Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Zweites Kapitel.

Strandidylle von Isola Rossa.

Ein großer ländlicher Platz liegt am Eingang und noch in den Stadtmauern eingeschlossen, welche Gartenmauern gleich sehn. Da erhebt sich in der Mitte eine Fontäne, auf deren Granitwürfel die Marmorbüste Pasquale Paoli's steht. Sie war vor zwei Monaten dort aufgestellt. Im Jahre 1758 mitten im Krieg wider Genua, welches noch das benachbarte feste Algajola behauptete, gründete der große Mann Isola Rossa. Die Genuesen kamen mit Kanonierboten, den Bau zu stören, aber er erstand unter ihrem Kugelregen, und heute ist Isola Rossa ein Ort von 1860 Einwohnern und der wichtige Stapelplatz der ölreichen Balagna.

Ich fand um den Brunnen Kinder spielen, darunter war ein schönes Kind von sechs Jahren, mit den schwärzesten Locken und großen schwarzen, tiefsinnigen Augen. Das Kind war lieblich wie ein Engel. Wißt ihr auch, fragte ich, wer der Mann ist, welcher hier vor uns auf der Fontäne steht? Ja, wir wissen es, sagten sie, das ist Pasquale Paoli. Die Kinder fragten mich, aus welchem Land ich sei, und da ich sie raten ließ, rieten sie auf alle Länder, endlich auf Egypten, aber Deutschland kannten sie nicht. Seitdem begleiten sie mich hier auf allen Wegen: ich kann sie gar nicht los werden. Sie singen mir Lieder, und bringen mir Corallenstaub und bunte Muscheln vom Strande; überall sind sie da und mit ihnen viele andere. Wie der Rattenfänger von Hameln ziehe ich eine Kinderschar hinter mir her, und sie folgen mir selbst bis in die See. Der Erderschütterer Poseidon, Nereus auch und die blaufüßigen Doriden dulden uns alle, und manchen Delphin sehe ich hier in krystallner Welle fröhlich spielen.

Hier ist auch ganz der Ort, unter Kindern ein Kind zu sein.

Diese Weltverlorenheit am weißen Strande und im Grünen thut dem Gemüt wol. Das Städtchen liegt still wie ein Traum. Die Häuser mit den platten Dächern und grünen Fensterladen, die zwei schneeweißen Türme der kleinen Kirche, alles sieht so zierlich und so heimlich aus. Im Meer stehen drei rote Klippen, ein Turm hält auf ihnen Wache und erzählt in stillster Abendruhe die alten Geschichten vom Saracen. Wilde blaue Tauben und Mauerschwalben umflattern ihn. Ich bestieg diese Klippen des Abends. Man kann jetzt zu ihnen zu Land gelangen, weil sie mit ihm durch einen Damm verbunden sind. Die Meereswellen dringen in eine Grotte, welche schwer zugänglich ist. Nah an diesen Klippen wirft man jetzt einen neuen Molo ins Meer; französische Arbeiter waren gerade damit beschäftigt, die großen Steinwürfel mit Schrauben aufzuwinden, und in die Fluten zu stürzen.

Schön ist die Abendlandschaft von diesen roten Inseln aus betrachtet. Zur Rechten das Meer und die ganze Halbinsel des Cap Corso im Duft verschleiert; zur Linken eine rote Landzunge, um welche die See biegt; die kleine Stadt im Vorgrunde, Fischerbarken und ein paar Segelbote im Hafen. Im Hintergrund drei herrliche Berge, Santa Angiola, Santa Susanna und der rauhfelsige Monte Feliceto. An ihren Abhängen Olivenhaine und viele schwarze Dörfer. Hin und wieder glühen die Feuer der Ziegenhirten.

