Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Zwölftes Kapitel.

Das Schlachtfeld von Ponte nuovo.

Gallia vicisti! profuso turpiter auro,
Armis pauca, dolo plurima, jure nihil!
Die Corsen.

Vor Ave Maria machte ich mich von Morosaglia auf, um die Berge hinab nach dem Schlachtfeld von Ponte nuovo zu gehen. Da liegt auch das Stationshaus von Ponte alla Leccia, wo die Post von Corte nach Mitternacht eintrifft, und mit ihr wollte ich dann nach Bastia zurückkehren.

Der Abend war schön und klar, die Bergeinsamkeit zu Gedanken anregend. Kurz ist hier die Dämmerung; kaum ist Ave Maria vorüber, so kommt die Nacht.

Wie oft fallen mir, wenn ich die Glocken Ave Maria läuten höre, die schönen Verse des Dante ein, mit denen er die Abendstimmung auf Wasser und Land ausgesprochen hat:

Die Stunde war es, die zu stillem Weinen
Dem Schiffer zwingt das Herz und still ihn rühret
Am Tag, da er verließ die holden Seinen,
Und wo der Wandrer Sehnsuchtsleid verspüret,
Hört fern herüber er das Glöckchen schallen,
Als weint' es, weil der Tag sich hin verlieret.

Eine einzelne Cypresse dort auf dem Berge, vom Abendrot angezündet, wie eine Opferkerze. Das ist ein wahrer Ave-Mariabaum, monumental wie ein Obelisk, schwarz und trauernd. Es ist schön, wie in Italien Alleen von Cypressen auf die Klöster und die Kirchhöfe führen. Wir haben die Trauerweiden. Beide sind wahrhaft Gräberbäume, aber wie gegensätzlich verschieden. Die Weide weist mit ihren Hängezweigen sehnsuchtsvoll hinab zur Gruft, die Cypresse steigt kerzengerade auf und weist vom Grabe in den Himmel. So sprechen sie trostloses Leid um den Verlust und gläubiges Hoffen aus. Die Symbolik der Bäume ist ein sinnvolles Zeichen von der Einheit des Menschen und der Natur, die er immer in das Bereich seines Gemütes zieht, um an seinen Empfindungen Teil zu nehmen oder sie zu deuten. Da haben nun wieder die Fichte, der Lorbeer, die Eiche, der Oelbaum, die Palme ihren menschlichen Sinn und ihre poetische Sprache.

Wenig und nur kleine Cypressen sah ich auf Corsica, und doch sollten sie dieser Insel des Todes zukommen. Der Baum des Friedens aber wächst dort überall; die Friedensgöttin Minerva, welcher die Olive geheiligt ist, ist zugleich auch die Göttin des Krieges.

Fünfzehn Millien hatte ich von Morosaglia zu wandern, immer in wilden schweigsamen Bergen, und stets den Blick auf die himmelhohen Riesen des Niolo dort drüben, den weißbeschneiten Cinto, den Artiga und den Monte Rotondo, den höchsten 9000 Fuß hohen Berg Corsica's. Er stand jetzt violett im Abendglühn, und rosig schimmerten seine Schneefelder. Ich war bereits auf seinem Gipfel gewesen; ich erkannte deutlich die äußerste Felsenzinke, auf welcher ich mit einem Ziegenhirten gestanden war. Diese zu sehn machte mir ein großes Vergnügen. Als nun der Mond über dem Berge zu stehn kam, gab es ein bezauberndes Bild.

