Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Drittes Kapitel.

Die Stadt Sartene.

Die Stadt Sartene hat nur 3890 Einwohner. Sie ist der Hauptort des Arrondissements, welches in acht Pieven oder Cantons 29,300 Einwohner zählt. Sartene erschien mir weniger städtisch aussehend als selbst Calvi und das kleine Isola Rossa; denn in nichts unterscheidet sie sich von den andern Orten der Insel. Ihre Bauart ist die landesübliche der Dörfer, nur etwas verschönt. Alle Häuser, selbst der Turm der Hauptkirche sind aus braunem Gestein gebaut, welches übereinander gelegt und mit Lehm verfestigt ist. Die Kirche allein ist gelb übertüncht, alle anderen Gebäude sehen schwarzbraun aus. Viele sind elend wie Capannen, einige Gassen am Bergabhange so eng, daß darin höchstens zwei Menschen nebeneinander stehen können. Hohe steinerne Treppen führen zu der gewölbten Thüre, welche in der Mitte der Vorderwand angebracht ist. Ich durchwanderte diese Gassen: sie schienen mir würdig von Dämonen bewohnt zu werden, und so meine ich möchte Dis aussehen, die Stadt der Hölle beim Dante. Doch gibt es auch im Quartier Santa Anna zierliche Häuser der Reichen, und einige sehen trotz ihres schwarzen Materials gut genug aus. Originell und höchst malerisch sind sie alle, und das verdanken sie auch den stumpfwinkligen Dächern, welche weit über die Wände hinausragen, und den vielen Schornsteinen italienischen Stils, die bald säulenartig mit bizarren Knäufen, bald als Spitztürmchen, bald in Obeliskenform aufgesetzt sind. Ein solches Dach verschönert das Haus, und wenn dessen Wände aus regelrecht behauenen Steinen errichtet sind, so läßt man sich ihre Art wol gefallen. Aber auch meine Capannen vom Monte Rotondo fand ich mitten auf dem Markt wieder. Dies waren nämlich Vorratshäuser der Bürger. Wunderlich nehmen sich dazu die prunkvollen Namen einiger Gasthäuser aus, auf denen zu lesen ist Hôtel de l'Europe, de Paris und de la France

Der Name Sartene erinnert an Sardinien oder an den Saracen. Man wußte mir nicht zu sagen, woher er komme. In alten Zeiten hieß der Ort Sartino und die Stadtsage erzählt, daß er durch seine mineralischen Wasser berühmt war. Da kamen viele Gäste, die Quellen zu gebrauchen. Die armen Einwohner des Fleckens starben darüber vor Hunger, weil die Gäste ihre Frucht verzehrten. Sie verschütteten also die Quellen, verließen ihre Häuser und bauten sie höher hinauf in den Bergen. Wenn diese Sage wahr ist, so spricht sie nicht gegen die corsische Trägheit.

Schrecklich litt Sartene von den Saracenen. Nach wiederholten Einfällen überraschten die Barbaresken die Stadt im Jahre 1583 und schleppten an einem Tage 400 Personen in die Gefangenschaft, also wol den dritten Theil der damaligen Bevölkerung. Seitdem umgaben sich die Sartener mit einer festen Mauer.

Heute sieht man dem stillen Ort, dessen Einwohner auf dem idyllischen Marktplatz unter dem großen Ulmbaum friedlich beisammen stehn, gar nicht an, daß er in seinen Mauern so grimme Leidenschaften verbergen kann. Denn nach der Julirevolution war Sartene jahrelang der Schauplatz eines gräulichen Bürgerkrieges. Der Ort hatte sich schon im Jahre 1815 in zwei Parteien geteilt, in die Anhänger der Familie Rocca Serra und die der Ortoli. Jene sind die Reichen und bewohnen das Viertel Sant' Anna, diese die Armen und bewohnen den Borgo. Beide hatten die Häuser gesperrt, die Fenster geschlossen, thaten Ausfälle auf einander und erschoßen und erdolchten sich mit großer Wut. Die Rocca Serra waren die Weißen oder die Bourbonisten, die Ortoli die Roten oder die Liberalen; jene hatten der Gegenpartei den Eintritt in ihre Viertel untersagt, aber die Ortoli wollten ihn ertrotzen und zogen eines Tages mit Fahnen nach Sta. Anna. Augenblicks schoßen die Rocca Serra aus ihren Häusern, tödteten drei Menschen und verwundeten andere. Dies war das Signal zu einem blutigen Kampf. Des folgenden Tags kamen viele hundert Bergbewohner mit ihren Flinten herab und belagerten Sta. Anna. Die Regierung schickte Truppen, aber obwol diese scheinbar Ruhe schafften, lagen die beiden Parteien immerfort gegen einander zu Feld und tödteten sich viele Leute. Die Spannung dauert nach heute, wenn gleich die Rocca Serra und Ortoli nach einer 33jährigen Feindschaft am Fest der Präsidentenwahl Louis Napoleons zum erstenmal sich versöhnlich näherten und ihre Kinder mit einander tanzen ließen.

