Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Achtes Kapitel.

Bracciamozzo, der Bandit.

Che bello onor s'acquista in far vendetta.
Dante.

Am zweiten Tag nach meiner Ankunft in Bastia weckte mich gegen die Nacht ein entsetzlicher Lärm in meiner Locanda in der Straße der Jesuiten. Es war nicht anders, als sollten die Lapithen und die Centauren handgemein werden. Ich springe an die Thüre – da gab's im Speisezimmer folgende Scene: der Wirt, wütend und schreiend, hat die Flinte auf einen Menschen angelegt, der vor ihm auf den Knieen liegt, andere schreien dazwischen und beschwichtigen. Jener bittet um Gnade: man wirft ihn aus dem Hause. Es war ein junger Mensch, welcher sich für einen Marseiller ausgegeben, den vornehmen Herrn gespielt hatte und am Ende seine Zeche nicht bezahlen konnte.

Bald darnach ging ich in der Morgenfrische über San Nicolao, den öffentlichen Promenadeplatz, um ein Bad im Meer zu nehmen. Die Henker errichteten eben die Guillotine neben dem Tribunal, und wenn auch nicht in der Mitte, so doch immer auf dem Promenadeplatz selbst. Carabiniers und Volk umstanden diese grausige Scene, wozu das Meer und die friedlichen Olivenhaine im schneidendsten Widerspruch standen. Die Luft war dumpf und schwer vom Scirocco. Am Kai standen gruppenweise Marinari und Arbeiter, schweigsam ihre Kalkpfeifen rauchend und den roten Pfal anstarrend, und mancher von ihnen in seinem spitzen Berretto, die braune Jacke halb übergehängt, die braune Brust bloß, ein rotes Halstuch nachlässig umgeknüpft, sah aus als hätte er mit der Guillotine mehr zu thun als sie zu betrachten. Und in Wahrheit mochte nicht Einer unter dem Volkshaufen stehn, den nicht dasselbe Schicksal treffen konnte das den Banditen erwartete, wenn nämlich der Zufall es fügte, daß die geheiligte Sitte der Blutrache ihn zum Morde und der Mord zum Banditenleben zwang.

Wen wird man richten?

Den Bracciamozzo (Stummelarm). Er ist erst 23 Jahre alt. Die Sbirren haben ihn in den Bergen gefangen; wie ein Teufel hat er sich gewehrt; sie haben ihm einen Arm zerschossen, den Arm haben sie ihm abgenommen und er ist geheilt.

Was hat er verbrochen?

Er hat zehn Menschen umgebracht!

Zehn Menschenleben! und warum?

Aus Capriccio.

Ich eilte schnell ins Meer mir durch ein Bad wol zu thun, und dann in meine Locanda zurück, um dem Zuge nicht mehr zu begegnen. Die Eindrücke waren so gräßlich, daß mich in dieser wilden Einsamkeit ein Schauer überfiel. Ich nahm den Dante hervor; mir war zu Mut als sollte ich eine seiner wilden Phantasien aus der Hölle lesen, wo die Pechteufel die armen Seelen mit Harpunen hinunterstoßen, so oft sie auftauchen wollen, Luft zu schnappen. Meine Locanda lag in der engen und düstern Straße der Jesuiten. Eine Stunde war verflossen, da rief mich ein dumpfes Murmeln und Pferdetrott an das Fenster – Bracciamozzo wurde vorbeigeführt, geleitet von den Todtenbrüdern in ihren Kaputzmänteln, welche vom Gesicht nichts frei lassen als die Augen, die gespenstisch durch die Löcher heraussehen – leibhaftige Dämonengestalten, dumpf vor sich hinmurmelnd, schauerlich, wie aus der Danteschen Hölle in die Wirklichkeit gesprungen. Der Bandit ging festen Schrittes zwischen zwei Priestern, von denen der Eine ihm ein Crucifix vorhielt. Es war ein junger Mensch mittlerer Größe, ein schöner bronzener Kopf mit rabenschwarzen krausen Haaren, das Gesicht erblaßt und die Blässe noch gehoben durch einen dünnen Schnurrbart. Der linke Arm war ihm auf den Rücken gebunden, der andere war ein Stummel. Sein Auge, wol feurig wie das eines Tigers wenn ihn die Mordlust durchzuckte, war still und ruhig. Im Gehen murmelte er, wie es schien, Gebete. Sein Schritt war sicher und seine Haltung aufrecht. Voraus ritten dem Zuge Gendarmen, die Schwerter bloß; hinter dem Banditen gingen paarweise die Todtenbrüder; den Zug schloß der schwarze Sarg; ein weißes Kreuz war darauf gepinselt und ein Todtenkopf. Vier Barmherzige trugen ihn. Langsam zog der Zug durch die Jesuitenstraße, gefolgt von der murmelnden Menschenmenge, und so führten sie den Vampyr mit dem zerschossenen Flügel nach dem Blutpfal. Ich habe niemals eine schauerlichere Scene mit Augen gesehn, und wenige die sich bis auf die kleinsten Züge wider meinen Willen in mein Gedächtniß so eingeprägt haben.