So im Mondschein wandert es sich schön in der stillsten Bergwildniß. Da ist kein Laut, wenn nicht das Rieseln eines Quells und das Flattern des Nachtgevögels, das man nicht sieht. – Die Felsen glänzen aus finstern Schatten, und das Gestein scheint wie gediegenes Silber. Nirgends ein Dorf, noch eine menschliche Seele. Ich ward müde und tief traurig durch die Einsamkeit. Auf gut Glück ging ich in der Richtung hin, wo ich unten im Tal den Golo dampfen sah. Doch schien es mir, als hätte ich einen falschen Weg eingeschlagen, und ich war eben im Begriff durch eine Schlucht nach der andern Seite überzugehen, als ich durch die Stille der Nacht Glocken klingeln hörte, deren Ton mir von den Felsen näher und näher entgegen kam. Ich trat hinter einen Fels und aus dem Mondschein, nicht ohne Graun, das mich jetzt in dieser schweigenden Wildniß zum ersten Mal überfiel. Bald sah ich vom hellen Felspfad herab einen Zug Maulthiere mit ihren Treibern steigen, und diese sagten mir auf meine Frage, daß ich den richtigen und allernächsten Weg gewählt hätte.

So kam ich endlich an den Golo um Mitternacht. Der Fluß strömt durch ein weites Tal, die Luft ist voll Fieber und wird geflohen. Es ist Schlachtfeldluft von Ponte nuovo. In Morosaglia warnte man mich durch die Nachtnebel des Golo zu gehn, oder lange in Ponte alla Leccia zu bleiben. Wer da herumgeht, hört leicht die Todten die Geistertrommel schlagen oder seinen Namen rufen, wenigstens bekommt er das Fieber und Visionen. So was von dem letzten glaube ich verspürt zu haben. Denn ich sah die ganze Goloschlacht vor mir, auch den schrecklichen Mönch Clemens Paoli mit den großen feurigen Augen und den dichten Augenbrauen, den Rosenkranz in der einen, das Fucile in der andern Hand, die Seele dessen segnend, den er eben erschießen will. Wilde Flucht – Sterbende. – Die Corsen, so sagt Peter Cyrnäus, sind Menschen zum Sterben bereit. Charakteristisch ist folgender Zug: Ein Franzose fand einen wunden Corsen, der ohne Klagelaut den Tod erwartete. Was macht ihr, wenn ihr verwundet seid, fragte er ihn, ohne Aerzte, ohne Hospitäler? Wir sterben, sagte der Corse, lakonisch wie ein Spartaner. Ein Volk, dessen Charakter so plastisch und männlich ist wie der des corsischen, gewinnt nichts mehr, wenn man es mit den antiken Heldennationen vergleicht. Aber doch schwebt mir hier ungerufen immer Lacedämon vor Augen. Wenn es erlaubt ist zu sagen, daß in dem italienischen wunderbar begabten Volk der Geist der Hellenen noch einmal aufgelebt sei, so trifft dies meiner Ansicht nach hauptsächlich diese Nachbarländer Toscana und Corsica. Jenes zeigt ganz den idealen Reichtum des jonischen Geistes, und während seine Dichter in der melodischen Sprache sangen, seine Künstler die Tage des Perikles erneuerten, während seine Geschichtschreiber den Ruhm des Thucydides erreichten und die Philosophen seiner Akademie die Welt mit platonischen Ideen erfüllten, stand hier in Corsica der rauhe dorische Geist wieder auf und wurden hier Spartanerkämpfe gekämpft.

Im Jahr 1790 besuchte der junge Napoleon dieses Goloschlachtfeld. Er war damals 21 Jahre alt, doch sah er es wol schon als Knabe. Napoleon auf dem ersten Schlachtfelde, das er sah, als Jüngling, noch schicksallos und schuldlos, er, welcher die halbe Erde vom Ocean bis an die Wolga und von den Alpen bis an die Wüste Lybiens von Schlachtenblut röten sollte: dies war ein Augenblick für Dämonen.

