Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Drittes Kapitel.

Vittoria Malaspina.

Ed il modo ancor m'offende.      
Francesca da Rimini.

In Bastia hatte ich einen angesehenen Mann der Balagna kennen gelernt, Mutius Malaspina. Er ist ein Abkomme der toscanischen Malaspina, welche im elften Jahrhundert Corsica regiert haben. Durch seine Gattin wurde er mit der Familie Paoli verwandt, denn Vittoria Malaspina war eine Urenkelin des Hyacint Paoli aus der Nachkommenschaft des berühmten Clemens, und die Tochter des allgemein beliebten Staatsrats Giovanni Pietri, eines der verdienstvollsten Männer Corsica's.

Signor Malaspina hatte mir zu Monticello, einem Ort, welcher oberhalb Isola Rossa und wenige Millien davon entfernt liegt, Gastfreundschaft angeboten, und ich dessen froh hatte zugesagt sein Gast zu sein in einem Hause, das einst Pasquale bewohnt und von wo er so viele seiner Briefe datirt hat. Malaspina gab mir einen Brief an sein Haus mit, welches ich offen finden würde zu jeder Zeit, auch ehe er selbst zurückgekommen wäre.

Ich war also nach Isola Rossa gefahren mit dem Vorsatz, nach Monticello hinauszugehn und dort einige Tage zu verleben. Aber unterwegs erzählte man mir, was Malaspina mir verschwiegen, das grausige Schicksal, welches seine Familie vor noch nicht drei Jahren dort erlitten hatte, so daß ich nicht wußte, was mich mehr erstaunen sollte, das Ungeheure jenes Geschicks oder der Charakter des Corsen, welcher trotz ihm einem ungekannten Fremdling die Gastfreundschaft bot. Ich brachte es nicht mehr über mich, sie in einem Hause zu genießen, wo sie gemordet worden war. Aber ich ging nach Monticello hinauf, das Unglück durch menschliche Teilnahme zu ehren.

Das Haus Malaspina liegt am Eingang des Orts, auf dem Rand eines umgrünten Felsen, ein großes, ernstes und castellartig festes Haus aus der ältesten Zeit. Cypressen umstehn seine Terrasse. Schon von ferne rufen sie dem Wandrer die Tragödie zu, die hier gespielt worden ist. Ein kleiner Platz liegt vor dem Eingang. Junge Platanen stehn darauf und umgrünen eine Todtenkapelle.

Ich stieg eine schmale und finstre Steintreppe hinauf und sah mich nach den Bewohnern um. Das Haus schien ausgestorben. Ich ging durch unheimliche Zimmer, aus denen der Geist der Wohnlichkeit gewichen war. Endlich fand ich eine in Trauer gekleidete Alte, die Schaffnerin, und ein Kind von acht Jahren, die jüngste Tochter. Es kostete mir Mühe, der Alten ein freundliches Gesicht abzugewinnen, bis sie nach und nach mir Vertrauen schenkte.

Ich fragte nicht. Aber die kleine Felicina forderte mich von selbst auf, die Zimmer der Mutter zu sehn, und sie sagte mir in ihrer Unschuld mehr als zu viel.

Die alte Marcantonia hatte sich zu mir gesetzt, und was sie mir erzählte, will ich treulich nacherzählen, nur den Zunamen und die Vaterstadt des Unglückseligen will ich verschweigen.

»Im Sommer (1849) kamen viele Italiener nach Corsica, die sich hinübergeflüchtet hatten. Unter ihnen war Einer, den man ausliefern wollte. Da erbarmte sich sein der Signor Pietri, welcher allen Menschen wolthut; er wirkte es aus, daß er bleiben konnte, und er nahm ihn in sein eignes Haus nach Isola Rossa. Der Fremde – er hieß Giustiniano – blieb einen Monat bei dem Herrn Pietri unten in Isola Rossa, und weil der Herr gerade nach Ajaccio zum Rat mußte, nahmen den Giustiniano Mutius und meine Herrin Vittoria hier ins Haus. Da hatte er alles Vergnügen, was er nur wünschen konnte, Jagd und Pferde, eine gute Tafel und Gäste vollauf, die zu seinem Gefallen ins Haus kamen. Der Italiener war sehr angenehm und sehr leutselig, aber er war traurig, weil er in der Fremde lebte. Die Signora Vittoria war von allen Menschen geliebt, und am meisten von den Armen. Sie war auch wie ein Engel.«

War sie schön?