Es gibt keinen Ort, dessen Volk patriarchalischer leben könnte. Das Land bietet seine Früchte, und das Meer auch. Sie haben genug. Abends sitzen sie am Molo und schwätzen, oder angeln in dem stillen Wasser, oder lustwandeln in den Olivenhainen und Orangengärten. Tags rüstet der Fischer seine Netze und der Handwerker sitzt unter dem Maulbeerbaum und arbeitet emsig. Hier darf das Lied und die Guitarre nicht fehlen. Ich hatte mich in einem kleinen Caffeehause eingeheimt. Die junge Lotoswirtin konnte schöne Lieder singen; auf meinen Wunsch kam Abends eine kleine Gesellschaft zusammen und waidlich wurde auf den Guitarren geklimpert und manches reizende Lied gesungen.

Auch die Kinder sangen mir, wo sie hinter mir her liefen, Lieder, die Marseillaise, den Girondistenmarsch und Bertrams Abschied mit untergelegtem Text als Loblied auf den Präsidenten von Frankreich. Der Refrain schloß immer mit der Apostrophe vive Louis Napoléon! Der kleine Camillo sang am schönsten die Marseillaise.

Wir suchten Muscheln am Strande. Deren gibt es da die Fülle, wenn man dem kleinen Kloster vorbeigeht, das am Meer im Garten steht, und worin die Schwestern der Madonna alle Grazie wohnen. Die Marienschwestern haben in dieser Villa die köstlichste Aussicht auf das Meer und die Berge, und ihrer manche mag ihrem versunkenen Liebes-Lebensroman nachträumen, wenn die goldne Mondsichel über dem Berg Reparata glänzt so wie heute. Der Strand ist weit hin schneeweiß. Sein sandiges Ufer ist ganz von rotem Corallenstaub und von den allerschönsten Muscheln durchstickt. Der kleine Camillo half mir wacker suchen, aber mehr noch reizten ihn die lebendigen kleinen leppere, Muscheln, welche sich an den Steinen festsaugen. Er brach sie aus dem Wasser, aß das Thierchen mit vielem Behagen und wunderte sich, daß ich nicht mitspeisen wollte. Abends ergötzten wir uns an den phosphorescirenden Meereswellen und badend schwammen wir in Millionen Funken.

Schöne Kinderwelt! Es ist gut wenn manchmal ihre verlornen Stimmen wieder zu reden anfangen. – Die Lotophagen wollen mich nicht fortlassen, sie bilden sich ein, daß ich ein reicher Baron sei und haben mir den Vorschlag gemacht, mich in Isola Rossa anzukaufen. Hier verloren zu gehen, wäre nicht übel. –

»Ja! die Blutrache bringt uns um!« sagte mir ein Bürger der roten Insel. Sehet dort den kleinen Mercato, unsere Kaufhalle mit den weißen Säulen. Im vorigen Jahr spazierte eines Tags ein Bürger dort auf und ab; auf einmal fiel ein Schuß, und der Mann stürzte todt zusammen. Am hellen lichten Tag war Massoni in das Städtchen gekommen, der hatte seinem Feind eine Kugel in die Brust gejagt, und weg war er wieder in die Berge, und das alles am hellen lichten Tage.

Da ist das Haus, in welchem Paoli überfallen wurde, als Dumouriez einen Anschlag auf ihn angezettelt hatte. Und hier landete zum letztenmal Theodor von Neuhoff, und ging wieder in See, weil sein Königstraum ausgeträumt war.

Eines Tags ging ich mit einem Elsaßer vom zehnten Regiment, welches gegenwärtig in Corsica verteilt ist, auf den Berg Santa Reparata und in den Ort gleichen Namens. Es ist schwer, das Bild eines solchen corsischen Bergdorfes mit Worten zu malen. Man wird ihm am nächsten kommen, wenn man sich Reihen von schwärzlichen Türmen denkt, welche in der Mitte durchschnitten sind. Die Häuser sind aus oft gar nicht behauenen Steinen errichtet, meistens nur mit einem Estrich von Lehm bedeckt, auf welchem bisweilen Pflanzen wachsen. Sehr schmale und steile Treppen von Stein führen zur Thüre hinauf. So wohnten die Bergcorsen wol schon zur Zeit der Etrusker und der Carthager. Allenthalben fand ich Armut und Unsauberkeit; Menschen und Schweine bei einander, in hölenartigen Stuben, in welche das Licht durch die Thüre fiel. Und doch leben diese Menschen in einem Ocean von Luft und Licht, aber sie hausen wie die Troglodyten. Aus einer dieser Hölen trat mir ein junges bleiches Weib entgegen, ein Kind auf dem Arm. Ich fragte sie, ob sie sich hier wol fühlen könne, da sie doch immer im Finstern säße. Sie sah mich an und lachte.

