Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Zweites Buch.

Erstes Kapitel.

Die nächsten Gegenden des Cap Corso.

Das Cap Corso ist die lange und schmale Halbinsel, in welcher Corsica gegen Norden ausläuft. Das rauhe Gebirge, die Serra, durchzieht sie und erhebt sich im Monte Alticcione und im Stello zu mehr als 5000 Fuß Höhe. Zu beiden Küsten senkt es liebliche Täler ab.

Man hatte mir viel gesagt von der Schönheit dieses Ländchens, von seinem Reichtum an Wein und Orangen, und von den milden Sitten der Bewohner, so daß ich mit rechter Freude meine Wanderung antrat. Gleich der erste Eintritt in den Canton S. Martino ist festlich, da eine gute Straße durch Olivenhaine längs des Gestades fortführt. Kapellen im Grün, bekuppelte Familiengrüfte, einsam gelegene Häuser am Strande, hie und da ein verlassener Turm, in dessen Ritzen der wilde Feigenbaum nistet und dem zu Füßen der stachlichte Cactus wuchert, machen das Land malerisch. Ganz Corsica ist mit diesen Türmen umstellt, welche Pisaner und Genuesen bauten, die Küsten gegen den Saracen zu schützen. Sie sind rund oder viereckig, nur dreißig bis fünfzig Fuß hoch. Eine Wachmannschaft lag darin und gab der Gegend Kunde, wenn Corsaren nahten. Alle diese Türme sind nun verlassen und stürzen allmälig ein. Sie geben dem corsischen Strand einen überaus romantischen Charakter.

Es war ein schönes Wandern in der stralenden Morgenfrühe, da der Blick das Meer mit den schön geformten Eilanden Elba, Capraja und Monte Cristo umfaßte, und wieder von dem Wechsel der Berge und der Täler in unmittelbarer Meeresnähe erfreut ward. Amphitheatralisch umschließen hier die Höhen blühende und schattige Täler, welche Bäche durchrauschen. Im Cirkel umher stehn schwarze Dörfer mit schlanken Kirchtürmen und alten Klöstern; auf den Wiesen treibt die Hirtenwelt ihre Geschäfte, und wo sich das Tal zum Ufer öffnet, steht ein Turm und ein weltverlassener Hafenort, in welchem ein paar Fahrzeuge ankern.

Jeden Morgen kommen mit der Sonne Scharen von Frauen und Mädchen aus dem Cap Corso nach Bastia, ihre Früchte zu Markt zu tragen. Für die Stadt wird ein zierlich Kleid angelegt, ein blaues oder ein braunes, und das sauberste Tuch als Mandile um das Haar geschlungen. Es ist ein reizender Anblick diese Gestalten am Meeresufer im Morgenlicht einherschreiten zu sehen, auf dem Kopf die saubern Körbe, aus denen Goldfrüchte lachen; und nicht leicht möchte es etwas Graziöseres geben, als ein schönes schlankes Kind, welches einen Korb voll Trauben auf dem Kopfe tragend, leichtfüßig daherkommt wie eine Hebe oder wie Tizians Tochter. Sie kamen alle des Weges vorüber plaudernd, scherzend mit demselben schönen Gruße Evviva. Nichts Besseres kann der Mensch dem Menschen anwünschen, als daß er leben solle.

Doch nun vorwärts, denn die Sonne steht im Löwen und wird in zwei Stunden grimmig werden. Hinter dem Turm Miomo gegen die zweite Pieve Brando zu, hört auch der Fahrweg auf, und nun muß man klettern gleich der Ziege, denn nur an wenigen Stellen des Cap Corso gibt es fahrbare Verkehrstraßen. Von der kleinen am Strand verlornen Marina di Vasina stieg ich aufwärts in die Berge, auf welchen die drei Communen der Pieve von Brando liegen. Der Weg war rauh und steil, doch erquicklich durch Bäche die herunterrauschen und durch die Ueppigkeit der Gärten. Das ganze Gestade ist mit ihnen bedeckt, voll Reben und Orangen und Oelbäumen, an denen Brando besonders reich ist. Der Feigenbaum hängt seine Früchte nieder und hält dem schmachtenden Munde still, unähnlich dem Baume des Tantalus.

In einem der Uferabhänge befindet sich die schöne Stalactitenhöle, welche vor nicht langer Zeit entdeckt wurde. Sie liegt in den Gärten eines zurückgezognen Officiers. Ein Verbannter aus Modena hatte mir einen Brief an diesen Herrn mitgegeben und so suchte ich ihn in seiner Besitzung auf. Das ganze Ufer hat der Colonel zu einem Garten umgeschaffen. Derselbe hängt über dem Meer träumerisch und schattig von stillen Oelbäumen, von Mirten und Lorbeern; Cypressen und Pinien einzeln oder in Gruppen, Blumen überall, Epheu um die Mauern, die Rebengewinde mit Trauben belastet, ein Landhaus still im Grün versteckt, eine kühle Grotte tief in der Erde. Welteinsamkeit, Ruhe, ein Blick in den smaragdnen Himmel und auf das Meer mit seinen Inseln, ein Blick in das eigne glückselige Menschenherz; ich weiß nicht, wann man hier wohnen soll, so lange man noch jung, oder wenn man schon alt ist.

