Hermann Melville
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Hermann Melville

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Einundsechzigstes Kapitel

»Doktor,« rief ich einige Tage nach diesem Abenteuer, als wir eines Morgens allein auf den Matten im Hause unseres Wirtes lagen und unsere Rohrpfeifen rauchten, »wollen wir uns nicht in Tameh niederlassen?«

»Es wäre vielleicht kein schlechter Gedanke, Paul; aber glaubst du, daß sie es uns auf die Dauer gestatten?«

»Doch, natürlich; sie werden glücklich sein, ein paar Karhauris zu Mitbürgern zu haben.«

»Du hast wirklich recht, mein Lieber! Haha! Ich könnte ja ein Bananenblatt vor die Türe stecken, und mich darauf als praktischen Arzt aus London empfehlen; ich könnte Vorlesungen über polynesische Altertümer halten oder englischen Sprachunterricht in fünf Stunden anzeigen, Dampfwebstühle für Tappa-Manufaktur einrichten, einen Volkspark im Dorf anlegen und ein Fest zu Cooks Ehren einführen!«

»Hoffentlich wirst du inzwischen noch Zeit zum Atemholen finden«, bemerkte ich.

Trotz diesen phantastischen Projekten dachten wir ganz ernstlich, unseren Aufenthalt im Tal über eine unbestimmte Zeit auszudehnen, und wir machten eben verschiedene Pläne, diese Zeit so vergnügt als möglich zu verbringen, als mehrere Weiber angelaufen kamen und uns baten, eilig zu »herih! herih!« (zu fliehen), wobei sie uns etwas von »Mickonerihs« zuriefen. Vielleicht sollten wir wegen Übertretung der Gesetze gegen Landstreicherei verhaftet werden; jedenfalls eilten wir aus dem Haus, sprangen in ein Kanu, das vor der Türe lag, und paddelten mit aller Macht nach dem entgegengesetzten Ufer. Wir sahen, daß eine Menge Menschen auf Rartus Haus zukam, darunter mehrere Eingeborene, die, nach ihrer halb europäischen Tracht zu schließen, sicherlich nicht in Tameh zu Hause waren.

Wir eilten tiefer in den Hain und dankten dem Geschick, daß wir so entkommen waren. Denn was wir wirklich fürchteten, war, daß man uns als Schiffsdeserteure aufgreifen und nach dem Strand bringen wollte. Wir konnten auch nicht daran denken, in der Nähe des Dorfes zu bleiben und wieder dahin zurückzukehren; dazu war uns unsere Freiheit zu lieb. So wanderten wir denn nach Martehr zurück zu den Pflanzern, deren Haus wir bei Einbruch der Nacht erreichten. Sie nahmen uns sehr freundlich auf, gaben uns ein tüchtiges Abendbrot und wir saßen noch lange und erörterten unsere Aussichten und Pläne. Wir beschlossen rund um die Insel nach Telu zu gehen. In Tameh waren wir nicht weit davon entfernt gewesen, wollten aber so viel von der Insel sehen, als wir konnten, und waren darum zunächst nach Martehr zurückgekehrt.

Telu, der einzige Hafen von Imio, den europäische Schiffe anlaufen, liegt an der westlichen, Martehr gerade entgegengesetzten Seite der Insel. An dem einen Ufer der Bucht liegt das Dorf Partuwei. Dort befindet sich ein Missionshaus und in der Nähe eine ausgedehnte Zuckerpflanzung, vielleicht die beste in der ganzen Südsee, die von einem Mann aus Sydney betrieben wird. Partuwei ist ein Erbgut des Gatten Pomaris, entzückend gelegen, und der Hof hielt sich manchmal dort auf. Jetzt, seitdem die Königin aus Taheiti geflohen war, bildete es die ständige Residenz. Es war kein belebter Ort wie Papiti; Schiffe legten nur selten an und nur wenige Fremde lebten dort. Ein einsamer Walfischfänger sollte zurzeit im Hafen liegen, der Holz und Wasser einnahm und Leute brauchte.