In einem andern Hause fand ich eine Mutter, welche ihre drei Kinder eben zur Ruhe bringen wollte. Alle drei standen sie nackt auf dem Erdboden und sahen krank und verkommen aus. Im Elend wächst dies starkmutige Bergvolk auf. Sie sind Jäger, Hirten und Ackerbauer zugleich. Ihr einziger Reichtum ist die Olive, deren Oel sie in den Städten verkaufen. Aber nicht Jeder ist an Oliven reich. Hier ist also das Leben nicht elend durch die Uebel der Cultur, sondern durch die des stehen gebliebenen Naturzustandes.

Ich ging in die Kirche, deren schwarze Façade mich reizte. Der weiße Glockenturm ist neu. Die Kirchtürme Corsica's haben keine Spitzen, sondern enden in einem durchbrochnen und geschweiften Glockenstul. Das Innere hatte eine Tribuna mit einem Hauptaltar, einem wunderlich barocken Dinge aus getünchten Steinen mit vielen Ausschweifungen. Ueber dem Altar stand die lateinische Inschrift: Heilige Reparata, bitte für dein Volk. Populus, das ist recht altdemokratisch. An den Wänden Anfänge der Malerei, einige Nischen mit halbrunden Säulen eingefaßt, die teils korinthische, teils Phantasie-Capitäler hatten. Es liegt jetzt ein Interdict auf der heiligen Reparata und keine Messe wird dort gelesen. Nach dem Tode des Pfarrers hatte sich die Gemeinde geweigert den Nachfolger, welchen der Bischof von Ajaccio schickte, anzunehmen. Sie hatte sich in zwei Parteien gespalten, welche sich blutig befehdeten. Das auf die Kirche deshalb gelegte Interdict hat den Streit noch nicht geschlichtet.

Ich ging durch die engen, schmutzigen Gassen nach dem Talrande, von wo man die weite Aussicht in die Bergreihe hat, welche die Balagna weiterhin schließt. Viele braune Ortschaften stehen in dem Bergcirkel und viele Olivenhaine. Die Felsendürre hebt kräftig das Grün der Gärten hervor. Ein Corse führte mich dahin, ein Stammler, der das Feuer im Gesicht hatte; ich glaube, er war geistesschwach. Ich ließ mir die Namen der Orte des Balagnatals von ihm nennen. Er erzählte mir in einem gurgelnden Ton allerlei was ich nur halb verstand, aber ich verstand wol, daß er hier und dort hinwies: ammazzato, ammazzatto a colpo di fucile. Er zeigte mir Orte in den Felsen, wo Menschenblut vergossen worden war. Mir graute, und ich machte, daß ich von dem Unheimlichen hinwegkam. Ich kehrte über Oggilione zurück durch Olivenhaine auf schmalen Hirtenpfaden absteigend. Bewaffnete kamen heraufgeritten, und schnell kletterten ihre Pferde von Fels zu Fels. Da wurde es Abend, der öde Felicetoberg erschimmerte in den sanftesten Farben, ein Glöckchen läutete Ave Maria und an einem Hang blies ein Ziegenhirt auf der Schalmey. Das stimmte alles schön zusammen, und wie ich Isola Rossa erreichte, war mir aufs neu idyllisch zu Mut geworden.

Fürchterlich grell stoßen hier die Gegensätze gegen einander, Kinderwelt, Hirtenwelt und der blutrote Mord.


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