Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Neuntes Kapitel.

Eine gespenstige Wasserfahrt.

Mittlerweile wurde es am Ufer laut. Die Schiffer waren angekommen, und so nahm ich Abschied von der zierlichen Benvenuta, wünschte ihr allerlei gute Dinge und stieg in die Barke, welche nach Bastia segelte. Wir fuhren immer längs der Küste und unmittelbar am Ufer. Das Schiff landete in Porticcioli, einem kleinen Hafen mit einer Dogana, um seine vier Passagiere einschreiben zu lassen. Auch hier ankerten einige Segelboote. Die reifen Feigen auf den Bäumen und die Trauben in den Gärten wurden uns begehrlich. Man brachte uns einen halben Weinberg der köstlichsten Muscatellertrauben und Feigen von dem süßesten Wolgeschmack für ein paar Soldi.

Abends weiter fahrend hatte ich rechte Freude an dem mondbeglänzten Meer und an den seltsamen Uferformen. Viele Türme sah ich auf den Felsen, hie und da eine Ruine, Kirche oder Kloster. Wir segelten an der alten Kirche der heiligen Catharina von Sisco vorbei, welche hoch und prächtig am Ufer steht. Das Wetter wollte sich verwüsten, wie man in der italienischen Sprache sagt, und es drohte ein Sturm. Der alte Steuermann nahm im Angesicht der heiligen Catharina sein Berretto ab und betete laut: heilige Mutter Gottes Maria, wir fahren nach Bastia, gib daß wir glücklich in den Hafen kommen. Die Schiffer alle nahmen die Berretti ab und schlugen andächtig ein Kreuz. Der Mondschein auf dem Meer, welcher aus schwarzen Wetterwolken hervorbrach, die Furcht vor einem Sturm, das grauenvoll beleuchtete Ufer, endlich die heilige Catharina brachten über die ganze Barke plötzlich eine jener unwiderstehlichen Stimmungen, die sich in Gespenstergeschichten Luft machen. Es begannen die Schiffer allerlei Hexereien zu erzählen. Nun wollte einer der Reisenden in des Fremden Augen seine Landsleute nicht gar alle für abergläubisch gelten lassen und zuckte als Freigeist beständig die Achseln, ärgerlich daß ich solche Dinge hörte; ein anderer aber bekräftigte seine und der Schiffer Meinung beständig mit dem Schluß: ich habe die Hexen nicht mit Augen gesehn, aber Teufelskünste müssen sein. Ich selber behauptete, daß ich an die Stregen und Hexen zuversichtlich glaube und daß ich auch die Ehre gehabt hätte, einige von der besten Art kennen zu lernen. Der Anhänger der Teufelskünste, ein Bewohner Luri's, hatte mich übrigens einen tiefen Blick in seine geheimnißvollen Studien thun lassen, da er bei Gelegenheit eines Gesprächs über London sehr naiv die Frage hinwarf, ob London französisch sei. Es schien mir deshalb vortrefflich geeignet, das Feuer in dieser Hexenküche lebhaft zu unterhalten.

Die Corsen nennen die Hexe strega. Sie saugt besonders als Vampyr den Kindern das Blut aus. Ein Schiffer beschrieb ihr Aussehn, da er sie in seines Vaters Hause einmal ertappt hatte, pechschwarz nämlich ist sie auf der Brust und kann sich aus einer Katze in eine Jungfrau, aus einer Jungfrau in eine Katze verwandeln. Diese Stregen machen namentlich den Kindern Weh, thun ihnen das böse Gesicht an und allerlei fattura. Sie können auch Waffen verhexen, daß sie versagen. In diesem Fall muß man am Flintenbügel ein Kreuz machen, wie überhaupt das Kreuz die beste Wehr gegen alle Zauberei ist. Gut ist es immer, Reliquien und Amulette zu tragen. Einige sichern gegen das Blei und den Biß der giftigen Spinne malmignatto. Unter diesen Amuletten hatte man ehemals in Corsica auch einen Reisestein, wie er auch in Nordlandssagen häufig vorkommt. Man fand ihn allein am Turm des Seneca, er war vierkantig und eisenhaltig. Wer sich einen solchen Stein über das Knie band, that eine leichte und glückliche Reise.

