Hermann Melville
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Hermann Melville

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Achtunddreißigstes Kapitel

Durch die Ankunft der Kisten wurde mein Freund, der Doktor, bei weitem der reichste Mann unter uns. Das kam mir um so mehr zustatten, als ich selbst wenig oder nichts besaß; aber weil wir so befreundet waren, bewarben die Eingeborenen sich um meine Gunst fast ebensosehr wie um die seine. Unter anderem trat Kulu als Bewerber um meine Freundschaft auf, und da er ein hübscher Junge, ja in seiner Art ein Stutzer war, ging ich darauf ein; dies befreite mich von den Zudringlichkeiten der anderen; denn der Taheitier, der in Liebesverhältnissen nicht zur Eifersucht neigt, duldet in der Freundschaft keinen Nebenbuhler.

Als Kulu mir seine empfehlenswerten Eigenschaften aufzählte, teilte er mir vor allem mit, daß er ein »Mikkoneri« sei; das bedeutete, daß er zur christlichen Kirche gehöre. Seine Wertschätzung bewies mir mein Tejo dadurch, daß er mir immer wieder versicherte, seine Liebe zu mir sei »nui, nui, nui . . .«, also unendlich groß. Überall in diesen Meeren bedeutet das Wort »nui« die Menge, und die Wiederholung hat die gleiche Bedeutung, wie wenn wir Nullen hinter eine Ziffer setzen; je mehr Stellen, desto größer ist die Summe. Das Bild ist um so treffender, als Kulus Erklärungen an sich vollkommen wertlos waren. Er war leider ein tönendes Erz und eine klingende Schelle, und zwar von denen, die nur dann Musik machen, wenn sie mit einem silbernen Klöppel angeschlagen werden. Im Verlauf weniger Tage hatten unsere Tejos dem Doktor, mir und den anderen alles abgeschmeichelt, worauf ihre Neigung merklich kühler wurde. So unaufmerksam wurden sie, daß wir uns nicht einmal mehr auf die Lieferung der täglichen Speisen verlassen konnten, die sie uns so treulich versprochen hatten. Kulu sprang eines Tages, nachdem er mich gehörig ausgesogen hatte, ab. Er teilte mir mit, daß ein anderes Freundschaftsgefühl ihn beherrsche; er war auf den ersten Blick von heftiger Zuneigung zu einem jungen Matrosen ergriffen, worden, der eben, von einer erfolgreichen Walfischjagd kommend, mit vollen Taschen auf Taheiti gelandet war. Der Abschied war rührend und unsere Verbindung war zu Ende. Ich wäre auch nicht sehr betrübt gewesen, wenn er nicht die Unzartheit bewiesen hätte, mit meinen Geschenken Staat zu machen, als seine Neigung schon einem anderen galt. Fast täglich traf ich ihn auf der Ginsterstraße in einem Ruderhemd, das ich ihm in einer glücklicheren Stunde geschenkt hatte. Er schlenderte nachlässig vorbei, sah mich vergnügt an und grüßte mich kühl mit: »Ei'r Ehren, bojoih!«, was etwa ein hingeworfenes »Guten Morgen« bedeutete. Immerhin mußte ich anerkennen, daß Kulu ein erfahrener Weltmann war: acht Tage später schnitt er mich bereits vollständig und nickte nicht einmal, wenn er mich traf; ich war ein Teil der Landschaft für ihn geworden.

Ehe unsere Kisten völlig geleert waren, hatten wir eine große Wäsche am Bach gehalten und unsere besten Sachen gereinigt, um uns anständig anziehen zu können und die europäische Kapelle im Dorf zu besuchen. Jeden Sonntagmorgen hielt ein Mitglied der Mission dort Gottesdienst ab. Es war das erstemal, daß wir Papiti ohne Wache betraten. Etwa vierzig Personen waren in der Kapelle, darunter die Offiziere mehrerer im Hafen liegender Schiffe. Die Predigt war voll Saft und der Geistliche schlug mehrmals kräftig aufs Pult. Auf einem der besten Sitze saß steif wie ein Flaggenstock unser geliebter Beschützer und Hüter Konsul Wilson. Nie werde ich den Ausdruck des Erstaunens in seinem Gesicht vergessen, als er seine interessanten Schützlinge durch die Kirchentür eintreten und in einer Reihe gerade ihm gegenüber Platz nehmen sah. Als der Gottesdienst zu Ende war, warteten wir draußen, um ihn nochmals zu sehen; aber er schien keine Freude daran zu haben, denn er spähte aus einem Fenster und verließ die Kirche nicht eher, als bis wir die Geduld verloren hatten und nach Hause gegangen waren.

 


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