte sie, und denkt, daß ihr bei armen Hirten seid; zu Abend geben wir euch Truten (Forellen), denn mein Sohn ist gegangen sie zu fischen.
Hole den Broccio, sagte der Hirt, das ist das Beste was wir haben, und es wird euch schmecken. Ich war auf den Broccio neugierig; ich hatte ihn schon in Corte als den größten Leckerbissen der Insel und als die Blume der Hirtenindustrie preisen hören. Santa brachte ein bedecktes rundes Korbgeflecht, stellte es vor mich hin und that es auseinander. Da drinnen lag denn der Broccio, weiß wie Schnee. Es ist eine Art geronnener süßer Ziegenmilch. Mit Rum und Zucker genossen ist's allerdings ein Leckerbissen. Die armen Hirten verkaufen einen Broccio-Kuchen in der Stadt für 1 oder 2 Franken.
Wir langten mit den Holzlöffeln wacker in den Broccio – nur das Weib und die Kinder durften nicht mit essen. So am Feuer auf dem Boden kauernd in der engen, ganz von Rauch erfüllten Capanne, um mich her wilde und neugierige Gesichter, den Holzlöffel in der Hand, überkam mich die Laune, und ich hob an das Leben der Hirten auf den Bergen zu preisen, welche sich genügen lassen mit dem was ihre Herden geben, und das Elend von Mein und Dein und die goldne Sorge des Palasts nicht kennen.
Aber der wackere pastore schüttelte den Kopf und sagte: vita povera, vita miserabile!
Und so ist es in der That. Diese Menschen führen ein sehr elendes Leben. Vier Monate lang, Mai, Juni, Juli und August hausen sie in diesen Capannen, alles entbehrend was das Leben menschlich macht. In ihrer Welt gibt es keinen andern Wechsel als den der Elemente, von Sturm, Wolken, Regenflut, Hagel und Sonnenwärme; Abends ein trauriges Lied, ein Lamento zur Schalmei, eine Banditengeschichte am Feuer, ein Jagdstück vom Muffro und vom Fuchs, und hoch über sich und um sich die Riesenpyramiden des Urbergs und die gestirnte Herrlichkeit des Aeters, in der Brust vielleicht, trotz der vita povera, ein genügsames, heiteres, gottergebenes und ehrliches Menschenherz.
Wenn der Morgen graut, erheben sich diese armen Menschen von dem harten Boden, auf dem sie in ihren Kleidern ohne Decke geschlafen haben und jagen die Herden auf ihre Waideplätze. Dort verzehren sie ihr dürftiges Mal, den Käse und die Milch. Die Alten, welche zu Hause bleiben, liegen in der Capanne am Feuer oder beschäftigen sich mit der notdürftigsten Hausarbeit. Abends kehrt die Herde heim und wird gemolken, und dann bricht wieder die Nacht an, und es ist Zeit sich niederzulegen.
Der Schnee und die Regengüsse des September vertreiben die Hirten aus ihren Bergcapannen. Dann steigen sie mit den Herden nach der Küste hinunter. Dort haben sie in der Regel ihre wohnlicheren Hütten, in denen oft auch das Weib mit den Kindern den Sommer über bleibt. Meine Wirtin Santa war das einzige Weib im Hirtenstaat Co di Mozzo, welcher aus sechs Familien besteht. Warum, so fragte ich sie, seid ihr in diese düstre Capanne herauf gezogen? Seht, fiel Angelo ein, sie ist heraufgekommen sich zu erfrischen. Ich hätte beinahe aufgelacht, wie er dies sagte, denn der Rauch in der Hütte preßte mir Tränen aus und die Atmosphäre war infernalisch. Ich sollte also den elenden Steinhaufen gar als Sommervilla betrachten, wohin eine Familie gekommen war sich zu erquicken. Ja, sagte Angelo, wie ich ein bedenkliches Gesicht machte, unten ist es warm und hier oben weht der Bergwind, und das klare Wasser kommt herunter, das ist frisch wie Eis. Wir leben so wie es uns Gott gesegnet. – Mir aber war, wie Angelo sprach, und ich die lachenden braunen Kindergesichter um mich her sah, als wäre ich auf den wunderbaren Berg der Brahmanen gekommen, und als wäre Angelo Jarchas aller Brahmanen und Bergphilosophen Weisester. Er sprach ernst, kurz, und war schweigsam wie einem Philosophen ziemt.
