Hermann Melville
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Hermann Melville

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Siebenundsiebzigstes Kapitel

Da unsere Hoffnungen, an den Hof zu kommen, zunichte geworden waren, beschlossen wir, wieder zur See zu gehen. Wir konnten Pao-Paos Gastfreundschaft nicht länger mißbrauchen, auch war ich des Lebens in Imio müde, und wie alle Seeleute, die an Land sind, zog es mich auf die Wogen hinaus.

Was immer die Leute uns vom »Leviathan« Schlimmes erzählt hatten – ich hatte den Kapitän des Schiffes gesehen, und er gefiel mir. Er war ein Mann in den besten Jahren, ungewöhnlich groß, prachtvoll gebaut, mit sonngebräunten Wangen und einem dunkelroten Fleck auf jeder Wange, der zweifellos von kräftigem Trinken herrührte. Er kam von der Insel Marthas Vineyard (Marthas Weinberg) bei Nantucket, und ich hätte schwören mögen, daß er ein richtiger Seemann und kein Tyrann war.

Bis dahin waren wir den Leuten vom »Leviathan« eher aus dem Wege gegangen, jetzt suchten wir ihre Gesellschaft, um mehr über das Schiff zu erfahren. So lernten wir den dritten Offizier, einen Preußen, kennen; er war lange auf Handelsschiffen gefahren und ein prächtiger, lustiger Mensch mit feuerrotem Gesicht. Wir brachten ihn zu Pao-Pao und bewirteten ihn mit gebackenem Schweinefleisch und Brotfrucht und Pfeifen und Tabak zum Dessert. Was er uns von dem Schiff erzählte, bestätigte unseren Eindruck. Ein gemütlicheres altes Fahrzeug war nie in See gewesen, und der Kapitän war ein Prachtkerl. Essen gab es genug, und auf See nichts zu tun, als am Ankerspill zu sitzen und die Segel zu trimmen. Nur eins sprach gegen das Schiff: es war unter einem bösen Stern vom Stapel gelassen worden und hatte in der Fischerei kein Glück. Die Boote mochten noch so oft zu Wasser gelassen werden, und oft kamen sie an den Walfischen fest, aber immer wieder versagten Lanze und Harpune, wenn die Leute vom »Leviathan« sie schleuderten. Aber was verschlug uns das? Es bedeutete, daß wir den ganzen Spaß der Jagd auf die Ungeheuer haben würden und nicht die scheußliche Arbeit, die nachher kommt, wenn ein Wal erbeutet ist. Also hurra! und auf nach der japanischen Küste! Denn dahin ging die Fahrt, Und all die schlimmen Geschichten, die man uns beim ersten Besuch auf dem Schiff erzählt hatte, waren Schwindel gewesen; die Leute hatten uns abschrecken wollen, damit der Kapitän, der mehr Mannschaft brauchte, gezwungen würde, länger im Hafen zu bleiben, in dem es ihnen gut gefiel.

Als der Mann von Marthas Weinberg das nächste Mal an Land kam, richteten wir es so ein, daß wir ihm begegneten, und teilten ihm mit, daß wir uns für sein Schiff anheuern lassen wollten. Darauf wollte er Näheres über uns erfahren, vor allem was für Landsleute wir wären. Wir sagten ihm, daß wir vor einiger Zeit einen Walfischfänger in Taheiti verlassen hätten und seither auf einer Pflanzung Beschäftigung gefunden hätten. Was unsere Heimat beträfe, so gehörten zwar Seeleute eigentlich zu keinem Volk; wir wären jedoch beide Yankees. Darauf machte er ein sehr ungläubiges Gesicht und sagte uns offen, daß er uns beide für Leute aus Sydney halte.

Nun muß man wissen, daß die amerikanischen Schiffer in der Südsee eine heillose Angst vor Leuten aus Sydney haben, die leider überall in einem sehr schlechten Ruf stehen. Wenn es an Bord eines Schiffes in der Südsee eine Meuterei gibt, so kann man zehn zu eins wetten, daß einer aus Sydney der Rädelsführer ist, und an Land treiben sie gleichfalls unaufhörlich Unfug. Darum hielten wir es geheim, daß wir zur »Julia« gehört hatten, obwohl ich das schneidige kleine Schiff nur ungern verleugnete. Und darum machte der Doktor schwindelhafte Angaben über seine Herkunft.

Unglücklicherweise zeugten die blauen Matrosenjacken, die wir von Afriti bekommen hatten, gegen uns. Denn merkwürdigerweise trägt der amerikanische Matrose zumeist eine rote Jacke und der englische eine blaue, als hätten sie die Nationalfarben getauscht. Das war dem Kapitän aufgefallen. Wir klärten die Sache auf, aber vergeblich, er hatte nun einmal ein Vorurteil gegen uns, und insbesondere betrachtete er den Doktor mit dem größten Mißfallen; um diesem zu helfen, sprach ich von Kentucky, wo die Leute alle so lang wären, aber darauf biß der Mann vom Weinberg nicht an.

Eines Nachmittags traf ich den Kapitän, Pfeife rauchend, im Hause eines stattlichen alten Eingeborenen, eines gewissen Meh-Meh, der gegen entsprechende Vergütung Fremde gastlich bewirtete.

Die Reste einer üppigen Mahlzeit von gebackenem Schweinefleisch und Rübenpudding standen noch auf dem Tisch; zwei Flaschen mit abgebrochenem Hals lagen auf der Matte. Nach einem guten Essen sind die Menschen liebenswürdiger und eher geneigt, sich überzeugen zu lassen. Ich sagte dem Schiffer, ich wäre gekommen, um die falsche Meinung, die er von meiner Nationalität hätte, zu zerstreuen: ich wäre, Gott sei Dank, ein Amerikaner, er möge es mir nur glauben.

