Hermann Melville
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Hermann Melville

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Sechzehntes Kapitel

Wie weit wir von den Marquesas nach Westen fuhren, wo wir eigentlich waren, über wieviel Meilen unsere Fahrt nach Taheiti ging, vermag ich nicht zu sagen. Jeden Mittag brachte Jermin seinen verrosteten alten Quadranten heraus, der so wunderlich aussah, als ob er aus dem Besitz eines alten Astrologen stammte. Manchmal, wenn Jermin ein paar Gläser zuviel getrunken hatte, schwankte er über das Deck, das Instrument am Auge, und vermochte die Sonne nicht zu finden, die ihm zu Häupten stand. Wie es ihm gelang, die geographische Breite festzustellen, weiß ich nicht; die Länge kann er nur durch Regeldetri gefunden haben, oder es wurde ihm eine Offenbarung darüber zuteil; denn auf seinen Chronometer konnte er sich nur insofern verlassen, als er seit langem stillstand, und zwar die richtige Zeit nach der Sternwarte von Greenwich anzeigte, aber nur für den Augenblick, in dem er zu gehen aufgehört hatte.

Abgesehen von diesen »ungefähren« Berechnungen, behauptete der Steuermann, die Meridiandistanz vom Turm der Marienkirche in London durch gewisse Mondbeobachtungen genau bestimmen zu können. Zu diesem Zweck muß, soviel ich weiß, der Winkel zwischen der Mondhöhe und der eines Fixsterns festgestellt werden; hierzu sind zwei Personen nötig, die zu gleicher Zeit ihre Aufnahmen machen. Nun hätte unser Steuermann, da er alles doppelt sah, vielleicht allein genügt, aber gewöhnlich wurde der Doktor gerufen, um mit einem zweiten Quadranten zu arbeiten, und was die beiden dann angaben, die vergeblichen Versuche des Steuermanns, sein Instrument in die richtige Lage zu bringen, und die Scherze des Doktors, waren ein wahres Gaudium.

Aber wie er es nun machen mochte, er lotste uns durch, und eines Tages warf einer der Mannschaft, der nach oben geschickt worden war, um das Vormarssegel zu flicken, seine Mütze in die Luft und brüllte: »Land ahoi!«

Land war in der Tat in Sicht, aber in welchem Teil der Südsee es lag, das wußte nur Jermin, und auch das schien manchen nicht außer Zweifel. Aber schon kam er mit dem Fernglas an Deck gestürmt, hielt es ans Auge und sah sich triumphierend um: es war genau das Land, nach dem er gesteuert hatte, und mit einigem Winde konnten wir in weniger als vierundzwanzig Stunden Taheiti sichten. Und das bestätigte sich auch. Es war eine Insel, die zur Puamotugruppe gehörte, die auch Koralleninseln oder die niederen Inseln genannt werden und östlich von Taheiti liegen. Sie sind sehr zahlreich, zumeist klein, niedrig und flach, mitunter bewaldet, stets aber mit Grün bedeckt. Einige sind halbmondförmig, andere haben Hufeisenform. Diese bestehen aus einem schmalen ringförmigen Streifen Landes, der um eine stille Lagune liegt und eine einzige schmale Öffnung zum Meere läßt. Einige Lagunen sind geschlossen, ohne sichtbare Einfahrt, sollen aber eine unsichtbare Verbindung mit dem Meer haben; diese Inseln sehen aus wie ein Gürtel von Smaragd.

Die ganze Gruppe soll von den Korallentierchen erbaut sein, die vom Meeresgrund durch die Jahrhunderte ihre Gehäuse bis zur Oberfläche führen; was immer das Meer heranschwemmt, bleibt in den Riffen hängen, und so bildet sich mit der Zeit ein Boden, Vögel bringen Samen hin, der keimt, und das Ganze bedeckt sich mit grünen Pflanzen. Im ganzen Archipel sieht man da und dort auch zahllose nackte Riffe über die Meeresfläche ragen.

