Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Sechstes Kapitel.

Von Corte nach Ajaccio.

Die Straße nach Ajaccio steigt nach Süden bis zum Monte d'Oro mehrere Stunden lang auf. Sie führt durch ein wolbebautes Hügelland und herrliche Castanienhaine. Nichts ist lachender als die Landschaften des Cantons Serraggio, welcher ehemals die Pieve Venaco war. Bäche, die vom Monte Rotondo herabfließen, durchströmen ein grünes Land, auf dessen Hügeln Dörfer stehen, wie Pietro, Casa Nova, Riventosa und Poggio.

Poggio di Venaco bewahrt die Erinnerung an Arrigo Colonna, welcher im zehnten Jahrhundert Graf Corsica's gewesen war. Im Vorüberfahren hascht man manches Bild romantischer Sagen auf, und das ist von Wanderfreuden immer ein gutes Teil. Arrigo war so schön von Gestalt und so holdselig von Wesen, daß er Bel-Messere hieß; mit diesem Namen lebt er noch im Munde des Volks. Schön und edel war auch sein Weib, und seine sieben Kinder waren alle lieblich und jung. Aber seine Feinde wollten ihm die Herrschaft rauben, und ein grimmiger Sarde verschwor sich mit ihnen gegen sein Leben. Eines Tags überfielen ihn die Mörder und erstachen ihn, und die sieben Kinder nahmen sie und warfen sie in den kleinen See »der sieben Näpfe.« Wie nun die böse That geschehen war, erhob sich eine Stimme in den Lüften, die klagte und rief: Bel Messere ist todt! armes Corsica, nun hoffe kein Glück mehr! – Alles Volk hob an zu klagen um Bel Messere. Sein Weib aber nahm Schild und Sper, und mit den Vasallen zog sie vor das Schloß Tralavedo, in welches die Mörder sich geflüchtet hatten; das Schloß brannte sie nieder und schlug alle Mörder zu Tod. Heute sieht man noch auf den grünen Hügeln Venaco's in mancher Nacht neun Geister herumschweifen, das sind die Geister des Bel Messere, seines Weibes und der sieben armen Kinder.

Es war Sonntag. Das Volk wandelte in den Dörfern umher, und zumeist saßen sie wie die Väter in uralten Tagen um die Kirche – ein schönes Bild: in der Sabbatruhe feiernde Menschen, welche den Gottesfrieden halten. Doch auch Sonntags und vor der Kirchthüre kann plötzlich ein Flintenschuß fallen, und dann gibt's eine andere Scene.

Bei Vivario wird die Gegend wüster und die Berge werden bedeutender. Vor der Schwelle der kleinen Kirche steht mancher still und betrachtet einen Grabstein. Auf ihm steht der lateinische Bibelvers geschrieben: Maledictus qui percusserit clam proximum suum et dicet omnis populus amen. Verflucht sei wer seinen Nächsten heimlich erschlägt, und alles Volk wird sagen Amen (5 Mos. Cap. 27). Der Stein erzählt eine Geschichte der Blutrache aus dem siebenzehnten Jahrhundert; unter ihm liegt der Bluträcher begraben. Gesegnet sei das Andenken des Geistlichen, der diesen Fluch aus der Bibel nahm und auf den Stein schrieb. Er ist, so sagt man, der Talisman Vivarios; denn auf ihm steht die letzte Blutrache des Dorfs verzeichnet. Wäre doch die Hand die ihn schrieb eine Riesenhand gewesen, und hätte sie in Riesenlettern über ganz Corsica schreiben können: Maledictus qui percusserit clam proximum suum et dicet omnis populus amen!

Ein Blockhaus mit einer Besatzung von zehn Mann steht in den Bergen Vivario's, einsam und wild gelegen. Hier schließt sich das große Tal des Tavignano, und ein Höhenzug bildet die Wasserscheide zwischen ihm und dem in entgegengesetzter Richtung nach S.W. bis Ajaccio hinströmenden Gravone. An der Grenze beider Täler stehen zwei beschneite Berge, der Renoso und der Monte d'Oro, der nur um wenige Meter kleiner ist als der Rotondo und ihn an mächtigen Formen übertrifft.

Viele Stunden lang hat man ihn vor Augen.

