Hermann Melville
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Hermann Melville

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Gegen Sonnenuntergang kam der Steuermann zurück. Lustig singend saß er am Hinterende des Bootes, und als er an der Schiffswand heraufklettern wollte, plumpste er ins Wasser. Der Steward zog ihn heraus und trug ihn übers Deck, wobei ihn der Steuermann in den rührendsten Ausdrücken seiner ewigen Dankbarkeit und Liebe versicherte. Dann taumelte er ins Boot am Achterdeck und schlief sofort ein. Gegen Mitternacht wachte er wieder auf; er war etwas nüchterner geworden und ging nach vorn zur Mannschaft.

Wir hatten natürlich bemerkt, daß Jermin mit der »Julia« ganz gern in See gehen wollte; in der Tat war es sein größter Wunsch, obschon es bei dem Zustand, in dem das Schiff sich befand, und so, wie es auf ihm zuging, eigentlich unbegreiflich war. Dennoch war es so, und da er auf seine rauhe Beliebtheit bei den Leuten gerechnet und geglaubt hatte, sie würden sich zu einer Fahrt unter seinem Kommando bereit finden, war er sehr enttäuscht. Aber da er immer noch glaubte, sie umstimmen zu können, wenn sie nur wüßten, wie gut sie es dann haben würden, so wollte er seine Überredungskünste versuchen.

Er ging also nach vorn, steckte seinen Kopf durch das Luk, rief uns freundlich an und lud uns in die Kajüte: er hätte was für eine lustige Nacht. Wir kamen gern, streckten uns über die Back und ließen uns vom Steward bedienen. Jermin saß in dem Lehnstuhl des Kapitäns, der an Deck festgemacht war, stützte die Arme auf den Tisch, und während die Kanne herumging, sprach er ganz offen mit uns; er war noch keineswegs völlig nüchtern. Er meinte, daß wir sehr dumm wären; wenn wir an Bord blieben, würden wir das lustigste Leben mit ihm führen; er zählte auf, wieviel Fässer noch unangezapft in den hölzernen Kellereien der »Julia« lägen; er deutete sogar an, daß wir möglicherweise gar nicht wiederkommen würden, um den Kapitän zu holen, von dem er sehr geringschätzig sprach, und wiederholte, was er schon oft gesagt, daß der Kerl kein Seemann wäre. Außerdem versicherte er alle, meinte aber dabei in erster Linie den langen Doktor und mich, daß, wenn welche unter uns zu lernen Lust hätten, es ihm das größte Vergnügen sein würde, die Betreffenden die Geheimnisse der Navigation zu lehren; auch seinen Quadranten sollten wir umsonst benützen dürfen. Vorher schon hatte er den Doktor beiseitegenommen und ihm erklärt, daß er ihn wieder in all seine Würden in der Kajüte einsetzen wolle, und er deutete auch mir an, daß ich irgendwie avancieren sollte. Aber es war alles umsonst, die Leute waren darauf versessen, an Land zu gehen, und nicht davon abzubringen.

Zuletzt geriet er in helle Wut, die durch die zahlreichen Gläser, die er inzwischen leergetrunken hatte, noch gesteigert wurde, und jagte uns fluchend aus der Kajüte. Wir schwankten in bester Laune die Treppe herauf.

An Deck war es so still, daß einige der Kampflustigsten klagten, weil so gar keine Aussicht auf einen Radau wäre. Sie vertrösteten sich auf den Morgen, aber es dauerte keine fünf Minuten, und ihr Wunsch war erfüllt.

Sydney-Ben, der ein entlaufener »Urlaubscheiner«Diejenigen Sträflinge in Neusüdwales, die »Aussicht auf Besserung« bieten, werden als Dienstboten bei den Ansiedlern verdungen, dürfen also gewissermaßen in Freiheit leben, stehen aber unter behördlicher Aufsicht. Sie bekommen einen Urlaubschein, den sie auf Verlangen vorzeigen müssen, und werden daher »Urlaubscheiner« genannt. Wenigstens gab mir der Doktor diese Erklärung. sein sollte und aus guten Gründen einer der wenigen war, die den Dienst nicht aufgesagt hatten, war des Spaßes wegen mit in die Kajüte gekommen, und Bembo, der indessen an Deck Dienst getan, hatte ihn mehrmals gerufen. Zuerst hatte Ben getan, als hörte er nicht; als sein Name immer wieder ausgesungen wurde, weigerte er sich einfach, zu kommen, wobei er gleichzeitig höchst unfreundliche Ansichten über die mütterliche Herkunft des Maori äußerte. Bembo hatte lange genug unter den Leuten gelebt, um zu verstehen, daß seine Bemerkungen höchst beleidigender Natur waren, und als wir wieder an Deck kamen, ging er auf ihn zu und beschimpfte und verfluchte ihn in seinem gebrochenen Englisch mit solcher Wut, daß einem Angst werden konnte. Der Sträfling hatte gründlich getrunken, der Maori gleichfalls, und ehe wir noch wußten, was geschah, hatte Ben zugeschlagen, und die beiden fuhren aufeinander los wie zwei wütende Stiere.