Soviel ich weiß, gibt es auf der ganzen Puamotugruppe nur wenig Brotfruchtbäume; auf manchen wachsen nicht einmal Kokospalmen. Einige der Inseln sind daher unbewohnt; andere bieten nur einer einzigen Familie Unterhalt, und auf keiner ist die Bevölkerung zahlreich. In vieler Hinsicht gleichen die Eingeborenen denen von Taheiti; auch ihre Sprache ist ähnlich. Die Bevölkerung der südöstlichen Gruppen sind als Kannibalen berüchtigt; infolgedessen legen die Schiffe dort nicht gerne an, und im Grunde weiß man nicht viel von ihnen. In den letzten Jahren haben sich auf den »Inseln unterm Winde« Missionare von den Gesellschaftsinseln niedergelassen und die Eingeborenen haben sie freundlich aufgenommen. Dem Namen nach sind viele jetzt Christen und haben, zweifellos von ihren Lehrern beeinflußt, nunmehr auch die Oberhoheit der Königin Pomari auf Taheiti anerkannt. Sie hatten mit dieser Insel von jeher viel Verkehr.

Die Koralleninseln werden hauptsächlich von Perlfischern besucht. Sie kommen in kleinen Schonern, die mit nur fünf oder sechs Personen bemannt sind. Lange Zeit hindurch hatte ein gewisser Merenhout fast das ganze Geschäft an sich gerissen; er war französischer Konsul auf Taheiti, Holländer von Geburt, und soll in einem Jahr Perlen im Werte von fünfzigtausend Dollars nach Frankreich geschickt haben. Die Muscheln sitzen in den Lagunen oder an den Riffen; für ein halbes Dutzend Nägel im Tag oder weniger verdingen sich die Eingeborenen als Taucher.

Auch sehr viel Kokosöl wird an manchen Orten gewonnen. Auf einigen der unbewohnten Inseln stehen die Palmen in dichten Hainen, und die abgefallenen Nüsse liegen dort in unglaublichen Mengen umher. Zwei oder drei Männer, die mit dem zur Ölgewinnung Nötigen versehen sind, können in acht bis vierzehn Tagen ein großes Meerkanu mit Öl beladen. Kokosöl wird jetzt auf vielen Inseln hergestellt und bildet einen bedeutenden Handels- und Ausfuhrartikel. Ein großer Teil wird nach Sydney gebracht. Es wird für Lampen und als Maschinenöl verwendet, ist viel billiger als Walrat und zu beiden Zwecken besser geeignet als das richtige Walratöl. Es wird in großen, sechs bis acht Fuß langen hohlen Bambusrohren auf Flaschen gezogen und in diesen Gefäßen in Taheiti auf den Markt gebracht.

Da der Wind völlig abflaute, wurde es Abend, ehe wir der Insel nahekamen; aber wir sahen sie den ganzen Nachmittag. Sie war klein und rund, eine glänzende baumlose Fläche, die sich kaum vier Fuß über das Meer zu erheben schien. Hinter ihr lag eine zweite größere Insel, über der die Sonne eben sank und die ganze Seite des Himmels in Flammen tauchte, so daß er wie ein ungeheures beleuchtetes Kirchenfenster aussah.

Schlaff hingen unsere Segel im absterbenden Passat, der Duft von tausend Blütenhainen erfüllte die Abendluft. Einer der Kranken, der in letzter Zeit Symptome von Skorbut gezeigt hatte, schrie auf, als er sie einatmete, und mußte nach unten gebracht werden. Das kommt häufig vor.

Wir glitten langsam weiter, bis wir nur mehr eine Kabellänge vom Strande entfernt waren, der von funkelndem Schaum umbrandet war, während drinnen still die blaue Lagune lag. Nichts Lebendes war zu sehen; vielleicht waren wir die ersten Sterblichen, die die Stelle mit Augen sahen. Es war ein Gedanke, der die Phantasie anregte; ich dachte der endlosen Grotten und Galerien in der Tiefe und der seltsamen Geschöpfe, die dort ihr Wesen treiben mochten.

 


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