Diese unausrottbaren Familienkriege bieten in Corsica dasselbe Gemälde dar, welches die Städte Italiens, Florenz, Bologna, Verona, Padua, Mailand, Rom in alter Zeit gegeben haben, und so findet man das Mittelalter noch heute in Corsica wieder und dieselben Tumulte, welche Dino Compagni in seiner florentinischen Chronik so plastisch dargestellt hat, den Krieg der Bürger, welche wie Dante klagt, von einem Graben und von ein und derselben Mauer umschlossen sind. Aber diese corsischen Familienkriege sind weit fürchterlicher, weil sie in so kleinen Ortschaften geführt werden, in Dörfern, die oft kaum 1000 Seelen haben, und deren Einwohner durch die Bande des Blutes und der Gastfreundschaft unauflöslich an einander gekettet sind.

Heute ist das Völkchen Sartene's feierlich auf dem Marktplatz versammelt, wo man ein wunderliches Gerüst für den 15. August, den Namenstag Napoleons, herrichtet, um darauf ein Feuerwerk loszubrennen. Vielleicht wird das Fest den Zwist aufs neue entflammen, und diese schwarzen Häuser können in wenig Tagen sich in eben so viel kleine Festungen verwandeln, woraus Feind den Feind zu treffen weiß. Hier gab die Politik zum Bürgerkriege Anlaß, anderswo thut es die Beleidigung irgend einer Person und der geringfügigste Umstand. Für eine getödtete Ziege starben einst 16 Menschen und ein ganzer Canton stand in Waffen. Ein junger Mensch wirft seinem Hunde ein Stück Brod zu, der Hund eines andern schnappt es ihm weg, daraus entsteht ein Krieg zwischen Gemeinden, und die Folge ist Mord und Tod auf beiden Seiten. Es fehlt nicht an Gelegenheiten zum Kampf bei den Communalwahlen, bei Festlichkeiten und Tänzen. Manchesmal sind die Anlässe sehr lachenswert. Im Jahre 1832 gab ein todter Esel in Marana den Grund zu einem blutigen Kriege zwischen zwei Dörfern. In der Osterwoche ging nämlich eine Procession nach einer Capelle und stieß auf dem Wege auf einen todten Esel. Darob entsetzte sich der Küster und fing über die zu fluchen an, welche das Thier auf den Weg geworfen und die heilige Procession also verunehrt hatten. Sofort erhob sich ein Streit zwischen den Leuten aus Lucciana und denen aus Borgo, in welche Gemeinde der Esel gehöre, und man griff zu den Waffen und wechselte Schüsse: die Procession verwandelte sich in eine Schlacht. Eine Dorfschaft wälzte den Esel auf die andere; eine trug ihn der andern zu; bald schleppten ihn die von Borgo nach Lucciana, bald die von Lucciana nach Borgo, und das geschah von beiden Seiten unter beständigem Schießen und wütendem Kampfgeschrei.

So kämpften einst Trojaner und Griechen um die Leiche des Patroclus. Die von Borgo schleppten den todten Esel einmal bis an die Kirche in Lucciana, wo sie ihn an der Thüre niederwarfen, aber die von Lucciana hoben ihn wieder auf und nachdem sie Borgo erstürmt hatten, spießten sie den Esel auf den Glockenturm. Endlich ließ der Podestà das corpus delicti, welches von solcher Wanderschaft mürbe sich bereits auflösen wollte, ergreifen, und der todte Esel ward verscharrt und zur Ruhe gebracht. Der Dichter Viale hat ein komisches Epos auf diesen Esel gedichtet in Weise des geraubten Eimers von Bologna.

Ein Trupp von zehn Gendarmen liegt in Sartene. Ebensoviel pflegen in jedem Cantonsort oder in solchen Dörfern zu liegen, welche besonders unruhig sind. Der Officier war ein Elsaßer, der schon 22 Jahre in Corsica lebte und ganz glücklich schien, unvermutet einen Landsmann zu treffen. Jedesmal wenn ich Elsaßer oder Lothringer treffe – die letzteren sprechen ein sehr gebrochnes Deutsch – empfinde ich geschichtliche Schmerzen um diese verlornen deutschen Brüder. Denn es ist ein bleibender Schmerz für uns, ein Stück edler deutscher Erde in den Händen der Franzosen zu wissen. Jener Officier klagte sehr über den gefährlichen Dienst und den kleinen Krieg gegen die Banditen. Er zeigte mir in der Ferne einen Berg, den hohen Incudine. Sehen Sie, so sagte er, dort sitzt ein Hauptbandit, auf den wir Jagd machen wie auf einen Muffrone. Eintausend und fünfhundert Franken stehn auf seinem Kopf, doch sie sind schwer zu verdienen. Vor einigen Tagen haben wir 29 Menschen eingebracht, welche dem Banditen Lebensmittel zugetragen haben. Sie sitzen hier in dieser Caserne.

Was wird ihre Strafe sein?

Wenn man ihnen das Verbrechen erwiesen hat, ein Jahr Gefängniß. Sie sind Hirten oder Leute von den Bergen, Freunde und Verwandte des Banditen. – Armes Corsica, was soll unter solchen Umständen aus deinem Ackerbau werden!

Der Anblick des Berges Incudine, in welchem ich den armen Banditen sitzen wußte. und der Familienkrieg in Sartene gibt wieder Veranlassung zu Erzählungen aus dem unerschöpflichen corsischen Landesroman der Blutrache. Wir wollen uns also auf einen Felsen setzen, wo wir die mächtigen Berge und den Golf von Valinco sehen, und ein paar Erzählungen aus dem Flintenlaufe hören.


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