Viele Gebräuche der Heiden haben sich in Corsica verloren, manche sich noch erhalten und besonders im Hirtenland Niolo. Da ist hauptsächlich die Weissagung aus Knochen merkwürdig. Der Wahrsager nimmt das Schulterblatt (scapula) einer Geiß oder eines Schafes, macht es spiegelblank und liest daraus die Geschicke der betreffenden Person. Es muß aber das linke Schulterblatt sein, weil nach dem alten Spruche la destra spalla sfalla das rechte trügerisch ist. Von vielen berühmten Corsen wird erzählt, daß Wahrsager ihnen ihr Los prophezeit haben. Man sagt, daß als Sampiero am Abend vor seinem Tode mit seinen Begleitern bei Tische saß, eine Eule auf dem Hause die ganze Nacht geschrieen habe; da habe auch ein Wahrsager die Scapula gelesen und zum Entsetzen aller Sampiero's Tod darin gefunden.

Auch Napoleons Schicksal wurde aus einer spalla prophezeit. Es war ein alter Hirte in Ghidazzo, berühmt im Lesen der Schulterblätter; der besah eines Tages, da Napoleon noch klein war, die Scapula und fand darauf deutlich abgebildet einen Baum, der mit vielen Zweigen hoch in den Himmel griff, aber nur kleine und wenige Wurzeln hatte. Daraus erkannte der Hirt, daß ein Corse Herrscher der Welt werden würde, aber nur für kurze Zeit. Diese Prophezeiung ist in Corsica sehr bekannt; sie hat eine merkwürdige Verwandtschaft mit dem Traum der Mandanen von jenem Baume, welcher den Cyrus bedeutete.

Viele abergläubische Vorstellungen von sehr dichterischer Phantasie beziehn sich auf den Tod, den wahren Genius der corsischen Volkspoesie, weil er auf diesem Eiland der Blutrache so recht eigentlich sein Haus hat. Die Insel des Todes möchte ich Corsica nennen, wie andere Inseln die des Apollo, der Venus, des Jupiter waren. – Wenn Jemand sterben soll, so kündigt oft ein bleicher Lichtschein seinen Tod an. Die Eule schreit die ganze Nacht, der Hund heult, und manchmal läßt sich eine kleine Trommel hören, welche ein Geist schlägt. Soll Jemand sterben, so kommen oft die Todten Nachts an sein Haus und kündigen es an. Sie sind nämlich ganz so gekleidet wie die Todtenbrüderschaft, in langen weißen Kapuzmänteln, mit den spitzen Kappen, welche die gespenstigen Augenlöcher haben. Dann thun sie alle Geberden der Todtenbrüder, welche sich um die Bahre stellen, sie aufheben, sie tragen, ihr vorausgehen. Und so treiben die Geister den Spuk bis der Hahn kräht. Ruft der Hahn, so schlüpfen sie fort, die einen auf den Kirchhof, die andern in die Kirche in ihre Gräber.

Die Todten lieben die Gemeinschaft. Wenn du Nachts auf den Kirchhof gehst, so kannst du sie hervorkommen sehen. Dann schlage schnell ein Kreuz über dem Flintenbügel, daß der Geisterschuß los geht. Denn ein voller Schuß hat Gewalt über die Gespenster, und schießest du unter sie, so zerstreuen sie sich, und erst nach zehn Jahren können sie sich nach einem solchen Schuß wieder vereinigen.

Bisweilen kommen die Todten an das Bett des Ueberbliebenen und stellen sich vor ihn hin und sagen zu ihm: Nun klage nicht mehr und höre auf mit deinem Weinen, weil ich doch die Gewißheit habe, einst selig zu sein.

In schweigender Nacht, wenn du auf deinem Bette sitzest und das traurige Herz dich nicht schlafen läßt, rufen oft die Todten deinen Namen: o Mari! – – o Josè! – – Bei Leibe, antworte nicht, rufen sie auch noch so kläglich, und will dir gleich das Herz zerbrechen. Antworte nicht! wenn du antwortest, so mußt du sterben. –

»Andate! Andate! der Sturm kommt! seht die Tromba dort, wie sie Elba vorbei treibt!« Und mächtig zog das schwarze Meergespenst über See, ein grausig schöner Anblick; der Mond war erloschen, und Ufer und Meer lagen in falbem Wetterschein. Gott Lob! da sind wir am Turm Bastia. Die heilige Mutter Gottes hatte uns doch geholfen, und wie wir aus der Barke gestiegen waren, begann das Wetter drein zu schlagen. Wir aber waren im Port.


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