Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Zwölftes Kapitel.

Zu dieser Zeit war die Sympathie für die Corsen stärker geworden als je. In England namentlich sprach die öffentliche Meinung laut für das unterdrückte Volk und forderte die Regierung auf gegen den Despotismus einzuschreiten, dessen Grundsätze Frankreich so schamlos in Ausführung brachte. Man sagte, daß Lord Chatham wirklich den Gedanken faßte, einen Machtspruch zu Gunsten der Corsen einzulegen. Diese hielten ihre Augen freilich auf England gerichtet, hoffend, daß eine große und freie Nation ein freies Volk nicht werde untergehn lassen. Sie täuschten sich. Die brittische Regierung untersagte wie im Jahre 1760 allen Verkehr mit den corsischen »Rebellen.« Nur auf private Weise sprach sich das englische Volk aus, und bei solchen Kundgebungen und Geldspenden verblieb es.

Trotz der Erfolge, welche sein Volk errungen hatte, sah Paoli die ganze Gefahr seiner Lage. Er schlug Frankreich einen Vergleich vor, wonach dem Könige die Landeshoheit, den Corsen ihre Verfassung bleiben, Genua eine Entschädigung erhalten sollte. Man verwarf dies Anerbieten. Chauvelin fühlte indeß seine Schwäche. Wie Sampiero und wie Gaffori sollte deshalb auch Paoli durch Meuchelmord enden. In der Geschichte eines jeden freien Volks wird niemals der Verrat vermißt; denn die menschliche Natur scheint des Schattens der Gemeinheit nicht entbehren zu können, wo sie am reinsten glänzt. Es fand sich ein Verräter in dem Sohn des eigenen Kanzlers Paoli's, Matia Massesi; Briefe die er verlor enthüllten die geheime Absicht. Vor den Staatsrat gestellt gestand er und wurde dem Henker überliefert. Ein anderer Anschlag von dem unruhigen Dumouriez, welcher damals in Corsica diente, geschmiedet, um Paoli in seinem Hause zu Isola Rossa aufzuheben, mißlang gleichfalls.

Chauvelin hatte die neuen Bataillone ins Feld gestellt; aber auch diese waren von den Corsen in Nebbio zurückgeschlagen worden. Tief beschämt schickte der stolze Marquis Boten nach Frankreich, welche die Schwierigkeit, Corsica zu bändigen, erklären sollten. Die französische Regierung rief hierauf Chauvelin von seinem Posten ab, im December 1768, und ernannte Marbeuf zum einstweiligen Oberbefehlshaber, bis der Nachfolger, der Graf de Vaux eingetroffen sein würde.

De Vaux hatte unter Maillebois in Corsica gedient; er kannte das Land und wußte wie man dort den Krieg zu führen habe. Ausgerüstet mit einer Waffenmacht von 45 Bataillonen, vier Regimentern Reiterei und beträchtlicher Artillerie, beschloß er den Kampf mit einem Schlage zu endigen. Im Angesicht dieser Gefahr berief Paoli das Volk nach der Casinca am 15. April 1769. Man faßte hier den Beschluß bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen und jeden Mann im Lande aufzubieten. Lord Pembrocke, der Admiral Smittoy, andere Engländer, Deutsche und Italiener, Freunde der corsischen Sache, welche zugegen waren, erstaunten über die gefaßte Haltung der nach der Casinca strömenden Milizen. Viele Fremde stellten sich unter die Reihen der Corsen. Auf ihrer Seite stand auch eine ganze Companie Preußen, welche aus genuesischem Dienst in den corsischen getreten waren. Doch durfte sich niemand das Verzweifelte der Lage verbergen; es wirkte bereits französisches Geld im Lande, der Verrat tauchte auf; selbst Capraja war durch solchen gefallen.

Mit aller Macht marschirten die Franzosen gegen Nebbio. Diese von einem langen und schmalen Tal durchschnittene Bergprovinz war schon oft der Schauplatz entscheidender Kämpfe gewesen. Paoli hatte hier seinen Standort genommen, nachdem er Saliceti und Serpentini in der Casinca gelassen hatte. Der Angriff begann am 3. Mai. Nach einem Kampf von drei Tagen wurde Paoli aus Murato, seinem Lager, vertrieben. Er beschloß nun über den Golo zu ziehen und diesen Fluß zwischen sich und dem Feinde zu halten. In Rostino blieb er stehen und übertrug Gaffori und Grimaldi die Verteidigung von Leuto und Canavaggia, denn aus diesen Punkten konnten die Franzosen leicht vorwärts dringen. Aber Grimaldi wurde zum Verräter, und Gaffori, ungewiß aus welchen Gründen behauptete seine Stellung nicht.