Der Urlaubscheiner war ein erfahrener Boxer, der Wilde verstand gar nichts von dieser Kunst, also waren sie gleich. Sie rangen miteinander, bis beide auf dem Verdeck lagen. Ein Kreis von Zuschauern bildete sich um sie, in dessen Mitte sie sich raufend übereinander wälzten. Zuletzt sank der Kopf des Weißen zurück, und sein Gesicht wurde blau. Bembo hatte die Zähne an seinem Halse. Jetzt griffen alle zu und rissen den Wilden zurück, der erst losließ, als er einige heftige Schläge auf den Kopf bekommen hatte.

Seine Wut war die eines Teufels; mit weit aufgerissenen Augen und verzerrten Gliedern lag er auf dem Boden und versuchte gar nicht aufzustehen. Die Leute hielten ihn für gründlich eingeschüchtert; sie freuten sich, daß er es abgekriegt hatte, schimpften ihn einen Kannibalen und einen Feigling und ließen ihn liegen. Ben wurde nach unten geführt und verbunden.

Bald begaben sich auch die anderen mit wenigen Ausnahmen ins Logis, und da sie fast die ganze vorherige Nacht aufgewesen waren, so sanken sie bald auf Kisten und in Hängematten in tiefen Schlaf. Ehe eine Stunde um war, hörte man vorn keinen Laut mehr.

Der Steuermann hatte schon beim Beginn des Kampfes vergeblich versucht, die Raufenden zu trennen, indem er wiederholt auf den Maori losschlug, aber die Matrosen hatten sich ins Mittel gelegt und ihn fortgedrängt: er sollte die beiden es unter sich ausmachen lassen. Obschon er selbst seinen Rausch hatte, war er doch noch klar genug im Kopf, um dem Steward, der ein verläßlicher Seemann war, für den Augenblick die Wache zu übergeben; dann ging er nach unten und fiel sofort in trunkenen Schlaf.

Ich war mit dem Doktor an Deck geblieben, als die Leute nach unten gegangen waren. Dann war der Doktor schlafen gegangen, und ich wollte ihm eben folgen, als ich den Maori aufstehen sah. Er schöpfte einen Eimer Wasser voll, hielt ihn über den Kopf und übergoß sich damit; das tat er mehrmals hintereinander. Nun war daran nichts Besonderes, aber irgend etwas in der Haltung des Menschen fiel mir auf. Ich dachte indessen nicht weiter darüber nach und stieg durch das Luk hinab.

Nach kurzem unruhigen Schlummer erwachte ich und fand die Luft in der Back, da diesmal fast alle Leute zugleich unten waren, so unerträglich, daß ich einen alten Überzieher umnahm und wieder an Deck ging. Ich wollte oben bis zum Morgen durchschlafen. Ich fand den Koch, den Steward, Weimontu, Taugarn und den Dänen oben, lauter ruhige umgängliche Leute, die sich, seitdem der Kapitän das Schiff verlassen hatte, von den anderen ferngehalten hatten; der Steuermann hatte ihnen befohlen, nicht vor Sonnenaufgang nach unten zu gehen. Sie lagen an der Leeseite an den Schanzen; zwei oder drei schliefen, die anderen rauchten ihre Pfeifen und schwatzten.

Zu meiner Überraschung stand Bembo am Ruder; die Leute sagten mir, da ihrer so wenig wären, hätte er sich angeboten, seinen Turn mitzumachen und sie abzulösen und zugleich die Wache zu führen. Natürlich waren sie darauf eingegangen.