»Sie hatte eine zarte Farbe, noch schwärzere Haare als die Felicina, und zum Verwundern schöne Hände und Füße. Sie war groß und voll. Der Italiener, statt in unsrem Hause sich wol zu fühlen, wo er alle Freundlichkeit und Güte genoß, wurde immer trauriger. Er fing an wenig zu sprechen, wenig zu essen, und sah so blaß aus wie der Tod. Er ging stundenweit in den Bergen herum und saß oft wie verstört und ohne ein Wort zu sagen.«

Hatte er niemals seine Liebe zur Signora verraten?

»Einmal war er ihr ins Zimmer nachgegangen, aber sie hatte ihn hinausgestoßen und dem Mädchen befohlen, zu schweigen, dem Herrn nichts zu sagen. Einige Tage vor dem 20. December (es sind jetzt bald drei Jahre) wurde Giustiniano so elend, daß wir glaubten, er würde sehr krank werden. Er sollte Monticello verlassen und nach Bastia, um sich zu zerstreuen. Und auch er selbst hatte es gewünscht. Er aß in dreien Tagen keinen Bissen. Eines Morgens wollte ich ihm wie gewöhnlich den Caffee bringen, aber die Thüre war verschlossen. Ich kam nach einer Weile wieder und rief ihn bei Namen. Er öffnete mir. Ich war erschreckt über sein Aussehn. Ich fragte ihn, Signor, was fehlt euch? Er legte seine Hand so auf meine Schulter, wie ich sie hier auf die eure lege, und sagte zu mir: Ach! Marcantonietta, wenn du wüßtest, wie mir das Herz wehe thut. – Mehr sagte er kein Wort. Auf seinem Tisch sah ich eine Pistole liegen und Pulver in Papier geschüttet, wie auch Kugeln. Das hatte er sich am vorigen Abend durch die ältere Schwester der Felicina aus der Bottega holen lassen. Nun wollte er nach Bastia zurück und sich dort in ein anderes Land einschiffen. Er nahm auch Abschied von Allen und ritt nach Isola Rossa hinunter. Das war am 20. December. Am Morgen dieses Tags hatte die Signora Vittoria zu mir gesagt: Ich habe heute Nacht einen bösen Traum gehabt. Mir schien als wollte meine kranke Gevatterin sterben. Heute will ich gehn und ihr eine Erfrischung bringen. – Denn das war ihre Art. Sie ging oft zu den Kranken und brachte ihnen Oel, Wein oder Früchte.«

Hier weinte die alte Marcantonia bitterlich.

»Der Herr Malaspina war nach Speloncato geritten, ich war fortgegangen, und Niemand im Hause als die kranke Madamigella Matilde, die war eine Verwandte der Herrin, die jüngsten Kinder und ein Mädchen. Es war Nachmittag. Wie ich nach dem Hause zurückkehre, fällt ein Schuß. Ich glaubte, sie jagen in den Bergen oder sprengen die Steine. Aber bald darauf fiel noch ein Schuß, und mir war's als ob er im Hause gefallen sei. Mir zitterten die Glieder, wie ich ins Haus kam, und in der großen Angst fragte ich das Mädchen: wo ist die Herrin? sie sagte auch zitternd: Ach! Gott, sie ist ja oben auf ihrem Zimmer, sich umzukleiden, denn sie will zu der Kranken gehn. Lauf, sagte ich, und sieh nach ihr.«