So geschah es, daß die Feinde von den Höhen herabkamen und gegen Pontenuovo, die Brücke, welche über den Golofluß führt, vordrangen. Am Golo standen die Corsen ausgebreitet, die Preußencompanie und mehr als 1000 Mann hielten die Brücke. Die Franzosen trieben die Milizen vor sich her, und diese stürmten gegen den Fluß, um hinüber zu kommen. Die Preußen gaben in der Verwirrung Feuer auf ihre eigenen Freunde, während zugleich die Franzosen mit dem Bajonet andrangen. Das schreckliche Wort »Verrat!« ließ sich hören. Vergebens suchte Gentili die Auflösung zu hemmen; sie wurde allgemein; keine Stellung war mehr haltbar, und in wilder Flucht zerstreuten sich die Milizen in die Wälder und das umliegende Land. Die unglückliche Schlacht bei Pontenuovo wurde geschlagen am 9. Mai 1769; an diesem Tage verlor das Volk der Corsen seine Freiheit und seine Selbständigkeit.

Noch versuchte Paoli den Feind am Eindringen in die Provinz Casinca zu hindern. Es war zu spät. Das ganze Land diesseits der Berge fiel in wenig Tagen in französische Gewalt, denn jenes instinctartige Gefühl der Rettungslosigkeit, welches die Gemüter eines Volks in schweren Augenblicken zu ergreifen pflegt, hatte sich der Corsen bemächtigt. Es fehlte ihnen ein Mann wie Sampiero war. Paoli verzweifelte. Er war nach Corte geeilt, der Entschluß sein Vaterland zu verlassen war ihm nahe gekommen. Der tapfere Serpentini hielt zwar noch in der Balagna Stand, und Clemens Paoli neben ihm war entschlossen bis auf den letzten Atemzug zu kämpfen, Abatucci endlich behauptete sich noch jenseits der Berge mit einer Schar kühner Patrioten. Es war noch nicht alles verloren; wenigstens konnte man den kleinen Krieg fortführen, wie ehedem Rinuccio, Vincentello und Sampiero es gethan hatten. Aber ein Mann wie Pasquale Paoli konnte nicht die Hartnäckigkeit des Charakters besitzen gleich jenen Menschen vergangener Zeit, noch wollte er, der Gesetzgeber seines Volks, zum Bandenführer in den Bergen herabsinken. Er ergab sich der Notwendigkeit. Zu ihm stießen sein Bruder Clemens, Serpentini, Abatucci und andere. Die kleine Schar eilte nach Vivario, dann am 11. Juni nach dem Golf von Porto Vecchio. Dort schifften sie sich, dreihundert Corsen an der Zahl, auf einem englischen Schiff ein; sie gingen über Toscana nach England, welches fortan bis auf unsre Tage das Asyl der Flüchtigen verunglückter Nationen geworden ist, und seither niemals edlere Flüchtige gastlich aufgenommen hat.

Es hat nicht an Solchen gefehlt, welche im Hinblick auf die alten tragischen Corsenhelden Paoli der Schwachheit angeklagt haben. Wie er selber sich erkannte, beweisen seine eignen Worte. Er sagte in einem Brief: »Wenn Sampiero in meiner Zeit gelebt hätte, so würde mir die Befreiung des Landes weniger Mühe gekostet haben. Was wir für die Ordnung unseres Volks versuchten, das hätte er vollendet. Es bedurfte damals eines Mannes, der so kühn und unternehmend war, daß er den Schrecken bis in die Bankstuben von Genua warf. Frankreich hätte sich nicht in den Kampf gemischt, oder es würde doch einen furchtbarern Gegner gefunden haben, als alle diejenigen waren, die ich ihm entgegenstellen konnte. Wie oft habe ich das nicht beklagt! Sicher, es war nicht Mut, noch heroische Beharrlichkeit, was den Corsen fehlte, sondern ein Führer, der den Krieg in Gegenwart von erfahrenen Generalen leiten konnte. Wir hätten uns in dieses edle Werk geteilt; während ich an einem Gesetzbuch arbeitete, welches den Gebräuchen und Bedürfnissen der Insel entsprach, hätte sein gewaltiges Schwert unser gemeinsames Werk befestigt.«

Am 12. Juni 1769 war das corsische Volk den Franzosen erlegen. Doch mitten in dem großen Schmerz, daß nun doch Jahrhunderte beispielloser Kämpfe die geliebte Freiheit nicht zu retten vermocht hatten, und noch unter dem Waffenlärm der alles Land diesseits wie jenseits der Berge besetzenden Franzosen, gebar dieses corsische Volk in unerschöpfter Heldenkraft am 15. August Napoleon Bonaparte, den Vernichter Genua's, Unterjocher Frankreichs, und Rächer seines Volks. Solche Genugthuung wollte das Schicksal den Corsen in ihrem Sturze geben und die Heldentragödie ihrer Geschichte versöhnend schließen.


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