Alles in allem schien Telu uns glänzende Aussichten zu bieten. Wir konnten uns auf dem Walfischfänger verdingen, oder als Tagelöhner in der Zuckerpflanzung, vor allem aber konnten wir hoffen, in der Umgebung Ihrer Majestät zu irgendeinem reich dotierten Vertrauensposten zu gelangen. Das war durchaus keine phantastische Erwartung. Im Gefolge vieler polynesischer Fürsten findet man weiße Umherstreicher als vornehme Staatspensionäre, die sich im Tropenlicht des Hofes sonnen und das angenehmste Leben führen. Auf Inseln, die von Fremden nur selten besucht werden, pflegt der erste Seemann, der sich dort niederläßt, in den Haushalt des obersten Häuptlings oder Königs aufgenommen zu werden, wo er die verschiedensten Ämter bekleidet. Als Hofhistoriograph gibt er den Eingeborenen Kunde von fernen Ländern; als Kommissar für Kunst und Wissenschaften lehrt er sie den Gebrauch des Klappmessers, und wie man alte Eisenhaken in Speerspitzen umarbeitet, als Dolmetscher Seiner Majestät vermittelt er den Verkehr mit Fremden; außerdem erteilt er allgemeinen Sprachunterricht, lehrt die Leute englisch sprechen und fluchen, vorzugsweise das letztere. Diese Leute machen gewöhnlich gute Partien, oft heiraten sie, wie Hardy auf Hannamenu, Damen der königlichen Familie. Sehr häufig findet man sie in der Stellung erster Kammerherren. Auf Amboi, einer der Tonga-Inseln, ist ein Landstreicher aus Wales Mundschenk Seiner Kannibalischen Majestät. Er mischt ihm seinen Morgentrank aus Awa und reicht ihn dem Herrscher kniend in einer schön geschnitzten Kokosnußschale. Auf einer anderen Insel der gleichen Gruppe, wo es Sitte ist, das Haar zu einem mächtigen und schwierigen tiaragleichen Aufbau zu frisieren, ist ein alter Marinesoldat königlicher Barbier. Da Seine Majestät nicht sehr reinlich ist, so ist sein Schopf reich bevölkert; und wenn John nicht mit der Frisur beschäftigt ist, so ist es seine Aufgabe, seinen Herrn sachte zu kratzen; ein spitzes Stäbchen, das zu diesem Zweck dient, steckt beständig im Haar des Königs.

Selbst auf den Sandwich-Inseln sind eine Menge Ausländer niederster Herkunft um die Person Tammahammahas beschäftigt. Ein munterer kleiner Neger in einer fleckigen blauen Jacke, die über und über mit rostigen Schellenknöpfen und mit abgenutzten Goldlitzen besetzt ist, Billy Loon genannt, ist königlicher Trommler und Tamburinschläger. Ein Portugiese mit einem Holzbein – das echte verlor er auf der Walfischjagd –, spielt die Geige, und Mordechai, wie er sich nennt, ein höchst verdächtig aussehendes Individuum, unterhält den Hof mit Taschenspielerstückchen. Alle diese Müßiggänger bekommen kein festes Gehalt und sind auf die gelegentliche Freigebigkeit ihres Herrn angewiesen. Hie und da lassen sie in den Tanzhäusern von Honolulu eine Rechnung anstehen, die der erlauchte Tammahammaha III., wenn er höchstselbst diese Häuser besucht, für sie bezahlt. Vor einigen Jahren kam ein Auktionator hin und führte auf den Sandwich-Inseln die erste Versteigerung durch; der König bot begeistert mit und fand die Sache entzückend. Er ersuchte den Mann, bei ihm zu bleiben: er sollte gut versorgt werden. Aber der Auktionator wollte nicht, und so kam er um die Ehre, einen elfenbeinernen Hammer auf einem Samtkissen bei der nächsten Krönungsfeierlichkeit im Zuge tragen zu dürfen.

Wir dachten natürlich nicht an so niedrige Stellungen, sondern hofften, wenn wir der Königin von Taheiti nur vorgestellt wurden, irgendein weit ehrenvolleres Amt zu bekleiden und mit einer anständigen Versorgung in Brotfrucht und Kokosnüssen auf die Zivilliste gesetzt zu werden. Wir hatten gehört, daß die Königin, um den Ansprüchen der Franzosen besser widerstehen zu können, so viel Fremde als möglich um sich versammelte. Ihre Vorliebe für Engländer und Amerikaner war bekannt. Zeke hatte uns mitgeteilt, daß die Räte der Königin in Partuwei ernstlich an einen Angriff auf die Eindringlinge dachten. In diesem Fall rechnete der Doktor als Militärarzt und ich mindestens als Leutnant unterzukommen. Aber wenn wir auch nach Hohem strebten, so ließen wir doch auch geringere Aussichten nicht unbeachtet. Der Doktor hatte mir gesagt, daß er vortrefflich die Geige spiele. Ich riet ihm daher dringend, gleich nach unserer Ankunft in Partuwei sich irgendwo eine Violine zu leihen und, wenn das nicht ging, selbst irgendein derartiges Instrument zu konstruieren und dann um eine Audienz bei der Königin zu bitten. Ihre wohlbekannte Leidenschaft für Musik mußte ihm zugute kommen. »Und wer weiß,« sagte mein witziger Freund, indem er den Kopf zurückwarf und mit dem einen Arm über dem anderen bereits die Bewegung des Fiedelns machend, »ob ich mich nicht in die Gunst Ihrer Majestät hineingeige und eine Art Rizzio der taheitischen Fürstin werde?«