»Das Mädchen kam wieder die Treppe herabgestürzt, ganz leichenblaß. – Da muß was vorgegangen sein, sagte sie, denn die Stube der Herrin steht sperrweit offen, da ist Alles über einander geworfen, und die Stube des Fremden ist verschlossen. Ich lief hinaus, das Mädchen, die Felicina, ihre Schwester . . . es sah gräßlich ans in meiner armen Herrin Stube . . . Die Thüre am Zimmer des Italieners war verschlossen . . . Wir klopften, wir schrieen, wir rissen sie endlich aus den Angeln – da, Herr, sahen wir es vor uns – – aber ich sage euch nun nichts mehr.«

Nein, kein Wort mehr, Marcantonia! Ich stand erschüttert auf und ging hinaus. Die kleine Felicina und die Schaffnerin kamen mir nach. Sie führten mich in die Todtenkapelle. Das Kind und die Alte knieten vor dem Altar nieder und beteten. Ich nahm einen Mirtenzweig vom Altare und warf ihn auf die Stelle, unter welcher Vittoria begraben liegt. Und traurig wanderte ich nach Isola Rossa hinunter.

So Ungeheures zu fassen wird dem Gedanken schwer, und das Wort sträubt sich es zu sagen. Giustiniano war, nachdem er Monticello verlassen hatte, plötzlich umgekehrt. Heimlich stieg er die Treppen des Hauses wieder hinauf. In demselben Obergeschoß liegen die Zimmer, welche Vittoria und er bewohnten. Sie sind durch einen Sal getrennt. Vittoria war in ihrem Zimmer eben beschäftigt, sich anzukleiden. Giustiniano stürzte zu ihr, mit einer Pistole und einem Dolch bewaffnet. Er war sinnlos durch die Liebeswut. Er rang fürchterlich mit dem starken Weibe. Er warf sie auf den Boden, er schleppte sie in sein Zimmer; sie war schon sterbend, von seinen Dolchstichen durchbohrt. Ihre Haarlocken fand man zerrauft am Boden hingestreut und das Zimmer durch den Kampf verwüstet. Giustiniano warf die Unglückliche auf sein Lager – er erschoß sie mit der Pistole durch die Schläfe – ihre Ringe zog er von ihren Fingern und steckte sie an die seinen – dann legte er sich an ihre Seite – mit dem Gewehr zerschmetterte er sich den Kopf.

So fanden sie jene Alte und die arme Felicina, damals ein fünfjährig Kind, das weinend rief: Das ist das Blut meiner Mutter. Das Volk von Monticello wollte Giustiniano's Leiche zerreißen. Malaspina, welcher ahnungslos von Speloncato zurückgekehrt war, wehrte dem. Man verscharrte sie in den Felsen. Vittoria war 36 Jahre alt und Mutter von sechs Kindern. Giustiniano zählte kaum 25 Jahre.

Ich fand an Mutius Malaspina einen Mann von schlichtem Wesen, von ehernen Zügen und von einer ehernen Ruhe. Ich hätte mich gescheut, die traurige Geschichte hier zu erzählen, doch ist sie in aller Munde und auch in einem Büchlein mit Sonetten auf Vittoria erzählt, welches in Bastia gedruckt ist. Schon jetzt erkannte ich, wie schnell das Ereigniß im Volk sich ins Sagenhafte umzubilden beginnt. Denn dieselbe alte Schaffnerin erzählte mir, daß der Geist der armen Vittoria einigen Kranken erschienen sei. Und bald wird man auch hören, daß ihr Mörder nächtens aus seinem grauen Felsengrabe steigt, bleich und ruhelos wie er im Leben war, und nach dem Hause wankt, wo er die Schreckensthat verübte.

