Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Die Familie Bonaparte.

Der Ursprung der Bonaparte ist gar nicht mehr mit Sicherheit zu ermitteln. Niedrige Schmeichelei hat die lächerlichsten Dinge herbeigezogen, um Napoleon die ältesten und höchstgestellten Ahnen zu geben. Man hat sogar einen Stammbaum angefertigt, welcher mit Emanuel II., dem achten Kaiser aus dem Hause der Comnenen anhebt, dessen zwei Söhne nach dem Falle Constantinopels unter dem Namen Bonaparte erst nach Corfu, dann nach Neapel, nach Rom und Florenz gegangen sein sollen. Von ihnen stammen dann lächerlicher Weise die corsischen Bonaparte ab.

Daß die Familie der Bonaparte im Mittelalter unter den Signoren italienischer Städte bekannt war, ist geschichtlich erwiesen. Sie waren in das goldne Buch zu Bologna, unter die Patricier in Florenz und in das Adelsbuch Treviso's eingeschrieben. Als Napoleon sein Schwiegersohn geworden war, ließ der Kaiser Franz Nachforschungen über dessen Familie anstellen und er übersandte ihm Documente, welche beweisen sollten, daß die Bonaparte lange Zeit Herren Treviso's gewesen seien. Napoleon dankte und entgegnete, er finde sich geehrt genug, der Rudolf von Habsburg seines Stammes zu sein. Und auch sonst beseitigte er die alten Adelsdiplome, die man ihm vorkramte, mit dem Wort: ich datire meinen Adel von Millesimo und von Montenotte.

Ich habe an einer anderen Stelle die Vermutung ausgesprochen, daß der Name Bonaparte eine Italianisirung des longobardischen Namens »Bonipert« sei, welcher sich in Urkunden des achten Jahrhunderts in tuscischen Landen häufig findet. Wann die Bonaparte nach Corsica kamen, ist ungewiß. Muratori hat ein Document vom Jahr 947 angeführt, in welchem drei corsische Signoren Othon, Domenico und Guido dem Klosterabt Silverio von Monte Cristo ihre Besitzung Venaco in Corsica schenken; unter den Zeugen, welche dieses Instrument in Mariana zeichnen, befindet sich auch ein Bonaparte. Es müßte demnach die Familie oder vielmehr ein Zweig derselben schon frühe aus Toscana nach Corsica gegangen sein. Andere vielleicht folgten in späteren Jahrhunderten nach, denn die toscanischen Bonaparte waren teils Guelfen, teils Ghibellinen und wurden abwechselnd mit der einen oder der andern Partei vertrieben. Man weiß, daß einige in die Lunigiana, nach Sarzana, gingen und in den Dienst der mächtigen Herren Malaspina traten, mit denen sie, wie ich behaupten möchte, auch nach Corsica wanderten. Ein anderer Zweig blieb in Toscana und machte sich hier heimisch, erst in Florenz, dann in San Miniato al tedesco. Die Familie hatte ihre Gruft in Santo Spirito zu Florenz, und dort las ich im Kreuzgang auf einem Grabstein diese Inschrift:

  S. di Benedeto
  Di Piero di Giovanni
Buonaparte. E di sua Descendenti.

Das Wappen zeigt über und unter den Querbalken je einen Stern. Zweimal, in Wahrheit, ist der Stern über dem Haus Bonaparte aufgegangen.

In San Miniato blieben noch bis auf Napoleons Zeit Glieder seiner Familie. Bei seinem Zuge gegen Livorno fand er dort einen alten Canonicus Filippo Bonaparte, welcher den jungen Helden zu seinem Erben einsetzte und im Jahre 1799 starb.

Was die Bonaparte in Ajaccio betrifft, so steigen sie mit Sicherheit auf nur bis zum Messire Francesco, der im Jahr 1567 starb; ohne Zweifel war der corsische Zweig der Bonaparte von Sarzana herüber gekommen. Dies ist ihre Stammtafel:

                         Francesco Bonaparte 1567.
                                     │
                        Gabriele Bonaparte Messire,
                   baute in Ajaccio Türme gegen die Barbaresken.
                                     │
              Geronimo Bonaparte Egregius, procurator nobilis,
                          Haupt der Aeltesten Ajaccios.
                                     │
                           Francesco Bonaparte,
                             Capitano der Stadt.
                   ┌─────────────────┴─────────────────┐
         Sebastiano Bonaparte.                Fulvio Bonaparte.
                   │                                   │
        Carlo Bonaparte nobilis.          Ludovico Bonaparte 1632,
                   │                       vermält mit Maria von Gondi.
          Guiseppe Bonaparte,
           Aeltester der Stadt.
               ┌───┴──────────────────────────────┐
  Sebastiano Bonaparte, magnificus,       Luciano Bonaparte,
      Aeltester der Stadt. 1760.                 Archidiaconus.
               │
     Carlo Maria Bonaparte,
geb. 29. März 1746, Vater Napoleons,
     vermält mit Letitia Ramolino.