Es war eine schöne klare Nacht, Mond und Sterne schienen, und unten glitzerten die weißen Wellenkämme. Die Brise war leicht, wurde aber steifer; dicht am Winde fuhr »Klein-Julchen« landwärts auf den Strand zu, der sich hoch und dunstig in der Ferne erhob. Nach den wilden Ereignissen des Tages war die Stille und der Anblick der Mondlandschaft sehr wohltuend, und ich lehnte mich über Bord, um sie zu genießen. Mehr als je beklagte ich meine Lage, so wenig sich auch dagegen tun ließ. Schließlich wurde ich wieder schläfrig, machte mir aus meinem Überzieher ein Lager unter dem Ankerspill und versuchte alles zu vergessen.

Wie lange ich so dalag, weiß ich nicht. Als ich wieder aufstand, fiel mein Blick auf Bembo, der am Ruder stand. Seine dunkle Gestalt hob und senkte sich mit der Bewegung des Schiffs gegen den funkelnden Himmel hinter ihm. Er stand, einen Fuß vorgesetzt, auf Armeslänge von den Speichen, den unbedeckten Kopf vorgebeugt; ungeduldige Erwartung drückte sich in seinen Zügen aus. Die Wache konnte ich von meinem Platz aus nicht sehen. Sonst rührte sich niemand; das verlassene Deck und die breiten weißen Segel schimmerten im Mondlicht. Da schlug ein Brausen an mein Ohr, das schnell stärker wurde, und irgendwie wurde mir bewußt, daß ich es schon vorher gehört hatte. Im nächsten Augenblick war ich vollkommen wach und auf den Füßen. Gerade vor uns, so nah, daß mir das Herz stillstand, sah ich eine weite weiße Linie schäumender Brandung; dahinter lagen die schlafenden Berge, deren Schatten über das Deck fiel; über ihren dunstverschleierten Gipfeln brach eben die graue Dämmerung an. Die Brise war steifer geworden und wir liefen gerade auf das Riff zu. Das alles sah ich mit einem einzigen Blick; Bembos tückische Absicht war klar, und mit einem wilden Schrei stürzte ich nach hinten, die Wache zu wecken. Die Leute sprangen verwirrt auf, und nach kurzem, aber verzweifeltem Ringen rissen wir ihn vom Ruder weg. Das Ruder, einen Augenblick sich selbst überlassen, drehte sich heftig leewärts und brachte damit zu unserem Glück den Kopf des Schiffes in den Wind, so daß es an Fahrt verlor. Vorher hatte Bembo es drei oder vier Strich beim Winde gehalten, um es gerade in die Brandung zu steuern. Da es jetzt weniger Fahrt machte, hielt ich das Ruder fest, so daß die Segel gerade noch etwas Wind bekamen und wir schräg zum Ufer glitten. Es wäre natürlich leicht gewesen, vor dem Winde davonzufahren, hätte aber sicheren Tod bedeutet, da das Riff dort eine Kurve bildete. Der Däne und der Steward rangen noch mit dem rasenden Maori, während die anderen sinnlos schreiend hin und her liefen. In dem Augenblick, in dem ich das Ruder ergriffen hatte, sprang der alte Koch nach vorn, schlug mit einer Handspak donnernd auf die Back und schrie: »Brandung! Brandung! Dicht an Bord! An Deck! An Deck!«

Herauf stürzten die Leute und starrten in blödem Schrecken um sich. »Hol an die Fockrah!« »Los die Lee-Vorderbrassen!« »Alle Mann an Deck!« wurde jetzt von allen Seiten gebrüllt, und von hundert verschiedenen Kommandos verwirrt, liefen die Leute in Panik hin und her.

Wir schienen verloren, und ich wollte eben das Schiff voll vor den Wind bringen – was uns für den Augenblick gerettet hätte, um uns zuletzt um so sicherer ins Verderben zu führen –, als ein scharfer Ruf wie ein Pfeil an meinem Ohr vorüberhallte. Es war Salem: »Alle klar vorn, Ruder hart Backbord!«

Rundum drehten sich die Speichen, und die »Julia« mit ihrem kurzen Kiel schwang sich luvwärts, wie sich ein Wimpel dreht. Alsbald schlugen die Klüver gegen die Stage, und die Leute, ein wenig zur Besinnung gekommen, liefen an die Brassen.

»Hol über das Großsegel!« hörte man, als die frische Brise vorn und achtern über Deck blies; einen Augenblick später schlugen die Großrahen herum und nach einer weiteren halben Minute liefen wir über dem anderen Bug von Land ab, alle Segel voll. Da wir unmittelbar am Riff hatten wenden müssen, hätte keine Macht der Welt uns retten können, wenn nicht bis dicht an das Korallenriff tiefes Wasser wäre.

 


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