*
*           *

Grollend mit der menschlichen Natur stieg ich die Berge hinunter und erwog die kleine Grenze wo die edelste Leidenschaft, die Liebe, in die gräßlichste Furie sich verwandeln kann, wenn sie jene um ein paar Linien überschreitet. Wie nah grenzen in der menschlichen Seele Gott und Teufel, und wie geschieht es, daß aus dem Stoff eines und desselben Gefühls beide werden? Ich sah weder die Berge noch das heiter ruhige Meer, ich verwünschte ganz Corsica und daß ich meinen Fuß auf seine blutige Erde gesetzt hatte. Da kam an meine Seite gesprungen das schöne Kind Camillo. Der Kleine war mir über alle Felsen nachgeklettert. Er hatte eine Hand voll Brombeeren gepflückt, und mit freundlichen Augen hielt er sie mir entgegen, daß ich sie essen solle. Der Anblick dieses unschuldigen Kindes erheiterte mich augenblicks. Es war mir, als hätte er sich mir in den Weg gestellt, nur um mir zu zeigen, wie schön und rein der Mensch aus den Händen der Natur hervorgeht. Camillo lief nun immer neben mir her und sprang von Stein zu Stein, bis er plötzlich sagte: ich bin müd' und will ein wenig sitzen. Nun saß er auf einem Felsstücke still. Ich sah nie ein schöneres Kind. Als ich das seinem älteren Bruder sagte, entgegnete der: ja! alle Leute haben den Camilluccio lieb, bei der Procession zu Corpus Domini war er auch ein Engel, hatte ein schneeweißes Hemd an und hielt einen großen Palmenzweig in der Hand. Mit Freude betrachtete ich den Knaben, wie er auf dem Felsen saß. die schönen schwarzen Locken wild übers Gesicht und aus den großen Augen still vor sich herausschauend. Sein Kleid war zerrissen, denn er war armer Leute Kind. Auf einmal hob er an, aus freien Stücken die Marseillaise zu singen: Allons enfans de la patrie . . . contre nous de la tyrannie l'étendard sanglant est levé. Es war seltsam dies aus dem Munde eines so lieblichen Kindes zu hören und sein ernstes Gesicht dabei zu sehn. Aber im Mund eines Corsenknaben, wie geschichtlich klingt da dieses blutige Lied, und als der kleine Camillo sang: »Gegen uns hat die Tyrannei ihre Blutfahne erhoben,« dachte ich: armes Kind, mag dich der Himmel schützen, daß du nicht einst von der Rachekugel fällst, oder nicht als Bluträcher in den Bergen irren mußt.

Als wir Isola Rossa nahe waren, erschreckte uns ein roter Glutschein in der Stadt. Ich eilte hineinzukommen, glaubend, Feuer sei dort ausgebrochen. Aber es war ein Freudenfeuer. Auf dem Platz Paoli hatten die Kinder, kleine Mädchen und Buben, ein mächtiges Feuer angezündet, hatten sich alle in einem Ringe an den Händen gefaßt und umtanzten die Flamme mit Lachen und Singen. Sie sangen aber unzählige kleine Verse, welche sie selber erfanden; einige davon habe ich noch behalten:

Amo un presidente,
Sta in letto senza dente. 
Ich liebe einen Präsidenten,
Er liegt im Bett und hat keine Zähne.
Amo un ufficiale,
Sta in letto senza male.
Ich liebe einen Offizier,
Er liegt im Bett und es fehlt ihm nichts.
Amo un pastore,
Sta in letto senz' amore.
Ich liebe einen Hirten,
Er liegt im Bett und hat nichts zu lieben.
Amo un cameriere,
Sta in letto senza bere.
Ich liebe einen Kammerdiener,
Er liegt im Bett und hat nichts zu trinken.

Diese Verschen rissen gar nicht ab, indem sich das kleine Volk dabei lustig um das Feuer schwenkte. Mir machte dies Kinderfest aus dem Stegreif so großes Vergnügen, daß ich auch ein paar Verschen zum Besten gab, worauf das kleine Volk in ein so lautes Jubelgelächter ausbrach, daß es durch ganz Isola Rossa schallte.

Tags darauf fuhr ich mit einem Char-a-bank nach Calvi. Der kleine Camillo stand am Wagen und sagte traurig: Non mi piace, che tu ci abandoni. Der Wanderer zeichnet vieles auf, Berge und Flüsse, Städte und Ereignisse aus der schönen und häßlichen Welt, warum nicht auch einmal das Bild eines schönen Kindes? Noch nach Jahren erfreut es die Erinnerung, wie ein liebliches Lied, wenn es wieder ins Gedächtniß kommt.


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