Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Fünftes Kapitel.

Calvi und seine Männer.

Die Sumpfluft macht den Borgo Calvi's ungesund. Besser ist die Luft in der Festung oben, welche die eigentliche Stadt umschließt. Ich ging zu dieser genuesischen Citadelle hinauf, der festesten Corsica's nächst Bonifazio. Ueber dem Tor las ich die Worte: Civitas Calvis semper fidelis. Stets getreu war Calvi den Genuesen. Treue ist immer schön, wenn sie nicht knechtisch ist, und Calvi war eine genuesische Colonie. Jener Spruch ist in mehr als einem Sinn historisch geworden. Als der republikanische General Casabianca, nach der heldenmütigen Verteidigung Calvi's gegen die Engländer, im Jahre 1794 sich ergeben mußte, war es eine der Bedingungen, daß die alte Inschrift über dem Tor nicht ausgelöscht werden solle. Treulich hat man diese Bedingung gehalten.

Nur in einem Punkt hadern Genua und Calvi mit einander. Denn die Calvesen behaupten, daß Columbus bei ihnen geboren sei. Sie behaupten, daß seine genuesische Familie in alten Zeiten sich in Calvi niedergelassen habe. Wirklich erhob sich ein Streit über dieses Geburtsrecht, wie ehedem um Homers Wiege sieben Städte stritten. Man sagt, daß Genua die Familienregister der Colombi von Calvi in Beschlag nahm, und daß es eine Straße der Stadt, die Colombostraße, del filio umtaufte! Auch finde ich, daß Einwohner Calvi's die ersten Corsen waren, die nach Amerika schifften. Man sagte mir ferner, daß der Name Colombo noch heute dort lebe. Auch heutige corsische Schriftsteller nehmen den großen Entdecker als ihren Landsmann in Anspruch, wie denn auch Napoleon während seines Aufenthalts in Elba damit umging, Nachforschungen über diese Frage anstellen zu lassen. In seinem Testament nennt sich Columbus einen gebornen Genuesen. Die Welt könnte neidisch werden, wenn das Geschick dem kleinen Corsica auch noch den Mann gegeben hätte, welcher größer war als Napoleon.

Tapfere Männer genug zieren Calvi, und betrachtet man dies Städtchen innerhalb der Festung, wie es nichts ist als ein Haufe schwarzer und durchlöcherter Häuser, so liest man in dieser Trümmerchronik die Geschichte alter Helden. Verwundersam ist der Anblick einer Stadt, die vor fast hundert Jahren zerschossen noch heute in Ruinen steht. In Corsica scheint die Zeit stille gestanden zu sein. Eine eiserne Hand hat die Vergangenheit festgehalten, ihre alten Volkssitten, die Todtenklagen der Etrusker, die Familienkriege des Mittelalters, die Barbarei der Blutrache, die alte Lebenseinfalt und den alten Heroismus; und wie in grau gewordenen Ruinen von Städten das Volk lebt, lebt es noch in grauen, für den Culturmenschen sagenhaft gewordenen Lebenszuständen.

