Hermann Melville
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Hermann Melville

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Sechsunddreißigstes Kapitel

Um das Possenspiel, das er mit den beschworenen Aussagen in Szene gesetzt hatte, ganz durchzuführen, ließ der Konsul uns innerhalb der Woche noch einmal aufs Konsulat kommen. Dort wiederholte sich der gleiche Auftritt; er erreichte nichts und wir wurden zurückgeschickt; unser entschlossenes Verhalten ärgerte ihn ganz außerordentlich.

Wir erklärten uns die ganze Sache so: als Wilson bei unserer Ankunft hörte, wie es auf der »Julia« stand, hatte er zu seinem Freunde, dem kranken Kapitän, offenbar gesagt: »Rege dich nicht wegen dieser Halunken auf, armer Kerl; das richte ich dir schon. Überlasse alles mir und sei ganz unbesorgt!«

Aber Handschellen, Stock, zornige Blicke, Drohungen, dunkle Anspielungen und Zeugenaussagen, alles war fruchtlos geblieben; wir wußten jetzt, daß das Ganze nicht ernst zu nehmen war; wir durchschauten Wilson vollkommen, wußten, daß er nie ernstlich geglaubt hatte, uns vor Gericht bringen zu können, und lachten ihn aus.

Seitdem wir die »Julia« verlassen, hatten wir den Steuermann nicht mehr gesehen, aber oft von ihm gehört. Er war an Bord geblieben und wirtschaftete in der Kajüte mit seinem Freunde Viner, den er bei seinem versprochenen Besuch eingeladen hatte, als sein Gast zu bleiben. Die beiden Kumpane ließen sich's gut gehen, zapften des Kapitäns Fässer an, spielten Karten auf dem Heckbalken und gaben Bälle für die Damen vom Strande. Kurz, sie führten sich derartig auf, daß die Missionare beim Konsul Klage führten und Jermin einen scharfen Verweis erhielt. Dies nahm er sich so zu Herzen, daß er noch mehr trinken mußte als früher, und eines Abends, als er so voller Saft war wie eine reife Traube, regte ihn ein vorbeifahrendes Kanu mit Eingeborenen fürchterlich auf: er schrie den Leuten zu, sie sollten augenblicklich an Bord kommen und ihre Ausweispapiere zeigen. Erschrocken paddelten die Insulaner zum Ufer zurück; Jermin ließ sogleich ein Boot zu Wasser, bewaffnete Weimontu und den Dänen mit Messern, ergriff selbst eines und setzte ihnen mit am Heck des Bootes wehender Schiffsflagge nach. Die erschrockenen Eingeborenen trieben ihr Kanu an den Strand und flohen schreiend durchs Dorf, der Steuermann mit dem blanken Messer um sich schlagend hinter ihnen her; eine Volksmenge sammelte sich an, und der »Karhauri Tani« (der verrückte Fremde) wurde gefaßt und vor Wilson geführt.

Der Zufall wollte, daß der Konsul und Kapitän Guy in einem Eingeborenenhaus in der Nähe gerade beim Kartenspiel saßen; eine Karaffe mit Wein stand vor ihnen auf dem Tisch. Der tobende Jermin wurde vor sie gebracht; aber der Anblick, der sich ihm bot, besänftigte ihn auf der Stelle: er verlangte nur, an Spiel und Trank beteiligt zu werden. Da der Konsul beinahe ebenso betrunken war wie er, und der Kapitän nichts zu sagen wagte, um Jermin nicht zu verletzen, so blieben alle drei beisammen und tranken lustig weiter; die Vergehen des Steuermanns wurden summarisch erledigt und die Eingeborenen nach Hause geschickt.

