Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Zweites Kapitel.

Die Stadt Corte.

Der Bezirk Corte, die Mitte der Insel, umfaßt in 15 Cantons und 113 Communen eine Zahl von 55000 Menschen. Die Hauptstadt selber zählt etwa 5000 Seelen.

Sie ist eine Binnenstadt von herrlicher Lage. Der Halbkreis der Berge, in deren Mitte sie liegt, und die Citadelle auf einem unersteiglich schroffen Felsenriff, geben ihr ein sehr ernstes Ansehen. Von allen Seiten erheben sich Berge und in den mannigfachsten Formen. Nach Norden sind sie niedriger und meist kuppelförmige Höhen, welche bebuscht oder mit Getreidefeldern bedeckt sind. Der Sommer hat sie in tiefes Braun gekleidet. Es sind dies die letzten Absenkungen der Bergreihen, welche die Wasserscheide zwischen dem Golo und dem Tavignano bilden und zwei Täler trennen, Niolo und Tavignano. An der Oeffnung des letzteren, wo der Tavignano mit der Restonica zusammenströmt, liegt Corte. Drei ganz mit Felsen gepanzerte Höhen beherrschen den Eingang in dieses Gebirgstal, während beide Flüsse durch tiefe Schluchten ihre Wege bahnend über Trümmergestein in einander rauschen. Zwei steinerne Brücken führen über sie hinweg.

Die untere Stadt hat nur eine Hauptstraße, welche neu ist, den sogenannten Corso. Auch hier überraschte mich die idyllische Stimmung, welche den corsischen Orten ein so eigentümliches Gepräge verleiht. Man glaubt sich in dem fernsten Teil der Welt und von allem Verkehr abgeschieden.

Ehrwürdig ist die Stadt durch Erinnerungen der Geschichte. In ältesten Zeiten war sie Sitz maurischer Könige, in allen Jahrhunderten als Mittelpunkt der Insel wichtig und durch ihre Festung oftmals entscheidend für den Gang der Kriegsereignisse.

Diese Akropolis Corsica's steht auf einem schroffen, zackigen Felsen, welcher über dem Tavignano aufsteigt. Mauern, Türme, die alte Stadt, welche sie umschließt, Alles sieht schwarz aus, verwittert, und von unablässigem Kampf zerhauen. Oefter als Belgrad ist dieses Schloß bestürmt und verteidigt worden. Den Grund zu seiner jetzigen Gestalt legte Vincentello d'Istria im Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts.

Man zeigt hier noch die Schießscharte, aus welcher die Genuesen den jungen Sohn Gaffori's heraushingen, um den Vater vom Sturm abzuhalten.

Gaffori's Name ist die schönste Zierde der Stadt Corte, und sein kleines Haus ihr glänzendstes Denkmal. Die Genuesen versuchten einst während der Abwesenheit des Helden sich seines Weibes zu bemächtigen, wie es ihr Kunstgriff war, die Familien gefürchteter Corsen als Geißeln zu gebrauchen und die Vaterlandsliebe durch die Natur zu bestreiten. Aber Gaffori's Weib verschanzte sich in ihrem Hause, und verteidigte sich darin mit den wenigen Freunden, die ihr zugesprungen waren, die Flinte in der Hand, Tage lang. Als die Not immer höher stieg, rieten ihr ihre Freunde zur Ergebung. Sie aber brachte ein Pulverfaß in ein unteres Zimmer, ergriff eine Lunte und schwor das Haus in die Luft zu sprengen, wenn man aufhöre auf die Stürmenden zu feuern. Die Freunde hielten Stand, bis Gaffori selbst mit einer Corsenschar herbeikam und seine Gattin befreite. Als er ermordet war, nahm dasselbe Weib seinen jungen Sohn, den man einst an jene Mauer des Castells gebunden hatte, und ließ ihn schwören, die Genuesen zu hassen und seinen Vater zu rächen. So that auch Hasdrubal mit Hannibal in alten Zeiten.

In demselben Hause wohnte im Jahr 1768 Carlo Bonaparte mit Lätitia; es war würdig einem Napoleon die Entstehung zu geben.

Viele Erinnerungen an Paoli haften an einem andern Gebäude, welches Palazzo di Corte heißt, und Sitz der Regierung Paoli's wie seine Wohnung war. Da ist sein Zimmer, in welchem er arbeitete, ärmlich und schlecht, wie es dem Gesetzgeber der Corsen geziemte. Man weiß zu erzählen, daß der große Mann, nicht sicher vor den Mörderkugeln, das Fenster dieses Zimmers stets verrammelt hielt; und in der That sieht man noch die Fensterladen mit Kork ausgefüttert. Die Nationalversammlung hatte ihm eine Garde von 24 Mann bewilligt, wie ehedem Demokratien Griechenlands ihren Volksmännern solche Garden gaben. Stets hatte er Hunde als Wache bei sich. Ich muß hier an seinen Zeitgenossen Friedrich den Großen denken, wie auch dieser sich gern mit Hunden umgab; doch waren es Spielhunde, Alkmene, Biche und andere zierliche Windhunde.