In der Hauptkirche, deren Kuppel von den Kugeln der Engländer durchlöchert ist, zeigt man das Grab einer Familie, welche den kostbarsten Namen der Welt trägt, den Namen Libertà. Es ist die alte Heldenfamilie Baglioni, die ihn führt. Es war im Jahr 1400, als einige Aristokraten in Calvi sich zu Tyrannen der Stadt aufwarfen, um sie dann den Aragoniern auszuliefern. Da erhob sich der junge Baglioni, überfiel mit Freunden die Tyrannen in der Burg, wie einst Pelopidas die von Theben, hieb sie zusammen und rief das Volk zur Freiheit auf. Von seinem Ruf libertà! libertà! schreibt sich der Zuname her, welchen das dankbare Volk ihm beilegte und seine Familie fortan getragen hat. Baglioni's Nachkommen waren drei Heldenbrüder Piero Libertà, Antonio und Bartolomeo. Sie gingen nach Marseille. Diese Stadt befand sich in den Händen der Liga und trotzte noch Heinrich dem Vierten, nachdem er bereits in Paris eingezogen und die Guisen ihm Gehorsam geschworen hatten. Der Consul der Liga Casaux war der Tyrann Marseille's; er ging damit um diese Stadt in die Gewalt der spanischen Flotte zu geben, welche Andreas Doria befehligte. Da verschwor sich Piero Libertà mit seinen Brüdern und andern kühnen Männern, Marseille zu retten. Sie drangen in das Castell; mit eigner Hand stieß Pierro dem Consul eine Lanze durch den Hals; nachdem er die Wachen niedergemacht oder entwaffnet hatte, schloß er die Tore des Castells, und das blutige Schwert in der Hand eilte er in die Stadt und rief: Libertà! Libertà! In das befreite Marseille zog der Herzog Guise im Namen Heinrichs des Vierten, und dieser schrieb ein ehrendes Dankschreiben an Piero Libertà, aus dem Lager von Rosny den 6. März 1596. Er machte ihn zum Großrichter von Marseille, zum Capitän der Porta Reale, zum Gouverneur der nôtre Dame de la guarde und überhäufte ihn mit andern Ehren. Das geschah in derselben Zeit, als ein zweiter Corse Alfonso Ornano, der Sohn Sampiero's, dem Könige von Frankreich Lyon gewann, und damals rief Heinrich der Vierte aus: »Jetzt bin ich König.«

Wenige Jahre nachher starb Piero Libertà. Die Stadt begrub ihn auf das Prachtvollste und stellte seine Statue im Gemeindepalast auf. Auf ihr Piedestal ließ sie die Worte eingraben:

Petro Libertae Libertatis assertori, heroi, malorum averrunco, pacis civiumque restauratori.

Wahrlich bemerkenswert ist die Kraft, welche die corsischen Geschlechter auszeichnet. Wer auf die Geschichte dieses Volks geachtet hat, wird gefunden haben, daß beinahe durchgehend die Stärke der Väter auf Söhne und Enkel sich forterbte.

Schwer wird es mir, von den Gräbern der Libertà auf jenes Feld von Calenzana hinüberzugehen, wo die Gräber liegen der Schiavitù. Gräber sind es von 500 verkauften Deutschen, Söhnen unseres Vaterlandes, welche dort fielen.

Ich habe es in der Geschichte der Corsen erzählt. Carl VI. hatte den Genuesen deutsche Hülfstruppen verkauft. Am 2. Februar 1732 griffen die Corsen unter Ceccaldi jene bei Calenzana an. Nach einem harten Kampf wurden die Kaiserlichen geschlagen; 500 Mann fielen. Die Corsen begruben diese Fremdlinge, welche in ihr Land gekommen waren gegen die Freiheit zu kämpfen, auf dem schönen Berghang zwischen Calvi und Calenzana. Ihre Gräberdecke grünt von Mirten und blühenden Kräutern. Jedes Jahr bis auf den heutigen Tag kommen am heiligen Samstag die Geistlichen von Calenzana auf den Camposanto dei Tedeschi wie jenes Feld genannt wird, und sie besprengen die Stätte, wo die armen Söldner gefallen sind, mit Weihwasser. So rächt sich der Corse an den Feinden, welche ihm seine Unabhängigkeit zu morden kamen. Mir ist's als hätte ich, der einer der wenigen Deutschen war, welche auf den Söldnergräbern von Calenzana standen, und wol der Einzige, der ihrer noch gedachte, hier die Pflicht dem Volk der Corsen für dieses großmütige Mitgefühl im Namen Deutschlands zu danken. Es ist ein edler Zug mehr in der Geschichte seiner Tugenden. Meinen Landsleuten aber setze ich diese Grabschrift:

Grabschrift
auf die fünfhundert deutschen Söldner von Calenzana.
Fünfhundert arme Söldner kamen wir,
Vom Kaiser, weh! an Genua verkauft,
Dem Corsenvolk die Freiheit zu erschlagen.
Wir fielen all' in unsres Frevels Blüte.
Nicht schuldig nenn' uns, doch bejammernswert,
Deckt uns erbarmend doch die Feindeserde.
Schmäh', Wandrer, nicht die Kinder dunkler Zeit!
Ihr die ihr lebt, sollt uns der Schmach entsühnen.

