Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Fünftes Kapitel.

Eine zweite Vorlesung.

Es war ein lehrreicher Vortrag, welchen mir Francesco Marmocchi, weiland Professor der Naturgeschichte, weiland Minister von Toscana und jetzt Fuoruscito und armer Einsiedel, in der allerrosigsten Morgenstunde hoch oben auf dem grünen Berge Cardo hielt, da wir zu Füßen unter uns das schöne Mittelmeer hatten, dessen Farbe gerade so war, wie Dante es gesagt hat: color dell'oriental zaffiro.

»Sehen Sie, sagte Marmocchi, dort drüben zeigt sich der blaue Saum, das ist das schöne Toscana.«

O wol, ich sehe Toscana ganz deutlich, ich sehe ganz deutlich das schöne Florenz und mitten in die Uffizien hinein, wo die Bildsäulen der großen Toscaner stehn, Giotto, Orgagna, Nicola Pisano, Dante, Petrarca, Boccaccio, Macchiavelli, Galilei und der göttliche Michelangelo. Es gehen eben dreitausend Croaten unter den Bildsäulen spazieren; die Luft ist so klar, man kann alles sehn und alles hören. Hören Sie, Francesco, was der steinerne Michelangelo eben für einen trefflichen Vers zum Dante spricht:

»Mir ist so lieb mein Schlaf und daß ich bin von Steine,
So lang die Schmach noch dauert, dieses Wehgeschick;
Nichts sehn, nichts hören, das ist nun mein Glück;
Drum weck' mich nicht, sprich leise, ach! und weine!«

Aber sehen Sie, wie dieser dürre braune Fels sich ganz und gar mit Blumen geschmückt hat! Auf seinem Haupt trägt er einen herrlichen Busch von weiß überblüheten Mirten, und seine Brust ist dreifach von Gnadenketten umwunden, von Epheu, von Brombeerranken und der zarten weißen Waldrebe, der Clematis. – Es gibt nicht schönere Guirlanden als diese Clematiskränze mit den weißen Blütenbüscheln und seinen Blättern; schon die Alten liebten sie und haben sie gern in horazischen Stunden ums Haupt getragen.

Auf einem Umkreis von wenig Schritten, welche Fülle von Pflanzen neben einander! Da ist Rosmarin und Citisus, hier der wilde Spargel, daneben ein hoher Busch lilablütiger Erika, wieder hier die giftige Euforbia, welche den milchweißen Saft ausströmt, wenn man sie bricht, und hier das sympathische Helianthemum mit schönen gelben Blüten, welche nach und nach und allgesammt abfallen, sobald man einen einzelnen Zweig abgerissen hat. Da steht wieder fremd und bizarr, wie ein maurischer Heide der stachlichte Cactus, daneben der wilde Oelstrauch, die Korkeiche, der Lentiscus, die wilde Feige, und zu ihren Füßen blühen die wolbekannten Kinder meines Vaterlandes die Scabiosa, das Geranium, die Malve. Wie schön, durchdringend, stärkend sind diese Wolgerüche, welche all' das blühende Kraut aushaucht, Raute, Lawendel und Mente und all' diese Labieen. Sagte nicht Napoleon auf Sanct' Helena, da seine traurigen Gedanken wieder zu seiner schönen Heimatsinsel zurückkehrten: »Alles war dort besser, bis auf den Duft des Bodens; am Wolgeruch allein würde ich mit geschlossenen Augen Corsica erkennen!«

Hören wir nun von Marmocchi etwas über die Botanik der Insel im Allgemeinen.

Corsica ist die centralste Provinz des großen Pflanzenreichs der mittelländischen Zone; eines Reiches. welches charakteristisch ist durch die Ueberfülle der duftigen Labieen und der graziösen Caryophylleen. Diese Pflanzen bedecken alle Teile der Insel und durchduften zu jeder Jahreszeit ihre Luft.

