Hermann Melville
Omu
Hermann Melville

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechsundsiebzigstes Kapitel

Im zweiten Monat der Hegira, etwa fünf Wochen nach unserer Ankunft in Partuwei, erhielten wir endlich Einlaß in den königlichen Palast.

Dies geschah so: in Pomaris Gefolge war ein Mann von den Marquesas als Pfleger ihrer Kinder. Nach taheitischem Brauch werden die königlichen Sprossen noch in einem Alter umhergetragen, in dem sie schon ein beträchtliches Gewicht erreicht haben. Dazu war Marbonna der Mann, denn er war groß und muskelkräftig, gebaut wie ein griechischer Athlet, mit einem Arm, so dick wie die Schenkel der entarteten Taheitier. Er hatte sich auf einem französischen Walfischfänger als Matrose verdungen, war in Taheiti ausgerissen, und Pomari hatte ihn gesehen, bewundert und in ihren Dienst genommen. Oft hatten wir ihn im Vorübergehen zwei kräftige Jungen, die ihre Arme um seinen Hals geschlungen hatten, durch den schattigen Hain tragen sehen. Sein Gesicht, tätowiert nach der Sitte seines Stammes, war für die jungen Pomaris wie ein Bilderbuch; mit den Fingern folgten sie freudig den Umrissen der seltsamen Figuren, die darauf zu sehen waren. Ich erkannte auf den ersten Blick, daß er von den Marquesas kam, rief ihn in der Sprache seiner Heimat an, und er drehte sich um, höchst überrascht, einen Weißen zu sehen, der seine Sprache redete. Er war aus Teior, einem Tal auf Nukuhiva. Ich war öfters dort gewesen, und so begegneten wir uns auf Imio wie alte Freunde.

Bei unseren häufigen Unterhaltungen über den Zaun erwies er sich als ein natürlicher Philosoph: ein heidnischer Wilder, stellte er moralische Betrachtungen über den lasterhaften christlichen Hof von Taheiti an, und mit tiefer Verachtung sprach er von dem entarteten Volk, unter dem er lebte. Kein Europäer konnte mit mehr Stolz von seiner Heimat sprechen als Marbonna. Sobald er genug Geld verdient hätte, um zwanzig Gewehre und ebensoviel Sack Pulver zu kaufen, wollte er nach seiner Insel zurückkehren, mit der Imio nicht zu vergleichen wäre.

Er war es, der uns nach ein oder zwei erfolglosen Versuchen Zutritt zum Hofe verschaffte. Er führte uns durch eine beträchtliche Menschenmenge über den Damm bis zu einer Stelle, an der ein alter Mann saß; diesem stellte er uns als ein paar Karhauris vor, die er kannte und die den Palast gerne sehen wollten. Der greise Kämmerling sah uns an und schüttelte seinen Kopf; der Doktor reichte ihm eine Schnitte Tabak als Eintrittsgebühr. Daraufhin erhielten wir die Erlaubnis weiterzugehen. Aber gerade, als wir das erste Haus betreten wollten, wurde Marbonna von verschiedenen Seiten gerufen und mußte uns verlassen. Wir waren allein, aber die unerschütterliche Sicherheit des Doktors kam uns zustatten. Er trat einfach ein und ich folgte ihm. Das Haus war voll von Frauen, die keineswegs überrascht waren, sondern uns freundlich aufnahmen, als hätten sie uns für diesen Nachmittag eingeladen und zum Tee erwartet. Sie nötigten uns sogleich, eine Kalebasse mit Poï und mehrere geröstete Bananen zu essen; dann wurden Pfeifen angezündet und eine muntere Unterhaltung begann. Das Benehmen dieser Hofdamen war vielleicht nicht das feinste, aber sehr frei und unbefangen, etwa so wie das der Schönen am Hof Karls II. war. Einem drolligen kleinen Fräulein, das fließend mit uns reden konnte, suchten wir uns besonders angenehm zu machen, in der Hoffnung, daß sie den Cicerone machen würde. Dazu war sie auch bereit und führte uns ungehindert überall hin; wir betraten jeden Raum, schoben die Vorhänge zur Seite, hoben die Matten auf und guckten in jeden Winkel. Ob die Kleine den Siegelring ihrer Herrin hatte, so daß ihr alles offen stand, weiß ich nicht; aber Marbonna hätte nicht halb soviel für uns tun können. Unter anderem besuchten wir ein schönes großes Haus, das ein Europäer bewohnte, einst der Steuermann eines Handelsschiffes, der eine nahe Verwandte der Königin geheiratet hatte und seitdem zum Haushalt ihrer Majestät gehörte. Er stand spät auf, kleidete sich theatralisch in Kattungewänder, trug viel Schmuck und Ringe, redete in gebieterischem Ton und schien die größte Meinung von sich zu haben. Er lag auf einer Matte inmitten eines bewundernden Kreises von Häuptlingen und Damen und rauchte aus einer Rohrpfeife. Während alle anderen uns begrüßten, rührte er sich nicht, sondern fuhr fort zu rauchen und zu reden, ohne uns eines Blickes zu würdigen.

