Hermann Melville
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Hermann Melville

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Fünfundsiebzigstes Kapitel

Wer Cooks Reiseschilderungen gelesen hat, wird sich Otus erinnern, der zur Zeit des berühmten Seefahrers die größere Halbinsel von Taheiti beherrschte. Später dehnte er mit Hilfe der Mannschaft der »Bounty« seine Herrschaft über die ganze Insel aus. Vor seinem Tod änderte er seinen Namen, und Pomari wurde der königliche Familientitel.

Ihm folgte sein Sohn, Pomari II., der berühmteste Herrscher in der taheitischen Geschichte. Obschon er dem Trunk und schlimmen Ausschweifungen ergeben war und ihm sogar unnatürliche Verbrechen nachgesagt wurden, war er ein großer Freund der Missionare und einer der ersten, die sich taufen ließen. In den Religionskriegen, in die ihn sein Eifer für den neuen Glauben verwickelte, wurde er besiegt und von der Insel vertrieben. Nach kurzer Verbannung kehrte er von Imio mit einem Heer von achthundert Kriegern zurück, schlug die aufständischen Heiden in der Schlacht von Nereii unter großem Blutvergießen und gewann seinen Thron wieder. So triumphierte das Christentum durch Waffengewalt auf Taheiti.

Auf Pomari II., der 1821 starb, folgte sein jugendlicher Sohn Pomari III. Er überlebte seinen Vater nur um sechs Jahre, worauf die Regierung seiner älteren Schwester Emeta, der gegenwärtigen Königin, zufiel, die gewöhnlich Pomari Veheinih I., das heißt die erste weibliche Pomari, genannt wird. Ihre Majestät muß zur Zeit etwa dreißig Jahre alt sein. Sie war zweimal verheiratet. Ihr erster Mann war ein Sohn des alten Königs von Tehar, einer Insel, die etwa hundert Meilen von Taheiti liegt. Die Ehe war unglücklich und wurde geschieden. Der gegenwärtige Gatte der Königin ist ein Häuptling aus Imio. Der Ruf der Königin ist kein tadelloser. Sie und ihre Mutter waren lange Zeit exkommuniziert; die ältere Dame ist es, glaube ich, noch. Die Exkommunikation der Königin erfolgte wesentlich, weil ihr Untreue in der Ehe vorgeworfen wurde. Vor ihrem Unglück pflegte sie, von einem ausgelassenen Hof begleitet, von einer Insel zur anderen zu fahren und überall Feste und Spiele zu veranstalten. Sie liebte den Aufwand. Jahrelang verursachte die Erhaltung eines königlichen Hausregiments der Staatskasse große Kosten. Die Uniform bestand aus Kattunhemden und Hüten aus Pappe; Hosen trugen die Krieger nicht; sie waren mit Musketen jeder Art und jeden Kalibers bewaffnet, und ihr Kommandant war ein großer lärmender Häuptling, der in einem feuerroten Rock einherstolzierte. Diese Helden begleiteten die Königin auf allen ihren Wegen.

Vor einiger Zeit erhielt die Königin von Viktoria, ihrer Schwester auf dem englischen Thron, einen prächtigen, wenn auch unbequemen Kopfschmuck, eine Krone, die vermutlich bei einem Londoner Blechschmied bestellt worden war. Da Krönungsfeierlichkeiten nur selten stattfinden, trug Ihre Majestät diese Krone bei jedem öffentlichen Auftreten, und um ihre Vertrautheit mit europäischen Sitten zu zeigen, lüftete sie sie höflich vor jedem vornehmeren Fremden, wie Kapitänen von Walfischfängern und dergleichen, denen sie bei ihrem Abendspaziergang auf dem Ginsterwege begegnete.

Die Ankunft sowie die Abreise des Hofes wurde stets durch den Hofartilleristen im Palast kundgegeben, einen fetten alten Herrn, der schwitzend kleine Vogelflinten, so schnell es irgend ging, lud und immer wieder abfeuerte.

Der Gatte der taheitischen Fürstin hatte es nicht leicht. Schon sein Titel ist kein angenehmer, wenn auch durchaus bezeichnend: er ist »Pomari-Tehnih« »Pomaris Mann«.

Wenn je ein Mann unterm Pantoffel stand, so ist es der Prinz-Gemahl von Taheiti. Eines Tages gab seine Ehelichste einer Abordnung der Schiffskapitäne, die sich gerade in Papiti befanden, Audienz, und er erlaubte sich einen Vorschlag zu machen, der ihr mißfiel; sie wendete sich um, gab ihm eine Ohrfeige und hieß ihn sich nach seinem lumpigen Imio zurücktrollen, wo er den großen Herrn spielen könnte. Kein Wunder, daß der arme Tehnih sich mit der Flasche, oder vielmehr mit der Kalebasse, tröstete. Übrigens trinkt auch seine Gattin und Herrin mehr, als für sie gut ist.