Angelo besaß 60 Stück Ziegen und 50 Stück Schafe. Der Ertrag der Milch ist gleichwol nicht groß. Im Sommer reicht er hin die Familie notdürftig zu nähren. Der Broccio und der Käse wird unten verkauft, aus dem Erlös wird Brod und das Kleid beschafft. Im Winter gibts wenig, denn die Milch geht drauf die jungen Lämmer und Ziegen zu füttern. Mancher Hirt hat einige hundert Stück in seiner Herde. Wenn es an die Teilung unter die Kinder kommt, gilt es das Glück der Patriarchen zu haben und die Herde zu mehren. Die Aussteuer einer Hirtentochter besteht in 12 Ziegen wenn sie arm, wenn sie reich ist, nach dem Vermögen.
Die Nebelwolke hatte sich verzogen. Ich trat heraus in die frische Luft. Die Hirten saßen auf den Steinen umher, aus ihren hölzernen Pfeifen rauchend. Sie wählen unter sich den Aeltesten oder den Angesehensten zu ihrem Vorstand und Friedensrichter. Mich überraschte diese Wahrnehmung, die ich zufällig machte; denn sie ließ mich in dieser Hirtendemokratie einen Blick gleichsam in den Urzustand der menschlichen Gemeinschaft und in die Anfänge der Staatenbildung thun. So können denn nicht sechs Menschen neben einander leben ohne daß ihre Gesellschaft zu einer Regel wird, aus der sich Gesetze entwickeln. Ich grüßte den kleinen stämmigen Podestà voll Achtung, und indem ich ihn schweigend betrachtete, dünkte er mir noch ehrwürdiger zu sein als Dejoces, der erste und weiseste aller Könige der Meder.
Neben den Capannen bemerkte ich kleinere überdeckte Steinhütten von runder oder von länglicher Form. Das waren die Vorratskammern. Angelo öffnete eine kleine Thüre in der seinigen, und in das Innere hineinkriechend winkte er mir ihm zu folgen. Ich begnügte mich hineinzusehn. Da lagen auf grünen Zweigen die platten Käse und in kleinen Körben Kugeln von weißlicher Ziegenbutter.
Nun setzte ich mich auf einen Stein und zeichnete die Hütten. Die ganze Gemeinde umringte mich und drückte ihr höchstes Vergnügen aus. Es wollte ein jeder gezeichnet sein, um nachher in Paris gedruckt zu werden, wie sie sagten. Sie blieben dabei daß ich aus Paris sei, und ich konnte ihnen gar nicht begreiflich machen daß es außer Paris noch ein Land gebe, welches Germania heißt. Germania also, sagte mein Wirt, heißt euer Paese, und dieses Paese hat Könige, und es gehört zu Paris. Dabei blieb es denn.
Die Nachmittagssonne schien warm und lockte mich in die Berge. Ich nahm die Hirtenkinder mit mir, Antonio einen Jungen von 13 Jahren, der wie ein zottiger Bär aussah, Paola Maria und Fiordalisa. Fiordalisa heißt auf deutsch Lilienblume. Man denke sich diese 12jährige Lilienblume vom Monte Rotondo in einem zerfetzten Kleide, die dunklen Haare wild um das braune Gesicht hängend, und mit nackten Füßen flink wie eine Gemse auf den Felsen kletternd. Ihre Augen waren munter wie die Augen der Bergfalken und ihre Zähne weiß wie Elfenbein. Wir botanisirten an der Restonica. Ich sah schöne rote Nelken auf einer mir schwer ersteiglichen Felsenkante und wies darauf hin. Aspettate! rief die Lilienblume, und wie ein Blitz war sie hinweg und oben hinauf gesprungen, und nach kurzer Zeit mit einer Handvoll Nelken wieder unten. Nun wetteiferten die Kinder im Klettern und tanzten auf den gefährlichen Felsblöcken gleich den Kobolden, furchtlos, denn es waren die Kinder des Berges. Als wir wieder nach Hause zurückkehrten und über die Restonica hinüber mußten, sprang die Lilienblume ins Wasser und machte sich das tolle Vergnügen, mich waidlich zu taufen. Ich fand in den Bergen unsern rotblühenden Fingerhut in großer Zahl. Die kleinen Teufel brachten mir davon die Menge, und heimkehrend umkränzten wir die rauchende Capanne mit einer Guirlande der schönen Giftblumen – ein Schmuck, welcher ihr schwerlich noch widerfahren war. Und dies sollte das Festzeichen sein, denn für gute Menschen ist es immer ein Festtag, wenn ein Gast in ihr Haus einzieht.