Man sagte mir darnach, daß der Bandit ohne Zagen gestorben sei, und daß seine letzten Worte waren: ich bitte Gott und die Welt um Verzeihung, denn ich erkenne daß ich viel Böses gethan habe.

Dieser junge Mensch war nicht eigentlich Bluträcher aus persönlichen Veranlassungen, sondern Bandit aus Ehrgeiz geworden. Seine Geschichte wirft viel Licht in die erschreckenden Zustände der Insel. Zur Zeit der Blüte Massoni's, der eines Verwandten Blut gerochen hatte und dann Bandit geworden war, trug ihm Bracciamozzo, wie das Volk den jungen Giacomino sofort nannte, nachdem ihm der Arm verstümmelt worden war, die Lebensmittel zu. Denn diese Banditen stehen immer im Einverständnisse mit Freunden und mit Ziegenhirten, welche ihnen in ihre Schlupfwinkel Nahrungsmittel bringen und Bezahlung empfangen, wenn Geld vorhanden ist. Giacomino, berauscht von dem Ruhm des tapfern Massoni, setzte sich in den Kopf, ihm gleich zu werden und sich von ganz Corsica bewundern zu lassen. Er tödtete einen Menschen, sprang dann in den Buschwald und wurde Bandit. Das Volk nannte ihn bald »Vecchio«, den Alten, wahrscheinlich deshalb weil er als ein blutjunger Mensch schon so viel Blut vergossen hatte, als ein alter Bandit. Eines Tages erschoß der Vecchio den allgemein beliebten Arzt Malaspina, den Onkel eines mir gastfreundlichen Mannes aus der Balagna; er hatte sich in einen Busch gestellt und feuerte mitten in den Postwagen, welcher von Bastia des Weges kam. Der wilde Teufel sprang dann in die Berge, bis ihn die Strafe ereilte.

Eine Lebensgeschichte so fürchterlicher Art kann also der Mensch in Corsica haben. Niemand verachtet dort den Banditen, welcher weder Dieb noch Räuber ist, sondern nur Kämpfer, Rächer und frei wie der Adler auf den Bergen. Schwärmerische Köpfe entzünden sich an der Vorstellung, durch Waffenthaten Ruhm zu erndten und in den Liedern des Volkes fortzuleben. Das feurige Wesen dieser Menschen, die durch keine Cultur gezähmt sind, welche die Arbeit als Entehrung scheuen, welche nach Thaten dürstend nichts von der Welt kennen als die wilden Berge, in denen sie die Natur mitten im Meer eingeengt hat, scheint wie ein Vulcan einen Ausbruch zu verlangen. Auf einem größeren Raum und unter andern Bedingungen würden dieselben Menschen, welche jahrelang in den Berghöhlen hausen und in den Buschwäldern mit den Sbirren kämpfen, Kriegshelden werden wie Sampiero und Gaffori. Die Natur der Corsen ist die Kämpfernatur, und ich finde keinen passenderen Begriff für sie als welchen Platon der zum Kriegerstande gebornen Menschengattung beilegt, nämlich »eiferartig«. Die Corsen sind eiferartige Naturen; Eifersucht, Ruhmsucht, Ehrsucht, Rachsucht, all diese verzehrenden Leidenschaften sind die ihren, und sie sind geborne Streiter in jedem Sinne des Worts.

Nach Bracciamozzo's Hinrichtung war ich neugierig zu erfahren, ob des Abends die Frauenwelt auf dem Platz San Nicolao spazieren gehen würde, und ich versäumte nicht mich dort einzufinden. Und siehe da, es wandelten auf demselben Platz, wo des Morgens das Banditenblut geflossen war, einige Frauen Bastia's. Nichts verriet mehr die Scene des Morgens, es war als wäre nichts geschehn. Auch ich wanderte dort umher, denn das Meer war gar zu wonnesam von Farbe. Barken schwammen darauf mit ihren Lichtern, und Fischer sangen das schöne Lied: O pescator dell' onde.


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