Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Sechstes Kapitel.

Napoleons letzte Thätigkeit in Corsica.

Im Jahre 1791 sollten zwei Bataillone in Corsica gebildet werden. Da ist es merkwürdig zu sehen, wie der nachherige Cäsar es für die höchste Ehre und ein fast unerreichbares Glück erachtet, sich zum Oberst eines solchen emporzuschwingen. Die Schwierigkeiten waren groß. Ihm standen die angesehensten Männer entgegen, Cuneo, Lodovico Ornano, Ugo Peretti, Matia Pozzo di Borgo, der reiche Marius Peraldi. Peraldi machte Napoleon lächerlich, er spottete über seine Figur, seine geringen Aussichten. Dieser, ganz in Wut, forderte ihn. Er nahm das Duell an. Napoleon wartete auf ihn bis zum Abend an der Capelle der Griechen, unruhig auf und abwandelnd; aber Peraldi erschien nicht.

Wenn man heute nach jener Capelle geht, so sieht man seitwärts einen kleinen jonischen Tempel. Ich fragte nach seiner Bedeutung: es ist das Grabmal der Peraldi, so sagte man mir. Marius, der Nebenbuler Napoleons um eine Majorstelle, liegt dort begraben. Seine Familie hat keinen andern Ruf hinterlassen als den, eine der reichsten Corsica's zu sein.

Madame Letitia opferte ihr halbes Vermögen, um dem geliebten Sohn den Oberbefehl des Bataillons zu verschaffen. Ihr Haus war für die zahlreiche Partei stets geöffnet, ihr Tisch stets gedeckt. In den Zimmern lagen Matratzen bereit, um den bewaffneten Anhängern Aufnahme für die Nacht zu geben. Man lebte wie im Zustand der Vendetta. Napoleon war nie so aufgeregt als in dieser Zeit; er schlief nicht, Tags ging er unruhig in den Zimmern umher oder beriet sich mit dem Abbé Fesch und seinen Parteigängern. Er war nachdenklich und blaß, die Augen voll Feuer, die Seele voll Leidenschaft. Vielleicht ging er dem Consulat und dem Kaisertum ruhiger entgegen als dem Range eines Majors der Nationalgarde in Ajaccio.

Der Commissär, welcher die Wahl leiten sollte, war angekommen, und im Hause der Peraldi hatte er Wohnung genommen. Dies war fürchterlich. Man beschloß einen 18. Brumaire auszuführen. Die Partei Napoleon bewaffnet sich, der wilde Bagaglino dringt Nachts in das Haus Peraldi, wo man mit dem Commissär eben bei Tische sitzt. »Madame Letitia will Euch sprechen,« so ruft er drohend, »aber sogleich.« – Der Commissär folgt ihm, die Peraldi wagen es nicht ihn zurückzuhalten, die Napoleonisten entführen den Gast, und sie zwingen ihn in die Casa Bonaparte überzusiedeln, unter dem Vorwand, daß er bei den Peraldi nicht frei sei. Dieser Staatsstreich zeigt Napoleon fix und fertig.

Peraldi wagte nichts. Nun erschien der Tag der Wahl. In der Kirche San Francesco sollte sie vollzogen werden. Es gab einen Sturm, Geronimo Pozzo di Borgo ward vom Rednerstul gerissen und nur mit Mühe geschützt. Das Ergebniß der Wahl war dieses: Quenza, von der Partei Bonaparte, wurde der erste, Napoleon der zweite Officier.

Von dieser Zeit an lebte er nur in seinem Bataillon. Hier machte er seine praktischen Studien ehe er ins Feld ging, wie er im Club zu Ajaccio die Schule des Politikers durchmachte. Unterdeß wuchs die Spannung zwischen der Gegenpartei, den Aristokraten, den von eidscheuen Priestern bearbeiteten Bürgern und der Nationalgarde. Am Osterfest 1792 kam es zu einem blutigen Kampf zwischen dem Volk und dem Bataillon. Er dauerte mehrere Tage fort, ohne daß die Behörden sich ins Mittel legten. Napoleon entging glücklich aller Lebensgefahr. Nachdem sich der Sturm gelegt hatte, schrieb er im Namen seines Bataillons eine Rechtfertigung an den Kriegsminister und die Legislative. Es erschienen darauf drei Commissäre; sie statteten günstigen Bericht über die Führung des Bataillons ab, aber es wurde aus Ajaccio entfernt. Napoleon ging nach Corte, wo ihn Paoli mit Kälte empfing.