Nun fährt man zwischen beiden Bergen durch den herrlichen Forst Vizzavona. Er besteht größtenteils aus Lärchenbäumen (pinus larix), die oft eine Höhe von 120 und eine Dicke von 24 Fuß erreichen. Da ich die Cedern Asiens nicht kenne, darf ich behaupten, daß der Lärchenbaum Corsica's der erhabenste aller Bäume ist, den ich noch irgend sah. Ihn zu sehn in seiner stillen, dunkeln Majestät auf den gewaltigen Felsen jener Berge, war für mich stets ein entzückender Anblick. Diesem kaiserlichen Baum will es wol geziemen, daß er auf Granit stehe. Er wächst hoch hinaus über den Felsen, welchen seine Wurzeln gewaltsam durchdringen, und an vielen Stellen, die nur der Adler oder das Wildschaf kennt, steht er majestätisch da. Es gibt im Walde auch Pinien, Rotbuchen, immergrüne Eichen (Ilex) und Tannen. Viel Wild birgt sich hier, namentlich Hirsche, welche in Corsica klein sind; das Wildschwein zieht sich nach den Küsten hinab, wo es eifrig gejagt wird.

Der Forst von Vizzavona ist der zweite an Größe nächst dem von Aitone im Canton Evisa, welcher zu Ajaccio gehört. Alle diese Forsten stehn in gebirgigen Gegenden. Einige gehören dem Staat, die meisten den Communen. Auch hier sind noch große Schätze zu heben. Ich sah eine Schlange im Wege sich sonnen. Nur zwei Schlangenarten besitzt Corsica und kein giftiges Thier, außer einer Spinne, Malmignatto genannt, deren Biß plötzliche Erkaltung des Körpers und bisweilen den Tod herbeiführt, und außer der giftigen Ameise Innafantato.

Es war Mittagszeit, als ich den Forst durchzog. Die Luft war erstickend heiß, aber der Wald bot seine kühlen Quellen. Ueberall rieseln sie von den Felsen dem Gravone zu, ihr Wasser ist kalt und leicht. Seneca muß niemals corsische Bergquellen gekostet haben, weil er in seinem Epigramm sagt, daß die Insel keinen Trunk Wassers habe.

Endlich erreichten wir das Bergjoch, den höchsten Punkt der Straße nach Ajaccio, welcher 3500 Fuß über dem Meeresspiegel liegt. Es ist dies der Paß von Vizzavona, der in manchem corsischen Liede genannt wird.

Nun fällt der Weg in das Gravonetal hinunter. Dieses fruchtbare Tal wird von zwei Bergketten gebildet. Die nördliche geht vom Monte d'Oro aus und endet oberhalb Ajaccio in der Punta della Parata. Sie trennt das Wassergebiet des Gravone von dem des Liamone. Die südliche läuft vom Monte Renoso in paralleler Richtung fort und trennt das Gravonetal vom Tale Prunelli. Zu beiden Seiten des Flusses stehen Ortschaften auf den Bergen. Sie sahen freundlicher aus, als ich sie noch in Corsica gefunden hatte.

Der erste Ort ist Bocognano, welcher nahe vor dem wilden Schlund von Vizzavona liegt. Rings umher waldbedeckte dunkle Berge mit beschneiten Häuptern, die ganze Gegend von einem ernsten, großen Charakter. Arme Hirten wohnen hier, starkes und tapferes Volk. Wer nicht von der Milch sich nährt, nährt sich von der Castanie. Viele wirken den Pelone. Waffen sind hier überall. Der Anblick so kräftiger Männer mit ihren Doppelflinten, der Carchera und dem braunen Wollenrock stimmt gut zu den düstern Alpenbergen und den Pinienforsten rings umher. Eisern sehen diese Bergcorsen aus, wie ihre Fucili, die sie tragen. Das Volk schien mir hier im Mittelalter stehen geblieben und eingerostet zu sein.

Der Weg fällt immer ab nach Ajaccio zu. Endlich sahen wir den Golf. Es war fünf Uhr Abends als wir uns der Stadt nahten. Reicher bebaute Hügel, Weingärten und Oliven und eine fruchtbare Ebne, das Campoloro genannt, in welches das Gravonetal am Golf endigt. verkündigten die Hauptstadt Corsica's. Sie zeigte sich endlich als eine in den Golf gezogene Linie von weißen Häusern zu Füßen einer Hügelkette und umgeben von Villen. Eine Reihe von Ulmbäumen führt längs des Golfs in die Stadt, und so betrat ich den kleinen Heimatsort des welterschütternden Mannes mit freudiger Erregung.


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