Die Lilienblume hatte eine närrische Freude an der Guirlande. Morgen, so sagte sie, wenn ihr oben auf dem Berge sein werdet, da werdet ihr eine blaue Blume finden, die ist die allerschönste Blume in ganz Corsica. – Wenn du es sagst, Fiordalise, so wird es wahr sein und ich werde morgen die blaue Wunderblume finden.
So kam der Abend in der großen stillen Wildniß. Müde von dem Tage setzte ich mich vor den Capannen nieder und betrachtete das wechselvolle Schauspiel der Wolkenbildung. Die Nebel stiegen aus den Schlünden, und von den Bergen angezogen und abgestoßen ballten sie sich in den Tälern zusammen, oder zerfloßen und zergingen in die Gewölke, welche sich langsam über die Berggipfel von oben herunterwälzten. Die Herden kamen heim. Ich betrachtete mit Vergnügen diese langen Züge von schwarzen zierlichen Ziegen und von schwarzen Schafen, denen die armen Hirten ihr Dasein verdanken. Jeder trieb oder lockte sie durch einen hellen Ruf in eine Umzäunung neben seiner Hütte, wo er sie melkte. Diese Arbeit geht schnell von statten. Der Hirt sitzt unter der Herde und greift eine Ziege nach der andern bei den Hinterbeinen. Alle Thiere ruft er bei Namen, jedes kennt er genau, und irgend eine Marke, hauptsächlich am Ohr ist das Zeichen, welchem Besitzer das Thier gehört. Vierzig Stück Ziegen meines Hirten gaben einen nur mäßigen Eimer voll Milch.
In der Umzäunung bleiben die Herden bei Nacht. Die zottigen Hunde beschirmen sie, nicht vor dem Wolf, der in Corsica nicht zu finden ist, aber wol vor dem Fuchs, welcher in den Bergen auffallend stark und mutig ist und die Lämmer überfällt. Der Rosso und der Mustaccio meines Wirtes waren ein paar prächtige Hunde.
Unterdeß kam der älteste Sohn mit seiner Beute an Forellen heim, und Angelo rüstete das Abendmal. Es fiel mir auf daß stets der Mann kochte und nicht das Weib. Wollte er vielleicht seinen Gast ehren? Denn sonst steht das Weib in Corsica in niedrigem und dienendem Verhältniß. Wie ich nun das bedachte, fiel mir ein, daß ja auch beim Homer die Männer alles selber verrichten, das Fleisch an den Spieß stecken, braten und vortragen; und da hatte ich denn den Menschen der epischen und einfachen Culturzeit leibhaftig vor mir.
Es gab eine Brodsuppe, Käse und Milch und zur Auszeichnung des Gastes gebratenes Ziegenfleisch. Denn der wolgeborne und göttliche Ziegenhirt nahm das Fleisch vom palo und nach uralter Menschenweise steckte er es an einen Spieß, und am Feuer knieend hielt er es über die glühenden Kohlen. Sorgsam wurde das abtröpfelnde Fett von Zeit zu Zeit auf ein Stück Brod gedrückt, auf daß von dem duftigen Lendenstück das Köstlichste nicht verloren gehe. Die Forellen kochte er in einer Brühe von Ziegenfleisch, und als sie nun gehörig gesotten waren, stellte er sie vor mich hin, schöpfte mir aus dem großen Löffel und gab mir aus demselben Löffel zu essen, so viel als das Herz begehrte. Ich sah es den Kindern an den Augen an, daß dies ein ungewöhnliches Mal war, und noch vortrefflicher hätte es mich erquickt, wenn jene auch hätten mitessen dürfen.
Nun die Nacht in der Capanne. Ich war gespannt darauf, wie wir uns in dem engen Raum einrichten würden. Doch war es schnell geschehn. Die Decke ward für mich auf die Erde gebreitet, ich streckte mich an der innersten Wand darauf hin, und des Menschen Sohn hatte nichts worauf er sein Haupt legen sollte. Ich sah Angelo an. Göttlicher und weiser Angelo, sagte ich, mögest du diese meine Rede hören und in deinem Herzen wol erwägen. Niemals, so schwöre ich dir, war Schwelgerei meine Gewohnheit, immer aber ein Kopfkissen. Wenn du mir also ein kissenartiges Ding geben willst, so wird das eine der edelsten Thaten deines Lebens sein. Hierauf sann Angelo der Ziegenhirte nach, und nachdem er nachgesonnen und alles reiflich erwogen hatte, reichte er mir den Zaino seinen Ziegenschlauch und sprach die geflügelten Worte: nun schlaft, und felicissema notte!