Auf unsere dringende Bitte, die Königin sehen zu dürfen, wurden wir nach einem Gebäude geführt, das weitaus das größte von allen war, etwa hundertfünfzig Fuß lang, sehr breit, mit einem tief herabreichenden und sehr steil ansteigenden Dach aus Pandanablättern. Es hatte weder Türen noch Fenster; die Seitenwände wurden lediglich durch Vorhänge aus Tappa und feinen geflochtenen Matten zwischen dünnen Pfeilern, die das niedere Dach stützten, gebildet. Einige davon waren mit Blumengewinden geschmückt, andere teilweise weggezogen, um Licht und Luft den Zutritt zu gewähren. Auch wir schoben einen dieser Vorhänge zur Seite und traten ein. Wir befanden uns in einer riesigen Halle. Von der langen Dachstange, die sich in einer Höhe von vierzig Fuß befand, flatterten befranste Matten und große Quasten. An beiden Seiten lagen viele Matten auf dem Boden übereinander; da und dort hingen dünne Vorhänge als Zwischenwände und bildeten Gemächer, in denen Frauen bei der Abendmahlzeit saßen. Das Plaudern hörte auf und alle verstummten, als wir erschienen, und unsere Führerin sagte ein paar geheimnisvolle Worte zur Erklärung.

Wenn der Anblick an sich schon ein seltsamer war, das allerseltsamste war die wahllose Anhäufung der kostbarsten Gegenstände aus allen Teilen der Welt. Herrliche Schreibtische aus Rosenholz, mit Silber und Perlmutter eingelegt, Karaffen und Kelche aus geschliffenem Glas; plattiertes Tafelgeschirr in erhabener Arbeit, vergoldete Kandelaber, Erdkugeln und mathematische Instrumente, das feinste Porzellan, reich verzierte Schwerter und Jagdflinten, Spitzenhüte und kostbare Gewänder aller Art und zahllose andere Gegenstände europäischer Herkunft standen und lagen zwischen fettigen Kalebassen, die noch halb voll Poï waren, Rollen von altem Tappa, Matten, Paddelrudern, Fischspeeren und allem anderen umher, was zur gewöhnlichen Einrichtung eines taheitischen Hauses gehört. Die europäischen Gegenstände waren zweifellos Geschenke fremder Regierungen; fast alle waren beschädigt, die Gewehre und Schwerter verrostet, das feine Holz zerkratzt; ich sah einen Folioband von Hogarth offen liegen, der feuchte Inhalt einer Kokosnußschale war über das »Zimmer des Wüstlings« ausgegossen, wo diesem unbesonnenen jungen Mann gerade Maß für einen neuen Rock genommen wurde.

Während wir das sonderbare Museum heiter betrachteten, faßte unsere Führerin uns am Ärmel und flüsterte: »Pomari! Pomari ermeh kaukau.«

»Ah, sie kommt zum Essen,« sagte der Doktor, »wie wär's, Paul, wenn wir vor sie träten?« In diesem Augenblick wurde ein Vorhang in unserer Nähe aufgehoben und die Königin, die allein aus einem nur wenige Schritte entfernten Gebäude kam, trat ein.

Sie trug ein loses Gewand aus blauer Seide und zwei herrliche Schals, einen roten und einen gelben, um den Hals. Ihre Majestät war barfuß. Sie war von mittlerer Größe, sah ziemlich frauenhaft aus; ihre Züge waren nicht besonders schön, der Mund sinnlich, das Gesicht hatte einen sorgenvollen Ausdruck. Man mochte sie auf etwa vierzig Jahre schätzen, aber sie ist beträchtlich jünger.

Sie schritt auf eines der abgeteilten Gemächer zu; ihre Dienerinnen eilten herbei, geleiteten sie hinein und legten die Matten glatt, auf denen sie sich ausstreckte. Nun erschienen zwei Mädchen, die die Speisen brachten, und zwischen all dem geschliffenen Glas und Porzellan, den Krügen mit Konfekt und eingemachten Früchten aß Pomari Veheinih I., Titularkönigin von Taheiti, Fisch und Poï aus ihren heimischen Kalebassen, ohne Messer und Gabel zu benützen.

»Komm,« flüsterte das lange Gespenst, »wir wollen gleich Audienz nehmen«, und er wollte sich bereits selbst vorstellen, als unsere Führerin ihn erschrocken zurückhielt und zu schweigen bat. Auch die anderen Eingeborenen traten dazwischen, und da er sich durchdrängen wollte, machten sie Lärm, so daß Pomari aufblickte und uns sah.

Sie schien überrascht und verletzt, gab ihren Frauen mit gebieterischer Stimme einen Befehl und wies uns mit einer Handbewegung hinaus. Das kam zwar etwas plötzlich, aber die Hofetikette wollte es offenbar so. Wir zogen uns daher mit einer tiefen Verneigung zurück und verschwanden hinter den Tappagehängen.

Wir verließen das Schloßgebiet, ohne Marbonna wiederzusehen; ehe wir aber über den Zaun voltigierten, belohnten wir unsere hübsche Führerin in besonderer Weise. Als wir einen Augenblick später zurückblickten, sahen wir, wie die kleine Dame von zwei Männern ins Haus geführt wurde, die offenbar nach ihr geschickt worden waren. Hoffentlich erhielt sie nur eine Rüge.

Am nächsten Tag teilte Pao-Pao uns mit, daß ein strenger Befehl ausgegeben worden war, Fremde unter keinen Umständen den Schloßgrund betreten zu lassen.

 


 << zurück weiter >>