Damals trieb sich in Papiti eine scheußliche verrunzelte alte Engländerin umher, die unter den Seeleuten als »Mutter Glasel« bekannt war. Von Neuseeland bis zu den Sandwich-Inseln war sie überall in der Südsee gewesen, hatte ein Vergnügungslokal für Seeleute gehalten und sie mit Rum, Karten und Würfeln versehen. Wo es Missionen gab, war dies Verhalten strafbar, und so waren schon auf verschiedenen Inseln ihre Etablissements geschlossen und sie selbst auf dem ersten verfügbaren Schiff abgeschoben worden; aber mit zäher Beharrlichkeit begann sie ihr Geschäft an jedem neuen Orte wieder und war überall bekannt und berüchtigt. Ein geduldiger, einäugiger kleiner Schuster, auf den sie einen bösen Zauber geworfen haben mußte, folgte ihr überallhin nach; er flickte für weiße Leute die Schuhe, kochte für die Alte und ertrug ihr Keifen und Schimpfen ohne Klagen. Sonderbarerweise führte er immer eine zerlesene alte Bibel mit, und sowie das Weib ihm den Rücken wendete, saß er über dem Buch. Gerade das aber brachte die alte Hexe in eine unglaubliche Wut, sie schlug ihm das Buch um die Ohren und versuchte, es ins Feuer zu werfen. Mutter Glasel und ihr Mann Josy waren ein seltsames Paar.

Acht oder vierzehn Tage nach unserer Ankunft war die Alte wieder einmal aufgespürt worden, und man hatte ihr ihr schändliches Gewerbe verboten. Wilson hatte dies verfügt, der sie haßte, und sie gab es ihm mit Zinsen zurück. An dem Abend, an dem die drei sich in dem Hause erlustigten, kam sie gerade vorüber, guckte zwischen den Bambusstäben durch, und nach dem, was sie sah, beschloß sie, ihrem Groll Luft zu machen. Es war eine finstere Nacht; sie holte eine riesige Schiffslaterne, die sie in ihrer Hütte hängen hatte, dann wartete sie geduldig vor dem Haus. Gegen Mitternacht erschien Wilson auf der Straße, von zwei Eingeborenen gestützt, die ihn an den Armen aufrecht hielten. Die Straße lag im tiefsten Schatten: plötzlich stieg vor Wilsons Nase ein helles Licht auf: die alte Hexe kniete vor ihm und hielt die Laterne hoch: »Haha, du scheener Konsuler!« krähte sie, »eine arme alte Person wie mich verfolgste firs Rumverkaufen – ja? und selbst wirste betrunken nach Hause gebracht! Pfui, du Schuft, da haste!« Und sie spie ihn an.

Die erschrockenen Eingeborenen, die ein Gespenst zu sehen glaubten, ließen den Konsul, der selbst zitterte, fallen und rannten davon. Als die Alte ihre Wut ausgetobt hatte, humpelte sie weg, und die drei Schlemmer taumelten gleichfalls nach Hause, so gut es eben ging.

Am Tag nach unserer letzten Unterredung mit Wilson hörten wir, daß Kapitän Guy sich an Bord seines Schiffes begeben hatte, um eine neue Mannschaft einzustellen. Ein anständiges Handgeld wurde geboten, und ein schwerer Sack voll spanischer Dollars sowie die Schiffsartikel der »Julia« lagen auf dem Gangspillkopf. Es gab genug unbeschäftigte Seeleute in Papiti; vornehmlich waren es »Strandräuber«, die sich organisiert hatten und einen Schotten namens Mack zu ihrem Hauptmann gewählt hatten, den sie den Kommodore nannten. Nach den Satzungen der Brüderschaft durfte kein Mitglied sich ohne Erlaubnis der anderen auf einem Schiff anwerben lassen. Jeder entlassene Seemann wurde gezwungen, sich ihnen anzuschließen, und die Bande beherrschte den Hafen. Mack und seine Leute kannten unsere Geschichte; sie hatten uns manchmal aufgesucht und nahmen als Seeleute sowie aus Seelenverwandtschaft scharf gegen Kapitän Guy Stellung. Da sie die Sache für wichtig hielten, kamen sie jetzt in corpore nach der Calabusa und wünschten zu wissen, ob wir es für gut und richtig hielten, wenn einige von ihnen sich auf der »Julia« anwerben ließen. Da wir nur den einen Wunsch hatten, das Schiff so rasch als möglich loszuwerden, so waren wir entschieden dafür; einige gingen so weit, die »Julia« ins Blaue hinein zu loben, sie wäre das beste und schnellste Schiff, Jermin ein guter Kerl und jeder Zoll ein Seemann, der Kapitän ein ruhiger Mensch, der niemandem etwas zuleide tat. Kurz, wir taten, was wir konnten, und der Schwindel-Jack versicherte den Strandräubern feierlich, daß jetzt, da wir alle wieder wohl und kräftig waren, wir selbst an Bord gehen würden und nur des Prinzips wegen an unserer Weigerung festhielten.