Im Mai desselben Jahres reiste er nach Paris, seine Schwester Elisa aus S. Cyr zu holen. Der Umsturz der Dinge zertrümmerte hier die Aussichten auf Beförderung, die er in Paris zu finden gehofft hatte. Er wurde davon so mächtig ergriffen, daß man sagt, er habe Selbstmordgedanken gehegt. Er ward sie los in einem Dialog über den Selbstmord. Napoleon verließ Paris bald nach dem schrecklichen 2. September und kehrte nach Corsica zurück.

Der Mann also, welcher bestimmt war Europa umzugestalten, mühte sich in derselben Zeit wo Dumouriez mit den ersten Waffenthaten der jungen Republik die Welt in Erstaunen setzte, in dem wilden Corsica ab, den Ränken seiner Gegner Stand zu halten und selber solche zu schmieden; er setzte täglich sein Leben dem Dolchstoß oder der Flintenkugel aus. In Corte entließ ihn Paoli mit Strenge. Ihre Wege gingen vollständig auseinander, denn in der Seele des jungen Bonaparte regten sich nun andere Wünsche als die, in die Fußstapfen des edlen Patrioten zu treten. Hätte er das gethan, wäre sein Herz für die Freiheit Corsica's entzündet geblieben, dann zeigte mir heute vielleicht ein wilder Ziegenhirt in den Bergen irgend einen Schauerort und sagte: seht, hier ist der große Corsenhäuptling Napoleon Bonaparte gefallen, er war fast so tapfer wie Sampiero.

Paoli gab ihm Befehl sich nach Bonifazio zu verfügen, um der Unternehmung gegen Sardinien sich anzuschließen. Murrend gehorchte er.

Acht Monate blieb er in Bonifazio, Anordnungen zu treffen, so weit er damit beauftragt war. Am 22. Januar, einen Tag nach der Hinrichtung Ludwigs, hätte Napoleon dort fast das Leben verloren. Marinesoldaten, wütendes Gesindel aus Marseille, waren ans Land gekommen und hatten mit dem Corsenbataillon Händel angefangen; als Napoleon herbeieilte, Ruhe zu schaffen, empfingen sie ihn mit dem Gebrüll ça ira, riefen, daß er ein Aristokrat sei, und auf ihn einstürmend wollten sie ihn an die Laterne hängen, bis es dem Volk und den Soldaten gelang die Bande zu verjagen.

Die Unternehmung auf Sardinien unter Truguets Oberbefehl eingeleitet, um den Hof in Turin zu schrecken, schlug vollständig fehl. Man will wissen, daß Paoli das gewollt hatte. Zwar hatte er tausend Mann Nationalgarden unter den Befehl seines vertrautesten Freundes Colonna-Cesari gestellt, aber wie dieser später selbst erzählte, ihm gesagt: »Erinnere dich, daß Sardinien der natürliche Verbündete unserer Insel ist, daß es in allen Verhältnissen uns mit Lebensmitteln und mit Munition versorgt hat, daß der König von Piemont immer der Freund der Corsen und ihrer Sache gewesen ist.« Das Geschwader verließ endlich den Hafen Bonifazio und segelte gegen die Insel Santa Maddalena. Napoleon stand unmittelbar unter dem Befehl Colonna's und leitete die Artillerie. Einer der ersten sprang er ans Land und schleuderte mit eigener Hand eine Brandkugel in das Castell Maddalena. Aber seine Anordnungen hatten keinen Erfolg; die Sarden machten einen Ausfall und Colonna ließ zum Rückzuge blasen.