Die Bonaparte haben keine Bedeutung in der corsischen Geschichte gehabt. Angesehn in ihrer Stadt, von den Genuesen, welchen diese gehorsam blieb, mit Titeln als Edle geehrt, beschränkten sie sich auf die Teilnahme an der bürgerlichen Verwaltung. Erst mit Carlo Bonaparte wird dieser Name im ganzen Land Corsica angesehn und geschichtlich.

Napoleons Vater war am 29. März 1746 in Ajaccio geboren, in einer stürmischen Zeit, da die Corsen alle ihre Kraft zusammen nahmen, um das Genuesenjoch abzuschütteln. Gaffori war damals ihr Haupt, Pasquale noch in der Verbannung zu Neapel. Bei den Bonaparte in Ajaccio war es Sitte, ihre Kinder nach Toscana zur Ausbildung zu schicken, und besonders sie in Pisa studiren zu lassen. Denn sie erinnerten sich ihres florentinischen Adels, welchen sie geltend zu machen nie aufhörten. Carlo selbst nannte sich Nobile und Patrizier von Florenz. Er machte seine ersten Studien auf Paoli's neu gestifteter Hochschule in Corte und dann ging auch er nach Pisa. Er studirte die Rechte; man erzählt, daß er sich durch seine Kenntnisse Achtung und durch seine Freigebigkeit Neigung zu gewinnen wußte. In sein Vaterland zurückgekehrt, nachdem er zum Doctor der Rechte promovirt worden war, wurde er der beliebteste Advocat Ajaccio's.

Carlo, sehr schön, und von glänzendem Verstand, erregte die Aufmerksamkeit Paoli's, welcher einen richtigen Blick für Menschen hatte. Er zog ihn an sich und gebrauchte ihn in Staatsgeschäften. Im Jahr 1764 lernte der junge Advocat das schönste Mädchen Ajaccio's kennen, Letitia Ramolino, welche 14 Jahre alt war. Beide entbrannten in heftiger Neigung für einander, aber die Ramolini waren genuesisch gesinnt und wollten ihre Tochter einem Paolisten nicht zum Weibe geben. Da legte Paoli selbst sich ins Mittel und wußte die Eltern Letitia's zu gewinnen. Ihre Mutter hatte als Wittwe Herrn Fesch geheiratet, Capitän im Schweizerregiment in genuesischen Diensten, und aus dieser Ehe stammte der nachherige Cardinal.

Den jungen Carlo machte unterdeß Paoli zu seinem Secretär und nahm ihn mit sich nach Corte, dem Sitz der Regierung. Nur ungern folgte Letitia. Nun brach die Katastrophe über die Corsen herein; die Franzosen hatten nach dem Vertrag von Fontainebleau bereits die Insel betreten; das Volk aber war zu einem Parlament zusammen gekommen. Hier stimmte Carlo Bonaparte in einer feurigen Rede für den Krieg gegen Frankreich.

Nach der unglücklichen Schlacht bei Ponte nuovo, da die Franzosen bereits Corte sich näherten, flüchteten einige hundert angesehene Familien auf den Monte Rotondo, unter ihnen auch Carlo Bonaparte und sein Weib, welches gerade mit Napoleon schwanger ging. Es vergingen Tage der Angst und Ungewißheit in jenen Wildnissen unter den Ziegenhirten. Endlich erschienen Gesandte des Grafen Devaux, welcher in Corte eingerückt war. Sie kündigten den Flüchtlingen an, daß die Insel unterworfen und Paoli im Begriff sei, sich einzuschiffen, daß sie nichts zu fürchten hätten und in ihre Heimat herabsteigen könnten. Sogleich schickten jene eine Gesandtschaft nach Corte, an deren Spitze Carlo Bonaparte und Lorenzo Giubega von Calvi standen, und nachdem diese Abgesandten Sicherheitspässe für alle ihre Familien empfangen hatten, kehrten sie auf den Monte Rotondo zurück, um diese abzuholen.

Bonaparte stieg mit seinem Weibe ins Niolo, um so nach Ajaccio zu gelangen. Sie mußten über den Liamone setzen und da dieser Fluß angeschwollen war, kam Letitia in Gefahr zu ertrinken. Nur ihr Mut und die Schnelligkeit ihrer Begleiter retteten sie. Carlo wollte Paoli, seinen Gönner und Freund, ins Exil begleiten, indem er es für schimpflich hielt, in Corsica zu bleiben, nachdem das Vaterland in Franzosengewalt gefallen war. Aber die Bitten seines Onkels, des Archidiaconus Lucian und die Tränen seines Weibes vermochten ihn von diesem edeln Gedanken abzubringen. Er war denn doch kein glühender Patriot; er kehrte nach Ajaccio zurück und wurde dort unter französischem Regiment Assessor des Gerichtshofes. Marbeuf behandelte ihn mit Auszeichnung; durch seine Verwendung erhielt er später für seinen ältesten Sohn Joseph eine Stelle im Seminar zu Autun, für seinen zweitgebornen Napoleon eine in der Militärschule zu Brienne. Marbeuf, der Eroberer Corsica's, war es also, welcher dem jungen Napoleon seine Laufbahn möglich machte. Er besuchte das Haus Bonaparte sehr häufig und verlebte in der Gesellschaft der schönen Letitia manche angenehme Stunde; dies und die Gunst, welche er dem jungen Napoleon schenkte, veranlaßten das Gerücht von einem galanten Verhältniß Marbeufs zu Letitia.