Das Ergebnis war, daß schließlich eine neue Mannschaft zusammengebracht wurde, dazu ein verläßlicher Neuengländer als zweiter Offizier und drei tüchtige Walfischjäger als Harpuniere. Auch der Schiffsvorrat wurde wenigstens teilweise wieder aufgefüllt, und soweit es sich auf Taheiti tun ließ, die Schäden des Schiffes ausgebessert. Der Maori wurde, da die Inselbehörden nicht gestatteten, ihn auszuschiffen, gefesselt im Schiffsraum mitgeführt. Was aus ihm geworden ist, haben wir nie erfahren.

Tauchen, das arme arme Tauchen war wenige Tage vorher erkrankt und blieb im Matrosenspital in Taunor, einem kleinen Ort am Ufer zwischen Papiti und Metaveh. Hier tat er bald darauf den letzten Atemzug. Niemand wußte, was ihm fehlte; er starb wohl an all dem Unglück und der schlechten Behandlung, die er erfahren hatte. Mehrere von uns gingen mit, als er im Sande verscharrt wurde, und ich pflanzte einen Pfahl ein, um seine Ruhestätte kenntlich zu machen.

Der Bottler und alle, die an Bord geblieben waren, gehörten natürlich zur neuen Mannschaft. Daß der Konsul und der Kapitän sich erst soviel vergebliche Mühe gemacht hatten, die alte Mannschaft zu behalten, hatte einen sehr einfachen Grund. Jeder Matrose, der in Taheiti angeworben wird, verlangt einen Vorschuß von fünfzehn bis fünfundzwanzig Dollar, und der gleiche Betrag muß für jeden Mann an die Behörde als Hafengebühr bezahlt werden. Außerdem verheuern sich die Leute mit wenig Ausnahmen nur für eine Fahrt und haben daher das Recht, im nächsten Hafen entlassen zu werden; die Folge ist, daß der Kapitän neue Leute werben muß und nochmals die gleichen Kosten hat. In der Kasse der »Julia« aber war es Ebbe oder vielmehr, sie war völlig leer; und um diese Ausgaben zu bestreiten, hatte das wenige Öl, das an Bord war, für ein Butterbrot an einen Händler in Papiti verkauft werden müssen.

Es war Sonntags und ein herrlicher Morgen, an dem Kapitän Bob in die Calabusa watschelte und uns mit der Mitteilung überraschte: »Ah, mei Jungi, Schiffi ihr los – segli fort!« Die »Julia« war in See. Der Strand war ganz nahe und an dieser Stelle gänzlich unbewohnt. Wir liefen daher alle hinunter und sahen »Klein-Julchen«, nur eine Kabellänge entfernt, vorübergleiten, die Bramsegel geschwellt, während ein Junge oben mit einem Bein über der Rahe saß und das Vorroil losmachte. Auf Deck war alles in Bewegung, die Matrosen auf der Back sangen: »Lustig, Leute, ho!«, und der brave Jermin stand, barhaupt wie gewöhnlich, auf dem Bugspriet und gab seine Befehle. Neben dem Mann am Ruder stand Kapitän Guy, ruhig und elegant, und rauchte seine Zigarre. Am Korallenriff änderte das Schiff den Kurs, glitt durch die Öffnung und fuhr davon.

So verschwand »Klein-Julchen« drei bis vier Wochen, nachdem sie in den Hafen eingelaufen war, und nie wieder habe ich etwas von ihr gehört.

 


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