Jene Zeiten, als man unsre Väter wie eine willenlose Herde nach Corsica und nach Amerika verkaufte, waren schmachvoll genug. Da erhoben sich hier Paoli und dort Washington, und jenseits des Rheins die Menschenrechte. Die Schuld jener Zeiten wurde getilgt, und auch die Schmach von Calenzana; denn die Enkel dieser, die hier in ihren Sclavengräbern liegen, kämpften als freie Männer für die Unabhängigkeit des Vaterlandes und überwanden auch den corsischen Despoten.

Die Sonne geht unter, der Golf erglänzt, und die Felsenberge Calenzana's stehn in Farbenglut. Wie zauberisch ist dieser südliche Duft der Ferne, und wie fein sind diese Farbentöne. Es ergreift die menschliche Seele nichts so tief als alles Uebergehen. Auf dieser Grenze sei es vom Sein zum Nichts, oder von dem Nichts zum Sein steht die schönste und die tiefste Poesie des Lebens. Nicht anders ist es in der Völkergeschichte. Ihre wundersamsten Erscheinungen stehen immer auf der Grenze, wo sich zwei Culturperioden berühren, und eine in die andere übergehen will, wie ja auch eine Jahreszeit oder eine Tageszeit in der Natur die herrlichsten Erscheinungen zeigt, wenn sie in eine andre übergehen will. Mich dünkt, es ist auch nicht anders in der Geschichte des einzelnen Menschenlebens. Auch da sind die Uebergänge von einer Culturperiode in die andre, von einer Bildungsform in die andre voll von Zauber und so fruchtbar, daß hier allein die Keime der Poesie oder des Schaffens sich entwickeln.

Es ist auch hier in Calvi eine fast märchenhafte Weltverlassenheit. Die Spiegelflut des Golfs regt sich nicht – kein Schiff in meilenweiter Ferne – kein Vogel der sich aufschwingt – der schwarze Turm dort ragt auf schneeweißem Strand wie eine dunkle Traumgestalt. Doch, hier sitzt ein Adler, ein prächtiges Geschöpf, ernst und königlich ruhend – nun fliegt er auf und mit mächtigem Flügelschlage strebt er nach den Bergen. Er ist satt von Blut. Da störe ich noch einen Fuchs auf, den ersten den ich in Corsica sehe, wo die Füchse auffallend groß sind. Er saß vergnüglich am Ufer und schien sich über das Rosenrot der Wellen zu freuen, denn er war ganz in Naturbetrachtungen vertieft und so sehr in Gedanken verloren, daß ich ihn bis auf fünf Schritte beschleichen konnte. Plötzlich sprang Herr Reineke auf, und da der Strand schmal war, so hatte ich die Freude ihm den Weg zu verrennen und ihn einen Augenblick außer Fassung zu bringen. Herr Reineke that hierauf eine geniale Schwenkung und lief mit großem Humor in die Berge. Es geht ihm sehr gut in Corsica, wo ihn die Thiere zum Könige gemacht haben, weil es hier keine Wölfe gibt.

Da es Nacht wurde, setzte ich mich in eine Barke und ruderte im Golf umher. Welch ein Vergnügen, welche Nachtbilder! der Himmel mit funkelnden Sternen besät, magisch und durchsichtig die Lüfte, fern auf der Landspitze ein leuchtender Fanal – Lichter im Castell von Calvi – Hirtenfeuer in den dunkeln Bergen droben – ein paar schlafende Schiffe auf dem Wasser – die Wellen um den Kahn funkelnd, die Wassertropfen die vom Ruder fallen, Funken – in der tiefen Stille die Klänge einer Mandoline, die vom Ufer herüberschallen.


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