Wegen dieser centralen Lage verbindet sich die corsische Pflanzenwelt mit der aller andern Provinzen jenes ungeheuren Reiches: durch das Cap Corso mit den Pflanzen Liguriens, durch die Ostküste mit denen Toscana's und Roms, durch die West- und Südküste mit der Pflanzenwelt der Provence, Spaniens, der Berberei, Siciliens und des Orients, und endlich durch die sehr hohe Region des Innern mit dem Pflanzenwuchs der Alpen und der Pyrenäen. Welch' ein wunderbarer Reichtum also in der corsischen Vegetation! Das ist eine Mannigfaltigkeit, welche die Schönheit der Gegenden dieser Insel, die schon durch die Natur und den Boden so malerisch sind, unendlich erhöht.

Einige ihrer Forsten auf den Abhängen der Berge sind so schön wie die herrlichsten Europa's; die beiden vorzüglichsten die von Aitone und Vizzavona. Außerdem sind viele Provinzen Corsica's mit unermeßlichen Castanienhainen bedeckt, deren Bäume ebenso gewaltig und fruchtbar sind als die schönsten auf den Apeninnen oder dem Aetna. Olivenpflanzungen, umfangreich gleich Wäldern, umkränzen Hügel und Täler, welche sich nach dem Meere hinziehen oder seinen Einflüssen offen liegen. Ueberall, selbst auf den rauhen und zackigen Seiten der hohen Berge schlingen sich Weinreben um Fruchtbaumgärten und breiten dem Blick ihre grünen Blätter und ihre purpurnen Trauben aus. Fruchtbare Ebnen, golden von reichen Erndten, dehnen sich an den Küsten der Insel hin; und der Waizen wie der Roggen schmücken hie und da die Berghänge mit ihrem frischen Grün, welches mit dem tieferen Grün der Buschwälder und mit den kalten Tönen der Steine und der nackten Felsen so schön abwechselt.

Der Ahorn und der Wallnußbaum gedeihen wie die Castanie fröhlich in Tälern und auf Höhen; die Cypresse und die Meerpinie lieben die minder hohen Gegenden; die Forsten sind voll von Korkeichen und immergrünen Eichen; der Arbutus, die Mirte wachsen zu Bäumen auf. Der Pyrus und besonders der wilde Oleaster bedecken weite Strecken auf den Höhen. Der immergrüne Alatern, der Ginster Spaniens und Corsica's sind mit mannichfaltigen aber immer gleich schönen Haiden vermischt; man unterscheidet unter diesen die Erica arborea, welche oft eine ungemeine Höhe erreicht.

In den Strichen, die durch Austreten der Ströme und Bäche gewässert werden, wachsen der Ginster vom Etna mit seinen prächtigen goldgelben Blüten, die Cisten, die Lentisken, die Terebinthen überall da wo die Erde nicht von Menschenhand berührt wird. Tiefer unten gibt es nicht Holweg noch Tal, welches nicht von der graziösen Lorbeerrose umschattet wäre, deren Zweige gegen die Seeküsten hin sich mit denen der Tamarinden verschwistern.

Die Fächerpalme wächst auf den Felsen am Meeresstrand, und die Dattelpalme, wahrscheinlich aus Africa hergebracht, auf den geschütztesten Stellen der Küsten. Die Cactus opuntia und die amerikanische Agave wachsen überall an warmen, felsigen dürren Orten.

Was soll ich von den prächtigen Cotyledonen sagen, von den schönen Hülsengewächsen, den großen Verbaceen, den herrlichen gepurpurten Digitalen, welche die Berge der Insel zieren? Und von den Malven, den Orchideen, Liliaceen, Solaneen, den Centaureen und den Disteln, Pflanzen, welche die sonnenheißen, kühlen oder schattigen Gegenden, in welchen ihre natürlichen Sympathieen sie wachsen lassen, so wol verzieren?

Die Feige, die Granate, der Weinstock geben in Corsica gute Früchte, selbst wenn der Landmann sie nicht pflegt, und das Clima wie der Boden der Küsten dieser schönen Insel sind der Limone und der Orange und andern Bäumen derselben Familie so günstig, daß sie hier wahre Wälder bilden.