Der junge Napoleon weinte vor Wut, er machte Colonna heftige Vorstellungen, und da dieser ihn mit Nichtachtung anhörte, wandte sich Napoleon gegen einige Officiere und sagte: Er versteht mich nicht. – Colonna herrschte ihm darauf zu: Ihr seid ein Unverschämter! – Der junge Soldat kannte seine Pflicht, schwieg und stellte sich an seinen Posten. Ein Paradepferd ist er und nichts anderes, sagte er nachher. So war die erste Waffenthat Napoleons sieglos und ein Rückzug.

Nach Bonifazio zurückgekehrt erfuhr er, daß Paoli, welcher die Maske abzuwerfen sich genöthigt sah, das Bataillon Quenza aufgelöst habe. Dies geschah im Frühling 1793, zur Zeit als der Convent Saliceti, Delcher und Lacombe als Commissäre auf die Insel schickte. Lucian Bonaparte und Bartolomeo Arena hatten Paoli angeklagt, Napoleon nahm aber daran keinen Anteil, vielmehr gebot ihm das Andenken seines Vaters und sein eigner Edelmut den großen Landsmann zu verteidigen. Er schrieb eine Rechtfertigung Paoli's und sandte sie dem Convent; dies war eine That, die ihn ehrt. Die merkwürdige Schrift ist uns aufbehalten, doch lückenhaft; wie sie vorliegt, halte ich sie nur für den ersten Hinwurf Napoleons, aus welchem er dann ein Ganzes formen wollte.

Schreiben Napoleons an den Convent.

Repräsentanten!

Ihr seid die wahren Organe des Volks. Alle eure Decrete sind von der Nation erlassen oder durch sie unmittelbar vollzogen. Jedes eurer Gesetze ist eine Wolthat und erwirbt euch neuen Anspruch auf den Dank der Nachwelt, welche euch die Republik schuldet, und auf den der Welt, die von euch die Freiheit herschreiben wird.

Ein einziges eurer Decrete hat die Bürger der Stadt Ajaccio tief niedergeschlagen; dasjenige, welches einem 70jährigen schwachen Greise befiehlt sich an eure Barre zu schleppen, und ihn einen Augenblick neben den gottlosen Wühler oder den feilen Ehrgeizigen stellt.

Paoli sollte ein Wühler oder ein Ehrgeiziger sein?

Aufwiegler! und warum? Etwa um sich an der Familie der Bourbons zu rächen, deren perfide Politik sein Vaterland mit Jammer überhäufte und ihn zur Verbannung zwang? Aber endete jene nicht eben mit der Tyrannei, und habt ihr nicht eben seinen Groll, wenn er ihn noch bewahrt, in dem Blut Ludwigs gesättigt?

Aufwiegler! und warum? Etwa um die Aristokratie des Adels und der Priester wiederherzustellen? Er, welcher seit seinem 13. Jahre . . . . . er welcher, kaum an die Spitze der Angelegenheiten gelangt, das Lehnswesen zerstörte, und keine andere Auszeichnung kannte, als die des Bürgers? er welcher, dreißig Jahre sind es her, gegen Rom kämpfte und excommunicirt ward (dieses ist eine Unrichtigkeit), welcher der Güter der Bischöfe sich bemächtigte, um sie zu geben, nach Venedig . . . . in Italien . . . .

Aufwiegler! und warum? Um Corsica an England zu liefern, er, welcher es nicht an Frankreich hat liefern wollen trotz der Anträge Chauvelins, der nicht Titel noch Gunstbezeugungen schonte!

Corsica an England geben! Was würde er gewinnen, wenn er in dem Kote Londons lebte? Warum blieb er nicht dort als er verbannt ward?

Paoli sollte Egoist sein? Wenn Paoli Egoist ist, was kann er noch mehr begehren? Er ist der Gegenstand der Liebe seiner Landsleute, welche ihm nichts verweigern; er steht an der Spitze der Armee; er befindet sich am Vorabend des Tages, wo er das Land gegen einen fremden Angriff verteidigen soll.

Wenn Paoli ehrgeizig war, so hat er alles bei der Republik gewonnen: und wenn er sich anhänglich zeigte an . . . seit der constituirenden Versammlung, was muß er nicht heute thun, wo das Volk alles ist?