Nach und nach legten sich auch die Andern nieder, Weib und Kinder auf nackter Erde, den Kopf an die Wand gelehnt. Angelo aber legte sich neben die Schwelle, neben sich das kleinste Kind Maria, dann Santa sein Weib, die Lilienblume, Paola Maria und ich. So lagen wir friedlich beisammen, alle die Füße gegen das Feuer hingekehrt. Es dauerte nicht lange, so waren sie in Schlaf gesunken, und ich betrachtete mit Freude diese glücklich schlummernde Gymnosophisten-Familie und gedachte des tiefsinnigen Sancho, wie er den zu preisen anhob, welcher den Schlaf erfunden hat, »den Mantel, der alle menschlichen Sorgen zudeckt, das Essen, das den Hunger stillt, das Wasser, das den Durst vertreibt, das Feuer, das die Kälte erwärmt, die Kälte, die die Hitze mildert, und kurz das allgemeine Geld, für welches alle Dinge gekauft werden können, die Wage und das Gewicht, welches den Schäfer und den König gleich macht.« Die rote Glut übergoß die wunderliche Gruppe mit ihrem Schein. Ich bedauerte, daß ich nicht Maler war. Aber die entsetzliche Hitze des Harzbrandes und sein Rauch ließen mich nicht schlafen. Ich stand von Zeit zu Zeit auf und stieg über die Schlafenden durch die Thüre ins Freie. Ich kann sagen, ich stieg aus der Capanne geradezu in eine Wolke, denn diese hatte Berg und Hütten bedeckt, und so stieg ich aus der Hölle in den Himmel, und wieder zurück aus dem Himmel in die Hölle.
Die Nacht war kalt und nebelfeucht, doch verzogen sich die Wolken, und der unendliche Himmel warf seine Myriaden Lichter auf die Nebel, die Felsenzacken und die dunkeln Lärchenbäume. Ich saß lange an der brausenden Restonica, deren wildes Rauschen diese erhabene, äterreine Nacht durchbrach. Nimmer noch war mir der schauerliche Geist der Einsamkeit so nahe gekommen, als in dieser Nacht unter schwarzen Felsenbergen, am Wellensturz eines rasenden Baches, so hoch in den Wolken, auf der Urstätte der Natur, unter wilden Hirten, auf fremder Insel mitten im Meer verloren. In solchem Augenblick möchte das Gefühl der Vereinsamung das Gemüt erschrecken und der plötzliche Gedanke kränkt die Seele, wie das menschliche Wesen doch nur ein Atom sei – vielleicht auch könnte dies Geistesatom seine Beziehung zu allen ihm verwandten auf einmal verlieren, vergessen, im leeren Raume bleiben. Aber siehe da! die Seele breitet von dem einsamen Inselberge ihre Schwingen aus, und heiter schwingt sie sich zu dem Heimischen und durchfliegt wandernd das Geisterreich, und ist nimmer allein. – Ich horche in die Berge: manchmal ist's, als stoßen sie ein wildes Gelächter aus – es ist die Restonica, welche so rast. Diese Steine sind stumme Zeugen von alten, fürchterlichen Schöpfungsqualen, Kinder der feurigsten Umarmungen des Uranus und der Gäa.
Die kalte Luft trieb mich wieder ans Feuer. Endlich vor Müdigkeit eingeschlafen, weckte mich plötzlich die helle Stimme Santa's, welche mehrmals rief: spettacoli divini, spettacoli divini! Sie legte ihre Kinder zurecht, die sich in komischen Stellungen umhergeworfen hatten. Die Lilienblume lag wie eine Schlange zusammengeringelt halb über ihrer Mutter, die kleine Paola aber hatte ihren Arm um meinen Hals geschlungen. Das Kind hatte vielleicht eine Eule im Schlaf gehört oder den Vampyr im Traum gesehn, welcher kommt, das Herzblut auszusaugen.
Ich verbrachte den Rest der Nacht sitzend und in die Flamme blickend und unterhielt mich damit, mir die Ketzer zu vergegenwärtigen, welche die heilige römische Kirche zu Ehren Gottes verbrannt hat.