Uebrigens war derselbe dem Vater Napoleons verpflichtet. Als nämlich der General Narbonne-Fritzlar in Corsica gegen jenen Ränke machte, um den Oberbefehl zu erhalten, stimmte Carlo das französische Ministerium dahin, Marbeuf in der Regierung zu belassen. Diesen Dienst vergalt ihm der Graf mit seiner Freundschaft, mit seinem Wolwollen und mit der Empfehlung des jungen Militärschülers Napoleon an die einflußreiche Familie Brienne. Carlo zeigte Marbeuf auf jede Weise seine Anhänglichkeit; ich las von ihm ein Sonett auf den Grafen, welches ich nicht mitteilen will, weil es unbedeutend ist.

Im Jahre 1777 wurde Napoleons Vater Abgeordneter des Adels für Corsica und reiste über Florenz nach Paris. Noch einmal begab er sich dahin, um seinen Proceß mit den Jesuiten in Ajaccio zu Ende zu führen. Darüber starb er in seinem 39sten Jahr zu Montpellier an demselben Magenübel, an welchem auch sein Sohn Napoleon sterben sollte, im Februar 1785. In den Phantasien des Todes träumte er beständig von Napoleon, ein Beweis, daß er auf diesen Sohn alle seine Hoffnungen gesetzt hatte; er rief sterbend: »Wo ist Napoleon, warum kommt er nicht mit seinem großen Degen seinem Vater zu helfen?« In den Armen seines Sohnes Joseph verschied er. Man begrub ihn in Montpellier. Als Napoleon Kaiser geworden war, machten ihm die Bürger dieser Stadt den Antrag, seinem Vater ein Denkmal zu errichten. Er antwortete, daß man die Todten solle ruhen lassen, denn wenn er seinem Vater, der nun schon so lange todt sei, eine Statue setze, so würden sein Großvater und sein Urgroßvater mit demselben Recht eine gleiche verlangen. Später ließ Louis Bonaparte, König von Holland, seines Vaters Leiche ausgraben und in St. Leu beisetzen.

Napoleon war, als Carlo Bonaparte starb, auf der Schule in Paris. Dies ist der Trostbrief, welchen der 16jährige Jüngling damals an seine Mutter schrieb:

Paris, den 29. März 1785.

Meine teure Mutter!

Heute hat die Zeit die ersten Ausbrüche meines Schmerzes ein wenig beruhigt, und ich beeile mich Ihnen die Dankbarkeit zu bezeugen, welche mir die Güte einflößt, die Sie immer für uns gehabt haben. Trösten Sie sich, meine teure Mutter. Die Umstände gebieten es. Wir werden unsre Sorge und unsre Erkenntlichkeit verdoppeln und glücklich sein, wenn wir durch unsern Gehorsam Sie in Etwas für den unschätzbaren Verlust eines geliebten Gatten entschädigen können. Ich schließe, meine teure Mutter; mein Schmerz befiehlt es, indem ich bitte, daß Sie den Ihrigen besänftigen. Meine Gesundheit ist ausgezeichnet und alle Tage bitte ich den Himmel, Ihnen eine ähnliche zu schenken. Bringen Sie meine Hochachtung der Tante Gertrud, Minana Saveria, Minana Fesch &c.

P.S. Die Königin von Frankreich ist mit einem Prinzen niedergekommen, genannt Herzog der Normandie, am 27. März, 7 Uhr des Abends.

Ihr sehr ergebener und affectionirter Sohn:
Napoleon de Bonaparte.

Wenn dieser lakonische Brief des jungen Napoleon ächt ist, so ist er noch etwas mehr wert, als der Trostbrief Seneca's an seine Mutter Helvia.

Carlo war ein Mann von glänzenden Eigenschaften, ein klarer Verstand, ein feuriger Redner, und wie man gesehn hat wol fügsam in die Umstände und von politischer Lebensklugheit. Er liebte Glanz und Verschwendung. Bei seinem Tode war Madame Letitia erst 35 Jahre alt und hatte ihm schon 13 Kinder geboren, von denen 5 gestorben waren. Jerome lag noch in der Wiege.

Das Haupt der Familie wurde der Archidiaconus Lucian, welcher das Familienvermögen verwaltete. Die Bonaparte besaßen einige Landgüter, Weinberge und Herden.


 << zurück weiter >>