Paoli ehrgeizig! Repräsentanten, als die Franzosen von einem verderbten Hof regiert waren, als man weder an die Tugend noch an die Vaterlandsliebe glaubte, hatte man ohne Zweifel sagen müssen, daß Paoli ehrgeizig war. Wir haben den Tyrannen den Krieg gemacht; das hat nicht sein sollen aus Liebe zum Vaterlande und zur Freiheit, sondern aus Ehrgeiz der Führer! In Coblenz also muß Paoli für ehrgeizig gelten; aber in Paris, in dem Centrum der französischen Freiheit, muß Paoli, wenn man ihn wol kennt, der Patriarch der französischen Republik sein; so wird die Nachwelt denken, so glaubt es das Volk. Folgt meiner Stimme, laßt die Verläumdung schweigen und die gründlich verderbten Menschen, welche sie als Mittel gebrauchen. Repräsentanten! Paoli ist mehr als ein Greis von siebenzig Jahren, er ist schwächlich! Ohne dies würde er an eure Barre gegangen sein, um seine Feinde zu vernichten. Wir sind ihm alles schuldig, bis auf das Glück eine französische Republik zu sein. Er genießt stets unser Vertrauen. Nehmt, was ihn betrifft, euer Decret vom 2. April zurück und gebt diesem ganzen Volke die Freude wieder . . . .«

Bald darauf überwarf sich der junge Revolutionär mit Paoli bis zur tödtlichen Feindschaft. Der greise Patriot fand in dem jungen Manne den heftigsten Gegner nicht seiner Person sondern seiner Ideen. Man erzählt, Paoli habe ihn damals noch nicht ganz erkannt und ihm angedeutet, daß er damit umgehe, Corsica von Frankreich loszureißen und eine Verbindung mit England anzuknüpfen. Entrüstet sei Napoleon aufgefahren, und Paoli in leidenschaftlichen Zorn gegen ihn geraten. Pasquale's Anhang war zahlreich, und auch die Festung Ajaccio in den Händen seines Freundes Colonna. Er und Pozzo di Borgo, damals Generalprocurator, vor den Convent geladen, trotzten daher der Aufforderung; sie lebten jetzt unter der Acht und im offnen Kriege gegen Frankreich.

Nun bestellten die drei Repräsentanten Napoleon zum Generalinspector der Artillerie Corsica's, und gaben ihm auf, die Citadelle Ajaccio's zu erobern. Er versuchte es, doch alle seine Anstrengungen scheiterten. Das Schicksal hatte für ihn in Corsica keine Lorbeern gepflanzt. Während dieser Unternehmung schwebte sein Leben in äußerster Gefahr. Er besetzte nämlich den Turm Capitello am Golf mit etwa 50 Mann, um von hier aus zu Lande anzugreifen, während die Kriegsfahrzeuge von der See her feuerten. Ein Sturm wehte die Flotte aus dem Golf; Napoleon blieb von ihr abgeschnitten allein im Turm und mußte sich drei Tage lang, von Pferdefleisch sich nährend, verteidigen, bis einige Hirten von den Bergen ihn aus seiner Lage befreiten und er über Wasser die Flotte wieder erreichte.