Die Mandel, die Kirsche, die Pflaume, der Apfelbaum, der Birnbaum, der Pfirsich und die Apricose und im Allgemeinen alle Obstbäume Europa's sind hier gemein. In den heißesten Strichen kommen die Früchte des Johannisbrodbaumes, des Mispelbaumes von mehren Arten, des Brustbeerbaumes zu vollkommner Reife.

Endlich könnte der Mensch, wenn er es wollte, je nach den verschiedenen Gegenden und ohne viel Mühe das Zuckerrohr, die Baumwolle, den Tabak, die Ananas, den Krapp und selbst den Indigo mit Erfolg anpflanzen; mit einem Wort, Corsica könnte für Frankreich das Klein-Indien des Mittelmeeres sein.

Diese überaus herrliche Vegetation wird durch das Clima begünstigt. Das corsische Clima hat drei bestimmte Temperaturzonen, welche sich nach der Bodenerhebung abstufen. Die erste steigt vorn Spiegel des Meeres bis zur Höhe von 580 Metres auf, die zweite von da bis zur Höhe von 1950 Metres, die dritte bis zum Gipfel der Berge.

Die erste Zone, also überhaupt die Meeresküste, ist warm wie die parallelen Striche Italiens und Spaniens. Sie hat eigentlich nur zwei Jahreszeiten, den Frühling und den Sommer, selten fällt das Thermometer hier ein oder zwei Grade unter Null und nur für wenige Stunden. Auf allen Küsten ist die Sonne selbst im Januar warm, aber die Nächte und der Schatten kühl und das in allen Jahreszeiten. Der Himmel bewölkt sich nur für Pausen; der einzige Wind von Südost, der schwere Scirocco bringt anhaltende Nebeldünste, welche der heftige Südwest, der Libeccio, wieder vertreibt. Auf die gemäßigte Kälte des Januar folgt bald eine Hundstaghitze für acht Monate, und die Temperatur steigt von 8 Graden zu 18 und selbst zu 26 Graden im Schatten. Es ist ein Unglück für die Vegetation, wenn es dann nicht im März oder April regnet, und dieses Unglück ist häufig, doch haben die Bäume Corsica's allgemein harte und zähe Blätter, welche der Dürre widerstehen, wie der Oleander, die Mirte, der Cistus, der Lentiscus, der wilde Oelbaum. In Corsica, wie in allen heißen Climaten, sind die Niederungen, die wasserhaltigen und schattigen Gegenden fast pestaushauchend; man wandelt da nicht Abends, ohne sich lange und schwere Fieber zu holen, welche, wenn man nicht gänzlich die Luft verändert, mit Wassersucht und Tod endigen.

Die zweite climatische Zone der Insel kommt dem Clima Frankreichs, namentlich in Burgund, Morvan und Bretagne gleich. Da dauert der Schnee, der sich im November zeigt, bisweilen 20 Tage; aber er thut merkwürdiger Weise dem Oelbaum nicht Schaden bis zur Höhe von 1160 Metres, sondern er macht ihn noch fruchtbarer. Die Castanie scheint der eigentliche Baum dieser Zone zu sein, denn sie endigt in der Höhe von 1950 Metres und weicht dann den grünen Eichen, den Tannen, Buchen, Buxusbäumen und Wachholdern. In diesem Clima wohnt auch der größere Teil der Corsen in zerstreuten Dörfern auf Berghängen und in Tälern.

Das dritte Clima ist kalt und stürmisch wie das Norwegens während acht Monate im Jahr. Die einzigen bewohnten Orte in dieser Zone sind das Niolo und die beiden Forts von Vivario und von Vizzavona. Ueber diese bewohnten Orte hinaus erblickt das Auge keine Vegetation mehr als Tannen, welche an grauen Felsen hängen. Dort wohnt der Geier und das Wildschaf, und dort ist das Vorratshaus und die Wiege der vielen Ströme, welche ins Land hinunterrauschen.

Man kann also Corsica als eine Pyramide betrachten, welche in drei horizontalen Stufen sich abstuft, von denen die unterste warm und feucht, die oberste kalt und trocken ist, und die mittlere an beiden Beschaffenheiten Anteil hat.


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