Es mögen etwa sechs Jahre her sein, ein amerikanisches Kriegsschiff lag gerade im Hafen von Papiti, als die Stadt in große Aufregung geriet, weil der betrunkene Tehnih die geheiligte Person der Herrscherin, seiner Gattin, seinerseits tätlich insultiert hatte. Kapitän Bob hat mir die Geschichte erzählt, die er der Klarheit wegen zugleich mimisch darstellte, wobei ich die Königin spielen mußte. Eines Sonntags morgens war Tehnih von der Königin schimpflich vom Hofe gewiesen worden, worauf sich ein paar Freunde und Trinkgenossen zu ihm gesellten, ihn bedauerten, auf die Königin schalten und ihn zuletzt in ein Haus schleppten, wo unerlaubter Handel mit geistigen Getränken getrieben wurde und alle sich aufs herrlichste besoffen. In diesem Zustand ergingen sie sich des längeren über Pomari Veheinih I.; sie meinten, daß sie sich so eine Behandlung nicht gefallen lassen würden; jedenfalls geriet Tehnih in Wut, und da er hörte, daß Ihre Majestät ausgeritten war, bestieg er sein Roß und galoppierte ihr nach.

Am Rande der Stadt kam der Zug von Frauen, in deren Mitte sie ritt, dahergesprengt. Tehnih spornte sein Pferd mitten unter die Frauen, ritt eine um, und alle ergriffen die Flucht, nur Pomari nicht. Sie brachte ihr Pferd zum Stehen und sagte ihm empört ihre Meinung. Aber der wütende Tehnih sprang aus dem Sattel, faßte sie an ihrem langen Kleid, riß sie zu Boden, hielt sie an den Haaren fest und schlug sie wiederholt ins Gesicht. Er wollte sie erwürgen, aber auf das Geschrei der erschrockenen Dienerinnen war eine Menge von Eingeborenen zusammengeeilt, die die fast ohnmächtige Königin aus seinen Händen retteten und fortbrachten. Seine Wut war nicht gestillt. Er lief in den Palast und zerschlug ein wertvolles Porzellanservice, das die Königin kürzlich zum Geschenk erhalten hatte, und er wollte eben neue Schandtaten verüben, als er von rückwärts gepackt und mit rollenden Augen und schäumendem Munde fortgeschleppt wurde.

So sind die Taheitier. Die sanftesten Menschen, die es gibt und schwer aufzubringen; wenn aber einmal in Wut, sind sie wie die Teufel.

Am folgenden Tage wurde Tehnih in aller Stille in einem Kanu nach Imio gebracht, wo er ein paar Wochen. in der Verbannung blieb; dann wurde ihm erlaubt, zurückzukehren.

Obschon Pomari Veheinih I. im Privatleben eine Jesabel ist, soll ihre Regierung mild und nachsichtig sein. Das ist auch richtige Politik, denn sie hat mit der Erbfeindschaft vieler mächtiger Häuptlinge, Nachkommen der alten Könige von Tejarbu zu rechnen, die ihr Großvater Otu entthront hat. Der Führer war Pufeh, ein fähiger, kühner Mann, der aus seiner Feindschaft gegen die Missionare und die Regierung, die sich von ihnen beeinflussen ließ, kein Hehl machte; diese Partei machte sich bereits große Hoffnungen, als die Ankunft der Franzosen die Lage völlig veränderte.

Während meines Aufenthaltes in Taheiti wurde erzählt, und zwar ging die Geschichte von der Missionarspartei aus, daß Pufeh und einige andere Häuptlinge das Land verkauft hätten. Die Verleumdung ist durch die Tatsachen widerlegt worden; denn gerade von diesen Häuptlingen sind mehrere im Kampf gegen die Franzosen gefallen.

Unter den Pomaris hatten die großen Häuptlinge auf Taheiti ungefähr dieselbe Stellung wie die Barone unter König Johann. Lehnsherrscher in ihren Tälern, vom Volk als die angestammten Herren anerkannt und geliebt, weigerten sie sich oft, den üblichen Tribut als Vasallen der Krone zu bezahlen, so daß diese ohne Einnahmen blieb.

Durch den Einfluß der Missionare hat das Königtum auf Taheiti an Macht und Würde verloren. Als noch das Heidentum bestand, konnte es sich auf eine zahlreiche Priesterschaft stützen und stand in mystischer Verbindung mit den Götzen des Landes. Der Monarch galt für die Frucht eines Seitensprungs Terarroas, des Saturn der polynesischen Mythologie, und war der leibliche Vetter mehrerer niederer Gottheiten. Seine Person war dreimal heilig; wenn er für noch so kurze Zeit ein gewöhnliches Haus betrat, mußte es nach seinem Fortgehen abgerissen werden; kein gewöhnlicher Sterblicher durfte es nach ihm bewohnen. »Ich bin größer als König Georg,« sagte der junge Otu zu den ersten Missionaren, »er reitet auf einem Pferd und ich auf einem Menschen.« Tatsächlich durchreiste er sein Gebiet auf den Schultern seiner Untertanen, und in jedem Tal war für Ersatz des menschlichen Reittiers gesorgt.

Aber ach, wie vergänglich ist Menschengröße! Vor einigen Jahren übernahm Pomari Veheinih I., des stolzen Otu Enkelin, einen Wäschereibetrieb. Durch ihre Agenten bat sie die fremden Schiffsoffiziere in den Häfen, ihre feine Wäsche ihr anzuvertrauen.

Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, daß, während der Einfluß der englischen Missionare in Taheiti der königlichen Würde so geschadet hat, der der amerikanischen Missionare auf den Sandwich-Inseln zielbewußt auf das Gegenteil hinarbeitete.

 


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