Nur die unrühmliche Art, in der wir Tameh vorzeitig hatten verlassen müssen, ließ den Doktor und mich nicht mit vollem Vertrauen in die Zukunft blicken. Unter Zekes Schutz waren wir vor jeder ungehörigen Einmischung der Eingeborenen sicher. Aber auf einsamen Wanderwegen liefen wir stets Gefahr, als Ausreißer aufgegriffen und nach Taheiti zurückgeschickt zu werden. Die Belohnungen, die immer wieder auf das Ergreifen von Schiffsdeserteuren ausgesetzt werden, machen den Eingeborenen jeden Fremden verdächtig.

Wir hätten daher gerne einen Paß gehabt; aber derartige Papiere waren auf Imio noch vollkommen unbekannt. Da meinte das lange Gespenst, wir könnten von dem Yankee, der auf der ganzen Insel wohlbekannt und geachtet war, ein Papier bekommen, in dem er bestätigte, daß wir in seinen Diensten gestanden hatten und weder Räuber noch Deserteure waren. Auch wenn es in englischer Sprache geschrieben wurde, genügte es für unseren Zweck; denn die unwissenden Eingeborenen haben vor jedem Schriftstück die größte Ehrfurcht und wagten sicherlich nicht, uns zu belästigen, solange sie den Inhalt nicht genau kannten. Im schlimmsten Fall konnten wir uns an den nächsten Missionar wenden und ihn bitten, den Paß zu verlesen. Zeke fühlte sich sehr geschmeichelt, da wir von seinem Ruf eine so hohe Meinung hatten; der Doktor wollte ihm das Schreiben aufsetzen; aber er erklärte, es selbst verfassen zu wollen. Mit einer Hahnenfeder, einem fleckigen Papierbogen und einem mutigen Herzen ging er ans Werk. Er war an schriftliche Aufsätze nicht sehr gewöhnt, und die Geburt war eine schwierige. Aber schließlich kam das merkwürdige Dokument zustande. Es wurde nicht datiert, denn »in dem verdammten Klima hier«, sagte Zeke, »kann man sich unmöglich die Monate merken; Jahreszeiten gibt's nicht, keinen Sommer und keinen Winter, und so denkt man immer, es ist Juli, weil's so verteufelt heiß ist.«

Einen Paß hatten wir nun und überlegten, wie wir am besten nach Telu kommen konnten. Die Insel Imio ist beinahe überall von einem regelrechten Wellenbrecher aus Korallen umgeben, der nicht ganz eine Meile vom Strande liegt. Der glatte Kanal innerhalb des Riffs bietet die beste Verkehrsstraße, um so mehr als alle Niederlassungen mit Ausnahme Tamehs an der See liegen. Die Einwohner sind so träge, daß sie lieber dreißig Meilen um die Insel fahren als eine Viertelstunde über Land zum nächsten Ort gehen. Allerdings hat auch die Furcht vor den wilden Rindern damit zu tun.

Wir wären ganz gerne gleichfalls in einem Kanu gefahren, aber wir konnten keines bekommen. Erstens hatten wir kein Geld, die Miete zu bezahlen; zweitens hätte der Eigentümer es selbst wieder holen und den ganzen Weg am Strande zu Fuß machen müssen. Dazu hatte niemand Lust, und so mußten wir zu Fuß gehen; allerdings hofften wir unterwegs bald ein Kanu zu sehen, das in gleicher Richtung fuhr und uns aufnehmen würde. Die Pflanzer sagten uns, daß es keinen angelegten Weg gäbe und wir nur immer dem Strand folgen und keinen noch so verlockenden Pfad ins Land hinein einschlagen sollten. Kurz, der längste Weg nach Telu war der nächste. Wir konnten gewiß sein, kleine Ortschaften und hie und da einsame Fischerhütten am Strande zu finden, in denen wir reichlich Essen erhalten könnten und niemand Bezahlung fordern würde; Vorräte brauchten wir also nicht mitzunehmen.

Am nächsten Morgen vor Sonnenaufgang wollten wir aufbrechen und die kühlste Tageszeit zur Wanderung benutzen; wir sagten daher unseren freundlichen Wirten schon jetzt Lebewohl, gingen an den Strand hinab, schoben unser schwimmendes Bett ins Wasser und schliefen vergnügt bis zur Morgendämmerung.

 


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