Ein Zimmer, ehemals der Sitzungssal des Staatsrats der Neun, bewahrt eine seltsame Merkwürdigkeit. Da sieht man nämlich noch die Stangen, welche den Baldachin über einem Tron tragen sollten. Paoli und ein Tron! das ist unglaublich – hat dieser große Volksmann Gelüste nach königlichen Ehren getragen? Man erzählt Folgendes. Eines Tags sah man im Nationalpalast einen Tron ausstellen. Er war von carmoisinrotem Damast, mit goldenen Fransen verziert und trug über dem Wappen Corsica's eine goldene Krone, welche so angebracht war, daß wenn Paoli auf dem Stule saß, sie über seinem Haupte stand. Zu diesem Tron gehörten kleinere Sessel für die Neunmänner. Als nun der Rat in dem Sal sich versammelt hatte, öffnete sich die Thüre und Paoli trat herein, in prächtigem Staatsgewand, das Haupt bedeckt, den Degen an der Seite, und schritt auf den Tron zu. In diesem Augenblick erhob sich ein Murmeln unter den Neunmännern, und dann folgte tiefe Stille. Paoli hat sich nie auf den Tron gesetzt.

Ich finde diese Erzählung so oft bestätigt, daß sie zu bezweifeln mir fast gewagt scheint. Wenn sie wahr ist, wäre das ein beklagenswerter Beweis, daß menschliche Schwachheit überall eindringt, daß kein Sterblicher vor dem Augenblick sicher ist, wo ihn die Eitelkeit beschleicht.

Seine Feinde haben Paoli vorgeworfen, daß er nach der Königskrone strebte, doch thaten sie ihm Unrecht, und jener Vorwurf wird durch die Geschichte Lügen gestraft. Wollte er vielleicht durch königliche Abzeichen seinem Staat nach außen ein erhöhtes Ansehn geben, da dieser stets den althergebrachten Titel des Königreichs Corsica führte? Sonst hat er nie fürstlichen Prunk zur Schau getragen. Er, wie alle Glieder der Regierung, trug die Kleidung des Landes, das Tuch Corsica's, und er lebte nach der schlichtesten Landesart. Die Häupter des Staats unterschieden sich nur durch ihre Einsicht vom Volk, und nur um den Franzosen auch äußerlich den Schein einer geregelten Regierung zu geben, bestimmte Paoli für den Staatsrat eine auszeichnende Kleidung, einen grünen Rock mit Goldstreifen, den Farben Corsica's. Er selbst legte ihn an und ließ dieses Staatsgewand von den Räten tragen, als die französischen Officiere zum erstenmal nach Corte kamen. In würdiger Weise sollten die Landesregenten erscheinen. Dies war ein Zugeständniß an die französische Etikette, das schon bedauerlich ist, weil sich Paoli hier nicht mehr frei vom Schein erhielt, und jene demokratische Gleichheit durch ein paar Goldtressen aufhob. So untergeordnet diese Dinge an sich erscheinen mögen, so geben sie doch zu denken. Denn die Zeit macht unwesentliche Unterschiede am Ende zu wesentlichen. Es liegen in ihr unsichtbare Einflüsse des Schlechten, welche alles Reine trüben und alles Edle verunedlen. Die Menschenwelt ist einmal so, daß ihre erhabensten Erscheinungen nur da zu finden sind, wo nach einem hohen Ziel erst gerungen wird. Es hat mich in Corsica manchmal traurig gemacht, wenn ich daran dachte, daß alle diese heroischen Anstrengungen des Volks um die Freiheit fruchtlos gewesen sind, daß nun im Lande Sampiero's, Gaffori's und Paoli's die Nation der Eitelkeit die Herrschaft führt. Doch schmerzlicher noch wäre die Erfahrung, wenn der Staat Paoli's in sich selber erkrankte und dem menschlichen Eigennutz erlag. Ich glaube wenigstens, daß er diesem Schicksal nicht entgangen wäre. Denn die wahre Freiheit lebt nur in Utopien. Die Menschheit scheint ihrer nur in geweihten Augenblicken fähig zu sein.

Einmal empfing Paoli in diesem Palast auch eine pomphafte Gesandtschaft. Ein tunesisches Schiff war an den Küsten der Balagna gestrandet, und Paoli hatte den schiffbrüchigen Barbaren nicht allein all' ihr Hab und Gut zurückstellen, sondern sie gastlich verpflegen und von zwei Officieren zum Bey von Tunis heimwärts geleiten lassen. Der Bey schickte deshalb Gesandte, welche ihm seinen Dank und die Versicherung bringen sollten, daß er sein und seines Volkes Freund bleiben wolle, und daß in seinen Staaten keinem Corsen je ein Leid zugefügt werden dürfe. Der Gesandte kniete vor Paoli nieder, und die Hand an die Stirne führend sagte er: il bey ti saluta e ti vuol bene. Er brachte ihm ein kostbar bedecktes Pferd, zwei Strauße, einen Tiger, einen mit Diamanten besetzten Säbel; und nachdem er einige Tage in Corte gewohnt hatte, kehrte er nach Afrika zurück.