Er sah mir eine Zeitlang ins Auge, mit nicht sehr sicheren Blicken, dann bat er mich, meinen Arm auszustrecken. Ich tat dies einigermaßen erstaunt, da ich nicht wußte, was es mit der Sache zu tun haben konnte; er aber fühlte mir den Puls; einen Augenblick später sprang er hoch erfreut auf und rief: »Ja, jeder Pulsschlag ein Yankee! – Mehmeh! noch eine Flasche!« Die Flasche kam, er enthauptete sie mit einem Streich seines Messers und befahl mir, sie auszutrinken. Dann sagte er, ich sollte morgen an Bord kommen, die Schiffsartikel lägen auf dem Kajütentisch, und ich brauchte sie nur zu unterschreiben.

Das ging also herrlich. Ich machte nun eine geschickte Anspielung auf meinen langen Freund. Es war völlig vergeblich; der Weinberger wollte mit ihm nichts zu tun haben; der Vogel war aus Sydney, und nichts könnte ihn von dieser Meinung abbringen. So gut mir die offene Art des Kapitäns gefiel, ärgerte ich mich doch über dieses Vorurteil gegen meinen Kameraden und ging. Als ich dem Doktor die Sache erzählte, lachte er nur und sagte, der Mann vom Weinberg müßte ein schlauer Kerl sein. Ich sollte mich nur auf dem Schiff verdingen – er wußte, wie sehr ich mich fortsehnte. Er sei ja schließlich kein Seemann, und die Stellung einer Landratte auf einem Walfischfänger locke ihn nicht. Überhaupt habe er Lust, noch eine Weile auf Imio zu bleiben.

Ich überlegte es mir und kam zu dem Entschluß, die Insel zu verlassen. Der Drang zur See und die Aussicht, wieder nach Hause zu kommen, waren unwiderstehlich, um so mehr, als der »Leviathan« auf seine letzte Jagd fuhr und innerhalb Jahresfrist Kap Horn umschiffen und heimfahren sollte. Übrigens band ich mich nur für eine einzige Fahrt, denn ich wollte möglichst frei bleiben, um, wenn mich die Lust dazu überkam, schneller und bequemer nach Hause reisen zu können.

Tags darauf paddelte ich nach dem Schiff, unterschrieb und siegelte und ging mit einem Vorschuß, fünfzehn spanischen Dollars, die ich ins Halstuch eingebunden hatte, wieder an Land. Die Hälfte davon drängte ich dem langen Gespenst auf, und da ich Geld kaum brauchte, wollte ich die andere Hälfte Pao-Pao als kleines Entgelt für all seine Güte geben; aber obwohl er den Wert der Münze kannte, nahm er durchaus nichts an.

Drei Tage später kam der Preuße zu Pao-Pao und sagte uns, die Zahl der Leute sei voll, der Kapitän habe mehrere Eingeborene eingestellt und wolle am nächsten Morgen mit der Landbrise auslaufen. Es war Abend, der Doktor verschwand sogleich und kam bald darauf mit ein paar Flaschen Wein zurück, die er im Bausch seiner Jacke verborgen hatte. Er hatte sie sich durch den Mann von den Marquesas von einem Hoflieferanten verschafft. Ich bewog sogar Pao-Pao, eine Schale davon zum Abschied zu trinken, und selbst die kleine Lu, die wohl wußte, daß einer ihrer hoffnungslosen Bewunderer Partuwei für immer verließ, schlürfte ein paar Tropfen aus einem gefalteten Blatt. Die gutherzige Afriti war wirklich traurig. Sie bat mich, die letzte Nacht noch in ihrem Haus zu verbringen, am Morgen wollte sie mich selbst nach dem Schiff hinüberrudern. Aber das nahm ich nicht an. Zur Erinnerung schenkte sie mir eine feine Matte und eine Tapparolle, die ich in meiner Hängematte unterbrachte und in den kühleren Breiten, nach denen wir fuhren, sehr angenehm fand; und oft dachte ich dankbar an die gute Frau zurück.

Als es Nacht wurde, verließen wir die großherzigen Leute und eilten zum Wasser hinab. Auf dem Schiff machten sich die Matrosen noch eine lustige tolle Nacht; sie hatten ein Fäßchen Wein angezapft, das sie sich ebenso verschafft hatten, wie der Doktor seine Flaschen. Zwei Stunden nach Mitternacht war alles still; aber als der erste Lichtstreif über den Bergen dämmerte, tönte eine scharfe Stimme in die Back und befahl, die Leinen loszufieren. Die Anker wurden fröhlich aufgehievt, die Segel gesetzt, und mit dem ersten Lufthauch des tropischen Morgens, der frisch und duftend von den Berghängen kam, glitten wir langsam die Bucht entlang und durch die Öffnung im Riff hinaus. Jetzt drehten wir bei, und die Kanus kamen längsseits, um die Inselbewohner aufzunehmen, die soweit mitgekommen waren. Ich schüttelte dem Doktor lange und herzlich die Hand, ehe er das Fallreep hinabstieg. Ich habe ihn nie wieder gesehen, noch von ihm gehört.

Nun wurden alle Segel gesetzt und die Rahen vierkant gebraßt; die Brise wurde steifer, und wir entfernten uns rasch von der Küste. Noch einmal schaukelte die Wiege des Seemanns unter mir, und ich ging breitbeinig über das Deck.

Gegen Mittag war die Insel unterm Horizont verschwunden, und der weite Ozean lag vor mir.

 

Ende

 


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