Mißmutig reiste er nach Bastia, zu Lande. Unterwegs aber erfuhr er, daß Marius Peraldi das Volk aufgewiegelt habe, ihn festzunehmen und an Paoli auszuliefern, der ihn wolle erschießen lassen, sobald er seiner habhaft würde. In Vivario barg ihn der Pfarrer, in Bocognano wurde er von seinen Freunden mit äußerster Not der Volkswut entrissen; er versteckte sich in einem Zimmer und entschlüpfte Nachts durch ein Fenster auf die Straße. Glücklich entkam er nach Ajaccio. Aber auch hier noch heftiger bedroht, rettete er sich aus seinem Hause in eine Grotte, nahe bei der Capelle der Griechen, wo er eine Nacht sich verborgen hielt. Seine Freunde schifften ihn endlich ein, und so gelangte er nach Bastia. Unterdeß richtete sich die Wut der Paolisten auch auf Napoleons Familie. Madame Letitia floh mit ihren Kindern nach Milelli, von einigen Getreuen aus Bastelica und Bocognano begleitet. Mit ihr waren Louis, Elisa, Paolina und der Abbé Fesch; Hieronymus und Carolina blieben im Hause Ramolino versteckt. Auch in Milelli nicht sicher, floh die geängstigte Familie während der Nacht dem Meere zu in die Gegend des Turms Capitello, hoffend die französische Flotte daselbst erwarten zu können. Die Flucht durch dieses schwierige Bergland war mühsam. Madame Letitia hielt die kleine Paolina an der Hand; Fesch ging mit Elisa und mit Louis; voraus zog ein Trupp Landleute aus Bastelica, dem Geburtsort Sampiero's, dahinter die Männer von Bocognano. So erreichte die Familie Napoleons nach vieler Anstrengung, über Felsen kletternd und durch Bäche watend, das Ufer von Capitello, wo alle sich im Buschwald verbargen.

In eben dieser Zeit hatte Napoleon in Bastia ein kleines Schiff bestiegen und war der französischen Flotte vorangesegelt, welche von dort ausgelaufen war, um bei Ajaccio zu landen und das Castell zu nehmen. Er stieg bei den Blutinseln ans Land, wo viele der Hirten seines Hauses ihre Herden hatten, und dort erfahrend, daß seine Familie auf der Flucht sei, schickte er Boten nach allen Gegenden sie aufzusuchen. Er wartete die Nacht hindurch. Es ward Morgen; er saß unter einem Felsen, sorgenvoll an das Schicksal der Seinigen denkend – plötzlich stürzt ein Hirt auf ihn zu, rufend: rettet Euch! Ein Trupp Menschen, aus Ajaccio ausgezogen, Bonaparte und seine Familie einzubringen, nahte schon – Napoleon sprang ins Meer. Sein kleines Schiff hielt die Verfolger durch Schüsse zurück, und glücklich nahm ihn das Boot auf.

An demselben Tage fuhr Bonaparte in den Golf ein, und an der Küste hinstreichend, bemerkte er Menschen am Ufer, welche Zeichen gaben, daß sie aufgenommen werden wollten. Es waren seine Mutter und seine Geschwister.

Man schaffte sie schnell nach Calvi, wo sie Gastfreundschaft fanden. Das Haus Bonaparte war von dem wütenden Volk geplündert worden. Ihre Rettung hatte die Familie nur der Umsicht des Corsen Costa zu verdanken, welchem Napoleon noch in seinem Testament aus Erkenntlichkeit 100,000 Franken vermachte.

Er selbst segelte nach einem vergeblichen Versuch sich Ajaccio's zu bemächtigen, von der Flotte nicht unterstützt, und endlich abgerufen, gleichfalls nach Calvi, und von hier aus Corsica verlassend, erscheint er in Toulon wieder.

So hatte ihn Pasquale in die Weltgeschichte hineingetrieben. Zwei Männer, die sich als erbitterte Feinde gegenübergestanden, Marbeuf und Paoli, und das ist der Despotismus und die Demokratie, hatten Napoleon seine Laufbahn gewiesen. Als er Consul wurde, als sein Gestirn glänzend über der Welt stand, war der Stern Paoli's lange untergegangen. Tief bewegt es mich, denke ich mir da den edlen Greis Pasquale als verschollenen Verbannten einsam in seinem Hause zu London, wie er in uneigennütziger Freude auf die Kunde von Napoleons Consulernennung sein Haus beleuchtet, den Groll vergessend und hoffend, daß der große Corse ein Hort der Menschheit sein werde. In einem Brief sagte er: »Napoleon hat unsere Vendetta an allen denen vollzogen, welche die Ursache unsres Falles gewesen sind. Ich wünsche nur, daß er sich seines Vaterlands erinnern möge.« Er blieb in der Verbannung: Napoleon rief ihn nicht zurück, vielleicht weil er fürchtete, die Eifersucht der Franzosen zu erregen.