In der unmittelbaren Nähe Corte's liegt das alte Franciscanerkloster, eine ansehnliche Ruine. Hier versammelte sich zu Paoli's Zeit das corsische Parlament in der Kirche, von deren Kanzel herab so mancher Patriot feurige Reden hielt. Der Freiheit wurde in dieser Kirche viel geopfert, und ihr Name klang hier nicht als wesenlose Phrase. Die ihn anriefen, starben auch dafür. Im Jahr 1793 waren auf dem Platz vor diesem Kloster die Corsen zu einer Versammlung vereinigt; die Zeit war stürmisch, denn der französische Nationalconvent hatte Paoli des Hochverrats angeklagt. Da kletterte hier Pozzo di Borgo, jener unerbittliche Feind Napoleons, gleich ihm ein Bürger aus Ajaccio, auf einen Baum und hielt eine begeisternde Verteidigungsrede; für infam wurden hier erklärt Paoli's Ankläger, die wütenden Clubbisten Arena und die Bonaparte.

Wenn man heute in dem stillen Städtchen umherwandert, unter dessen schattigen Ulmen ärmlich aussehende Corsen stehn, als wollten sie den Tag und die Welt verträumen, so will's einem gar nicht in den Sinn, daß vor kaum hundert Jahren die aufgeklärteste Staatsweisheit in solchem Erdenwinkel ihren Sitz aufgeschlagen hatte.

Auch eine Universität hatte Paoli in Corte gegründet, wie er hier auch die erste corsische Druckerei und die erste Zeitung ins Leben rief. Von dieser hohen Schule sollten sich Aufklärung und Wissenschaft als ein Lichtstrom über die Berge und in alle Täler Corsica's verbreiten, und vor ihm sollte die mittelaltrige Barbarei verschwinden. Viele wackere Männer gingen aus ihr hervor, tüchtige Advocaten, die auf dieser Insel meist auch die Schriftsteller sind. Auch Carlo Bonaparte, Napoleons Vater, studirte hier. Die junge Anstalt ging mit dem Verlust der Freiheit unter. Jene wiederherzustellen, setzte Paoli auf seinem Todtenbett ein Legat aus, und so wurde im Jahr 1836 die Hochschule neu errichtet. Sie hat einen Director und sieben Professoren, doch erfreut sie sich keiner großen Blüte. Vielleicht auch möchte eine Anstalt akademischer Art den Bedürfnissen Corsica's weniger entsprechen, als tüchtige Realschulen.

Ich habe unter den Corsen wolgebildete Männer getroffen, und auch hier in Corte machte ich die Bekanntschaft eines Mannes, dessen Belesenheit in der romanischen Literatur mich in Erstaunen setzte. Es war der Sohn eines der tapferen Capitäne, die nach der Schlacht bei Ponte Nuovo bis zum letzten Augenblick die Waffen hielten, und den ich namentlich genannt habe. Sein Gedächtniß ist so groß, daß er die besten Stellen aus Italienern, Franzosen und Lateinern auswendig kannte, und es ihm nicht darauf ankam, ganze Seiten aus Tasso oder Ariost, lange Stellen aus Voltaire oder Macchiavelli, aus Livius, Horaz, Boileau und Rousseau herzusagen. Mit ihm über Literatur sprechend, fragte ich ihn einmal: lasen Sie je etwas von Göthe? Nein, sagte der wolbelesene Mann, von den Engländern kenne ich nur Pope.

Meine freundlichen Tischgenossen, unter ihnen der einzige corsische Maler, den ich kennen lernte, führten mich zu den Marmorbrüchen Corte's. Der Stein ist von bläulicher Farbe mit rötlichweißem Geäder und brauchbar für Architectur. Man war in der Grube beschäftigt, einen Säulenblock den Berg hinunter zu schaffen. Man hatte ihn auf Walzen gelegt und schob ihn mit der archimedischen Schraube bis an den Rand des abschüssigen Weges, der vom Bruch an die Stelle führte, wo die Blöcke behauen werden. Der mächtige Stein fuhr hinunter, wühlte sich durch, hüllte sich in eine schwarze Staubwolke, und so hinabgleitend erklang er hell und rein wie eine Glocke. Am Fuß dieses marmorreichen Berges treibt die Restonica eine Mühle, in welcher Marmorplatten geschnitten werden. Man braucht sieben Tage, um einen Block in 30 Platten zu zerschneiden. In Corte also wird Seneca's Ausspruch über Corsica zu Schanden: non pretiosus lapis hic caeditur; hier wird kein köstlicher Stein gehauen. – Sonst besteht Seneca's Wort noch in Kraft: die köstlichen Steine sind hier todtes Kapital.


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