Es war eine solche Nacht, wie diese, als der junge Napoleon hier auf dem Golofeld umherstreifte. Er setzte sich an den Fluß, welcher an jenem Schlachttage, wie das Volk erzählt, 24 Millien weit bis zum Meer blutig rot gewesen war und Leichen gewälzt hatte. Der Fiebernebel machte ihm den Kopf schwer und traumschlafend. Ein Geist stand hinter ihm, ein rotes Schwert in der Hand. Der Geist rührte ihn an und entführte ihm die Seele durch die Luft. Sie schweben über einem Felde; da wird eine blutige Schlacht geschlagen; ein junger General sprengt über Leichen hinweg. Montenotte! ruft der Dämon, und du bist es, der diese Schlacht schlägt. – Weiter geht der Flug. Sie schweben über einem Felde; da wird eine blutige Schlacht geschlagen, ein junger General stürmt im Pulverdampf, die Fahne in der Hand, über eine Brücke. Lodi! ruft der Dämon, und du bist es, der diese Schlacht schlägt. – Und weiter geht der Flug von Schlachtfeld zu Schlachtfeld. Da halten die Geister über einem Strom: Schiffe brennen auf ihm, Blut und Leichen wälzt er fort, rings endlose Wüste. Die Pyramiden ruft der Dämon, auch diese Schlacht wirst du schlagen! – Und so fliegen sie weiter und immer weiter, von einem Schlachtfelde zum andern, und hinter einander ruft der Geist die schrecklichen Namen: Marengo! Austerlitz! Eylan! Friedland! Wagram! Smolensk! Borodino! Beresina! Leipzig! Bis er über dem letzten Schlachtfeld schwebt und mit donnernder Stimme ruft: Waterlo! Kaiser, deine letzte Schlacht, und da wirst du stürzen! –

Der junge Napoleon sprang am Golofluß auf, ihm schauderte, in einem fürchterlichen Traum hatte er Dinge des Wahnsinns geträumt. – –

Nun aber war diese ganze Leichenphantasie eine Folge von dem bösen Golonebel, welcher mich selbst umwitterte. Auf diesem dunstigen Corsenschlachtfelde und in solcher falben Mondnacht ist es wol verzeihlich, wenn man Visionen hat. Und welche wüste, dunstige, grauenvoll schöne Mondnacht. Ueber jenen schwarzen urgranitnen Riesenbergen hängt der rote Mond – nein! es ist der Mond nicht mehr; es ist ein großes, leichenblasses, blutig entsetzliches Haupt, welches über der Insel Corsica schwebt und stumm auf sie herniederschaut, ein Medusenhaupt, ein Vendettahaupt, ein schlangenhaariges, schreckliches. Wer dieses Haupt anzublicken wagt, der wird nicht zu Stein, sondern wie Orestes faßt ihn die Furie, daß er in rasender Leidenschaft morden, und dann von Berg zu Berg, von Höle zu Höle irren muß, hinter sich die Blutrache und das Gesetz, die sich an seine Solen heften . . . . Ich sah den Rachegeist in den Lüften fahren, auf geflügeltem Roß, das grausige Medusen-Vendettahaupt bei den Haaren gefaßt; so stürmt er einher und ruft: Vendetta! Vendetta! . . . .

Welche Phantasieen und sie wollen nimmer enden! Aber Gottlob! da ist das Stationshaus von Ponte alla Leccia und die Hunde schlagen an. In dem großen wüsten Zimmer sitzen einige Menschen am Tisch um die schmauchende Oellampe, haben die Köpfe auf die Brust hangen und sind schlaftrunken. Ein Priester im schwarzen Rock und schwarzen Hut nachtwandelt im Zimmer. Er wartet auf die Post. Mit diesem heiligen Manne will ich ein Gespräch von geistlichen Dingen anknüpfen, daß er alle Geistertrommelei und Dämonenwirtschaft aus mir austreibe.

Aber obwol dieser Mann von einer felsenfesten Rechtgläubigkeit war, so konnte er doch den bösen Gologeist nicht aus mir bannen, sondern mit dem schmerzvollsten Kopf kam ich nach Bastia. Ich klagte meiner Wirtin, daß mir die Sonne und der Nebel es angethan, und ich glaubte nun auf fremder Erde sterben zu müssen. Die Wirtin sagte, hier helfe nichts als daß eine weise Frau über mir die Orazion mache. Ich lehnte die Orazion ab und begehrte nur zu schlafen. Ich schlief einen ganzen Tag und eine Nacht den tiefsten Schlaf. Wie ich erwachte, stand die heilige Sonne hoch und preiswürdig am Himmel.


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