In den Tagen seines Glücks vergaß Bonaparte sein kleines Vaterland, undankbar wie alle Emporkömmlinge, welche an die dunkle Stelle ihrer Geburt nicht gern erinnert sein wollen. Er that nichts für das arme Land und die Corsen haben ihm das nicht vergessen können. Sie erinnern sich auch noch heute daran, daß der Kaiser, als sich ihm einst ein Corse vorstellte, diesen trocken fragte: »Nun, wie steht's in Corsica, ermorden sich die Corsen noch immer?«

Seit seiner Flucht besuchte er die Heimatsinsel nur noch einmal, als er von Egypten zurück kam. Am 29. September 1799 lief sein Schiff in den Hafen Ajaccio ein; mit ihm waren Murat, der in anderer Gestalt einst diesen Hafen verlassen sollte, Eugen, Berthier, Lannes, Andreossi, Louis Bonaparte, Monge und Berthollet. Er wollte nicht ans Land, aber seine Begleiter waren neugierig seinen Heimatsort kennen zu lernen, und er widerstand nicht länger ihren Bitten und denen der Bürger Ajaccio's. Ein Mann, der damals als Kind die Landung Napoleons mit angesehen hatte, erzählte mir davon. »Seht, sagte er, dieser Platz war mit jauchzenden Menschen bedeckt und das Volk füllte die Dächer; es wollte den rätselhaften Mann sehen, der noch vor wenigen Jahren als schlichter Officier und als einer der Hauptdemokraten Ajaccio's hier herumgegangen war. Er stieg ab in der Casa Bonaparte. Er ging auf dem Diamantplatz spazieren. Da muß ich Euch eine Geschichte erzählen, welche ihm Ehre macht. Als Napoleon noch in Ajaccio war, waren die Priester und Aristokraten auf ihn sehr erbittert. Eines Tages will er in sein Haus zurückkehren; er ist gerade an die Ecke dieser Straße gekommen, da sieht er einen Priester, meinen eignen Verwandten, am Fenster jenes Hauses stehn, die Flinte auf ihn angelegt. In demselben Augenblick bückt sich Napoleon, und die Kugel schlägt über ihm weg in die Wand – einen Moment früher, und es gab keinen Kaiser Napoleon in der Welt. Jenem Priester nun begegnete der General Bonaparte auf dem Diamantplatz. Der Geistliche wich nach der andern Seite der Straße aus. Aber Napoleon sah ihn, kam auf ihn zu, gab ihm die Hand und erinnerte ihn heiter an die Vergangenheit. Seht, er war darin kein Corse, und große Menschen vergessen leicht Beleidigungen.« Aber Napoleon war wol ganz Corse, als er den Herzog von Enghien erschießen ließ. Dies war die That eines corsischen Banditen, und sie kann erst recht begriffen werden, wenn man weiß was die Blutrache hier erlaubt, den Mord nämlich auch an den unschuldigen Gliedern der feindlichen Sippschaft. Nicht ganz konnte Napoleon seine corsische Natur verläugnen, und so war er auch romantisch, theatralisch, abenteuerlich wie die Corsen es zum Teile sind. Egypten, Rußland, Elba sind Stellen in seiner Geschichte, wo er nichts war als ein großer und genialer Abenteurer.

In Ajaccio ging er damals mit seinen Begleitern auf die Jagd; einen Tag brachte er in Milelli zu, wo er einst die Schrift gegen Buttafuoco geschrieben hatte. Wie viele bewundernswürdige Thaten lagen nun schon hinter ihm, wie viele Fürsten und Völker hatte nun schon die Gewalt seines Schwertes und der Donner seiner Phrase niedergeworfen. Er rief seine Hirten, reichlich belohnte er jenen Bagaglino, der ihm einst seinen ersten Staatsstreich ausgeführt hatte. Seine Herden, seine Aecker verteilte er. Auch seine Amme Camilla Ilari kam herbei; sie umarmte ihn mit Tränen, sie brachte ihm eine Flasche voll Milch zum Geschenk; in ihrer einfältigen Weise sagte sie zu ihm, mein Sohn, ich habe dir die Milch meines Herzens gegeben, nimm jetzt die Milch meiner Ziege. Napoleon schenkte ihr ein wohnliches Haus und reichliches Ackerland, und als er Kaiser geworden war fügte er noch eine Pension von 3600 Franken hinzu. – Nach einem Aufenthalt von sechs Tagen ging er von Ajaccio nach Frankreich unter Segel.