Aus der Villa sah ein ältlicher Herr heraus, wie er mich den Gärtner nach dem Colonel fragen hörte und winkte mir herauf. Wer der Mann sei, das hatte mir schon der Garten gesagt, und nun zeigte es mir auch das Zimmer in das ich eintrat. Die Wände waren mit sinnvollen Emblemen bemalt; da sah ich die sich verbrüdernden Stände, dargestellt in einem Landmann, einem Soldaten, einem Priester und einem Gelehrten, die sich die Hände reichen. Dort saßen die fünf Racen, Europäer, Asiate, Mohr, Australier, Rothaut um einen Tisch, hielten die Becher in der Hand und tranken Brüderschaft, gar lustig umrankt von tanzenden Rebenguirlanden. Sogleich erkannte ich, daß ich in das schöne Land Icarien und zu keinem andern Manne gekommen sei, als zu dem vortrefflichen Oheim aus Goethe's Wanderjahren. Und so war es auch; der Herr war ledig und der Oheim, humanistischer Socialist, segenverbreitender Landmann von stillem, großem Wirken.

Er kam mir heiter ruhig entgegen, das Journal des Debats in der Hand, lächelnd über das, was er darin gelesen hatte.

»Ich habe in Ihrem Garten und Ihrem Zimmer, Signore, den Contrat Social des Rousseau gelesen und ein Stück aus der Republik des Platon. Sie zeigen mir, daß Sie ein Landsmann des großen Pasquale sind.«

Wir sprachen allerlei über die Welt, die Menschlichkeit und die Barbarei, und wie die Theorie sich so unmächtig erweise. Doch sind dies alte Geschichten und jeder denkende Mensch hat sie wol bedacht und besprochen.

So gedankenvoll angeregt ging ich in die Grotte hinunter, nachdem ich dem seltnen Manne Lebewol gesagt hatte, der mir dichterisch Geschautes so überraschend ins Wirkliche übertragen. Wunderlich ist doch diese Insel! Gestern ein Bandit, welcher zehn Menschenleben aus Capriccio gemordet hat und zum Blutgerüst geführt wird, heute ein praktischer Philosoph der Menschenverbrüderung; beide gleich echte Corsen, aus der Geschichte ihres Volks hervorgegangen. Unter den blühenden Bäumen des Gartens hingehend aber sagte ich mir, daß es nicht schwer sei im Paradiese die Menschen zu lieben. Ich glaube, daß die wunderbare Macht des ersten Christentums daher kommt, weil seine Lehrer arme und wol unglückliche Leute waren.

Der heilige Paulus, so erzählt die corsische Legende, landete einst auf dem Cap Corso, dem Promontorium Sacrum, wie es in alten Zeiten hieß, und predigte hier das Christentum. Es ist unbezweifelt, daß die christliche Religion zuerst auf dem Cap Corso Eingang fand, als sie nach der Insel hinüberkam. So ist denn dies Ländchen ein von Alters her der Humanität geweihter Boden.

Eine Gärtnerin führte mich zur Grotte. Sie ist weder sehr hoch, noch sehr tief und ein Zusammenhang von Kammern und Gemächern, die man bequem durchschreitet. Von den Decken hängen Lampen. Die Gärtnerin zündete sie an und ließ mich allein. Nun erhellte das matte Dämmerlicht diese schöne Krypta von so bizarren Tropfsteinbildungen als nur ein gothischer Architect in Spitzbogen, Säulenknäufen, Tabernakeln und Rosetten erdenken kann. Die Grotte ist die älteste gothische Kirche Corsica's, die Natur hat sie im schönen Phantasiespiel so aufgebaut. Als die Lampen flimmerten und das hellgelbe Tropfgestein überlichteten und durchschimmerten, war es doch ganz und gar eine Unterkirche. In dieser Dämmerung verlassen sah ich das folgende Märchenbild aus Tropfstein.

Eine wunderbare Jungfrau saß in weiße Schleier gehüllt auf einem Trone vom klarsten Alabaster. Sie regte sich nicht. Aus dem Haupt trug sie eine Lotosblume und auf der Brust den Karfunkelstein. Das Auge konnte gar nicht von der verschleierten Jungfrau lassen, denn sie erweckte die Sehnsucht. Vor ihr knieten viele kleine Zwerge, die armen Tröpfe waren alle aus Tropfstein und trugen gelbe Kronen aus dem allerschönsten Tropfstein. Sie regten sich nicht. Aber sie hielten alle die Hände nach der weißen Jungfrau ausgestreckt, als wollten sie ihr den Schleier heben, und es tropfte aus ihren Augen bitterlich. Mir schien es, als sollte ich Einige kennen und bei Namen rufen. »Dies ist die Isis,« sagte die Kröte satirisch. Sie saß auf einem Stein, und ich glaube, sie hielt mit ihren Augen alle verzaubert. »Wer nicht das rechte Wort weiß und will den Schleier der schönen Jungfrau heben, der wird wie diese ein Tropf. Fremdling, willst du das Wort sagen?« –

Nun wollte ich eben einschlafen, weil ich sehr müde war, und die Luft in der Grotte so dunkel und so kühl, und weil auch die Tropfen so melancholisch niederfielen, da kam die Gärtnerin in die Grotte und rief: »Es ist Zeit!« – Zeit? den Schleier des Isis zu heben, o ihr ewigen Götter – – »Ja, Signore, wieder hinauszugehen an die schöne Sonne und in den lebendigen Garten.« Dieses sagte die Gärtnerin; es dünkte mich wolgesagt, so daß ich ihr auf der Stelle folgte. –

Seht dieses Fucile, Herr; das haben wir in der Grotte gefunden, ganz mit Tropfstein überzogen, und daneben lag menschliches Gebein. Es war wol eines Banditen Flinte und Gebein. Der Aermste hat sich gewiß in dieser Höle verkrochen gehabt und ist drinnen wie das wunde Wild gestorben. – Nichts war von der Flinte mehr über, als der rostige Lauf. Manchem mag er die Rächerkugel ins Herz gewettert haben. Nun halte ich ihn hier in der Hand wie ein Fossil grausiger Geschichte, und er thut seinen Mund auf und erzählt mir Vendettageschichten.


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