Seitdem besuchte er seine Heimatsinsel nie mehr; aber das Schicksal zeigte sie eines Tages noch seinen Augen als er, ein geschlagener Mann, beseitigt von der Weltgeschichte und für ihre Zwecke aufgebraucht, auf dem Felsen von Elba stand. Da zeigte ihm das ironische Schicksal die dunkle Stelle, von wo er einst als Kind der Fortuna in die Welt gezogen war.

Später, auf Sanct Helena, kehrten seine Gedanken immer wieder zu Corsica zurück. Sterbende pflegen ihren Lebensgang in Gedanken zurückznwandern und am liebsten bei ihrer Kindheit zu verweilen. Viel sprach er von seiner Heimat. In den Commentaren sagt er einmal: »Meine guten Corsen waren in der Zeit des Consulats und des Kaiserreichs nicht mit mir zufrieden. Sie behaupteten, ich hätte wenig für mein Vaterland gethan . . . Meine Feinde und mehr meine Neider umlauerten mich; alles was ich für meine Corsen that, ward wie ein Diebstal ausgeschrien und wie ein Unrecht gegen die Franzosen. Diese notwendige Politik hatte mir das Gemüt meiner Landsleute abgewendet und sie gegen mich erkältet. Ich bedaure sie, doch ich konnte nicht anders handeln. Als die Corsen mich unglücklich sahen, als sie mich von manchem undankbaren Franzosen mißhandelt, als sie Europa gegen mich verschworen sahen, da vergaßen sie alles wie Menschen von fester und unverdorbener Tugend, und sie waren bereit sich für mich zu opfern, wenn ich es gewollt hätte . . . Welche Erinnerungen hat mir Corsica gelassen! Ich denke noch mit Freude an seine schönen Gegenden, an seine Berge, ich erinnere mich noch jetzt an den Duft, den es aushaucht. Ich würde das Los meines schönen Corsica verbessert haben, ich würde meine Mitbürger glücklich gemacht haben, aber der Umsturz ist gekommen, und ich habe meine Plane nicht ausführen können.«

Die erste Frage, welche Napoleon an den Corsen Antommarchi, seinen Arzt richtete, als er in S. Helena zu ihm ins Zimmer trat, war diese: Haben Sie einen Filippini? – Viele Landsleute seiner Insel hatten ihn in seiner Laufbahn begleitet gehabt, viele hatte er erhoben, Bacciochi, Arena, Cervoni, Arrighi, Saliceti, Casabianca, Abbatucci, Sebastiani. Mit demselben Colonna, welcher Paoli's Freund gewesen war und der ihn einst befeindet hatte, war er bis zu seinem Ende innig befreundet. Man sagt, daß Paoli jenem aufgetragen hatte, dem jungen Napoleon bei Ajaccio einen Hinterhalt zu legen, um ihn lebend oder todt aufzubringen; nun, man sagt es. Dessen weigerte sich Colonna. Beiden Männern Paoli wie Napoleon blieb er Freund, ohne zu heucheln. Er war der Erste, welcher um Napoleons Flucht aus Elba wußte, und in seinem Testament von S. Helena vertraute ihm der Kaiser die Sorge um seine Mutter. Colonna unterzog sich ihr gewissenhaft; bis an Letitia's Tod blieb er bei ihr als Freund und Hausmeister. Dann zog er sich nach Vico bei Ajaccio zurück.

Aus eines Corsen Händen nahm der sterbende Napoleon die letzte Oelung auf Sanct Helena; es war der Priester Vignale, welcher nachher in Corsica ermordet wurde. So starb er unter seinen Heimatsbrüdern, die ihn nicht verlassen hatten.


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